Wirkung von 'Wahrlich' im Messias von Händel

Hallo Experten,

eines der schönsten Stücke im Messias finde ich das „Wahrlich“ (Nr. 21), besonders die 2. Hälfte. Da läuft es mir andauernd eiskalt den Rücken rauf und runter. Jetzt ist meine Beschreibung natürlich sehr vage und ausserdem die Wirkung auf die Hörer eine subjektive Angelegenheit. Aber vielleicht wisst ihr ja welche Stelle ich meine und sie wirkt auf euch genauso.

Meine Frage: Warum wirkt das so extrem auf mich, was hat Händel da komponiert?

Ich würde mich zwar als fortgeschrittenen Chorsänger bezeichnen, aber von Theorie habe ich nicht viel Ahnung. Ich bitte das zu berücksichtigen. :wink:

Mir graust schon vor der nächsten Aufführung dieses Stückes. Das kostet mich bestimmt extrem viel Selbstbeherrschung um da nicht in Tränen auszubrechen… :smile:

Danke schon mal
Martin

wahrlich ein sehr schönes stück.

der anfang beginnt mit den mächtigen streicherakkorden und den punktierten motiven, relativ viel chromatik und speziell im bass mit vielen kleinen sekundschritten. das erzeugt sehr dichte harmonien, manchmal kommt der eine oder andere trugschluss dazu (es folgt auf einen dominantseptakkord oder einen verminderten septakkord nicht die harmonie, die man erwarten würde, sondern eine andere), die rhythmisierung trägt noch einiges zur dramatik bei.

dann beruhigt sich das ganze rhythmisch und wird fast verklärt. einzelne stimmen bleiben liegen und erzeugen mit einer anderen stimme auf dem nächsten schlag eine starke dissonanz, das nennt man einen vorhalt. das erzeugt immer eine sehr starke sehnsucht nach der auflösung, die meist stufenweise nach unten erfolgt. hier hast du ganze vorhaltketten und stellenweise sogar zwei stimmen, die einen vorhalt zum jeweiligen akkord bilden. die chromatik bleibt hier auch recht intensiv, die spannung bleibt die ganze stelle über aufrecht.

am ende kommt der punktierte rhythmus wieder, der chor legt sich quasi doppelchörig drüber (sopran und tenor singen vor, alt und bass antworten) und vereint sich dann in einer homophonen kadenz.

an sich ist da keine zauberei drin, du wirst schon bei schütz harmonisch sehr ähnliche sachen finden mit den vorhalten, der chromatik, den wechseln zwischen dur und moll. dieses stück wirkt zusätzlich noch durch die starke verdichtung, es ist eigentlich relativ kurz und hat drei sehr intensive abschnitte. man könnte sagen, händel quetscht hier sehr viel sehnsucht auf sehr engem raum zusammen. wahrlich, ein sehr schönes stück!