Hallo MitleserInnen,
diesen interessanten Artikel entdeckte ich beim schweizerischen Tagesanzeiger. Er ist zwar vom 18.04.1996, aber so aktuell wie zuvor. Ähnlichkeiten mit der ehemaligen Bundespost oder bald auch der Bundesbahn wären rein zufällig gewollt.
Privatisierung und Liberalisierung sind gut und schön, wenn man zum Beispiel auf seine Telefonrechnung blickt und weniger als früher zahlt. Welche Verknüpfungen dahinter stecken und wir letzten Endes doch draufzahlen, wird nicht sofort ersichtlich.
Der TAGESANZEIGER-Artikel
**Billiges Telefon, teures Gas, mieser Service
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Private sollen sanieren
So entschied die Regierung, das desolate Telefonnetz nicht selbst zu sanieren, sondern zu privatisieren. BT, bisher zum öffentlichrechtlichen Postdienst der Royal Mail gehörend, wurde 1981 ausgegliedert und 1984 privatisiert. Im gleichen Jahr erhielt auch Mercury, Tochterfirma der 1929 gegründeten Telekommunikationsfirma Cable & Wireless, die Lizenz als privater Telefonanbieter.
BT, nach wie vor im Besitz der technischen Infrastruktur, musste das Liniennetz mit Mercury teilen, gegen Bezahlung natürlich. BT blieb aber auf dem nationalen Markt die unangefochtene Nummer eins. Mercury spezialisierte sich auf den internationalen Telefonverkehr, unterbot die Tarife von BT und umwarb vor allem Grosskunden.
BT verteidigte ihren Vorsprung mit einer radikalen Strukturierung des Unternehmens, stetiger Produktivitätssteigerung und massivem Stellenabbau. Standen 1984 235 178 Angestellte auf der Lohnliste, waren es zwölf Jahre später noch 131 351. Und der Abbau soll weitergehen.
Ansehen trotz Stellenabbau
Trotz des massiven Stellenabbaus stehe die Firma, verglichen mit anderen privatisierten Unternehmen, bei den Angestellten ausnehmend gut da, heisst es bei der Gewerkschaft der Kommunikationsarbeiter. Als traditionell starke Gewerkschaft und hochspezialisierte Fachkräfte vertretend konnte sie überdurchschnittlich gute Arbeitsbedingungen aushandeln. Statt Zwangsentlassungen durchzusetzen, zahlte BT grosszügige Abgangsentschädigungen. Der Preis für diese relative Besserstellung allerdings sind Stress, Rivalität, zunehmende Angst, den Leistungsanforderungen nicht zu genügen. In anderen Bereichen wurde nicht ab-, sondern ausgebaut. BT offeriert eine sich ständig erweiternde Palette von Produkten und immer differenziertere Dienstleistungen, investiert enorme Summen in Werbung und Aktionen.
Privates Duopol
Eine Erfolgsgeschichte also? Nicht ganz so, wie es sich die Verfechter einer schrankenlosen Marktwirtschaft vorgestellt hatten. Denn faktisch wurde ein staatliches Monopol durch ein privates Duopol ersetzt. Zwar wurden 1991 weitere Firmen zugelassen, und heute werben gegen 150 Unternehmen, meist Kabelfirmen, um die Gunst der Kunden. Doch BT beherrscht mehr als 80 Prozent des Markts und konnte ihren Marktanteil weitgehend behaupten. Die neuen Konkurrenzfirmen operieren fast nur im lokalen Bereich; der Aufbau eines nationalen Parallelnetzes wäre für sie zu aufwendig und zu teuer. Mercury deckt gerade 13 Prozent ab.
Zum entscheidenden Kräftemessen zwischen den Telekommunikationsanbietern wird es 1998 kommen, wenn der EU-Markt für Telefonanbieter geöffnet wird. Um für diesen Test gerüstet zu sein, verhandeln BT und Mercury beziehungsweise die Muttergesellschaft Cable & Wireless derzeit über eine mögliche Fusion. Kommt die Verbindung zustande, rückt das neue Unternehmen auf Platz drei der Weltrangliste vor. Rein finanziell gesehen hat BT gehalten, was die Privatisierung versprach: besserer Service, billigeres Telefonieren. Möglich wurde dies dank massiver Staatshilfe.
Der Mechanismus für Privatisierungen hat sich mittlerweile eingespielt. Zuerst werden die öffentlichen Unternehmen jahrelang vernachlässigt. Dann werden sie innert kurzer Zeit mit Steuergeldern attraktiv gemacht, genauer mit Entlassungen, Abschreibungen und Schuldenerlassen. Schliesslich wird das Unternehmen unter dem Realwert verkauft.
Steuerzahler zahlen
Im März 1996 gab die Regierung erstmals bekannt, wieviel Steuergelder bisher in die grossen Privatisierungen gesteckt wurden (siehe Kasten unten). Zum heutigen Wert gerechnet, wurden rund 44 Milliarden Franken für Abschreibungen aufgewendet. Bei BT waren es über 8, bei den Wassergesellschaften über 12 Milliarden Franken, British Airways erhielten immerhin noch 600 Millionen Franken Subventionen. Bei der Privatisierung von British Coal zahlte die Regierung gar drauf. Vorgängig investiert wurden gut 3 Milliarden, kassiert wurden knapp 2 Milliarden Franken. Berappen müssen das die Steuerzahlenden, nach dem alten Motto, wonach Verluste sozialisiert, Gewinne aber privatisiert werden.
Erfolge lassen sich nicht leugnen, nicht nur bei BT. Auch Unternehmen wie British Airways oder British Aerospace haben enorme Produktivitätsfortschritte erzielt und ihren Service verbessert; zum Teil allerdings mit rabiaten Geschäftsmethoden. British Airways etwa mussten einem geschädigten Konkurrenten Schadenersatz bezahlen.
Weit weniger erfolgreich schneiden die regionalen Wassergesellschaften, die Elektrizitätsanbieter, British Gas sowie die privaten Busfirmen ab. Seit diese Dienstleistungen privatisiert wurden, stiegen die Rechnungen für die Konsumenten massiv, häuften sich die Reklamationen bei den jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden (siehe Kasten oben).
British Gas bewarb sich letztes Jahr nicht mehr um das Gütesiegel für Qualitätsservice, das von einem nationalen Gremium vergeben wird. Verständlich, verdoppelte sich doch die Zahl der Reklamationen innerhalb eines Jahres auf 49 000 1995. Die Kunden von British Gas bezahlen aber auch für Fehlentscheide, etwa für Zulieferverträge, die vor Jahren zu erhöhten Preisen abgeschlossen wurden und die Firma jetzt Milliarden kosten. Oder jeden Haushalt pro Jahr mehr als dreihundert Franken. Gleichzeitig macht British Gas wie andere privatisierte Unternehmen Schlagzeilen, wenn es seinen Direktoren die Gehälter um 30 und mehr Prozent erhöht.
Teuer kommt die Briten auch das privatisierte Wasser zu stehen. Verglichen mit 1989/90 stieg die durchschnittliche Haushaltrechnung für Wasser mindestens um 40 Prozent. Seit der Privatisierung beschwerten sich Kunden über miesen Service und fehlerhafte Rechnungen. In den veralteten Wassertransportsystemen versickern pro Minute 4,5 Millionen Liter Wasser. Dennoch verbuchen die zehn regionalen Gesellschaften jährlich Rekordgewinne: 7500 Franken pro Minute im letzten Jahr.
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Vollständiger Artikel unter: http://tagesanzeiger.ch/archiv/96april/960418/94181.htm
Marco