Wo werden die Werte geschaffen?

Die Basis der Wertschöpfung ist die Industrieproduktion. Dienstleistungen, Sozial- und Kulturwesen dienen nur dazu, die in der Industrie geschaffenen Werte zu verteilen. Stimmt das wirklich? Wenn ich zum Beispiel tanzen lerne, werden doch Werte geschaffen: Lebensfreude bei mir, Einkommen beim Tanzlehrer. Was hat das mit der Stahlproduktion zu tun? Sicher, ohne Stahl gäbe es keinen Tanzsaal. Aber das gilt doch genauso gut umgekehrt: Ohne das Mittagessen, das man den Stahlkochern kocht, gäbe es keinen Stahl.

Gruß von tonikal

Die Basis der Wertschöpfung ist die Industrieproduktion.

Hallo, Tonikal,
lass aus Deinem Satz das „Industrie“ weg und schon stimmt er.
Wo immer etwas Neues geschaffen wird, sei es ein Produkt oder eine Dienstleistung wird Wert geschöpft.
Gruß
Eckard
(ohne BWL-Kenntnisse)

hallo tonikal,

nach marx ist es nur die arbeitskraft des menschen, die dingen wert zufügt.
natürlich sind auch dienstleistungen wertschöpfungen, nur mit dem unterschied, dass das produkt direkt beim entstehen konsumiert wird.

grüße
burkhard

Alles nur Definition
Hi,

Lass dich nicht ins Boxhorn jagen.
Solche Begriffe wie „wertschöpfend“, „unterstützend“ kommen aus der herstellenden Industrie. Was dort irgendwie mit Zuwachs an Kapital messbar ist, wird als wertschöpfend bezeichnet.
Jeder Produktionsschritt ist demnach wertschöpfend.
Nicht wertschöpfend dagegen sind Personalangelegenheiten, IT, Kantine, Reinigung, und sogar Prüfungen, Lagertätigkeiten , Versand, usw.
Tanzen, sowie alles was nur irgendwie „lediglich“ Freude bereitet, gilt demnach als „Muda“ = Verschwendung.

Ich habe das alles etwas vereinfacht dargestellt, aber die Richtung stimmt.
Gruss,

Solche Begriffe wie „wertschöpfend“, „unterstützend“ kommen
aus der herstellenden Industrie. Was dort irgendwie mit
Zuwachs an Kapital messbar ist, wird als wertschöpfend
bezeichnet.
Jeder Produktionsschritt ist demnach wertschöpfend.
Nicht wertschöpfend dagegen sind Personalangelegenheiten, IT,
Kantine, Reinigung, und sogar Prüfungen, Lagertätigkeiten ,
Versand, usw.

Aha, da kommen wir der sache näher. Wer sagt denn sowas konkret? Wird das so immer noch in BWL gelehrt?

Ich stelle immer wieder fest, dass diese veraltete ansicht in medien und politik nach wie vor äußerst präsent ist. Z. b. hat der ex-umweltschützer und ZEIT-redakteur Fritz Vorholz anfang Januar in einem ZEIT-interview mit dem Club-of-Rome-gründer Dennis L. Meadows gesagt, lehrer und ärzte seien nur zu finanzieren, wenn autos verkauft werden. Und gerade gestern noch wurde im Heute-Journal in einem beitrag über die absatzkrise von VW ernsthaft die redensart wiederholt: Wenn die autoindustrie einen schnupfen hat, geht es Deutschland schlecht.
D.h. es herrscht nach wie vor die vorstellung vor, dass die fabrikproduktion die basis sämtlicher wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen dienstleistungen sei. Arbeitsplätze in der autoindustrie haben einen ganz anderen politischen stellenwert als arbeitsplätze in der altenpflege. Lehrer, krankenschwestern usw. begegnen ständig dem mehr oder weniger unterschwelligen vorwurf, sie seien parasiten, die auf kosten der autobauer und tablettenköche lebten. Wie kommt’s, dass sich die volkswirtschaftliche einsicht, dass auch eine dienstleistung wert schöpft, immer noch nicht durchgesetzt hat?
Oder ist das „neue“ das kriterium?
Sagt man sich da, das putzen der fabrikhalle schafft nichts neues, während der dort gebaute fernseher etwas neues ist?

