Moin moin,
das erklärt nicht, warum der Chef lieber Mitarbeiter kritisiert, als mit ihnen ein echtes
Gespräch zu führen. Meine Frage war, warum er nicht konsequent und rational sein
wirtschaftliches Interesse durchsetzt, wozu nach einer Weile enttäuschender Erträge
und entsprechender Hinweise seitens mehrerer MA auf bisher nicht genutzte Potenziale
durchaus auch die Frage gehören kann, worum es sich im Einzelnen handelt und
worauf sich die Vorschläge stützen. Deine Antwort klingt für mich ein wenig so, als
werde lediglich von einigen Besserwissern ständig unkonstruktiv und ahnungslos
rumgenörgelt.
Das ist nicht so. Die Äußerungen der MA erfolgen fast ausschließlich im Mitarbeiter-
gespräch, zu dem der Chef selbst einlädt, und in aller Regel genau dann, wenn sich
der Chef über die vermeintlichen Arbeitsergebnisse der MA beklagt. Sehr oft ist es
passiert, dass diese Ergebnisse gar nicht vom betreffenden MA kommen. Manchmal
war er nicht im Geringsten überhaupt beteiligt. Und Dein korrekter Hinweis auf die
Verantwortung läuft hier leider ins Leere, denn genau das wird nicht beachtet. Der
MA muss erklären, warum das Projekt nicht so schwarze Zahlen schreibt, wie es
sollte. Dabei ist bestenfalls sein Projektleiter, gemäß Organigramm aber klar und
eindeutig sogar eben jener mittlere Manager für die „Zahlen“ verantwortlich. Ist das
alles nicht ein wenig merkwürdig?
Entschuldige, falls es Dir als Chef nicht „schmecken würde“, aber wer fragt, muss
auch die Antwort aushalten können. Soll diese seitens des MA dann lauten: „Ja lieber
Chef, sie haben einfach recht. Per Definition. Auch die mittlere Führung hat automatisch
immer recht. Ich bekomme zwar nie konkrete Hinweise, was ich besser machen kann,
und man versucht auch nicht im Ansatz, irritierende Entscheidungen ein wenig zu
begründen, aber darum geht es nicht, denn ich bin ihr zu Gehorsam verpflichteter
Leibeigener, der auch dann, wenn offensichtlich entgegen den Zielen der Organisation
gearbeitet wird, all seine Kräfte nur darauf richtet, streng nach Vorschrift zu dienen.“ …?
(Wusstest Du, dass sogar beim Militär unter bestimmten Umständen die Verweigerung
eines Befehls legitim ist? Und dass umgekehrt, wenn man Demotivation vermeidet, die
Produktivität höher ist?)
Ich werde mal sehr konkret, dann kannst Du prüfen, ob es sich hier um „schmecken“,
Informationsdefizite bei den MA, den Wunsch nach Ausdiskutieren und Basisdemokratie,
Infragestellen grundsätzlich jeder Entscheidung, und nicht nachvollziehbare („diffuse“?)
Unzufriedenheit geht.
hier die konkrete Situation:
Der Kunde wendet sich für die Umsetzung einer Systemschnittstelle an den
Dienstleister. Mit dem Projekt wird Team X betraut, in dem auch ein erfahrener MA Y
mitarbeitet, der in einem anderen Projekt bereits eine technisch identische (dies bitte
einfach akzeptieren, das lässt sich nämlich beim besten Willen nicht ausdiskutieren)
Schnittstelle umgesetzt hat. Selbst der Kunde erinnert sich daran, und freut sich zu
hören, dass Herr Y mit von der Partie ist. Im Teammeeting erklärt Y kurz den Hinter-
grund und fragt in die Runde, wer bei der Einbettung vorhandenen Programmcodes
in die hier vorliegende Architektur unterstützen kann. Er ist jedenfalls keineswegs
bestrebt, sein „Wissen zu bunkern“ oder sich sonstwie über Gebühr aufzudrängen.
