Wo isst man regionale Gerichte bestenfalls?

Hallo Vik,

Deine so gestellte Frage ist so nicht - oder bestenfalls nur falsch - zu beantworten.

Wenn man das tun will, was Du möchtest, ist sicherlich zunächst eine grundsätzliche Beschäftigung mit dem Thema „Regionale Küche in Deutschland, der Schweiz und der ehemaligen Donaumonarchie sowie den ehemaligen deutschen Ostgebieten“ anzuraten.

Hier kann ich Dir folgende Werke empfehlen, die sich damit beschäftigen, was das „Volk“ in den genannten Gebieten zu sich genommeh hat:

Hans W. Fischer: „Das Leibgericht“ - Die Lieblingsspeisen der Deutschen, ihre Gaumengelüste, Magenfreuden und Schmankerln mit Kochanweisungen, Bräuchen und Gewohnheiten.
Deutsche Buch-Gemeinschaft Berlin und Darmstadt 1955

„essen&trinken“ (Hrg.): „Unvergessene Küche - Die schönsten Rezepte aus den deutschen Landschaften“
Gruner & Jahr AG&Co., Hamburg 1979

Susanne Bunzel (Hrg.): „Himmel und Erde - Rezepte der traditionellen Küche Deutschlands“
edition spangenberg bei Droemer Knaur 1997
ISBN: 3-426-26955-4

Die „Bürgerliche“ und „Höfische“ Küche ist hierbei zu vernachlässigen, weil sie in einem ganz anderen Standard und Umfeld lebt und mit der „Regionalküche“ im deutschsprachigen Raum so gut wie nichts zu tun hat.

Und nun kommt eine zweite Aufgabe auf Dich zu: Wenn Du nun weißt, was „Volk“ in einer bestimmten Region gegessen hat (und/oder noch isst) und dieses auch für Dein Gusto infrage kommt - dann mußt Du in persönlichen Gesprächen, aktuellen Medien und dém Internet herausfinden, wo man ehrlich und gut bereitete Küchenprodukte zu einem vertretbaren Preis-Leistungs-Verhältnis bekommen kann - und das sind zumeist Geheimtipps, die herausgefunden werden wollen. Ob große oder kleine Stadt, Provinz oder Dorf - das ist kein Qualitätskriterium!

Also - bitte nicht erschrecken. Freudige Vorbereitung (mit „Wasser-im-Mund-zusammenlaufen“) ist schon fast die ganze Arbeit!

Viel Vergnügen und

herzliche Grüße

Helmut

Durch meinen Beruf reise ich relativ viel im deutschsprachigen Raum, bin jedoch eigentlich immer Städten unterwegs.
Ausserdem bin probiere ich mich für mein Leben gern durch die verschiedenen „typische“ Gerichte der Regionen durch.

Daher meine Frage ob ihr denkt dass man regionale Gerichte eher in Städten oder auf dem Land „perfekt“ zubereitet bekommt? Für ein gutes Essen hätte ich persönlich nämlich kein Problem mich auch mal 30-45 Minuten ins Auto zu setzen.

lg vik

Hallo!

Mit „typischen Gerichten“ verhält es sich so ähnlich wie mit Volksmusik: Was bei unseren Altvorderen an mit 78 Umdrehungen pro Minute abzuspielenden Schellackplatten in der Graetz-Reichsgraf-Musiktruhe senkrecht zwischen umgarnten Drahtbügeln stand, provoziert bei heutigen Zeitgenossen säuerlich verzogene Gesichter. Volksmusik im Sinne des Wortes machen heute z. B. die Toten Hosen, während mit Volksmusik i. a. der Geschmack längst vergangener Zeiten gemeint ist. Bei entsprechenden Darbietungen sind an jeder kleinen Diabetikerrunde mit Gehhilfen neben den Tischchen mit Kaffee und Süßstoff mindestens Jahrhunderte versammelt.

