Wie nennt man diesen Beruf?

Von 1,50 € Stundenlohn träumen? Bei einem Zeilentarif von 1,20 € macht das pro Stunde / Seite à 30 Zeilen = 36 €, macht pro Tag à 8 Seiten x 36 € = 288 €. Macht pro 20 Tage im Monat 5.760 € brutto. Habe 20 Jahre in Brüssel als selbständiger Übersetzer eine fünfköpfige Familie ernährt. Konnte zwar gut und schnell übersetzen (viel auch diktiert) aber irgendwie wohl leider nicht rechnen.

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Servus,

bleib doch einfach bei der Stunde: Ein Gewinn von 300 € / Monat entspricht einem Umsatz von etwa 600 - 800 € / Monat. Das entspricht bei einem Wortpreis (Zeilenpreise gibt es glaub ich nur in D; für Österreich und der Schweiz weiß ichs nicht) von 8 - 9 Cent (Agenturpreis für inhaltlich anspruchsvolle Texte in häufigen Sprachen) einer Leistung von etwa 8.400 Wörtern oder etwa 420 am Tag, d.h. etwa einer Normseite. Diese Auslastung ist nicht grade der Bringer, aber leider typisch für die Tätigkeit.

Bei einer Auslastung von acht Normseiten / Tag (d.h. volle Auslastung, fester Kundenbestand - keine Akquisitionsarbeiten - inhaltlich zumindest pro Kunde sehr ähnliche Texte, sehr wenige bis keine Begriffsrecherchen) sieht das freilich anders aus - wobei dann auch die Relation Umsatz / Gewinn neu in die Hand genommen werden muss, weil bei dieser Auslastung der gesamte kaufmännische und administrative Kram extern erledigt werden muss. So oder so: Das sind durchaus selten erfüllte Idealbedingungen, mit denen jemand, der vor der Berufswahl steht, keinesfalls rechnen sollte - im Gegenteil: Der Weg, bis man überhaupt eine Normseite / Tag an Land hat, ist lang und beschwerlich, und man kann von keinem Auftraggeber wissen, wann er zum nächsten Blümelein weiterflattert, das noch einen halben Cent weniger bietet. Deswegen „träumen“.

Wobei die Betonung auf „20 Jahre“ und „Brüssel“ liegen sollte: Richtig dramatisch wurde der Preisverfall und der Zusammenbruch der Nachfrage erst etwa 2010; wer es heute noch schafft, irgendwie an EU-Aufträge oder Vergleichbares aus dem Umfeld Brüssel ranzukommen, gehört zu einem Kreis von „happy few“.

Und das sind jetzt alles erst Werte für die „üblichen“ Übersetzungen aus Technik - Recht - Werbung. Mit Literaturübersetzungen sieht es nochmal deutlich ärmlicher aus.

Schöne Grüße

MM

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Hallo,

es ging mir weniger darum, dass ich einer Praktikanten vermitteln wollte, dass die Arbeitsausübung einsam ist, sondern dass es irgendwie schwierig ist, in einem gleichen Arbeitszimmer jemanden in die Ecke zu setzen, der dann zuguckt, wie ich am PC tippe oder auch nur in die Luft starre, um eine Formulierung zu finden.
Was sollte man einem Praktikanten denn da zu tun geben?

Grüße
Siboniwe

Vielleicht kann sie einkaufen oder Kaffee kochen? :wink:

Ne, stimmt schon, was du sagst. Ich bekomme auch jedes Jahr Anfragen nach einem Praktikum bei einer Autorin. Was soll ich denn den Kids beibringen? Bis 11:00 Uhr schlafen und dafür die Nächte durchschreiben? :smiley:

Schönste Grüße
Ann das Cáva

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Als ich mich 1980 als selbständiger Übersetzer niederliess, hatte ich schon zwei Jahre als Deutschlehrer bei Berlitz Bruxelles hinter mir, in denen ich durch gelegentliche Aufträge feststellen konnte, dass ich mit fünf Zeilen Übersetzung so viel verdiente wie mit einer Unterrichtsstunde. Ich startete meine Selbständigkeit dann gleich mit einem grösseren Auftrag und hatte von da an von Übersetzungsbüros immer so viel Arbeit wie ich wollte. Mit der Zeit baute ich mir auch eine eigene Direktkundschaft auf, hatte gegenüber heutigen Berufsanfängern allerdings den Nachteil, dass ich immer wieder grössere Beträge in die damals noch teuren IT-Geräte investieren musste. Mit dem Mauerfall drängten ab 1990 dann Billiganbieter auf den Markt und im Jahr 2000 musste ich, obwohl praktisch Alleininhaber einer Aktiengesellschaft, Konkurs anmelden. Wie gesagt, ich konnte gut übersetzen, aber nicht (mit allem) rechnen.

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Die Aufträge musst du aber erstmal haben/bekommen/an Land ziehen. Klar gibt es Übersetzer, die das schaffen (wobei dein Standort Brüssel, wie von Aprilfisch auch bereits erwähnt, ein eindeutiger Vorteil war), aber die Übersetzungsbüros, mit denen ich zu tun hatte/habe, dümpeln mehr vor sich hin, als dass sie sich vor Aufträgen retten könnten.

Ein Tipp von mir wäre auch eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin. Da lernt man auch das Übersetzen von u.a. wirtschaftlichen Texten und ist noch breit aufgestellt, falls sich der Berufswunsch doch noch einmal ändert und man kann sich für internationale Unternehmen bewerben.
LG