Hallo Christian!
Nichts davon trifft zu.
Du erwähnst Verständnis. Dafür sollte man sich über gesellschaftliche Probleme, die derzeitigen Methoden der Bewältigung, deren Vorzüge, Schwächen und Lücken unterhalten. Dabei kann herauskommen, dass alles bestens geregelt ist und es keinen Handlungsbedarf gibt. Aber mit Blick über den eigenen Tellerrand und längerfristiger Sicht auf Wirtschaft, Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Frieden ist solches Ergebnis eher unwahrscheinlich. Vielmehr laufen wir in Probleme mit Altersarmut, haben bereits ein Problem mit der vererbten sechs in Mathematik, wie es Herr Lindner mit Blick aufs Bildungssystem verkürzend formulierte, wir leisten uns Bürokratie für Bafög und eine noch weit größere Bürokratie für Jobcenter und Grundsicherungsämter. Dazu haben wir es mit einem großen Niedriglohnsektor, immer mehr Menschen ohne Festanstellung mit ständig zwischen Null und Eins schwankendem Einkommen und absehbar mit einer der Wirtschaft abträglichen Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen zu tun, um nur einige Problemfelder zu nennen.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen (bG) kann ein Weg zur Lösung der Probleme sein. Für seine Realisierung gibt es viele Vorschläge, deren Vielfalt sich eindampfen lässt, indem man volkswirtschaftliche Tragfähigkeit ohne Einschränkungen von Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsgedanken zur Voraussetzung macht.
Zudem rufe man sich den selbstverständlichen, aber zuweilen aus dem Blick geratenen Sachverhalt in Erinnerung, dass alle in D lebenden Bürger vom Neugeborenen bis zum Greis ernährt werden müssen, Wohnung, Krankenversicherung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben brauchen. Daran ändert eine Bürokratie mit 6stelliger Belegschaft nichts, nimmt aber dem Einzelnen Selbstverantwortung und Gestaltungsmöglichkeiten, indem sie vom Schulausflug, über den Rollator bis zum letzten Brikett alles aufs Kleinlichste reglementiert. Übrigens ist die Mehrheit der Bevölkerung nicht davor gefeit, in solche zerstörerischen Mühlen zu geraten. Krankheit, Unfall, Scheidung, Insolvenz oder eine Kettenreaktion aus allem und schon bleiben von einer Lebensleistung nur Ruinen.
Die beliebte Methode, jede Diskussion zum bG mit dem Einwurf zu ersticken, es ginge um Alimentierung von Arbeitsscheuen und Alkoholikern, liegt vollkommen neben der Sache. Weder würde mit einem bG, das in seiner Höhe kaum über derzeitige Grundsicherung und Kosten der Unterkunft hinaus geht, der Konsum von Suchtmitteln gefördert, noch die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme gedämpft. Das genaue Gegenteil wäre die Folge. Modelle des bG per negativer Einkommensteuer (nE) gehen mit Anreizen zur Arbeitsaufnahme gerade für gering entlohnte Beschäftigungen einher, die sich bisher nicht lohnen, weil der Verdienst größtenteils mit SGBII-Leistungen verrechnet wird.
Bei tragfähigen Ansätzen eines bG stößt man auf Varianten mit nE, die sich in Details der Finanzierung unterscheiden und nicht nur aus der politisch linken Ecke stammen. Das sollten insbesondere Zeitgenossen zur Kenntnis nehmen, bei denen eine Denksperre einsetzt, weil sie bG mit der Partei die Linken verknüpfen. Das Thema geht aber gar nicht auf die Linken zurück. Vielmehr gibt es politisch ganz unterschiedlich orientierte Leute aus allen Schichten, die mit einem bG gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemen begegnen wollen. So muss ich einem Menschen mit VWL-Hintergrund bestimmt nicht erklären, dass die Wirtschaft (mit insgesamt unbedeutenden Ausnahmen) letztlich am privaten Konsum und damit an der Kaufkraft möglichst breiter Schichten hängt.
Eine ernst zu nehmende Diskussion über nE lässt sich nicht unter der Überschrift und im Umfeld dieses Threads führen. Damit solche Diskussion nicht in oft erlebter, regelrecht blöder Weise geführt wird (… Leistungsträger sollen bluten, damit Alkis genug Stoff bekommen… ich kenne jemanden, der will gar nicht arbeiten … wer arbeiten will, findet Arbeit … usw.), sollte man sich vorher mit den von mir nur angerissenen Beweggründen und den verschiedenen durchgerechneten (naturgemäß umfangreicher Stoff, der erarbeitet werden will) nE-Varianten beschäftigen.
Hilfreich im Sinne zielführender Diskussion wäre auch, das gewohnte politische Links-Rechts-Denken beiseite zu lassen. Man betrachte die Sache als Mensch, der eine dauerhaft funktionierende Volkswirtschaft, sozialen Frieden, Leistungsgedanken und effiziente Verwaltung unter einen Hut bringen will. Hilfreich wäre auch die Überwindung obrigkeitlichen Hangs zum Drangsalieren und die Erkenntnis, dass es keinen Nutzen bringt, Leute dafür zu bezahlen, die alleinerziehende Mutter mehrerer Kinder per Durchsuchung ihrer Wohnung zu überführen, dass es in ihrem Haushalt Utensilien eines Mannes gibt und die Schulsachen der Kinder von der Oma gesponsert wurden, der „Fall“ schließlich ganze Aktenordner füllt und ein Gericht beschäftigt. Abertausende Staatsdiener gehen akribisch solcher nutzlosen Betätigung nach, füllen bundesweit ungezählte Büroetagen und verschlingen ein Vermögen dafür, dass sie Menschen auf die Dauer psychisch zugrunde richten. Die davon Betroffenen bilden aber nur einen kleinen Teil der Menschen, die Dienste für die Gesellschaft erbringen (z. B. Kindererziehung, Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger), die dafür keinen Cent oder nur Almosen erhalten und spätestens im Alter abgestraft werden.
Kürzer schaffte ich nicht, zu erläutern, warum man dem Thema mit Deiner ganz oben zitierten Frage auf sachgerechte Weise nicht näher kommt, was aber mutmaßlich gar nicht Zweck der Frage war.
Zum Schluss habe ich noch eine Beruhigungspille: Wir müssen nichts ändern, können auf ein bG egal in welcher Variante verzichten. Jedenfalls noch für eine Weile. Ein Teil der Bevölkerung hat mit Zuwanderern einen Sündenbock ausgeguckt und wählt AfD. Andere fühlen sich auf diffuse Weise unverstanden und wählen deshalb AfD. Im Landtag von M-V stellt die Partei schon die zweitstärkste Fraktion. Nur weiter so…
Wir können weitermachen, bis Polen und Slowenen maulen, dass sie ihre Pflegekräfte selbst brauchen, bis Teilen der Wirtschaft auffällt, dass es an Kaufkraft mangelt, bis man weder Reinigungskräfte noch Saisonkräfte für die Gastronomie findet. Alles kann beim Alten bleiben, bis der Hintersinn des Witzes vom Kannibalen, der bestraft wurde, weil er anstelle des Systemadministrators versehentlich die Putzfrau verspeiste, begriffen wird.
Gerne beteilige ich mich an einer Diskussion zum bG. Aber erst nach der Wahl. Vorher würden Beiträge in ideologischem Wahlkampfgeschreibsel untergehen.
Gruß
Wolfgang