Wird Alt-Kanzler Helmut Schmidt überschätzt?

Hallo und Guten Tag,

gestern habe ich im Fernsehen zufällig in die „Bambi“-Verleihung hineingeschaut und gesehen, dass u.a. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt ausgezeichnet wurde. Natürlich hat Helmut Schmidt während seiner Karriere als Politiker gezeigt, dass er seine Stärken hat, vor allem als Krisenmanager, etwa bei der Sturmflut in Hamburg 1962 und vor allem während der Terrorwelle im „Deutschen Herbst“ 1977.

Aber Schmidt hat meiner Meinung nach Ansichten z.B. über Menschenrechte und Demokratie in China, die einem anständigen Menschen nur die Haare zu Berge stehen lassen können, siehe:

http://www.welt.de/politik/article2096677/Menschenre…

http://www.youtube.com/watch?v=izXgtbFlu6E#t=8m28s

Wenn ich mir noch einmal die Bilder von der brutalen Niederschlagung der Proteste am „Platz des himmlischen Friedens“ 1989 ansehe ( http://www.youtube.com/watch?v=w3qOmzEPHSY ), und dann Helmut Schmidts Schwadronieren über „China braucht Demokratie nicht, weil sie seiner Geschichte und Kultur fremd ist“, dann packt mich eigentlich nur doch die kalte Wut auf Helmut Schmidt - um ganz ehrlich zu sein.

Deshalb würde ich gerne mal wissen, ob es nicht auch andere gibt, die der Meinung sind, dass Helmut Schmidt als angeblich „weiser, alter Mann“ idealisiert wird, der er in Wahrheit gar nicht ist?

Vielen Dank im Voraus für Antworten und Meinugnsäußerungen,

Jasper.

Hallo!

Aber Schmidt hat meiner Meinung nach Ansichten z.B. über
Menschenrechte und Demokratie in China, die einem anständigen
Menschen nur die Haare zu Berge stehen lassen können…

In diesem Fall halte ich Schmidts Sicht für realistisch und manche anderen Bestrebungen für weltfremd. Beispiel Afghanistan. Vor 10 Jahren gehörte es zu den Kriegszielen, dort eine Demokratie zu installieren. Mehrmals wurden Wahlen abgehalten. Die Frage, wie Analphabeten wählen sollen, stellte sich damals niemand. Auch nicht die Frage, was in selbstversorgenden Stämmen und Clans lebende Menschen mit einer von fremden Mächten abhängigen Zentralregierung anfangen wollen. Auch die Gesellschaften in vielen anderen Staaten, u. a. in Afrika, waren nie demokratisch organisiert und können mit der Übertragung unserer Vorstellungen wenig anfangen. Wenn man es dennoch versucht, drohen Chaos, Anarchie und Bürgerkrieg. Solche Länder brauchen eine starke zentrale Macht, die nicht unbedingt nach westlichen Vorstellungen agiert und behutsam Freiheiten zulässt. Es ist ein langer Prozess über Generationen, bis sich Gesellschaften nicht nur verändern, sondern geradezu umkrempeln.

Ich sehe den Altkanzler aus anderen Gründen zwiespältig. Er gehörte nämlich zu den treibenden Kräften des Nato-Doppelbeschlusses. Er gehört zu einer Generation, die aufwuchs, als es zum Recht souveräner Staaten gehörte, seine Nachbarn zu überfallen. Niemand fragte, warum man das tun sollte, vielmehr war es selbstverständlich, dass man sich bis an die Zähne bewaffnen musste, damit der Nachbar nicht angreift. Erst die Generationen nach Schmidt kapierten, dass man selbst am besten und sichersten lebt, wenn es den Nachbarn ohne Bedrohung möglichst gut geht. Der friedliche Nutzen jedes Nachbarn ist weit größer als der Nutzen, der sich jemals durch Überfall und Krieg erzielen lässt.

