Wohin wandert der Wohlstand in einer Rezession?

Hallo zusammen!

Ich hab eine ähnlich gelagerte Frage zwar schon auf gutefrage.net gestellt, aber keine zufriedenstellende Antwort erhalten und mir sind dort zu viele Wichtigtuer unterwegs. Ich hoffe ich finde hier ein kompetenteres und ehrlicheres Umfeld!

Die Weltwirtschaft kühlt sich ab, das ist ja inzwischen nichts Neues mehr. Was ich dabei nicht ganz verstehe (bzw. wofür ich andere Vermutungen habe) ist, wohin das Geld bzw. auch der Wohlstand der damit verbunden ist, hinwandern? Nicht nur unter dem Aspekt der globalen Konjunktur sondern auch der Makroöknomie eines Landes oder z.B. der Eurozone.

Wenn man mal annimmt, dass uns die Erde allen genug gegeben hat, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen (und davon bin ich felsenfest überzeugt!), dann kann sich der Wohlstand ja eigentlich nicht in Luft auflösen (als Techniker sehe ich hier eine Analogie zum Energieerhaltungssatz in der Physik). Er kann also nur verlagert werden und es ist mein Eindruck dass genau das geschieht: Arm wird immer ärmer, reich immer reicher - da reich jedoch das Meiste seines Geldes hortet und auf ausländischen Bankkonten deponiert, kann dieses Geld nicht die Wirtschaft beleben. Arm hat jedoch überhaupt nicht mehr genug Geld, um diese Funktion zu erfüllen -> die Wirtschaft kühlt ab.

Sehe ich das so richtig? Bitte um Antworten und Erläuterungen. Vielen Dank,

merendo

Hallo Merendo

Das ist eine sehr spannende Frage! Als Ingenieur der Naturwissenschaften stellst Du sie richtig
Ich habe mir die Frage auch als Ingenieur gestellt und denke schon drei, vier Jahre darüber nach. Ich versuche, meine Überlegungen zu beschreiben.

Grundsätzlich: was ist Geld? Geld ist eigentlich eine Grösse von Arbeit. Arbeit die geleistet wurde (Lohn) oder die noch geleistet wird (Kredit).
Wenn also jemand Geld auf dem Konto hat, ist das gespeicherte Arbeit.
Ich komme später darauf zurück.

In der Rezession werden Dinge günstiger. Warum? Weil die Leute erst weniger kaufen, weil z.B ihre Stellen gestrichen wurden, und dann kaufen sie weniger, weil erwartet wird, dass Dinge noch günstiger werden. Wenn aber weniger gekauft wird, dann entlassen Firmen ihr Personal. Das wiederum sind aber eben auch Leute, die dann weniger kaufen. In der Physik könnte man von Eigenresonanz sprechen.

Geld wird, meiner Ansicht nach, aber in der Rezension nicht vernichtet, sondern Arbeitskapazität. Im Gegensatz zur Inflation, wo Geld vernichtet wird.

Hingegen versuchen die Natinalbanken die Rezession zu bremsen, indem Sie Geld aus dem Wirtschafskreislauf nehmen, Also die Balance zwischen Geld- und Arbeitsmenge korrigieren.
Das ist dann tatsächlich ein Vernichten; also zum Beispiel das tatsächliche Schreddern von Banknoten.

Deine nächste Frage wäre dann wohl: wohin geht das Geld in der Inflation? Denn da wird es ja „vernichtet“ wie du das definiert hattest. Aber mein Zug kommt jetzt an, du müsstest nochmals fragen :wink:

Grüsse
Oliver

p.s
das ist meine Erklärung. In der Theorie gibts noch mehr.
Lies UNBEDINGT das Buch Economix!!!

mir fällt gerade auf, dass ich dir die Deflation beschrieben habe.

Die Rezession ist nur das Resultat und heisst eigentlich nur „es geht allen wirtschaftlich schlecht“.

Die Mechanik dahinter ist Deflation und Inflation.

Hallo Oliver,

Zunächst einmal vielen Dank für deine Antwort. An zwei Stellen möchte ich gezielt einhaken. 1.) Was ist Geld? Hierzu gibt es gewiss Unmengen an Literatur aber mit der Zusammenfassung dass Geld = Arbeit bin ich soweit einverstanden. Früher als es noch ausschließlich den reinen Tauschhandel gab, gab es eben statt Geld Ware, wie etwa Lebensmittel oder Kleidung. Von dieser Ansicht aus müsste es aber doch theoretisch immer mehr und mehr Geld geben, auch wenn Arbeitsplätze wegrationalisiert werden, denn effektiv wird ja weiterhin (mehr) Ware produziert. Der technische Fortschritt, und ich denke da bedarf es wirklich keiner Debatte, erlaubt ja in stets zunehmendem Maße dass immer noch mehr Ware produziert wird - nicht nur Lebensmittel (aber auch diese, siehe Gen-Mais und -Soja in den USA), sondern Luxusgüter wie Autos, 60" Flachbildfernseher, Gebäude aller Art, usw. Trotzdem scheint der allgemeine Wohlstand momentan abzunehmen. Ist das nur subjektiv so?

