Hat das einen besonderen Grund?
Ja.
Früher gab es noch keine Verstärkertechnik in heutigem Sinne. Was der Pfarrer oder allgemein Vorbeter vorgetragen hat, fand weit vorn im Kirchenschiff oder weit weg auf dem Minarett statt und wurde von den entfernt sitzenden oder sich befindenden Gläubigen nicht verstanden.
Da fungiert die Litanei als Nachrichtenmittler. Anhand der Tonhöhenänderung wussten dann auch diejenigen, die die Worte nicht verstanden (was in der katholischen Kirche beispielsweise auch etwas mit der Gottesdienstsprache Latein zu tun hat), wann sie einsetzen müssen.
Die Liturgieanweisungen für die evangelische Kirche kenne ich aus eigenem Erleben. Im EKG der 80er Jahre zumindest standen die Standardgebete mitunter sogar unter Noten. Wenn zum Beispiel also nach einer längeren eintönigen Phase der Ton erst um einen Ganzton runter- und dann wieder hinaufging, wusste man, jetzt ist die Zeile zu Ende.
Melodien als nonverbale Kommunikation funktioniert ja auch heute noch ganz gut, man denke unter anderem an die Werbung: Man muss nur das infantile Nanana nanannana im Ohr haben und weiĂź genau: Es ist Haribo.
Warum muß das Eine (Akustik) falsch sein, nur weil das Andere (rituelle Funktion) richtig ist? Die Erklärungen schließen einander nicht aus (siehe unten).
Aber eigentlich war ja die Frage (zumindest dem Wortlaut nach) weniger, wo es herkommt, als mehr, warum man es noch heute tut:
Im Laufe der Zeit empfand man es als „feierlicher“, wenn Teile der Liturgie gesungen wurden (naja, zumindest wenn der Liturg oder die Liturgin über eine entsprechende Stimme verfügen… ;-)). Heute gibt es nur noch selten akustische oder schamanistische Gründe für den liturgischen Gesang, trotzdem ist er zumindest in der katholischen und den lutherischen Kirchen noch weit verbreitet (aber nicht verpflichtend - das ist soweit ich weiß nur bei den Orthodoxen der Fall).
Die Reformierten (und in der Folge oft auch die Unierten) haben ihn weitgehend aus dem Gottesdienst verbannt, weil bei ihnen der Schwerpunkt ganz eindeutig auf der Predigt und nicht dem feierlichen Drumherum liegt.
Ein zweiter Grund, warum heute noch Liturgie gesungen wird, ist rein pragmatischer Natur - und trifft nur auf manche Pfarrerinnen und Pfarrer zu: Es fällt vielen Menschen leichter, sich Texte zu merken, wenn sie eine Melodie dazu haben. Für eine musikalische Pfarrerin ist es also unter Umständen schlicht einfacher, die Abendmahlsworte zu singen, als zu sprechen.
Martinus
P.S. Die Erklärung der schamanistischen Wurzeln kann gesungene Texte wie die Abendmahlseinsetzung oder den Segen erklären, bei denen möglich „magische“ Vorstellungen eine Rolle spielen. Als Begründung für ein gesungenes Evangelium verliert sie dann aber doch an Gewicht.
Die christliche Liturgie fußte zunächst auf der jüdischen (und deren gesungenen liturgischen Elementen). Da spielt die Vorlage sicher eine entsprechende Rolle. Mit den zunehmend größeren Kirchenräumen, kam das akutstische (und des Lateins wegen das sprachliche) Problem hinzu, das auf diese Weise ein wenig eingedämmt werden konnte. Die Melodie alleine half freilich nur bedingt, den Inhalt des Evangeliums zu verstehen; es gibt zwar unterschiedliche Melodieen für „Evangelist“, „Jesus“ …, aber ich wage zu bezweifeln, daß die Leute das wirklich raushören konnten ;-). Doch die Gemeinde war immerhin hörend am Geschehen beteiligt, wo es nichts zu sehen gab. Und für die Antwortgesänge der Liturgie genügte es, wenn die Menschen anhand der Melodie erkannten, wie sie einstimmen mußten.
Hi.
Die Antwort von EnnoB hat mit dem wirklichen Grund gar nichts zu tun, sie ist eher unfreiwillig satirisch.
Dass rituelle Texte, wozu auch Gebete gehören, „oft singend“ vorgetragen werden, liegt daran, dass Gesang ursprünglich eine rituell-religiöse Funktion hatte. Im prähistorischen Schamanismus, der frühesten Manifestation des religiösen Denkens, gehörte Gesang zu den Mitteln, mittels derer sich der Schamane/die Schamanin in einen Zustand der Verbindung mit einer ´übernatürlichen´ Welt versetzte (weitere Mittel: Tanz, Trommeln, Rauschmittel). Der historisch ursprüngliche Zweck von Musik war also rituell-religiöser Natur. Das hat sich in der liturgischen Verwendung des Gesangs durch die Jahrtausende bis zum heutigen Tag erhalten.
Chan