Ähnlich verhält es sich mit den regionalen, volkstümlichen Gerichten. Geht es um typische Gerichte und macht man typisch an der vorzugsweise verzehrten Speise fest, kommen in der Pfalz Schnitzel mit Pommes oder ChickenMcNuggets sicher häufiger als Saumagen vor. Äppelwoi wird Dir in Frankfurt und Federweißer in Würzburg serviert, von daher gibt es schon noch typisch Regionales, aber wie Martin schon anmerkte, muss man sich dafür abseits 4spuriger Straßen bewegen.

Während vieler Jahre war ich beruflich viel unterwegs und nächtigte zumeist in irgendwelchen Häusern von Hotelketten (wer mich abschrecken will, bietet mir lange Autobahntouren und Hotels gleich welcher Art an … irgendwann hat man die Nase voll davon). Egal wo, es gibt diesseits und jenseits der Grenzen, wo viele Menschen unterwegs sind, überwiegend Einheitsbrei, kaum noch regionale Eigenheiten. Wenn ich aber unmittelbar am zumeist großstädtischen Zielort keine Bleibe fand, suchte ich außerhalb der Stadt irgendeine Tanke und fragte nach einem Gasthof mit Hotel. Auf diese Weise landete ich in Unterkünften, die man bei einer Reiseplanung nicht berücksichtigen kann, weil sie nirgends aufgeführt sind (es gab noch kein Internet bzw. es steckte noch in den Anfängen). Das so gefundene Hotel Lamm in Günzburg steuerte ich in den 70er und 80ern mehrmals an. Die Zimmer im Uraltbau waren mit primitiv noch wohlwollend beschrieben, aber die Küche hätte jeden Stern verdient. Andernorts fragte ich gezielt nach der Kombination von Metzgerei, Brauerei, Gaststube und Zimmervermietung. Dort liegt man in einem knirschigen Bett unter einem Berg von Bettdecke mit Dusche auf dem Flur und die Gaststube ist bestimmt nichts für Vegetarier. Aber die Spätzle sind selbstgeschabt.

Also: Du musst suchen, brauchst ein Näschen und ein bisschen Glück und wirst nach meiner Erfahrung eher außerhalb der größeren Städte fündig.

Gruß
Wolfgang

Ei,

da könnte man ja mit der Literatur noch weitermachen, bevor es ganz offtopic wird?

Deutlich kann man den Unterschied zwischen regionaler und ländlicher bürgerlicher Küche erkennen, wenn man in Gudrun Mangolds „Hunger ist der beste Koch. Karge Zeiten auf der rauen Alb - Rezepte und Geschichten“ blättert. Erinnerung an die Schwäbische Alb, wo man vor der Mechanisierung der Landwirtschaft zum Pflügen sagte „man kratzt dem Teufel auf der Hirnschale herum“, und wenn die Zisterne mit dem gesammelten Regenwasser und der Feuerlöschteich in der Dorfmitte leer waren, gab es halt kein Wasser mehr.

Eine Fortsetzung in mein angestammtes Revier südlich der Donau, wo es ein bissle weniger mager zuging, aber halt auch nicht alle Tage Sonntag war und deswegen nicht bloß, weil Mehl und Schrot wohlfeiler waren als Fleisch, sondern auch, um bei der Arbeit durchhalten zu können, seit je ausgesprochen „high carb“ gegessen wurde, ist das schwäbische Kochbüchlein „Flädla, Knöpfla, Bubaspitzla“ von Siegfried Ruoß.

Ebenfalls auf Oberschwaben, aber auf die Zeit vor dem 19. Jahrhundert mit bürgerlichen und letztlich italienisch-französischen Einflüssen orientiert ist „Essen und Trinken im Barock“ von Michael Barczyk. Dieses allerdings kein Kochbuch im eigentlichen Sinn, eher ein Buch über Kochen, Essen und Trinken, mit einigen Ausführungen zum Kontext - etwa einem Bericht von einer großen Beschwerde von leibeigenen Bauern eines oberschwäbischen Klosters, die nicht etwa mehr Freizeit, sondern eine Verringerung der Heiligenfeiertage mit Arbeitsverbot verlangten, weil sie außer den Frondiensten gar nicht mehr zu ihrem eigenen Sach kamen…

Schöne Grüße

MM

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Servus,

ohne den gänzlich richtigen Ausführungen von Helmut etwas wegtun zu wollen: Im Blindflug, ohne die eigentlich notwendige „theoretische Vorbereitung“, ist die Trefferquote südlich einer Linie 51 Grad 30 Minuten nördlicher Breite höher als nördlich davon, dito in Gemeinden bis 50.000 Einwohner höher als in größeren. Aber es gibt da so viele Ausnahmen, dass das nicht mehr als ein sehr grober Anhaltspunkt sein kann. Was wäre Berlin ohne die dort wohlgepflegte autochthone Küche, dito die Hansestädte?