2.) Wenn es allen schlecht geht, wohin ist dann das Geld verschwunden, dass aufgrund der in immer noch größeren Mengen produzierten Ware entstanden sein sollte? Wie gesagt, ich glaube die Erde kann uns alle bequem satt halten, einkleiden, uns ein Dach über dem Kopf und ein glückliches Leben geben.

Hallo merendo,

eigentlich hast Du schon einige wichtige Aspekte genannt.
Die Frage zu beantworten - könnte man aber ein ganzes Buch schreiben.
Zunächst einmal ist nicht zu vergessen, dass das meiste Vermögen nicht irgendwo auf Konten rumliegt, sondern in Industriewerke, Technologien, Häusern und Immobilien jeder Art vorhanden ist.

Hier ist dann in einer Rezession erheblich Bewegung zu verzeichnen, einerseits, wenn investiertes Vermögen vernichtet wird (durch Betriebs- und Werkspleiten), durch sinkende Anlagewerte (Aktiendepots sind weniger Wert, wenn man die dann selber verkaufen MUSS, weil man selber bestimmte Einnahmen nicht mehr hat - ist das Buch-Vermögen vernichtet).
Also Rezession vernichtet schon Vermögen - andererseits beschert es andren Leute, die die Aktien billig kaufen, die den „Rest“ des Werkes kaufen, die Möglichkeit beim nächsten Aufschwung billig zu Wohlstand zu kommen.
Insgesamt kann also in einer Rezession der Wohlstand sinken - insofern gilt der Energieerhaltungssatz nicht (frag mal die US-Bürger, die ihre Häuser unter Wert verkaufen mussten)

Was aber total richtig an Deiner Denkweise ist, dass die, die Geld haben, Mechanismen nutzen, um in einer Rezession, die Masse der Lasten auf die breite Mittelschicht abzuladen und selbst aus diesen und jenen Maßnahmen noch Nutzen zu ziehen.
So dient die ganze Bankenrettung nicht dazu - Dein und mein Sparguthaben zu sichern - das hätte man viel billiger haben können, indem man das ganze Geld einfach in einen Sparguthabensicherungsfonds steckt.
Nein, man will natürlich die großen Vermögen sichern und gibt denen die Geld haben nun noch die Möglichkeit sich dumm und dämlich zu verdienen (Differenz Zinssatz zwischen aufgenommenem Kredit - ausgegebenem Kredit, preiswerter aufkauf von Immobilien und schwächelnden Industrien (die man dann in Phase des Aufschwungs gewinnbringend verkauft) usw… usf.

Wie ich schrieb - dies ist nur ein kleiner Teil, was dazu zu sagen wäre.
Weiterführend müsstest Du dann doch schon mal echte Ökonomiebücher lesen - möglichst NICHT von regierungsnahen Ökonomen wie Ptof. Sinn geschrieben - da steht eher viel Un-sinn drin, was sich schon daran zeigt dass er sich in dieser Krise ja fast vierteljährlich korrigieren musste :smile:

  1. ja, es gibt immer mehr Geld.

  2. die Erde kann genug ernähren, ja. Aber die Verteilung ist falsch.

Ergänzend zu Cocktail tendiere ich da gar zu argumentieren, dass Geld gar nie verschwindet sondern immer nur umverteilt wird. Ausser wenn eine Nationalbank Geld einzieht.

An politischen Diskussionen zur Geldpolitik und der fragwürdigen Bankenrettung mag ich mich nicht beteiligen…

Jedenfalls kann ich das Buch Economix empfehlen. Es zeigt die Zusammenhänge brilliant im Comic Stil mit allen (!) wichtigen Theorien und der Geschichte. Kritisch aber neutral.

http://www.amazon.de/Economix-Economy-Works-Doesnt-P…

ahja… und der Wohlstand für der Allgemeinheit, der verschwindet ganz einfach während der Rezession.
(ist krediifinanzierter Wohlstand wirklich Wohlstand? )

Der Wohlstand als absolute Menge nimmt wohl nicht ab. Die Mittelschicht verschwindet - also die Mehrheit der Leute.
Gründe hierfür sind die enorme Inflation der letzten 20Jahre sowie der Wegfall einfacherer Arbeiten durch Automation.

