Wieso verdampft ein Schwarzes Loch (Hawking-Strahlung)?

Salute zusammen,

die Hawking-Strahlung wird nach „anschaulicher Interpretation“ (die merkwürdigerweise in allen Quellen als Erklärung genannt, aber doch wieder als nicht zutreffend zurückgezogen wird) wie folgt erklärt:

Wenn ein Materie-Antimaterie-Paar-Teilchen genau auf dem Ereignishorizont entsteht, wird eines der beiden in das Schwarze Loch gezogen, während das andere als Hawking-Strahlung entkommt. Soweit, so gut. Warum aber soll dadurch das Schwarze Loch an Masse verlieren?

Egal, ob zu einem Schwarzen Loch Materie oder Antimaterie hinzukommt — dessen Masse nimmt immer zu. Bei Antimaterie annihiliert diese zwar mit der vorhandenen Materie, aber die dabei freigesetzte Energie bliebe ja auch im Ereignishorziont und damit dem Schwarzen Loch erhalten. Abgesehen davon würde ja die in gleichem Maße einfallende Materie den Verlust an annihilierter Materie ausgleichen, so dass Es in jedem Fall nicht zu einer Abnahme der Masse kommt.

Was habe ich hier übersehen?

Danke für Eure Denkanstöße und frohe Ostern. :slight_smile:
-Robbie.

Das ist leider auch gar nicht anders möglich. Einem Publikum ohne gründliche Vertrautheit mit Quantenfeldtheorie (QFT), relativistischer Gravitationstheorie (ART), die beide fern jeder Anschaulichkeit sind, ist eine befriedigende Erklärung der Hawking-Strahlung (z.Zt. noch im Status einer Hypothese) schlichtweg unmöglich. Und Kenntnisse der Thermodynamik kommen ja noch dazu. Es gibt daher nur annähernd anschauliche Erklärungen (die sowieso keineswegs „Interpretationen“ sind). Und die unzutreffende Adäquatheit sollte dann auch immer mitkommuniziert werden.

Eine einigermaßen angepasste (oder besser: der Theorie analoge) Darstellung, die aber auch diverse Grundkenntnisse voraussetzt:

  • Das physikalische Vakuum ist angefüllt mit Vakuum-Fluktuationen. Gemäß der Unschärferelation ΔEΔt ≤ ℏ kann für eine kurze Zeitspanne Δt ein davon abhängiger Energiebetrag ΔE zur Verfügung stehen, der z.B. größer als die Masse eines Teilchen-Antiteilchen-Paares ist. Dieses Teilchenpaar ist außerhalb dieser Zeitspanne wieder annihiliert: Es ist virtuell, d.h. nicht-physikalisch, d.h. es ist nicht observabel und hat auch keine Wirkung. Die reale Energiebilanz ist und bleibt Null.

  • Wenn nun irgendein Mechanismus dafür sorgt, im gegebenen Δt auf die Teilchen „zuzugreifen“, können diese Teilchen „real“ werden. Dazu ist es nötig, ihnen Energie zuzuführen, so daß sie Masse bekommen (phys. Terminus: „sie werden auf die Massenschale gehoben“).

  • In der Näher eines Blackhole-Horizontes kann das dadurch passieren, daß eines der virtuellen Teilchen geschluckt wird, so daß die Annihilation verhindert wird. Dadurch wird das andere Teilchen im Außenraum real und also massiv mit einer ihm entsprechenden positiven Energie. Das geschluckte Antiteilchen hat entsprechende (gemäß der QFT) negative Energie.

  • In der QFT (und im Kalkül der → Feynman-Graphen) wird ein Antiteilchen (d.h. Teilchen mit negativer Energie) beschrieben als Teilchen mit positiver Energie, das in der Zeit rückwärts läuft (in der QFT eine Welle, die in entgegengesetzter Richtung propagiert). Das vom BH-Horizont geschluckte Antiteilchen kann also beschrieben werden als Teilchen mit positiver Energie, das aus dem Horizont nach außen läuft.