Gruß von tonikal

Tanzen, sowie alles was nur irgendwie „lediglich“ Freude
bereitet, gilt demnach als „Muda“ = Verschwendung.

Ich habe das alles etwas vereinfacht dargestellt, aber die
Richtung stimmt.
Gruss,

Hi,

Aha, da kommen wir der sache näher. Wer sagt denn sowas
konkret? Wird das so immer noch in BWL gelehrt?

BWL? weiss ich nicht. Ich arbeite im Bereich Qualitätsmanagement.

Ich stelle immer wieder fest, dass diese veraltete ansicht in
medien und politik nach wie vor äußerst präsent ist. Z. b. hat
der ex-umweltschützer und ZEIT-redakteur Fritz Vorholz anfang
Januar in einem ZEIT-interview mit dem Club-of-Rome-gründer
Dennis L. Meadows gesagt, lehrer und ärzte seien nur zu
finanzieren, wenn autos verkauft werden.

Das ist absolut richtig. „Auto“ kann man ruhig ersetzen durch „Produkt“.

Und gerade gestern
noch wurde im Heute-Journal in einem beitrag über die
absatzkrise von VW ernsthaft die redensart wiederholt: Wenn
die autoindustrie einen schnupfen hat, geht es Deutschland
schlecht.

Auch das ist absolut richtig.
An diesen beiden Aussagen ist sachlich gesehen nicht zu rütteln.
Die Frage ist jedoch, was man damit politisch ausdrücken will.

D.h. es herrscht nach wie vor die vorstellung vor, dass die
fabrikproduktion die basis sämtlicher wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen dienstleistungen sei.

Auch das ist sachlich richtig. Auch hier kommt es sehr darauf an, mit welchem Tonfall man dies in welcher Runde äussert.

Arbeitsplätze
in der autoindustrie haben einen ganz anderen politischen
stellenwert als arbeitsplätze in der altenpflege.

Das ist damit begründet, dass Industrie für sich allein existieren kann, für sich selbst sorgt. Lehrer und Pflegepersonal dagegen können sich nicht selbst versorgen. Sie sind auf Industrie angewiesen.
Die Abhängigkeit ist zumindest vordergründig eindeutig.

Lehrer,
krankenschwestern usw. begegnen ständig dem mehr oder weniger
unterschwelligen vorwurf, sie seien parasiten, die auf kosten
der autobauer und tablettenköche lebten.

Das sind natürlich Scheisshausparolen, die oft von unzufriedenem Industriepersonal verbreitet werden.

Wie kommt’s, dass
sich die volkswirtschaftliche einsicht, dass auch eine
dienstleistung wert schöpft, immer noch nicht durchgesetzt
hat?

Das kann sich gar nicht durchsetzen.
Ganz einfach deshalb, weil Dienstleistung ohne Industrie von heut auf Morgen den Bach runter gehen würde, der Industrie dagegen auf Jahre hinweg egal sein könnte, wenn man heute alle Lehrer und Pfleger entlassen würde.

Oder ist das „neue“ das kriterium?

Genau.

Sagt man sich da, das putzen der fabrikhalle schafft nichts
neues, während der dort gebaute fernseher etwas neues ist?

Exakt.

Industrie ist die Lebensgrundlage für alles.
Was früher das Herbeischaffen und Erjagen von Nahrung war, ist heute das erwirtschaften von Kapital.
Gruss,

Hallo,

Aha, da kommen wir der sache näher. Wer sagt denn sowas
konkret? Wird das so immer noch in BWL gelehrt?

Teilweise auch in VWL :wink:. In der klassischen Theorie sind Dienstleistungen per Definition unproduktiv.
Was Du sagen willst ist folgendes:
„Produktivitätsvergleiche von Dienstleistungs- und Sachleistungsproduktion unterliegen systematischen Verzerrungen, die letztlich aus der klassischen systematischen Trennung von Hand- und Kopfarbeit resultieren. Diese Trennung aber hat sich nicht nur in unseren Köpfen festgesetzt und prägt weite Bereiche betriebswirtschaftlicher Theorie und unternehmerischer Praxis, sie ist auch eine Ursache für den Niedergang von Industriestandorten.“
http://www.ioc-online.org/mitarbeiter/moeslein/diens… S. 23
Der Aufsatz ist auch sonst sehr lesenswert.

