Hallo Wissenschaftlier,
bin sehr verzweifelt könnt ihr mir sagen ob der Inhalt so in ordnung ist? Danke!
Allgemeine Einleitung
Wenn nun diese drei beschriebenen Fälle näher betrachtet werden, stellt sich den Feldforschern die Frage, in wie weit diese Fälle Gemeinsamkeiten aufweisen und ob diese miteinander vergleichbar sind. Diese Frage kann nur beantwortet werden, in dem man sich Zugang zum gesellschaftlichen Handlungsrahmen blinder und sehbinderter Menschen verschafft, um ein besseres Verständnis der Situation der Betroffenen zu gewinnen. Mit dem Besuch des Museums in Frankfurt hat die Gruppe versucht, sich für die Situation eines erblindeten Menschen zu sensibilisieren und sie bestmöglich nachempfinden zu können. Mit Hilfe der Interviews und weiteren persönlichen Gesprächen mit anderen erblindeten und sehbinderten Personen wurde versucht, die Lebenswelten der Betroffenen kennenzulernen. Der Handlungsrahmen sollte damit so gut wie möglich erfasst und zugänglich gemacht werden, um eine gemeinsame Basis der drei Fälle herausarbeiten zu können.
Einleitung zu den Fällen
Die Feldforscher haben im erlebt, wie der plötzliche Verlust des Ausgenlichts als räumliches Orientierungsinstrument den Menschen hilflos und orientierungslos werden lässt. Für die Gruppe war es ohne Hilfe und Anweisungen des Leiters unmöglich, sich zu orientieren. Der Verlust des gewohnten Instruments zur räumlichen Orientierung stellt allerdings nur eine Dimension des Gesamtproblems dar, vor dem Menschen mit einer Sehbinderung stehen. Aus den Erfahrungen, die beim Besuch des Museums gemacht wurden, lassen sich keine standhaltigen Rückschlüsse auf die Tragweite der Probleme, mit der ein blinder Mensch leben muss gewinnen. Um die Tragweite der Schwierigkeiten zu verstehen ist es erforderlich, sich mit den langfristigen Lebensbewältigungs- und Lebensgestaltungsstrategien von Betroffenen auseinderzusetzen. In keinem unserer Fälle erblindete eine Person schlagartig ganz. Alle mussten sich mit der Frage beschäftigen, wie sie mit der neuen Lebenssituation umgehen würden.
Fallbeispiel 1: Der lokale Interessenvertreter
Beim Eintreten der Sehbeeinträchtigung drohte er aus Überforderung mit der neuen Situation in tiefer Ohnmacht zu versinken. Aufgrund des festen Willens weiterhin für seine Kinder sorgen zu können, begab er sich zeitnah in therapeutische Behandlung. Er möchte weiterhin „Gestalter“ seines Lebens bleiben, was sich einerseits durch sein soziales Engagement zeigt – er wurde zu einem Interessensvertreter und andererseits darin, dass er seinen früheren Lebensstil weitesgehend versucht beizubehalten, sofern ihm dies möglich erscheint. Durch seine Funktion als Interessensvertreter von Menschen mit Sehbeeinträchtigungen erschuf er sich erstens einen neuen Zugang zur Gesellschaft und erweiterte sein direktes soziales Umfeld und zweitens eine Umgebung, die es ihm und anderen Betroffenen ermöglicht, sich weitesgehend selbstständig zurechtzufinden. Die Nähe zu Menschen mit ähnlichem Handicap förderte seine Selbstreflexion und ermöglichte letztendlich, dass er die Sehbeeinträchtigung akzeptierte und mir ihr zu leben lernte.
Fallbeispiel 2: Persönliche Neufindung
Eine abgeschwächte Form zur Überwindung des Tiefs zeigt die „persönliche Neufindung“. Sie hat sich aus ihrem Inneren heraus verändert und sich durch die Blindheit neu gefunden und ist zu einem Menschen geworden, der sehr stark in der Öffentlichkeit agiert. Sie hat so einen Weg eingeschlagen, bei dem sie die Blindheit nach außen trägt und sich dadurch identifiziert. Bei diesem Prozess haben ihr andere Personen beigestanden, die sie zu diesen Schritten bewegt haben. Sie geht kreativ und selbstbewusst an Sachen heran und hat sich durch die Erblindung mit sich und anderen persönlichen Problemen auseinander gesetzt. So hat sie gelernt aktiv an ihrem Wohlbefinden zu arbeiten.