Europa war voll von vernagelten Politikerköpfen. Schmidt war einer von ihnen. Er hat es nie geschafft, anders als z. B. Egon Bahr oder W. Brandt, die tradierten Denkweisen zu durchbrechen. Schmidt wollte Frieden durch militärische Stärke und Abschreckung. Einen Schritt weiter hat er nicht gedacht und steht bis heute zur damaligen Politik. Die Politikergeneration Schmidt ließ Millionen Menschen über Jahrzehnte in der Angst gegenseitiger Vernichtung leben. Es gab wohl nie einen besseren Vertreter amerikanischer Machtinteressen in Europa als Helmut Schmidt.

Gruß
Wolfgang

Schmidt als Wirtschaftsfachmann
Hallo Jasper,

ich stimme Dir zu. Gerade in seiner Kernkompetenz als Volkswirt hat er es bis 1982 nicht besonders gut gemacht. „Lieber 5% Inflation als 5% Arbeitslosigkeit.“

Die Popularität haben alle ausgeschiedenen Politiker. Auch Kohl war ja auf dem besten Weg dahin, hätten ihn die Parteispendenaffäre nicht eingeholt.

Sicher ist ein Pluspunkt von Schmidt, dass er persönlich unbestechlich und integer ist. Seine scharfen Reden aus den 70ern im Wahlkampf kennt ja keiner mehr.

Gruß
Andreas

China und Demokratie
Hallo Wolfgang,

alles schön geschrieben und gut argumentiert. Erinnert mich nur fatal an Zeit-Artikel aus den 80er Jahren, in denen die DDR als sozial, gemütlich und irgendwie gar nicht so undemokratisch hingestellt wurde. Intellektuelle sind nämlich nicht schlauer als das Volk. Das nur nebenbei.

Deine ganze Argumentation ist deswegen aber rein theoretisch, weil es einen chinesischen, demokratischen Staat gibt. Und das bringt Rot-China täglich zur Weiß-Glut. :wink:

Gruß
Andreas

Mir geht er einfach nur auf den Wecker
Hi!
Da ich regelmäßig die „Zeit“ lese, geht mir das ewige Befragen des Orakels Schmidt einfach ziemlich auf den Wecker - aber gut, ich brauche es ja nicht zu lesen.

Neulich gab es bei quer im Bayerischen Fernsehen einen guten Sketch (querschläger) dazu, ich hab mich schief gelacht.

Hm, lieber Schmidt den Bambi als Bushido…

Nur eine Meinung
Grüße
kernig

Moin,

alles schön und gut - seit es hinter der Elbe keine kommunistische Diktatur mehr gibt, die schlicht auf Völker- und Menschenrechte geschissen hat. Der das Wasser technologisch und wirtschaftlich so hoch an der Unterlippe stand, daß sie beim geringsten Anzeichen von Schwäche mit Gewalt versucht hätten sich zu sanieren. Daß die Gerontokraten vom Schlage eines Honeckers versuchten diese Schwäche mittels RAF und teilweise der „Friedensbewegung“ zu induzieren ist bekannt.
Daß die Lage in jeder Hinsicht prekär und nicht wünschenswert war ist unbestritten, allein: es gab keine Alternative.
Daß Honecker, Mielke und Konsorten schlußendlich als weinerliche Tattergreise endeten statt als Diktatoren über Europa ist vor allem drei Umständen zu verdanken:
Dem unmittelbar bevorstehenden ökonomischen Kollaps eines technisch und ökologisch um 30 Jahre rückständigen Prouktionssystems - ohne daß ein Strauß mit Krediten in Sicht war.
Daß die Puppenspieler in Moskau genauso am Ende waren und die Fäden lockerer ließen.
Daß die Nato bis zum Schluß keinen Zweifel daran ließ, daß die militärische Option Selbstmord ist.

Ein Gorbatschow ist sicher nicht mit seinen Vorgängern vergleichbar, aber Breschnew, Honecker oder Jaruzelski war der Versuch esteuropa im Husarenstreich einzunehmen jederzeit zuzutrauen.

Gruß
RF

Moin,

Ein Gorbatschow ist sicher nicht mit seinen Vorgängern
vergleichbar, aber Breschnew, Honecker oder Jaruzelski war der
Versuch esteuropa im Husarenstreich einzunehmen jederzeit
zuzutrauen.

und da man den militärisch industriellen Komplex nicht so einfach abwickeln kann wie die Ostbetriebe, wird jetzt krampfhaft nach neuen Bedrohungen gesucht bzw. welche induziert.