Ich stelle immer wieder fest, dass diese veraltete ansicht

Ich halte diese Ansicht für alles andere als veraltet. Im Gegenteil, man scheint dies in den letzten Jahren vergessen zu haben, als eine Dienstleistungsgesellschaft als irreversible Tertialisierung propagiert wurde.
Ich sehe den Trend zu einer Dienstleistungsgesellschaft als vom harten internationalen Wettbewerb getrieben an:

in
medien und politik nach wie vor äußerst präsent ist. Z. b. hat
der ex-umweltschützer und ZEIT-redakteur Fritz Vorholz anfang
Januar in einem ZEIT-interview mit dem Club-of-Rome-gründer
Dennis L. Meadows gesagt, lehrer und ärzte seien nur zu
finanzieren, wenn autos verkauft werden.

Womit er recht hat. Damit ist zum einen die Abhängigkeit der Volkswirtschaft von der Produktion allgemein und die Abhängigkeit Ds von der Automobilindustrie andereseits zum Ausdruck gebracht.

Und gerade gestern
noch wurde im Heute-Journal in einem beitrag über die
absatzkrise von VW ernsthaft die redensart wiederholt: Wenn
die autoindustrie einen schnupfen hat, geht es Deutschland
schlecht.

So ist es. Man hat in D den Mikroelektronikmarkt ziemlich verpennt welche Bauteile Deines Rechners sind in D hergestellt (Ich meine jetzt nicht mit „Siemens“ gelabelt)?. Die chemische Industrie und die Pharmaindustrie hat unter der jetztigen Regierung ziemlich zu leiden.

D.h. es herrscht nach wie vor die vorstellung vor, dass die
fabrikproduktion die basis sämtlicher wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen dienstleistungen sei.

Wo kein Moos, da nix los. Selbst die Steuer- und Finanzoasen FL und CH haben eine solide Basis in der Produktion moderner Produkte.

Arbeitsplätze
in der autoindustrie haben einen ganz anderen politischen
stellenwert als arbeitsplätze in der altenpflege. Lehrer,
krankenschwestern usw. begegnen ständig dem mehr oder weniger
unterschwelligen vorwurf, sie seien parasiten, die auf kosten
der autobauer und tablettenköche lebten.

Naja, das stimmt jetzt aber nicht. Ohne Altenpfleger und Krankenschwestern müsste sich jeder selbst um seine kranken Angehörigen kümmern und könnte weniger produzieren.

Wie kommt’s, dass
sich die volkswirtschaftliche einsicht, dass auch eine
dienstleistung wert schöpft, immer noch nicht durchgesetzt
hat?

Ein grosses Land wie D kann als ein Volk von Dienstleistern, Bänkern und Consultants nicht auf Dauer bestehen. (Für kleine Länder wie Lu, FL, CH mag es anders aussehen).
Weshalb sollte sich eine Nationalökonmoie wie in China auf lange Sicht deutsche Consultants einkaufen? Zur Zeit wächst die Produktion dort rasant, das Know-how nimmt zu. Im Moment braucht man die Ausländer noch, aber wie lange? Consultants kosten Geld, das keiner gerne ausgibt. Zur Zeit lässt z.B.Siemens in China seine Mobiltelefone produzieren. Angeblich geht es dort ohne deutsches Personal (noch) nicht. Frage: Wie lange dauert es, bis einheimisches Personal das ebenfalls beherrscht und wie lande dauert es, bis diese Sparte von einem asiatischen Konzern geschluckt wird? Ich kenne die Antwort auch nicht, ich glaube aber, dass das innerhalb der nächsten 10 Jaher geschehen wird.

Oder ist das „neue“ das kriterium?
Sagt man sich da, das putzen der fabrikhalle schafft nichts
neues, während der dort gebaute fernseher etwas neues ist?

Wie soll man den High-Tech-Güter im Dreck produzieren?
Dir ist schon klar, dass Reinigungspersonal in High-Tech-Fabriken hochqualifizierte Fachkräfte sind?

