Moin,
mein Vater ist zeit seines Lebens Alkoholiker und hat mir mit seiner Alkoholsucht eine außerordentlich unschöne Kindheit und Jugend bereitet (ich will nicht sagen Trauma, aber irgendwie läuft es doch in die Richtung).
Ich war die große Schwester, die immer funktionieren musste und niemals ausbrechen durfte. Ausbruchversuche (schlechte Noten, zu spät nach Hause gekommen etc.) wurden mit drakonischen Strafen belegt, während meine jüngere Schwester Narrenfreiheit hatte. Dies die Kurzversion.
Als junges Mädchen habe ich mich sehr schnell von zuhause abgenabelt und mir ein eigenes Leben aufgebaut. Es gab öfters Annäherungsversuche von mir bzw. mir und meinem Partner, die grandios in die Hose gegangen sind. Dies hat mich immer sehr mitgenommen und ich hatte wirklich wochenlang etwas von diesen Begegnungen. Was mich wohl nach wie vor am meisten erschüttert, ist, welch ein schwacher Mensch mein Vater (aus den Augen eines Erwachsenen gesehen) war und ist und was er trotz dieser Schwäche mit mir angerichtet hat.
Nach dem letzten Annäherungsversuch, der wieder gescheitert ist, weil mein Vater sich keinen Deut geändert hat und weil ich, ohne es zu wollen, wieder in die Opferrolle geschlüpft bin, habe ich ein sehr langes Gespräch mit einem wunderbaren Menschen von den Anonymen Alkoholikern geführt. Im Laufe dieses Gespräches kam auch zur Sprache, dass ich ihm nicht helfen kann, wenn er nicht möchte. Ändern geht sowieso nicht. Ich habe damals nach mehreren langen Gesprächen mit meinem Mann und auch Freunden beschlossen, dass mir diese Geschichte überhaupt nicht gut tut und jeglichen Kontakt, um meiner selbst willen, abgebrochen. Von meinem Vater kam seither nichts mehr.
Meine jüngere Schwester hat noch sporadisch Kontakt mit ihm. Nach dem letzten Besuch erzählte sie mir, dass es dem Vater nicht gut geht und er wohl nicht mehr lange zu leben habe. Geändert hat er sich nicht, so im Sinne von Altersmilde o.Ä.
Falls ich ihn noch einmal sehen wolle, müsste ich das beizeiten machen.
Und nun sind wir bei meinem Dilemma: Eigentlich möchte ich das nicht, weil ich vor langer Zeit schon damit abgeschlossen habe. Auf der anderen Seite ist es mein Vater und ich könnte mich von ihm verabschieden. Meinen Frieden schließen geht wohl nicht, weil er ist, wie er ist. Also im Sinne von Aussprache.
Was mich wirklich ängstigt, ist, dass ich genau weiß, dass ich mit Hoffnungen (gegen die ich mich nicht wehren kann) in diese Begegnung gehen würde. Und sehr enttäuscht wieder gehen würde. Und dann wieder Wochen brauche, um mich davon zu erholen. Auf der anderen Seite würde ich es wahrscheinlich sehr bereuen, wenn ich ihn nicht besuchen würde.
Mein Mann unterstützt mich wirklich sehr in dieser Beziehung, aber bezeichnet sich selber als befangen. Er würde natürlich mitkommen, befürwortet also diesen Besuch.
Ich möchte von euch nicht wissen, was ich tun soll, das werde ich letztendlich selber entscheiden müssen.
Ich würde von euch gern etwas Input als komplett Außenstehende haben.
Danke fürs Lesen und Antworten
Soon