Gruß
T.

Moin,

Aber Schmidt hat meiner Meinung nach Ansichten z.B. über
Menschenrechte und Demokratie in China, die einem anständigen
Menschen nur die Haare zu Berge stehen lassen können…

In diesem Fall halte ich Schmidts Sicht für realistisch und
manche anderen Bestrebungen für weltfremd.

Solch eine Bemerkung halte ich Angesichts unzähliger Chinesen, die wegen ihrer Bestrebung für mehr Demokratie und Menschenrechte in ihrem Land in Gefängnissen, psychiatrischen Anstalten oder Arbeitslagern sitzen, bzw. ihr Leben und ihre Gesundheit verloren haben, und so gute wie keine Unterstützung aus dem ach so demokratischen Ausland bekommen (das lieber auf gute Wirtschaftsbeziehungen mit den Politbonzen schielt) schlichtweg für zynisch und völlig unangebracht.

Gruß
M.

Hi,

schöne Wortwahl:

militärisch industriellen Komplex…
Ostbetriebe

ist das noch Original SED (bzw. ihre Claquere aus der „Ho-Ho-Ho Chin Minh“ gröjenden Fraktion) oder die Nachfolger um das saarländische Kameradenschwein?

RF

Ich wusste nicht, dass Helmut Schmidt solche Auffassungen über die Menschenrechte vertritt, dass man sich im Ausland nicht für Menschenrechte einsetzen solle. Wer soll sich denn dann dafür einsetzen, die Leute in China, die deswegen verhaftet und gefoltert werden?

Und ich sehe hier einen Widerspruch. Schmidt sagt, wir sollen uns nicht einmischen und zusehen wie China Tibet in Zukunft erobert. Wobei er andeutet, dass die chinesische „schein-demokratische“ Diktatur besser sei als die tibetische Theokratie. Gleichzeitig sagt er aber, jeder Staat soll nach seiner eigenen Fason leben. Ich glaube nicht, dass man eine „demokratische“ Diktatur und eine religiöse Diktatur so per se vergleichen kann. Ich kenne dafür Tibet zu schlecht, aber ich glaube nicht, dass die ein solches Unterdrückersystem haben, dass man mal eben leichtfüßig sagen kann, besser lebe man als Rotchinese.

Und eines stört mich immer sehr. Es wird vom Wirtschaftsboom in China gesprochen. In Wirklichkeit: es profitiert nur ein ganz geringer Teil Chinas, nämlich die Handelszentren. Ich will mir gar nicht ausmalen, welche ost-anatolischen, ja afrikanischen Zustände auf dem Lande herrschen. Das sind Seiten, die China erfolgreich schafft, zu verstecken. Als ob die eine Hungersnot publik machen würden. Die nehmen ja allen Reportern ihre Visas weg, wenn sie auch nur ansatzweise über Mißstände berichten.

Nein, was Schmidt macht ist einfach die Forführung der „Wir verschließen die Augen vor dem Unglück anderer-Mentalität.“ Über 90 Jahre alt und nichts gelernt. Der Holocaust, den er immer als Grund anführt, dass Deutschland nicht auf Menschenrechte pochen dürfte, hat ihn kein Deut schlauer gemacht - so scheint es mir. Er befürchtet immer Spannungen und Krieg. Als ob China mal eben und vor allem es wagen würde gegen Deutschland Sanktionen zu verhängen. Die sitzen das einfach bis zur nächsten Regierung aus.

Gruß
Konrad

Hi,

schöne Wortwahl:

militärisch industriellen Komplex…
Ostbetriebe

du meinst
http://de.wikipedia.org/wiki/Dwight_D._Eisenhower
war ein Ho Chi Minh - Claquer?
Von dem kam jedenfalls die erste Phrase.
Und Ostbetriebe ist ja sowas wie Ostgebiete. Gibts beides kaum noch :wink:

Gruß
T.