Hallo,
ich weiß gar nicht so recht, wie ich eigentlich anfangen soll. Zu meiner Situation: Ich bin Einzelkind einer cholerischen Mutter, mein Vater hat sich aus manischer Depression heraus selbst getötet, als ich knapp zwei Jahre alt war. Ich selbst war circa zehn Jahre, bis 2003, selbst manisch-depressiv, seitdem aber ‚clean’.
Mir geht es um das Verhältnis zu meiner Mutter … seit ich denken kann, ist unser Verhältnis mal das Beste, das man sich nur vorstellen kann, es gibt niemanden, der mich mehr pushen kann … oder eben meinerseits von Angst vor ihren cholerischen Ausbrüchen geprägt, es gibt auch niemanden, der mich so fertig macht, wie sie. Vorab sei gesagt, körperliche Gewalt war glücklicherweise nie wirklich ein Thema, psychische dafür umso mehr. Die Auslöser dazu … mein Dasein … ganz einfach – für sie. Ein absolutes Wunschkind war ich wohl nicht. Ich war halt irgendwann einfach DA. Als Kind habe ich – im akuten Zustand – dann schon mal geweint/geschrien „Dann hättest du mich halt abgetrieben!“, das wollte sie dann doch nicht. Na immerhin.
Die üblichen Ratschläge sind in meiner Situation relativ schwer umzusetzen; klar würde ich gerne Kontaktpausen machen, aber zum Einen habe ich ein kleines Kind, das seine Oma über alles liebt, umgedreht kümmert sie sich um ihn ganz toll. Zum Anderen ist sie meine einzige ‚Blutsverwandte’ – da bricht man doch nicht einfach den Kontakt ab?! – Auch wenn mir das eine zeitlang sicherlich gut täte.
Des Öfteren habe ich mir schon überlegt, solche Ausbrüche mal aufzunehmen, und ihr mal vorzuspielen.
Traurig finde ich die Tatsache, dass ICH überlege, mir psychologische Hilfe zu holen, weil ich immer zweifle … vielleicht habe ich ja auch wirklich etwas Falsches gesagt? Mache ich wirklich alles falsch? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wer weiß das schon. Eigentlich bräuchte SIE richtige Hilfe. Während meiner Depression hatte ich mal an eine Therapie gedacht, mit ihr – aber sie braucht sowas nicht. Ihre Eigenschaft als Cholerikerin hat sicherlich zu meiner Depression beigetragen – ohne sie als SCHULDIG bezeichnen zu wollen – neben der genetisch bedingten Neigung.
Und traurig finde ich auch, dass ICH nach ihren Ausbrüchen tagelang fix und fertig bin, teilweise unfähig, mich anständig um mein Kind zu kümmern oder zu arbeiten. Und in solch einer Stimmung ruft sie dann an und tut so, als wäre nix – ich bin mir auch sicher, sie nimmt ihre Ausbrüche selbst nicht so wirklich wahr, insofern ist für sie tatsächlich nix. Für mich aber schon! Woher soll ich denn wissen, wie sie drauf ist, wenn ich den Hörer abnehme? Wenn ich zu ihr fahre? Soll ich so tun, als wäre nix? Das KANN ich nicht. Dementsprechend bin ich vorsichtig-abwartend … was aber schon wieder zum nächsten Ausbruch führt … ‚Wie bist DU denn drauf? Muss ich dir alles aus der Nase ziehen?’ Also erzähle ich im nächsten Gespräch dann eben wieder ein bisschen mehr von mir, das ist dann aber auch falsch, weil ich dann ja kein Interesse an ihr zeige. Ich darf sie auch nicht fragen „Wie geht es dir?“ … ganz gefährlich. Ich muss mir ihren genauen Tagesablauf merken; habe mittlerweile auch die wichtigsten IHRER TERMINE in MEINEN Kalender eingetragen, um sie speziell danach fragen zu können – dann kommt aber „Ist das hier ein Interview?!“
Als krasses Beispiel … vor zwei Jahren hatte sie mal eine schwere Krankheit. Was GENAU kann ich nicht sagen, was mit der Lunge. Sie hat’s mir nicht gesagt, weil ich nicht ‚richtig’ gefragt habe – Ha! Ich musste bei meinem Onkel anrufen, um zu erfahren, was im Ansatz los ist. Im Krankenhaus besucht habe ich sie selbstverständlich, sie hält mir aber heute noch Desinteresse an ihrer Krankheit vor. Ich habe 1000 verschiedene Fragen gestellt … ich konnte nicht gewinnen … ich kann bei ihr NIE gewinnen.
Überhaupt sind die Inhalte – nein, wir streiten nicht, SIE hat Wutausbrüche – keine wirklichen INHALTE, einfach ALLES. Als kleines Kind hatte ich immer das Gefühl, sie macht mir auch zum Vorwurf, wenn in China ein Sack Reis umfällt. Sie ist mir mal – unabsichtlich – auf den Fuß getreten, weiß ich noch, ich habe einmal ‚au’ gesagt, aber selbst daran war ich schuld, weil mein Fuß schließlich da stand.
Klar, ich bin mir definitiv bewusst, dass sie keine leichte Zeit hatte … ihr Mann/mein Vater hat sie mit einem kleinen Kind allein gelassen, als sie so alt war wie ich, von heute auf morgen; meine Großmutter – ihre Mutter – ist gestorben, als meine Mutter 36 war, 7 Jahre nach meinem Vater. Alles nicht toll.
Ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass sie mich verletzen und fertig machen WILL – es geschieht einfach mit ihr. Aber ganz ernsthaft ist mir das nein nicht EGAL, aber irgendwie doch, ob sie mich absichtlich verletzt und fertig macht oder unabsichtlich. Es tut einfach weh, richtig weh.
Bei einem anderen – nicht-cholerischen Menschen – würde ich als dreist bezeichnen: Ich habe auch schon versucht, jetzt nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten … aber nachdem sie sich so sehr bitten lässt, zu erzählen, wie es ihr geht (und darum dreht sich alles), auch einfach weniger/nix mehr von mir zu erzählen, aber da platzt ihr auch wieder der Kragen. Und ich bin überzeugt, ihr Interesse an mir ist echt. Meines an ihr auch, sonst würde es nicht so sehr weh tun. Ich bin ein Mensch, der exakt meint, was er sagt, weil ich einfach keine Worte verschwende. Und wenn ich sie frage „Wie geht es dir?“ „Was hast du heute gemacht?“ „Wie war’s bei blabla?“, dann frage ich das in 100% der Fälle, weil es mich interessiert, weil ich es wirklich wissen möchte.
Lächerlich (eigentlich) finde ich an dieser Stelle auch, dass die Lage sich früher in 99% der Fälle erst wieder beruhigte, wenn ich mich bei ihr ENTSCHULDIGT habe. Mache ich heute nicht mehr. Als Kind habe ich nur unter den Ausbrüchen gelitten, da habe ich das gemacht. Seit ein paar Jahren hat ihr Kind aber einen Namen: ‚Cholerikertum’ und ich werde mich garantiert nicht mehr entschuldigen (selbstverständlich, wenn ich wirklich nicht nett war oder so, ich bin ja nicht die Unschuld vom Lande).
Ruhig bleiben in solchen Situationen ist leicht gesagt … neulich meinte sie mal „Wenn ich mal einen Herzinfarkt kriege, dann bist du schuld!“ Wortwörtlich.
Gespräch abbrechen … sie redet einfach weiter, tut dann einen Satz normal, dann geht’s wieder los. Soll ich einfach AUFLEGEN? Sie will dann immer drüber reden. Soll ich einer Cholerikerin vielleicht sagen, dass sie cholerisch ist?! Ha!Ha!Ha!
Seit ein paar Jahren höre ich eine zeitlang die „Radio Bemba Sound System“-CD von Manu Chao komplett durch, in meinem Kopf natürlich, während sie ihre Ausbrüche hat. Aber die läuft eben auch nicht endlos. Und was sie sagt, tut eben richtig weh. Vor ein paar Jahren lebte ich mal in einem Entwicklungsland, arbeitete aber in einer deutschen Einrichtung, wo ich massiv von meinen Kollegen gemobbt wurde, das Land hat mir nicht zugesagt und die Leute dort auch nicht … alle Kollegen bekamen irgendwann Besuch von ihren Eltern. Ich hätte mir das auch gewünscht, dass SIE mich besuchen kommt. Als ich das dann konkret äußerte, meinte sie nur, dass sie das Land aber sowas von überhaupt nicht interessiert … . Nun ja. Ich hätte sie gebraucht.
Wird das irgendwann besser?! Ich muss dazu sagen, in meiner Kindheit/Jugend war es richtig schlimm. Später wurden die Ausbrüche weniger. Zwar auch heftig, aber nicht so lange andauernd wie in den letzten beiden Jahren, und ganz besonders in den letzten drei (?) Monaten.
Um was es mir geht … einfach mal Gleichgesinnte finden zum Austausch vielleicht? Tipps vielleicht? Ich gehe an diesem Verhältnis kaputt; seit nunmehr neun Wochen bin ich richtig ernsthaft krank – klar trägt meine Mutter auch hieran keine SCHULD, aber dennoch ist das wohl psychosomatisch bedingt, einfach, weil mich dieses alles fertig macht. Und reden kann ich darüber mit niemandem so wirklich. Zum Einen möchte ich nicht, dass irgendjemand schlecht von ihr denkt, sie ist meine Mutter – after all; zum Anderen kann niemand so wirklich was damit anfangen. Eine ihrer Tanten/meine Patentante weiß um die Situation – im Ansatz; ansonsten ist sie zwar alleinstehend (auch ein Grund – aber dafür kann ich nix, das kann sie drehen und wenden wie sie will; und unabhängig davon habe ich auch kein Bedürfnis, mich ihr über die Maßen zuzuwenden, wenn sie mich fertig macht), aber sie hat eigentlich viele Freunde, ist beliebt bei Kollegen, im Freundeskreis, in ihrer Schule, im Verein etc. Ihr einziges Hassobjekt bin ich. Und bis auf besagte (Groß-)Tante und ihre Schwester hat auch keiner eine Ahnung, dass sie so ganz anders sein kann. Aber die beiden sind merklich froh, dass sie selbst die Ausbrüche nicht abkriegen.
Ganz ehrlich, meine Kraft ist nach 24 Jahren (ich bin 30) des Kämpfens ist meine Kraft einfach erschöpft.
Zu erzählen habe ich das (in gekürzter Version) schon öfter versucht, siehe oben. Wäre schön, jemanden zum Austausch zu finden.
Ach ja, eines fällt mir noch ein … beruflich habe ich mit Psychologie und Pädagogik zu tun, also bin ich gut im Ich-Botschaften senden, wenn ich doch mal schaffen sollte, ein Gespräch mit ihr zu führen DARÜBER.
Für Antworten bin ich sehr dankbar,
Paula