Vielen Dank erst mal für deine und Olivers (weitere) Ausführungen.

So 100% einleuchtend ist die Sache für mich immer noch nicht, aber das war es mir schon zu meinen FOS-Wirtschafts-Zeiten nicht ^^ Hat also einen Grund warum ich Elektroniker wurde.

Eine Frage wäre noch zu klären: Ist Geld denn nun genau Arbeit, oder Ware? Denn wenn Geld nur Ware ist, würde auch beim Wegfall von Arbeitsplätzen durch Automatisierung weiterhin mehr Geld entstehen. Ist Geld jedoch Arbeit, dann ist die Frage ob die Arbeit eines Menschen genauso viel zählt wie die eines Roboters, der zwar in der Anschaffung etwas teurer ist, dafür aber nur noch Strom und etwas Wartung will, rund um die Uhr arbeiten kann und garantiert nie an gewerkschaftliche Organsiation denkt ^^ Wenn diese beiden Arbeiten gleichwertig sind, dann würde ja durch Automation eben noch mehr Geld bzw. Wert enstehen als durch einen Menschen - aber wo wandert dieses Geld dann hin? Freuen sich die Aktionäre eines großen Unternehmens darüber? Oder der CEO?

Ich werde mal versuchen, mir das Buch Economix anzuschaffen. Vielen Dank jedenfalls schon mal für den Tipp!

Daaaa liegt der Hase im Pfeffer :smile:)
Geld ist „Vertrauen in ein Stück Papier“ - oder früher in Salz, Gewürze oder Gold eben.

Geld ist also nur ein Mittler, damit Du als Hersteller eines Tisches und Bedürftiger von gexschirr nicht mit Deinem Tisch zum Geschirrhersteller wandern musst, hoffend, genau DER will auch DEINEN Tisch. (er könnte ja auch den Tisch Deines Nachbarn schöner finden und der Besteckhersteller aber Deinen Tisch - aber Du brauchst Geschirr und kein Besteck)

Zu Deiner Frage: Arbeit ist der „Messwert“ des Wertes.
Also die Spannung die in der Batterie steckt.
Da auch im Roboter Arbeit steckt (a) zur Produktion des Roboters, b) zur Wartung und Bedienung)„vererbt“ sich also die in den Roboter gesteckte Arbeit auf das Endprodukt.
Das ist aber alles „gesellschaftlich nutzlose“ Arbeit, wenn das Produkt keinen Käufer oder Tauschpartner findet.
Ein überspitztes Beispiel:
Mit einem PC von 1990 wirst Du heute kein Massengeschäft aufziehen können - alle Arbeit, die Du da reingesteckt hast ist „wertlos“ - die Konsumgüter (Essen, Trinken usw.), die Du in der Produktionsphase Deines veralteten PC vorfinanziert hast sind verbraucht - also ist entweder Dein Vermögen, mit dem Du diese Konsumgüter bezahlt hast vermindert oder Du hast Dich verschuldet und kannst nun den Kredit nicht zurück zahlen.
Und ob Du nun einen alten PC als Beispiel nimmst - oder die Eröffnung des 20. Restaurants in einer 100 m langen relativ unbelebten Straße… ist egal.

Hallo Merendo,

ich will versuchen, noch einen etwas anderen Aspekt der Frage mit aufzugreifen. Dazu werde ich deine Frage in mehrere Komponenten zerlegen und versuchen ein paar Ansätz mit hineien zu bringen. Die bisherige Diskussion finde ich sehr gut, mir fehlt aber eine Einordnung der einzelnen Aspekte in das von uns gewählte Wirtschaftssystem.

Die Weltwirtschaft kühlt sich ab, das ist ja inzwischen nichts
Neues mehr. Was ich dabei nicht ganz verstehe (bzw. wofür ich
andere Vermutungen habe) ist, wohin das Geld bzw. auch der
Wohlstand der damit verbunden ist, hinwandern? Nicht nur unter
dem Aspekt der globalen Konjunktur sondern auch der
Makroöknomie eines Landes oder z.B. der Eurozone.

