Hi Kitty,
ich denke, diese Grenze muss immer neu „verhandelt“ (ausdiskutiert, kommuniziert, festgelegt etc.) werden. Meine Grenze ist nichts Festes und kann je nach Gegenüber auch völlig unterschiedlich sein. Ein einfaches Beispiel dafür ist Körperkontakt. Die eine Person überschreitet diese Grenze vielleicht schon mit einer Umarmung und bei einer anderen Person sind viel intimere Berührungen (bis hin zum Geschlechtsverkehr) keine Grenzverletzung.
Anderes Beispiel: Zu meiner pubertierenden Tochter würde ich höchstwahrscheinlich nicht den Kontakt abbrechen, weil sie mich mal anschreit und wüst beschimpft, bei irgendeinem Bekannten dagegen vermutlich schon. Wenn der Bekannte allerdings unter dem Tourette-Syndrom leidet, vielleicht doch nicht. Oder aber trotzdem, weil ich einfach nicht damit umgehen könnte, auch wenn er nichts dafür kann.
Aber mal zu deinem Beispiel. Man kann sich mehrere verschieden Vorgehensweisen vorstellen. Die würde ich zunächst mal einteilen in „Miteinander reden“ oder „Nicht miteinander reden“. Nicht miteinander darüber zu reden, ist wohl in den meisten Fällen der schlechtere Weg, aber manchmal können die Umstände es (scheinbar) unmöglich machen, den anderen auf dieses Problem anzusprechen. In diesem Fall muss ich eben ganz alleine für mich entscheiden, ob mir dieser Mensch so wichtig ist, dass ich es ertragen kann und möchte, oder ob mich sein Verhalten so sehr stört, dass ich lieber den Kontakt abbreche/einschränke. Ich halte es in solchen Fällen für sinnlos, andere zu fragen, wie sie das Verhalten dieser Person bewerten o. ä. (Wir meiner Einschätzung nach gerne gemacht, um sein eigenes Empfinden von anderen bestätigt zu bekommen.) Aber nur ich selber kann wissen, wo meine „Waage“ bei dieser Person steht. Was fällt stärker ins Gewicht? Meine Wertschätzung, Zuneigung, Liebe für diese Person, oder die negativen Auswirkungen, die ihr Verhalten auf mich hat. Es kann m. E. nicht darum gehen, wie andere das einschätzen. Ich rede hier allerdings nur von Menschen, die Verantwortung für sich übernehmen (können). Es gibt leider auch viele Erwachsene (z. B. psychisch stark Angeschlagene, Kranke) die das nicht können, die in Abhängigkeit von Menschen leben, die ihnen hauptsächlich schaden.
Der bessere Weg, als einfach für sich zu entscheiden, „Okay ich akzeptier das“ oder „Das kann ich nicht länger akzeptieren“, ist meistens der, miteinander zu reden. Im Grunde ist das nun genauso wie oben eine Abwägungssache, aber diesmal für beide Seiten. Nun kann (nein, muss) auch der andere überlegen: „Wieviel ist mir diese Person wert? Inwieweit bin ich bereit, mein Verhalten für diese Person zu ändern?“ Dafür ist es aber m. E. ganz wichtig dass er versteht, warum (und wie sehr) mich sein Verhalten stört. Wenn er den Eindruck hat, ich bin überempfindlich und will ihn nur schikanieren. Wenn er denkt, dass es doch eigentlich echt kein Problem sein kann, seine Macken zu ertragen, wenn ich mir nur ein bisschen Mühe geben würde, dann ist klar, dass es so nichts bringt. Aber wenn er spürt und glaubt, dass ich ihm wohlwollend gesonnen bin, ihn gern habe, mir Mühe gebe, mit seinen Eigenheiten, aber mehr einfach nicht schaffe, ist er vielleicht eher bereit, sein eigenes Verhalten zu hinterfragen und an sich zu arbeiten. Auch weil es ihm die Freundschaft/Beziehung zu mir wert ist.
Wenn jemand allerdings so abweisend reagiert, wie deine Bekannte, wäre mein erster Gedanke evtl. „Die Freundschaft zu mir ist ihr wohl nicht allzu wichtig, da es ihr offensichtlich ziemlich egal wäre, wenn ich sie deshalb nicht mehr sehen möchte.“ Wenn mir die Person allerdings wichtig ist, würde ich, bevor ich diesen Schluss ziehe, versuchen rauszufinden, ob ich ihr wirklich so egal bin, oder sie aus anderen Gründen so kalt reagiert (z. B. Selbstschutz). Und es kann gut sein, dass ich dann zu dem Schluss käme, dass ihr in Wirklichkeit wohl doch mehr an mir liegt, als man bei so einer Aussage vermuten könnte. In diesem Fall würde ich evtl. erneut das Gespräch suchen, und genau diese Gedanken thematisieren. Also kurz gesagt, je nachdem, ob und wie weit der andere bereit ist, auf mich zuzugehen, muss ich wiederum selber entscheiden, ob das so nun für mich okay ist, oder ob ich mich dennoch distanzieren muss.
Und vielleicht noch kurz aus der anderen Perspektive: Wenn jemand auf mich zukommt und sowas sagt wie: „Hör mal, ich hab ein Problem damit, wenn du…“ Dann würd ich erstmal schauen, ob das wohl ein ehrlicher Versuch ist, die Freundschaft/Beziehung auf eine gute (bessere) Art weiterzuführen, oder ob es eher eine egoistische, mich abwertende, nach Macht strebende Forderung ist. Normalerweise geh ich von ersterem aus, weil ich eigentlich nicht glaube, dass es so egoistische, machtgeile Personen in meinem Freundeskreis gibt. Deshalb würde ich versuchen, zu verstehen, was den anderen an meinem Verhalten so stört und warum. Und ich würde überlegen, was ich tun kann und inwiefern ich bereit bin, mich zu ändern. Wenn ich zu dem Schluss komme, dass ich mein Verhalten nicht oder nur kaum ändern kann, würde ich beim anderen um Nachsicht und Verständnis bitten, in der Hoffnung, dass er damit leben kann. Wenn ich aber merken würde, dass das für ihn nicht möglich ist und dass ihn mein Verhalten tatsächlich sehr belastet auch wenn er sich Mühe gibt, es auszuhalten, würde ich überlegen, welche anderen Lösungsmöglichkeiten es gibt. Wie ich es vielleicht dennoch schaffen kann, in meinem Verhalten was zu ändern, oder ob es irgendwie möglich ist, die Toleranzgrenze des anderen zu erhöhen.
Das alles kommt aber wirklich sehr auf die Umstände und Details drauf an, so dass es sich an einem theoretischen oder ziemlich fernen Beispiel eigentlich überhaupt nicht erläutern lässt. Man müsste vielleicht ein sehr detailliertes Beispiel konstruieren, dass aber so dann eben auch nur für diesen einen (konstruierten) Fall gilt. Deshalb hör ich jetzt auf, bevor ich noch mehr rede und rede und irgendwie doch immer wieder dasselbe sage…
Liebe Grüße
M.