Schöne Grüße

MM

Hallo Helmut,

eines hab ich noch von Arne Krüger (Vater von „Der Feinschmecker“, zuletzt auf „Altenteil“ mit einer kleinen, unbesternten und herfürragenden Weinwirtschaft in Hochheim/Main):

Deutsche Spezialitäten nach Grossmutters Art
Kochgeheimnisse und beliebte Original-Rezepte von Schleswig-Holstein bis Bayern, von Baden bis Ostpreussen
Gräfe und Unzer, München 1978, ISBN 3-7742-3259-8

Aber wie man Dich so kennt, steht das bei Dir eh im Regal.

Schöne Grüße

MM

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Hallo MM,

Du hast mich erwischt!

Da steht vom selbigen nur die „alle Welt“… (und dasselbige halte ich für seeehr informativ)!

Damit aber bei dieser meiner Schreibere noch was effektives und nützliches herauskommt:

Da stehen bei mir noch zwei Standardwerke, die ich gern dem Kreis der „Fortgeschrittenen“ zu Nutz und Frommen andienen möchte:

Wolf Uecker: „Die neue alte Küche“
stern-Buch im Verlag Gruner & Jahr, Hamburg 1983
ISBN: 3-570-03873-4

Horst Scharfenberg: „Die deutsche Küche“
Hallwag Verlag Bern und Stuttgart 1980
ISBN: 3-444-10246-1

Ich kann nur jedem Interessierten empfehlen, ZVAB zu durchforsten und die Bände antiquarisch in seine Bibliothek zu stellen - oder aber zumindest die Fernausleihe der örtlichen Bücherei zu bemühen…

Herzliche Grüße

Helmut

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Dunkeldeutschland, so so. Pflege Du nur Deine Vorurteile, wir hier in Meck Pom essen meistens lecker, regional und saisonal, denn wir kennen die guten Restaurants.

Aber es ist richtig, dass gute Restaurants auch nur von richtigen Ortskundigen, die selber gerne gut essen, gefunden werden. Das ist uns letztens z.B. im Harz um Thale, Gernrode etc. leider nicht gelungen…

Grüße Malvenblüte

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Hallo MM,

das muß bei dir wohl in der Zeit von „Aschinger“ gewesen sein.
Heute gibt es kaum noch „Berliner Küche“. in Berlin. Selbst „Deutsche Küche“ ist nur noch selten zu finden.
Schon selbstgemachtes Kartoffelpürree oder gute Bratkartoffeln sucht man lange.

Gruß Heinz

Ei Hallo,

nein, ein bissle später war das schon - aber die Soljanka im „Rübezahl“ am Müggelsee schmeckte noch ganz deutlich nach HO, auch wenn die Volkskammer schon ungefähr zehn Jahre aufgelöst war.

Schöne Grüße

MM

du willst hier nur 'nen innerdeutschen Kleinkrieg anfangen :smiley:

Hallo MM,

ich hab’ überlegt, ob ich’s so sagen sollte - hab’s aber dann gelassen…

Natürlich ist es so, wie Du es sagst: Die Chancen auf „gute regionale Speisen und Getränke“ in der ortsansässigen Gastronomie sind südlich der Gegend um Osnabrück deutlich besser als nördlich davon!