  • In der Bilanz muss also Energie für zwei reale Teilchen (bzw. für deren Masse) geliefert werden. Und außerdem muß denen auch noch genügend kinetische Energie zukommen, so daß sie sich vom Horizont ad infinitum (um sich dem Gravitationsfeld zu entziehen) entfernen können.

  • Diese Gesamtenergie wird dem BH entzogen.

  • Je kleiner das BH (und damit der Radius des Horizontes und damit die Krümmung des Raumes) ist, desto stärker ist dann auch die Inhomogenität des Gravitationsfeldes und damit die Stärke der Gezeitenkräfte. Deshalb ist diser Effekt bei kleinen BH stärker als bei großen (mit geringerer Krümmung der Horizont-Sphäre).

Diese Darstellung ist insofern völlig unadäquat, als die Theorie der Hawking-Strahlung die Vorgänge am Horizont überhaupt nicht beschreibt. Das geht bis heute auch nicht, weil es noch keine Theorie der quantisierten Gravitationstheorie gibt. Und die QFT wiederum beschreibt die Prozesse explizit aus der Pespektive eines externen Beobachters (die Unterscheidung zwischen externem und internem/initialem Koordinatensystem ist ja ein entscheidender Punkt in der ART). D.h. die QFT beschreibt die Effekte des Prozesse in einem flachen euklidischen Raum in infiniter Entfernung vom BH. Oder anders gesagt: Sie verhandelt eine Wellenfunktion zwischen infiniter Vergangenheit und infiniter Zukunft. Was genau am BH-Horizont geschieht, kommt dabei überhaupt nicht in Betracht.

Wenn man ein wenig tiefer in die „eigentliche“ Theorie eintauchen will, kann ich z.B. dieses → Video empfehlen.

Gruß
Metapher

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Hallo Metapher,

zunächst einmal vielen Dank für Deine ausführliche und eingehende Antwort. Es tut mir leid, dass ich erst jetzt dazu komme, sie zu würdigen und Du darüber verdrossen warst. Ich hoffe aber Du verstehst, dass gerade Die große Mühe, die Du in Deine Mitteilung gesteckt hast, doch auch bei mir, wenn ich sie angemessen erwidern möchte, nicht mal eben so aufgesetzt werden kann. Zunächst einmal verdient Deine Erklärung, dass ich mich mit ihr auseinandersetze. Diese Zeit hatte ich in der CoS bisher noch nicht. Jetzt aber kann es losgehen:

Nachgelagert zu meiner Frage: Ich möchte zunächst die bisher genannte, populärwissenschaftliche, vereinfachte Erklärung verstehen. In meiner Urfrage erschien es bereits unlogisch, dass die vom BH vereinnahmten Teilchen ausgerechnet nur die der Antimaterie bzw. negativer Energie sein sollen. In allen Erklärungen dazu, die sich des vereinfachten Modells bedienen, wird das einfach so behauptet.

Du schreibst: „Dadurch wird das andere Teilchen im Außenraum real und also massiv mit einer ihm entsprechenden positiven Energie. Das geschluckte Antiteilchen hat entsprechende (gemäß der QFT) negative Energie.“ Wieso erhält das nun real gewordene Teilchen ausgerechnet positive Energie? In der üblichen Erklärung (→ https://de.wikipedia.org/wiki/Hawking-Strahlung#Anschauliche_Interpretation) wird einfach konstatiert, dass dem so ist. Genau das aber ist der Punkt, der allgemein nicht erklärt wird; ohne dieses Detail aber gibt die ganze Erklärung überhaupt keinen Sinn.

Du schreibst immerhin, dass dies aus der QFT folgt. Also ist hier nun mein erster Focus: Kann man auch das veranschaulicht erklären? Danach würde ich vermutlich auch den Effekt der rückwärtig verlaufenden Teilchen verstehen.

Un muss im Moment der Realwerdung eines VT-Paares an deren Ursprungsort nicht auch ein Energiedefizit vorliegen? Andernfalls hätte die sonst übliche Annihilation mit ihrer — chemisch gesprochen — exothermen Reaktion keine Energiebilanz null.