Tanzen, sowie alles was nur irgendwie „lediglich“ Freude
bereitet, gilt demnach als „Muda“ = Verschwendung.

Das war aber bei den schönen Künsten immer schon so. Bereits früher war ein reiches kulturelles Leben doch eher ein Statussymbol „der Fürst kann es sich leisten“. Mit Musik und Tanz liessen sich auch früher keine Soldaten bezahlen.

Ciao R.

Das kann sich gar nicht durchsetzen.
Ganz einfach deshalb, weil Dienstleistung ohne Industrie von
heut auf Morgen den Bach runter gehen würde, der Industrie
dagegen auf Jahre hinweg egal sein könnte, wenn man heute alle
Lehrer und Pfleger entlassen würde.

Ah jetzt, ja! Da haben wir die stellungnahme, anhand der nun trefflich gestritten werden kann.
Ich greife zunächst deinen schluss heraus, das gar schröckliche szenario:

Was wäre, wenn wir einen teil des dienstleistungssektors still legen würden, z.b. alle schulen, kindergärten, krankenhäuser, arztpraxen und altenheime? Was geschähe dann mit der gedachten autofabrik?
Du behauptest, sie könnte noch jahrelang weiterproduzieren.
Ich dagegen gebe ihr nur ein paar tage, dann wäre schluss.

Alle weiblichen angestellten mit kindergarten- oder schulpflichtigen kindern sowie mit pflegebedürftigen angehörigen würden schon am zweiten tag zu hause bleiben müssen, weil ihre kinder, eltern usw. nicht mehr betreut werden.
Das dürfte etwa die hälfte aller sekretärinnen, sachbearbeiterinnen in der buchhaltung sowie des kantinen- und reinigungspersonals der autofabrik betreffen. Die folgen: großes chaos im management, chaos in der lohnbuchhaltung (wahrscheinlich fällt die nächste gehaltsauszahlung für die meisten arbeiter und angestellten aus); die kantine käme bald ans ende; die fabrik fängt an, in dreck und müll zu versinken.

Bei den meisten arbeitern und angestellten kommt angst auf: Was passiert, wenn ich krank werde oder verunglücke? Niemand wird mich retten; ich könnte elend krepieren oder verkrüppelt werden. Die ersten fangen an, aus diesem grund lieber zu hause zu bleiben und so die gefahr von wege- und arbeitsunfällen sowie von ansteckungen zu verringern. Andere haben ihre sterbende mutter zu hause liegen. Die ausfälle vergrößern für die verbleibenden arbeiter noch die unfallgefahr. Der erste verunglückt und verblutet, weil kein notarzt kommt. Das spricht sich rasch herum; bald ist nur noch die hälfte des sollpersonals am arbeitsplatz…

Wenn wir spaßeshalber andere dienstleistungsbereiche still legen, z.b. den handel oder die logistik, ist das ende noch viel schneller da. Ohne handel kann kein einziges fertiges auto mehr verkauft werden. Die manager versuchen vielleicht, die autos direkt ab werk zu verkaufen. Aber wehe, wenn auch die massenmedien nicht mehr arbeiten – dann erfährt kein kunde davon. Das wäre noch nicht das schlimmste. Die lebensmittelversorgung der belegschaft bricht schon nach wenigen tagen zusammen. Hungrige autoschrauber haben nun dringenderes zu tun als autos zusammenzuschrauben: Sie müssen sich um nahrungsmittel für ihre familie kümmern.

Und umgekehrt? Was passiert mit der schule, dem krankenhaus, wenn die autofabrik nicht mehr arbeitet?
Den fall hat’s ja schon öfter gegeben, immer dann, wenn die IG Metall irgendwo länger gestreikt hat. Von folgen für den schul- und krankenhausbetrieb ist mir nichts bekannt. Die fehlenden autos aus den stillgelegten fabriken kann man leicht ersetzen; weltweit werden ja genug autos produziert. Selbst wenn überhaupt keine neuen autos mehr reinkämen, könnte man mit den alten noch jahrelang weiter fahren, wenn man sie ein bisschen pflegt, repariert und rationeller nutzt.