Das Geld, das in den letzten Boom Phasen entstanden ist, wandert nicht ab. In Phasen des Wirtschaftswachstum wird auf Kredit finanziert in „reale“ oder „finanz“ Produkte investiert. Die Investitionen werden in der Erwartung höherer Profite getätigt. Durch die Dezentrale Planung, die wir im Kapitalismus haben versucht dabei jeder „Investor“ bzw. „Unternehmer“ einen möglichst großen Anteil der Entstehenden Werte für sich zu bekommen. Dies führt zu Überproduktion. Durch die Überproduktion müssen irgendwann die Akteure auf den „Märkten“ feststellen, dass sie nicht mehr alle Produzierten Güter absetzen können. Da sie nicht mehr alle Produzierten Güter absetzen können, werden ihre Profiterwartungen nicht erfüllt. Sie können deshalb die „Investoren“ nicht mehr in vollem Umfang ausbezahlen. Es kommt zu Zahlungsausfällen. Durch das Ausbleiben der Rückzahlungen müssen die „Investoren“ die Werte die sie erwartet haben, die in den Kreditverträgen verankert sind, abschreiben. Durch die Abschreibung schrumpft ihre Bilanz. Das Schrumpfen der Bilanzen, ist das was wir als abkühlen der Weltwirtschaft wahrnehmen.

Wenn man mal annimmt, dass uns die Erde allen genug gegeben
hat, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen (und davon bin ich
felsenfest überzeugt!), dann kann sich der Wohlstand ja
eigentlich nicht in Luft auflösen (als Techniker sehe ich hier
eine Analogie zum Energieerhaltungssatz in der Physik).

Es gibt dazu ein sehr schönes Zitat: „Auf der Erde gibt es genug für die Bedürfnise aller, aber nicht genug für die Gier einiger weniger.“
Da alle Wirtschaftssubjekte (insbesondere Unternehmen) versuchen müssen langfristig zu überleben, müssen sie versuchen ihren Profit zu steigern. Wenn die Unternehmen nicht alles dafür tun, ihren Profit zu steigern, müssen sie vom Markt verschwinden, das heißt sie gehen pleite, da sie ihre Verpflichtungen nicht mehr erfüllen können. Die Analogie zum Energieerhaltungssatz kannst du für das Geldsystem für das wir uns im Moment entschieden haben nicht annehmen. Geld entsteht durch Schulden. Es muss sich immer ein Wirtchaftssubjekt verschulden, das heißt einen Kredit aufnehmen, damit Geld entsteht. Mit einem Kredit entsteht aber weniger Geldangebot als er an Geldnachfrage schafft. Da durch den Zins Mechanismus mehr Geld zurückgezahlt werden muss als durch die Kredite geschaffen
wurde.

Es kann also nur verlagert werden und es ist mein Eindruck dass
genau das geschieht: Arm wird immer ärmer, reich immer reicher

  • da reich jedoch das Meiste seines Geldes hortet und auf
    ausländischen Bankkonten deponiert, kann dieses Geld nicht die
    Wirtschaft beleben. Arm hat jedoch überhaupt nicht mehr genug
    Geld, um diese Funktion zu erfüllen -> die Wirtschaft kühlt
    ab.

Diesen Effekt nennt man auch die Kapital Akkumulation, sie entsteht durch den Besitz an materiellen Gütern, der schon zu Zeiten der Sklavenhaltergesellschaft bzw. im Mittelalter entstanden ist.
Das Geld liegt nicht nur auf Ausländischen Banken rum. Dadurch würde es sehr schnell seinen Wert verlieren. Sondern das Geld, das du ansprichst, sind die Gelder die an den Geld- und Devisenmärkten verschoben werden.
Ja es ist richtig, Menschen mit sehr viel Einkommen haben eine niedrigere Konsumquote als Menschen mit wenig Einkommen.

Meine Aussagen basieren größtenteils auf den Theorien des Marxismus und des Postkeynesianismus.

Im Prinzip denke ich, dass theoretisch die Menschheit auf der Erde schon gut leben könnte, solange es nicht zu dramatischen Naturkatastrophen kommt. Aber um dies zu realisieren, müssen die Menschen in der Gesellschaft das Sagen haben, die dieses Ziel anstreben und auch intelligent genug sind, dies zu realisieren.

Siehe dazu auch „Die Prinzipien der Dummheit“:
http://www.pci.tu-bs.de/aggericke/Mitarbeiter/gerick…

In einer Rezession werden einfach relativ wenig Waren und Dienstleistungen verkauft, und das liegt in unserer Gesellschaft normalerweise nicht an Produktivitätsproblemen, sondern an der relativ geringen Nachfrage.

„Geld“ ist entweder Bargeld oder Forderungen auf (Bar-)Geld. Wenn es in einer Rezession zu mehr Pleiten/Überschuldungen kommt, dann kommt es auch zur vermehrten „Geldvernichtung“, denn durch die Zahlungsunfähigkeit einiger Schuldner verlieren die Gläubiger dieser Schuldner Geld, da sie das Geld bei den Schuldnern nicht mehr eintreiben können.

Gruß

Matthias