Nun greift Abteilungsleiter Z ein. Er hat vor Jahren selbst Software entwickelt und
kennt sich ein bisschen aus. Für alle überraschend entscheidet er, dass die Schnitt-
stelle (mit einer auslaufenden Technologie!) neu umgesetzt wird. Zufällig sei er
selbst derjenige, der dies an einem halben Tag umsetzen kann.
mit folgendem Ergebnis:
— für das Unternehmen (unmittelbare wirtschaftlich relevante Folge) —
Z benötigt drei Tage für die Umsetzung. In dieser Zeit kommt er außerdem seinen
Aufgaben als Abteilungsleiter nicht nach. 2 MA aus dem Team haben an mindestens
zwei Tagen Wartezeit, da er sie anweist, nichts anderes zu tun, sondern auf sein
Ergebnis zu warten. Die Dokumentation der nunmehr mit etwas exotischen Mitteln
umgesetzten Schnittstelle ist praktisch null. Immer wenn es mit der Schnittstelle
Probleme gibt, muss ein MA, der gerade verfügbar ist, in der für ihn fremden
Technologie regelrecht „herumstochern“ und versuchen, dem Kunden eine halbwegs
erträgliche „Lösung“ zu liefern. Z aber ist leider nie so recht greifbar, wenn man seine
Unterstützung gebrauchen könnte.
— für den Kunden (und damit mittelbar auch für das Unternehmen) —
Der Einsatz der Lieferung, zu deren Umfang die vorliegende Systemschnittstellen-
Umsetzung gehört, erfolgt mit einiger Verspätung, da Folgetermine teilweise neu
vereinbart werden müssen. Mehrere konkrete Zusagen an den Kunden werden
nicht eingehalten. Folgeprojekte müssen später beginnen, ein Projekt wird letztlich
sogar anderweitig vergeben. An das Team erinnert sich der Kunde nun ungern,
da auch die Wartung der Schnittstelle immer wieder schleppend verläuft (s.o.).
— für das Team, insbes. Herrn Y —
Mehrere MA arbeiten in anderen Gebieten als denen, für die sie besonders
qualifiziert sind. Herr Y und ein Unterstützer-Aspirant sind vor den Kopf gestoßen.
Die zwei wartenden MA sind genervt. Z nennt ggü. Chef und Kunde verschiedene
Gründe für die Verzögerung, die letztlich alle auf das Team zurückfallen. Y wird
im zufällig kurz darauf folgenden Jahresgepräch aufgefordert, zu erklären, warum
ein Projekt, wo der Kunde ihn (den Herrn Y) doch als Experten genannt hat, nun
so blöd gelaufen ist. Als Y dann sagt, er habe die Umsetzung nicht vornehmen sollen,
sondern einen anderen Teil bearbeiten sollen (was erfolgreich geschehen ist), starrt
ihn der Chef eine Minute schweigend und mit ernster, fast angewiderter Miene an
und fährt mit dem nächsten, ähnlich „legitimen“ Kritikpunkt fort.
— für Herrn Z —
Abteilungsleiter Z verkündet beim nächsten Abteilungsmeeting, dass sein Name
beim Kunden mit außerordentlich gut laufenden Projekten verknüpft sei. Ihm sei es
auch deshalb nun gelungen, ein neues Projekt an Land zu ziehen, für das der MA F
eingesetzt werden soll. Dieser sei ein grandioser Entwickler und ein leuchtendes
Vorbild für alle. Er (Z) habe weiterhin eine neue Strategie entwickelt, für die er vom
Chef sehr gelobt worden sei. Diese Strategie bestehe darin, in Zukunft einzelne
Komponenten, z.B. Schnittstellen, wiederzuverwenden, um robustere und mittel-
fristig profitablere Projektergebnisse zu erzielen. Mit irgendwem in der Runde habe
er dieses Thema doch auch schon mal besprochen… sei dies der Herr Y gewesen?
Egal, jedenfalls sei dies das nächste große Ding, und er sei sehr stolz.