(Wobei „man“ natürlich auch in Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Bremen, Berlin, Brandenburg, Hamburg und Schleswig-Holstein ganz klasse Gasthäuser mit ehrlicher „Landesküche“ finden kann - nur sind diese Häuser in der genannten Gegend kleine Schatzkästlein in tiefster Dunkelheit und dementsprechend nicht so leicht zu finden…)

Herzliche Grüße

Helmut

Servus,

bewahre - ich habe z.B. nicht vom Kaffee gesprochen, den es nirgendwo in D selbst in einer zum überdachten Zapfhahn mit Daddelautomat verkommenen Dorfpinte so hervorragend gut gemacht gibt als in einem Gebiet, das sich etwa mit Emmerich - Duisburg - Gronau - Münster abgrenzen ließe. Auch nicht von der Fischbrathalle Münster, die im „grünen“ Michelin ein *** = „vaut le voyage“ verdiente, nicht vom Friesischen Teehaus zu Jever und nicht vom Rhabarberkuchen im Kurhaus zu Dangast.

Ich denke mehr daran, dass die Pilsbierebene in ländlicher Küche heute eben abgesehen vom Gyrosteller und Spaghetti Carbonara von Schnitzel mit 9 verschiedenen Soßen zur Auswahl, Pommes und geschmacksneutralem Kopfsalat mit Habmburgerdressing dominiert ist. Leider: Die letzten Adressen, wo man selbst hoch populäre „Renner“ wie ein gscheites Labskaus oder Grünkohl mit allem (einschließlich dem obligatorischen Pinkel) bekommt, werden heimlich unter der Hand weitergereicht. Für Himmel un Ääd in einer öffentlich zugänglichen Gastwirtschaft muss man ausgedehnte Pilgerfahrten unternehmen, die nordhessische „Stracke“ steht auf der roten Liste, und mit Gruseln denke ich daran, wie ich schon vor dreißig Jahren in einem (betreffend seine Karpfen mit Recht) hoch gelobten Teichgut in der Heide auf meine Frage, was denn an Wein zu haben sei, die Auskunft bekam „Rotwein und Weißwein haben wir da“ (und Einbecker gabs auch keines!).

Solche Dinge können einem selbstverständlich auch im Süden passieren, aber die Wahrscheinlichkeit im Blindflug ist halt höher, dass man hier oder hier oder hier herauskommt - ich hab hier mit Absicht keine „Spitzenreiter“ der modischen Regionalküche genannt, sondern Adressen, über die man ganz leicht ohne besondere Suche oder Empfehlung stolpert, sobald die Straße weniger als vier Spuren hat.

Schöne Grüße

MM

Hallo MM,

Berlin und wohlgepflegte „autochthone“ Küche?
Die kann man kaum noch finden. Die gesamte Restaurantkultur wird von italienisch, thailändisch, türkisch, griechisch - dann durch McDonald & Co, Sushi etc. beherrscht. Einheimische Küche gibt es kaum noch. Damit meine ich nicht komplizierte Gerichte „an Minzeblatt“!

Gruß Heinz

Mit solch ausführlichen Antworten hatte ich jetzt nicht gerechnet und am aller wenigsten mit einer Literaturliste.
Aber ihr habt schon recht, dass man natürlich erst mal wissen muss, was überhaupt die „ansässige Küche“ ist, bevor man starten kann.

Aber das was meine Frage am ehesten - für mich - beantwortet hat, ist der Rat einfach immer Einheimische zu fragen und am besten gleich mehrere.

lg vik

Hallo Heinz,

ja sicher ist sie in Berlin genauso am Zurückweichen wie fast überall; aber eben nicht völlig vernachlässigt wie in manchen Schnitzel-Pommes-Steppen, sondern dort, wo es sie noch gibt, schon gepflegt. Ich entsinne mich, als Touri ohne besonders systematische Suche das, was man als Touri halt so sucht - Buletten + Saure Gurke, Leber + Zwiebeln + Kartoffelpü, Beamtenstippe + Kümmel + Stampfkartoffeln (letztere allerdings nicht in Berlin, sondern in Köpenick) - in guter Qualität gefunden zu haben. Ist allerdings - das sei zugegeben - keine taufrische Erinnerung, so dass ich jetzt auch die Adressen nicht mehr zusammenkriege. Waren jedenfalls keine „Geheimtipps“, sondern Gaststätten, die im Vorbeigehen nach „lass uns da mal kucken“ aussahen.

Schöne Grüße

MM