Auf einmal wird umgekehrt ein schuh draus:
Materielle güter sind in der globalisierten welt leicht zu ersetzen; man kann sie von überall her heranholen. Bei den meisten dienstleistungen geht das nicht, da man sie nur an dem ort konsumieren kann, an dem sie produziert werden. Sauberkeit gibt’s nur da, wo die putzfrau arbeitet. Es gibt ausnahmen wie die softwareproduktion. Aber schon sämtliche mediendienstleistungen sind nicht international ersetzbar, da sie sprachgebunden sind.

Es ist in wirklichkeit also genau umgekehrt:
Ohne tricks läuft nix.
Tricks sind qualifizierte dienstleistungen.

gruß von tonikal
http://home.t-online.de/home/tonikal/

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Teilweise auch in VWL :wink:. In der klassischen Theorie sind
Dienstleistungen per Definition unproduktiv.

So, und genau das möchte ich mal eingehend diskutieren anhand meines obigen beispiels. Wenn ich zum tanzlehrer gehe, mir tanzen beibringen lasse und dem lehrer dafür geld gebe: Wieso wird dann KEIN wert geschöpft? Wieso ist das unproduktiv?
ICH würde sagen, auf beiden seiten wird neues geschaffen: Einer, der vorher nicht tanzen konnte, kann jetzt tanzen. Das ist neu, also ein wert. Und der tanzlehrer hat mehr geld auf dem konto, kann sich dafür z.b. schicke schuhe kaufen. Auch das ist neu, also ein wert.

Was Du sagen willst ist folgendes:
"Produktivitätsvergleiche von Dienstleistungs- und
Sachleistungsproduktion unterliegen systematischen
Verzerrungen, die letztlich aus der klassischen systematischen
Trennung von Hand- und Kopfarbeit resultieren. Diese Trennung
aber hat sich nicht nur in unseren Köpfen festgesetzt

und ist offensichtlich schwachsinnig, zumindest hoffnungslos veraltet, denn in einer hoch qualifizierten industrie- und dienstleistungsgesellschaft ist keine handarbeit mehr ohne kopfarbeit und keine kopfarbeit ohne handarbeit möglich.

Der Aufsatz ist auch sonst sehr lesenswert.

Guck ich mir gleich genauer an. Danke für den tipp.

Im

Gegenteil, man scheint dies in den letzten Jahren vergessen zu
haben, als eine Dienstleistungsgesellschaft als irreversible
Tertialisierung propagiert wurde.

Davon habe ich nicht gesprochen. Ich will lediglich darauf hinaus, dass dienstleistungen GENAU SO wertschöpfend sind wie die industrieproduktion. Wem von beiden die zukunft gehört, ist ein ganz anderes thema.

Z. b. hat
der ex-umweltschützer und ZEIT-redakteur Fritz Vorholz anfang
Januar in einem ZEIT-interview mit dem Club-of-Rome-gründer
Dennis L. Meadows gesagt, lehrer und ärzte seien nur zu
finanzieren, wenn autos verkauft werden.

Womit er recht hat.

Nein, hat er nicht. Schon ganz vordergründig nicht, denn die autokonzerne zahlen faktisch keine steuern mehr in Deutschland. Die lehrer werden also nicht aus den einnahmen der autokonzerne finanziert, sondern aus den einkommensteuern, die sämtliche beschäftigten bezahlen. Da in der autoindustrie nur ein kleiner bruchteil aller beschäftigten arbeitet (im gesundheits- und sozialwesen arbeiten z.b. ein vielfaches mehr beschäftigte als in autoindustrie einschl. aller zulieferbetriebe), tragen andere bereiche der volkswirtschaft (z.b. das hotel- und gaststättengewerbe) viel stärker zur finanzierung des staates und damit des bildungs- und gesundheitswesens bei als die autoindustrie.

Wenn

die autoindustrie einen schnupfen hat, geht es Deutschland
schlecht.

So ist es.

Nein, so ist es nicht. Das ist ein mythos, der aus den 50er und 60er jahren immer weiter mitgeschleppt wird.
Der deutsche einzelhandel hatte in 2001 (ohne autos und tankstellen) 379 Mrd. € umsatz und 2,8 Mio beschäftigte; die autoindustrie hatte 203 Mrd. € umsatz und 0,8 Mio. beschäftigte.
Warum sagt man nicht: Wenn der einzelhandel einen schnupfen hat, geht es D. schlecht?