Tatsächlich sagt ihm Herr Y später unter vier Augen, dass er sehr gerne bei der
„neuen Strategie“ mitmacht und es ja auch schon mehrere Kandidaten für derartige
Komponenten gebe. Herr Z stimmt zu und bedauert, dass es noch keinen konkreten
Zeitplan gebe. Letztlich verläuft die Thematik vollständig im Sand. Z hingegen hat
ein neues Projekt; er lässt bestehende, gut funktionierende und mit vielen Daten
befüllte Informationssysteme einstampfen und setzt eigenhändig neue auf, für
die er die vollständige Kontrolle übernimmt. Mehrmals die Woche schickt er E-Mails
an alle, in denen er seine Fortschritte verkündet. Oft gibt es bei den neuen Systemen
längere Ausfälle, da nur Z die Zugänge und andere wichtige Informationen hat, und
er oft nicht da ist. Z wird im Kreise der MA immer öfter als „Flaschenhals“ identifiziert,
aber irgendwie ist auch allen klar, dass sie nichts daran ändern können. Immerhin
dürfen sie auch in den neuen Systemen in einzelnen Teilbereichen Artikel verfassen,
auch wenn sie diese nicht direkt den richtigen Stellen zuordnen dürfen. Dies macht
Z, der in dem Zuge stets der „Owner“ aller Artikel wird. Die Fachexperten bleiben
namenlos, und manch einer wundert sich, warum trotz des immensen Wissens, das
offensichtlich vorhanden ist, die Projekte nur vereinzelt davon profitieren.
… Es hört sich, wenn ich es selbst nochmal lese, wie eine Satire an.
Fazit:
Ungeachtet der Tatsache, dass jederzeit eine Menge schief gehen kann und vlt. mal
zu ähnlichen Verzögerungen führt, war für praktisch alle Beteiligten absehbar, dass
dies klar nicht die beste Option war (und damit die Entscheidung von Z schlicht falsch).
Solche Dinge passieren eben regelmäßig, und Z findet immer eine Menge Ausreden,
sollte er doch einmal mit kritischen Nachfragen konfrontiert werden. Das war eben
nicht absehbar, er arbeite mit diesem Team eben immer nur im Rahmen der
Möglichkeiten, mit anderen Methoden oder Technologien wäre es auch nicht
besser gelaufen, etc. pp.
Erneut meine Frage vom Anfang:
Warum lässt der Chef, der erhebliche Unternehmensanteile hat, dies alles so
passieren? Warum gesteht er dem Abteilungsleiter, in dessen Verantwortungs-
bereich zufällig all die unrentablen Projekte liegen, immer noch mehr Kompetenz
zu, als mehreren, stets sachlich argumentierenden, teils langjährigen und auch
beim Kunden anerkannten Mitarbeitern?
Dutzende Projektteams haben jeweils einen Leiter und hängen darüber „direkt“
unterm Chef, d.h. ohne Abteilungsleitung dazwischen. Ausgerechnet 3 Teams
mit besonders gut ausgebildeten Mitarbeitern sind aber zu einer Abteilung mit
Leiter Z zusammengefasst. Der Chef greift häufig auch auf diese MA direkt durch,
z.B. werden Personalgespräche mit den MAn und den Teamleitern geführt, also
ohne Z. Über Neueinstellungen hingegen entscheidet ausschließlich Z. Sind die
MA dann im Unternehmen, werden sie direkt, und manchmal ihre Teamleiter,
für vieles verantwortlich gemacht; fragen sie aber, wer die entsprechenden
Entscheidungen treffen darf, heißt es stets: Z. (Warum nicht die Abteilung als
eigenes Unternehmen ausgliedern? Man sähe dann sehr schnell, wie erfolg-
reich es geführt wird…)
Auch wenn die „Realität“ insbesondere im Berufsleben sicherlich oft alles andere
als streng rational ist - für mich ist das hier teils geradezu absurd. Ein Chef mit
Gewinnabsicht und Vernunftbegabung kann unmöglich denken, dass sich hier
nichts verbessern lässt.
Und ja, Du hast recht: selbst Unternehmer werden, wäre eine Möglichkeit.
Mut beweisen und es besser machen. Auf dem Weg damit möchte ich gerne
die Mechanismen „des Arbeitsalltags“ verstehen.
Viele Grüße
Hauke