Wieviel Weidefläche um 1900 nötig?

Hallo,

frage mich, wie Bauern früher zurecht kamen. Z.B. wie viel Weide- und Wiesenfläche um 1900 nötig war, um 8 Milchkühe das ganze Jahr zu versorgen und wie viel 2 Ackergäule (damals die „Traktoren“ des Bauern) brauchten.
Ich nehme an, dass die Kühe im Winter zusätzlich Haferschrot erhielten, die Pferde ev. auch, mir geht es aber vor allem um die Gras- / Heuflächen, da diese flächenmäßig den größten Anteil gehabt haben dürften.
Weiß das zufällig jemand?

Gruß,
Paran

Servus,

ja - ich habe mich in einem früheren Leben mit dem Vieheinheitenschlüssel aus der Anlage 19 zum BewG beschäftigt. Die Verhältnisse Mitte der 1930er Jahre, aus der dieser stammt, weichen nicht stark von denen um 1900 ab - die flächendeckende Mechanisierung wurde zwar im Rahmen der Kriegsvorbereitungen damals angestoßen, wirkte sich aber erst später aus.

Je nach Ertragskraft der Flächen konnte man etwa drei Kühe pro ha rechnen, in weniger begünstigten Gebieten bis runter zu einer, in sehr guten auch mal sechs. Für zwei Pferde nochmal etwa einen ha extra, wobei ein Betrieb mit acht Kühen eher mit Ochsen als mit Pferden gearbeitet haben wird.

Winterfütterung für Milchkühe war stark gegendabhängig, Getreide für Kühe kaum, eher Futterrüben und Runkelrüben.

Schöne Grüße

MM

1 Like

hier

muss ich mich korrigieren: Wo es der Boden und das Klima zuließen, waren Ackerbohnen mit spätreifem Hafer in Mischkultur ein typisches Leistungsfutter für Milchkühe im Winter.

Schöne Grüße

MM

1 Like
  • und um diese Angaben vernünftig einordnen zu können, noch der Rahmen: Die durchschnittliche Milchleistung in Deutschland lag 1900 in der Gegend von 2.000 kg / Jahr, heute liegt sie in der Gegend von 8.500 kg / Jahr. D.h. eine Kuh von heute sind ungefähr vier Kühe von 1900, sehr grob vereinfachend gerechnet.

Schöne Grüße

MM

1 Like

Hallo,

meine Großeltern hatten angeblich 8 Milchkühe (kommt mit der Größe des Stalls in etwa hin) und jedenfalls 2 Pferde, da gibts ein Foto mit Opa auf Mistwagen, 2 Pferde davor.
Alles auf recht gutem Land.
Aber bist Du sicher, dass man mit 1 ha Weide / Wiese 3 Kühe bzw. 2 Pferde das ganze Jahr satt bekommt? Ich kann mich an die Heumengen erinnern, die meine Eltern für den Winter einlagerten und an die div. Weiden im Sommer. Von den 25 ha Land guter Qualität, das meine Eltern bewirtschafteten, war der größte Teil, ca. 15 ha, Weideland und Heuwiese für 25 Milchkühe, obwohl zu der Zeit schon sehr viel zu gefüttert wurde (neben Hafer auch gekauftes, eiweißreiches Futter).
Da kommt mir 1/3 ha pro Kuh vor Zukauffutter etwas knapp vor.

Gruß,
Paran

Hallo Paran,

das sind die Werte, die seinerzeit bei der Entwicklung des Vieheinheitenschlüssels zugrunde gelegt worden sind - der war ursprünglich nicht für die Einheitsbewertung und Abgrenzung der flächenunabhängigen gewerblichen Tierhaltung usw. gedacht, sondern für die Festlegung der Abliefermengen (in der NS-Zwangswirtschaft gab es keine Marktpreise für Lebensmittel).

Auf welche Ackerzahl und Grünlandzahl sich diese bezogen, kann ich aber nicht mehr sagen.

„Eigenhändig“ hab ich etwa 1980 den Besatz von 1 Kuh / ha ohne Zukauf (und ohne zugekauften Dünger) auf miserablen 33er Böden in Osthessen bearbeitet. Unsere Kühe waren Gebrauchskreuzungen Jersey * Schwarzbunt mit einer Leistung von etwa 3.000 kg Milch / Jahr.

Schöne Grüße

MM

1 Like

Hallo,

vielen Dank, das hilft mir weiter.

Gruß,
Paran

Hallo Paran,

mit Berücksichtigung der Milchleistung (in meiner berichteten Praxis das 1,5-Fache von 1900) und der Ackerzahlen (was in Südwestdeutschland als guter Weizenboden gilt, hat etwas mehr als die Hälfte der Ertragskraft der Böden in der Hildesheimer und der Magedburger Börde, die mit Ackerzahl 100 als Referenzböden der höchsten natürlichen Ertragskraft definiert wurden - z.B. liegen die Ackerzahlen der Weizen-Standorte am Fuß des Donnersbergs zwischen 40 und 60) käme man auf einem guten Standort in SW-Deutschland bei einer Milchleistung von 1900 auf etwa drei Kühe / ha, d.h. die Werte, die beim ursprünglichen Vieheinheitenschlüssel berücksichtigt wurden, passen recht gut zu dem, was ich 1982 selber gesehen habe.

Schöne Grüße

MM

1 Like

Hallo,

erstaunlich. Wenn ich mir ein ha gute Wiese anschaue, kann ich mir das kaum vorstellen.
Das Gras muss wohl schneller wachsen, als man meint und/oder mehr Energie enthalten.
Danke fürs schlauer machen.

Gruß
Paran

Servus,

einen sehr wichtigen Einfluss hat hier die Entwicklung der Milchleistung im Lauf der letzten hundert Jahre, aber auch der mit der Lebendmasse der Kühe gestiegene Erhaltungsbedarf spielt eine Rolle: Eine Kuh mit 800 kg braucht allein für den Erhaltungsbedarf, unabhängig von der Milchleistung, ein Drittel mehr Energie als eine mit 500 kg.

Und von der anderen Seite her auch, dass man sich leicht nach unten verschätzt, wenn man sich einen Hektar vorstellt: Als Quadrat gedacht, bei gleichen Seitenlängen, misst ein Hektar an jeder Seite knapp vier Schnellzugwagen.

Schöne Grüße

MM

Hallo!
Ich habe zu dem Thema ein sehr informatives Buch: Geschichte der deutschen Landwirtschaft von Wilhelm Abel. Er behandelt die Situation vom Frühmittelalter bis Ende 18. Jahrhundert, mit einem Ausblick in die Zukunft. Man erfährt u.a. viel über Viehhaltung, Weide, Stallfütterung etc. Faszinierend die Entwicklung über die Jahrhunderte. Für die neuere Zeit ist wahrscheinlich Band 5 der Reihe relevanter: Die deutsche Landwirtschaft im technischen Zeitalter von Prof. Dr. H. Haushofer.
Vielleicht nützt dir das.
Gruß,
Eva

1 Like

Hallo Eva,

das nützt ganz sicherlich was: Das ist das Standardwerk in der deutschen Agrargeschichte. Besseres gibt es nur hinsichtlich einzelner Teilaspekte und Zeitausschnitte.

Schöne Grüße

MM

Hallo,

vielen Dank für den Tipp. Kann ich mir ja zu Weihnachten wünschen, dann ist das Problem auch gleich gelöst.

Gruß,
Paran

Dieses Thema wurde automatisch 30 Tage nach der letzten Antwort geschlossen. Es sind keine neuen Nachrichten mehr erlaubt.