Fallbeispiel 3: Beziehungslösung
In dem dritten Fall wurde nicht explizit von Depressionen und einem Tief der Orientierungslosigkeit gesprochen, allerdings wurde deutlich, dass für diese Person das Hier und Jetzt zählt, um das Leben zu genießen. Bei ihm wird die Blindheit mit Hilfe einer weiteren Person verarbeitet und bewältigt. Für ihn ist es wichtig jemanden zu haben mit dem er ein normales Leben führen kann, fast so als gäbe es die Blindheit nicht. Das Leben wird so gestaltet, dass es so wenig Unannehmlichkeiten wie nur möglich bietet. Er hat jemanden gefunden, der an seiner Seite steht. In diesem Fall wird die Erkrankung durch das aufeinander abgestimmte Zusammenspiel eines Paares überwunden. Daher sprechen wir von einer Beziehungslösung.
Übergang zur Hypothesenbildung
Diese Fälle zeigen uns drei Individuallösungen zur Bewältigung der gleichen Probleme auf, die als direkte Folgen der Sehbeeinträchtigung eintreten. Die erste durch die Feldforscher erkannte Folge beschreibt den Verlust der Fähigkeit zur räumlichen Orientierung. Dies deckt sich ebenfalls mit den Erfahrungen der Forschergruppe, die den Parcours im Dialogmuseum niemals ohne die Hilfe anderer hätte bewältigen können. Die zweite Hürde betrifft den drohenden Verlust der gewohnten Teilhabe am direkten sozialen Umfeld und der Gesellschaft zu erleben. Alle drei interviewten Personen haben ihre anfänglichen „Ohnmachtsgefühle“ überwunden und waren daher in der Lage, diese beiden Hürden zu meistern. In allen drei Fällen war es unerlässlich, dass die Hilfe anderer in Anspruch genommen werden musste, um sich der anfänglichen Ohnmacht zu entledigen und die ersten beiden Hürden hinter sich zu lassen. Ebenfalls haben alle neue Kompetenzen und Fähigkeiten entwickelt bzw. erlernt, um die beiden Hürden meistern zu können. Nun war jeder in der Lage individuell eine Strategie zu entwickeln mit der er den neuen Lebensabschnitt beginnen konnte. Die Möglichkeiten der Bewältigung der beiden anfänglichen Hürden und die Gestaltung der neuen Lebenssituation scheinen vielfältig und nicht immer muss das Ziel die Erreichung bzw. Widererlangung höchstmöglicher Selbstständigkeit sein, wie man anhand des dritten Fallbeispiels erkennen kann.
Eigentliche Hypothese
Um den Verlust bzw. den teilweisen Verlust des Augenlichts verarbeiten zu können, ist der Betroffene stets auf die Hilfe anderer angewiesen, da dies die Annahme und Akzeptanz der neuen Lebenssituation voraussetzt. Dies wiederum kann nur erreicht werden, in dem dem Betroffenen die Aussicht und die Möglichkeit gewährt wird, auch weiterhin sein Leben individuell und eigenständig gestalten zu können. Die Formen, in der diese Herausforderung bewältigt wird, variieren daher immer von Fall zu Fall. Die aufgeführten Fälle verdeutlichten aber auch, dass neben den anfänglichen Gefühlen der Ohnmacht und Hilflosigkeit immer auch zwei weitere direkte Probleme als Folge der Sehbeeinträchtigung eintreten. Das Sehvermögen ist neben der Funktion Orientierung in dieser Welt zu bieten auch ein wichtiges Instrument, durch die das Individuum gewohnt war, an unserer Gesellschaft teilzuhaben. Folglich ist ein Mensch, dessen Sehvermögen schwindet bzw. verschwunden ist, gezwungen neue Kompetenzen zu entwickeln um sich zum einen räumlich weiterbewegen zu können – also seine Mobilität wiederherzustellen bzw. zu einem für das betroffene Individuum geeigneten Grad zu erhalten, zum anderen ist der Betroffene gezwungen, will er den für ihn gewohnten und benötigten Zugang zu seinem direkten sozialen Umfeld und die Teilhabe an der Gesellschaft nicht verlieren bzw. riskieren, ebenfalls neue Kompetenzen und Wege der Kommunikation zu entwickeln. Beide Aspekte zusammen genommen stellen die Mitspielkompetenz dar, die das Individuum zurückerlangen bzw. der neuen Lebenssituation anpassen muss, um sich selbst weiterhin als Teil dieser Gesellschaft anzusehen und als Teil dieser von anderen gesehen und wahrgenommen werden zu können. Mit dem Eintreten der Sehbeeinträchtigung steht der Betroffene immer vor der Aufgabe, seine Mitspielkompetenz in dieser Gesellschaft zu wahren, um zukünftig weiterhin individuelle Lebensentwürfe zu verwirklichen und seine Persönlichkeit zu entfalten.