Wie schaffen es die Linken, immer auf der richtigen Seite zu stehen?

Hallo Wolfgang,

ich will mich kurz fassen, da ich erstens der Ansicht bin, daß wir sowieso nicht zusammenfinden und zweitens weil es langer Ausführungen gar nicht bedarf: m.E. gehst Du von Annahmen aus, die so ohne weiteres nicht haltbar sind. Die Reihenfolge hat nichts mit der Bedeutung zu tun, sondern mit der Reihenfolge in Deinem Text.

  1. Die Zahl der Staatsbediensteten läßt sich auf kurze oder mittlere Sicht substantiell dadurch reduzieren, daß bestimmte Aufgabenbereiche schlichtweg wegfallen. Vielmehr reden wir aus arbeits- bzw. beamtenrechtlichen Gründen von Zeiträumen von 25 bis 30 Jahren (also eine Generation).

  2. Die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse hat deutlich zugenommen und ist zu hoch. Die Quote der beschäftigten mit befristeten Arbeitsverhältnissen hat in den letzten 25 Jahren von knapp sechs auf rd. 8,5% zugenommen, ist aber seit etwa zehn Jahren praktisch konstant. Der entscheidende Sprung fand 2004-2007 statt (6,5 auf 8,5%) und steht damit in zeitlicher Nähe zur Neuregelung der Elternzeit. Außerdem gab es methodische Änderungen bei der Erfassung, die - lt. statistischem Bundesamt - den Anstieg überzeichnen.

  3. Zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind relevante finanzielle Mittel notwendig. Zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist vor allem der Wille zur Teilhabe notwendig. Die finanziellen Mittel entscheiden darüber nur in gewissen Grenzen, zumal es entsprechende Unterstützungen und Vergünstigungen von Seiten der Veranstalter und des Staates. Konkretes Beispiel: die Leute, die mit ihren Kindern nichts unternehmen, sind nicht die, die es sich nicht leisten können und die, die mit ihnen etwas unternehmen, sind nicht zwangsweise gut situiert.

  4. Diskussionen werden blöd geführt (Umverteilung von Leistungsträgern zu Alkis). Kann ich nicht erkennen. Das Grundproblem sind nicht die Nettoempfänger von Nettoleistungen oder ihr Lebenswandel, sondern daß die Linke und andere Experten die Leistungen höher ansetzen als das aktuelle durchschnittliche verfügbare Einkommen. Es entfällt insofern der monetäre Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen. Daß Du gerne arbeitest, glaube ich Dir gern und daß viele Berufsgruppen ihre Arbeit gerne ausüben, ebenfalls (andernfalls gäbe es angesichts des Einkommensniveaus z.B. kaum Erzieher oder Friseure). Das ist aber nicht die Hauptmotivation aller Arbeitnehmer bzw. Erwerbspersonen. Insofern bin ich der Ansicht, daß es ein schöner, aber auch utopische Gedanke ist, daß die Leute auch dann arbeiten gehen, wenn sie es aus finanziellen Gründen nicht müßten.

  5. Arbeitslose brauchen keinen Druck (von Dir als Drangsalieren bezeichnet), sondern ein bedingungsloses Grundeinkommen, damit sie arbeiten gehen. Siehe oben: Arbeit ist für die meisten ein notwendiges Übel. Je notwendiger es ist, desto eher wird das Übel in Kauf genommen. Ich will damit nicht sagen, daß man den Druck erhöhen sollte oder nicht zu hoch ist, aber den Leuten einfach so in der Hoffnung genug Geld zum Leben zu geben, sie würden sich dann vor lauter Motivation eine bezahlte Beschäftigung suchen, entspricht ungefähr der Idee, einem Kind eine riesige Schale Süßigkeiten hinzustellen und dann darauf zu vertrauen, daß es sich jeden Tag nur ein Stück herausnimmt.

Es mag natürlich sein, daß meine Sichtweise dem Umstand entspringt, daß ich vor allem Menschen mit überdurchschnittlichem Einkommen und guter Ausbildung kenne, aber irgendwie tue ich mich schwer mit dem Gedanken, daß es ausgerechnet diejenigen sind, die man munter als Leistungsträger bezeichnet, die sich sofort zur Ruhe setzen würden, wenn man ihnen ein einigermaßen sorgenfreies Leben bezahlen würde. Aber vielleicht ist es doch so, daß man erst ein gewisses Einkommen haben muß, um zu erkennen, daß der Grenznutzen des Geldes ab einem gewissen Punkt rapide abnimmt.

Diesen Punkt definierten wir neulich in einer kleinen Runde mal als „wenn Kinder da sind“ und „ab etwa 70.000 Euro jährliches Haushaltseinkommen“. Und jetzt rechnen wir mal fluggs: 70.000/12=5.833 Euro. Wie ich oben ausführte, braucht man für ein Nettoeinkommen von 3.000 Euro in etwa ein Bruttoeinkommen von etwa 5.500 Euro. Ich glaube, die 333 Euro machen den Kohl auch nicht fett, aber ich frage bei nächster Gelegenheit mal nach.

Bis das BGE - in welcher Form auch immer - kommt, nehme ich das zusätzliche Geld natürlich gerne mit, aber wenn es erst einmal da ist, bin ich der erste, der den Finger hebt.

Gruß
C.

1 Like