Das bringt mich zu Deinem Punkt 5: Diese negative Energie, die „geliefert werden“ muss, sagst Du, wird nun dem BH entzogen. Warum? Das BH zieht doch nur die (Anti-)Materie an? Wenn dieser Punkt negativer Energie exakt auf dem EH liegt — was veranlasst diese Energie sich dem BH zuzuwenden? Welche Kraft wirkt auf die „Energie“?

Der Hinweis auf die „externe Beobachtung/Beschreibung“ ist schon mal sehr hilfreich. Allerdings gibt es für die mir noch offenen Verständnislöcher sicher etwas, womit man auch mich als völligen Laien abholen kann. :slight_smile:

Nochmals vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, mir dieses Thema auseinanderzusetzen. Mir ist jetzt schon noch schleierhafter als vorher, weshalb die Autoren, die versuchen, die HS zu erklären, mit derart löchrigen und absolut unvollständigen Modellen nicht begreifen, dass hinterher tatsächlich mehr Fragen im Raum stehen. In diesem Dialog fühle ich mich aber schon viel sicherer. :+1:

Allerbeste Grüße
-Robbie.

Zunächst einmal danke für dein Feedback. Zu deinen Fragen möchte ich nochmal auf das am Schluß meines Postings oben verweisen. Es handelt sich bei den populären „Erklärungen“ lediglich um anschauliche Modelle. Es sind allemal nicht sowas wie Kurzfassungen der eigentlichen Hypothese. Eine eher adäquate Kurzfassung hast du z.B. in dem am Ende empfohlenen YT-Video. Die im Modell argumentierten quantenmechanischn Vorgänge unmittelbar am Horizont sind nicht wirklich Gegenstand der HS-Theorie. Siehe dazu z.B. auch die Erklärungen → hier.

In dem Punkt mokierst du dich aber jedenfalls zu Recht: In den popuären Modellen wird meist nicht darauf hingewiesen, daß keineswegs Teilchen mit positiver Energie und Antiteilchen mit negativer Energie assoziert werden dürfen. Teilchen/Antitielchen haben mit positiver/negativer Energie gar nichts zu tun. In dem Modell wird dem Teilchen außerhalb des Horzontes die positive Energie zugeordnetm egal, ob dieses z.B. ein Elektron oder ein Positron ist. (Ganz abgesehen davon, daß die Theorie ja eh primär mit masselosen Skalarfeldern argumentiert. Siehe den Wiki-Link oben).

Wenn du dich etwas vertrauter mit dem Begriff „negative Energie“ ,machen möchtest oder mit Teilchen, die „in der Zeit rückwärts“ laufen, versuch dich mal durch diese Texte durchzuwühlen („überfliegen“ reicht, im Detail wirst du wahrscheinlich nicht folgen können):



Nein, das ist absolut unmäglich. In der Quantenfeldtheorie ist gar nichts anschaulich. Es ist eine ausschließlich mathematisch formulierte Theorie. Allein die Argumentationen mit Wellen und Feldern „in unendlicher Vergangenheit/Zukunft“ ist ja schon nicht mehr anschaulich. Und schon die Quantenmechanik ist ja bereits nicht mehr anschaulich.

Schöne Grüße
Metapher

Hallo Metapher,

habe mich jetzt so langsam durch die Quellen durchgearbeitet. Vielen Dank dafür, das war sehr aufschlussreich. Allerdings ist jetzt meine Einschätzung verfestigt, dass dieser oft publizierte „Vergleich“ zum Verständnis der Hawking-Strahlung nicht nur nichts beiträgt, sondern im Gegenteil in jeder, also auch in vergleichender Hinsicht falsch ist. Und zwar so grundfalsch, dass ich gerne wüsste, ob ich nicht wieder einen neuen Denkfehler gemacht habe. :-o

Ich versuche gerade einen Fachmann von unserer Uni hierzu an den Tisch zu bekommen. In einem persönlichen Gespräch werde ich vielleicht herausbekommen, was diesen Vergleich (das eine virtuelle Teilchen verschwindet im BH und reduziert damit dessen Masse/Energie) rechtfertigt. Wenn es neues gibt, werde ich es hier posten. :slight_smile:

Bis dahin nochmals ganz ganz großen Dank für Deine eingehenden Antworten und die Unterstützung.

Hab einen guten Start in die neue Woche …
-R.