Tanzen, sowie alles was nur irgendwie „lediglich“ Freude
bereitet, gilt demnach als „Muda“ = Verschwendung.

Das war aber bei den schönen Künsten immer schon so. Bereits
früher war ein reiches kulturelles Leben doch eher ein
Statussymbol „der Fürst kann es sich leisten“. Mit Musik und
Tanz liessen sich auch früher keine Soldaten bezahlen.

Und schon damals lautete die entscheidende frage: Wozu brauchen die menschen soldaten? Musik und tanz brauchen sie zum leben, da besteht kein zweifel. Aber soldaten?
Sollte der merkwürdige kult um den stahl und alles, was aus stahl besteht (z.b. autos), etwas mit dem kriegs- und waffenkult zu tun haben? Da hast du mich jetzt drauf gebracht.

Gruß von tonikal

Hallo tonikal,

es gibt durchaus weiter gefasste Definitionen zu „wertschöpfend“
z.B. eine wertschöpfende Tätigkeit ist eine Handlung, für die ein Kunde bereit ist, zu bezahlen.

Auch diese Definition kommt aus der herstellenden Industrie (Analyse des Wertstroms und Identifikation von wertschöpfenden und überflüssigen Prozessen), kann aber meines Erachtens auch generell angewandt werden.

Dementsprechend ist eine Dienstleistung dann wertschöpfend, wenn sie einen bezahlenden Abnehmer findet. Grenzen findet man aber schnell bei Haushaltstätigkeiten, wobei man hier aber bei einer Betrachtung von Kosten zu Nutzen landet. Ich denke, viele würden sich für 50 EUR im Monat ihren Haushalt von jemand Externen schmeißen lassen. Da das aber in D nicht funktioniert, sind Haushaltstätigkeiten natürlich wertschöpfend, aber nicht bezahlbar:wink:

Grüße
Jürgen

Hallihallo,

So, und genau das möchte ich mal eingehend diskutieren anhand
meines obigen beispiels. Wenn ich zum tanzlehrer gehe, mir
tanzen beibringen lasse und dem lehrer dafür geld gebe: Wieso
wird dann KEIN wert geschöpft? Wieso ist das unproduktiv?

Du hast schon recht, das ist halt so die Sache mit Definitionen. Das Problem bei solchen Definitionen ist nicht, dass sie gemacht werden, sondern, dass man eines Tages vergisst, das es keine bewiesenen Tatsachen sondern nur begriffliche Konventionen sind.

ICH würde sagen, auf beiden seiten wird neues geschaffen:
Einer, der vorher nicht tanzen konnte, kann jetzt tanzen. Das
ist neu, also ein wert. Und der tanzlehrer hat mehr geld auf
dem konto, kann sich dafür z.b. schicke schuhe kaufen. Auch
das ist neu, also ein wert.

Drücke es allgemeiner aus: Bildung und Ausbildung ist auch eine Art von Wertschöpfung und jeder wird Dir zustimmen. Das gleiche gilt für Lebensfreude und Erholung.

…Davon habe ich nicht gesprochen. Ich will lediglich darauf
hinaus, dass dienstleistungen GENAU SO wertschöpfend sind wie
die industrieproduktion. Wem von beiden die zukunft gehört,
ist ein ganz anderes thema.

Ja und nein. Ich denke, man kann genausowenig alle Dienstleistungen in einen Topf werfen, wie man die Industrieproduktion in einen Topf werfen kann.

…(z.b. das hotel- und gaststättengewerbe) viel stärker zur
finanzierung des staates und damit des bildungs- und
gesundheitswesens bei als die autoindustrie.

Wichtig ist auch die Aussenhandelsbilanz. Hier leistet die produzierende Industrie einen wichtigen Anteil. Was Du beschreibst, ist die augenblickliche Situation, in der sich D zu einem Einkommenssteuer-Staat entwickelt hat. (In CH ist das nicht der Fall.)
Ich halte diese Situation für sehr bedenklich, da eine hohe Steuer- und Abgabenlast die Leistungsbereitschaft der Bürger senkt und damit letztlich die Volkswirtschaft schwächt. Wie oft hört (oder liest man in w-w-w) „arbeiten lohnt sich nicht für mich, weil …“?

…Warum sagt man nicht: Wenn der einzelhandel einen schnupfen
hat, geht es D. schlecht?

Weil es vereinfacht gesagt so ist: Wenn die Automobil- und sonstige Industrie Schnupfen haben, hat auch der Einzelhandel einen Schnupfen. (Was im Moment der Fall ist). Dazu kommt noch die Symbolkraft der Automobilindustrie. Ich denke aber, man kann beides nicht trennen. Was noch dazu kommt ist, dass die Automobilindustrie einen enormen politischen Einfluss hat, den die chemische Industrie zur Zeit anscheinend nicht hat. (Zumindest bekommt man den Eindruck, wenn man die jeweiligen Firmensprecher reden hört).
Allerdings sollte man bei der Diskussion auch nicht vergessen, dass der Mittelstand für D eine wichtige Rolle spielt.

Zahlen zu den jeweiligen Sektoren findest Du hier:
http://www.destatis.de/
http://www.destatis.de/basis/d/vgr/vgrtab10.htm
Dort sieht man, dass 26,9 Mio Beschäftigte von insgesamt 38,2 Mio im Dienstleistungssektor arbeiten

Einen Vergleich Tabelle der Wertschöpfungen findest Du hier:
http://www.destatis.de/basis/d/vgr/vgrtab3.htm

…Und schon damals lautete die entscheidende frage: Wozu
brauchen die menschen soldaten? Musik und tanz brauchen sie
zum leben, da besteht kein zweifel. Aber soldaten?
Sollte der merkwürdige kult um den stahl und alles, was aus
stahl besteht (z.b. autos), etwas mit dem kriegs- und
waffenkult zu tun haben? Da hast du mich jetzt drauf gebracht.

:wink:, ich sage nur „Volkswagenwerk in Wolfsburg“. Ich sehe, Du hast mich verstanden.
Das könnte auch der Grund sein, weshalb es auf unseren Autobahnen kein Tempolimit gibt. Was in anderen Ländern der Colt oder das Messer, ist bei uns das Gaspedal. Ein Symbol von Freiheit und Männlichkeit.

Einen schönen Tag wünscht
R.

Hallo,

Auf einmal wird umgekehrt ein schuh draus:
Materielle güter sind in der globalisierten welt leicht zu
ersetzen; man kann sie von überall her heranholen. Bei den
meisten dienstleistungen geht das nicht, da man sie nur an dem
ort konsumieren kann, an dem sie produziert werden. Sauberkeit
gibt’s nur da, wo die putzfrau arbeitet. Es gibt ausnahmen wie
die softwareproduktion. Aber schon sämtliche
mediendienstleistungen sind nicht international ersetzbar, da
sie sprachgebunden sind.

Hier muss ich widersprechen. Dieser Ansatz hat zu schweren Krisen in Spanien und Portugal und zum Ende des goldenen Zeitalters geführt. Aufgrund des riesigen Reichtums sanken zunächst die Investitionen, da kaum lohnende Investitionsmöglichkeiten vorhanden waren (Waren wurden einfach importiert). Es kam zu einer Inflation, unter der besonders die Bauern und Arbeiter litten. In der Folge führte das zum Abstieg beider Weltmächte. Kurz gesagt: Eine Geldquelle und die Möglichkeit Waren zu importieren, sind keine Garantie für das langfristige Wohlergehen einer Nation.

Ciao R.

ICH würde sagen, auf beiden seiten wird neues geschaffen:
Einer, der vorher nicht tanzen konnte, kann jetzt tanzen. Das
ist neu, also ein wert. Und der tanzlehrer hat mehr geld auf
dem konto, kann sich dafür z.b. schicke schuhe kaufen. Auch
das ist neu, also ein wert.

Oder, besser gesagt:
Auf seiten des tanzlehrers wird das kriterium der kapitalbildung erfüllt, das weiter unten im baum jemand angeführt hat.