Zeugnisformulierungen im Hauptschulzeugnis

Liebes Forum und vor allem liebe Lehrer,

ich bin gerade dabei, die Bewerbungen für eine Lehrstelle in einem kleinen Maschinenbaubetrieb zu sichten. Natürlich sind da die Bemerkungen im Zeugnis ein wichtiges Indiz.

Nun lese ich hier in einem Fall:
„XXX kann Fragen gut aufnehmen, durchdringen und sprachlich ausgewogene Antworten geben. Beim Erfassen von Texten gibt er sich große Mühe, wesentliche Inhalte wiederzugeben.“

Diese Bemerkung ist nach üblicher Lesart verheerend. Allerdings passt das nicht recht zum Notendurchschnitt von 2,3.

Darum meine Frage:
Wie gut wissen Lehrer über die in Zeugnissen üblichen Formulierungen Bescheid? Wie sehr halten sie sich an Konventionen? Und denken Lehrer bei der Bemerkungsformulierung an eine zukünftige Bewerbungssituation oder steht ausschließlich das abgelaufene Schuljahr im Vordergrund?

Und letztlich:
Meint Ihr, ich soll über den Kandidaten noch mal nachdenken oder die Bewerbung auf dem Ablagestapel lassen?

Gruß
Hardey

Hallo Hardey,

da ich selbst mal Pauker war: einige meiner Kollegen bemühten sich um angemessene Formulierungen, andere nicht. Dieser Abschnitt ist meines Erachtens ein Widerspruch in sich selbst:

„XXX kann Fragen gut aufnehmen, durchdringen und
sprachlich ausgewogene Antworten geben. Beim Erfassen von
Texten gibt er sich große Mühe, wesentliche Inhalte
wiederzugeben.“

Und Du hast ganz Recht:
Der letzte Satz ist nach üblicher Lesart verheerend.

Allerdings passt das nicht recht zum Notendurchschnitt von
2,3.
Darum meine Frage:
Wie gut wissen Lehrer über die in Zeugnissen üblichen
Formulierungen Bescheid? Wie sehr halten sie sich an
Konventionen? Und denken Lehrer bei der Bemerkungsformulierung
an eine zukünftige Bewerbungssituation oder steht
ausschließlich das abgelaufene Schuljahr im Vordergrund?

Wie ich bereits gesagt habe: Einige Lehrer wissen überhaupt nicht, was sie mit ihren Beurteilungen anrichten.

Meint Ihr, ich soll über den Kandidaten noch mal nachdenken
oder die Bewerbung auf dem Ablagestapel lassen?

Denk noch mal über ihn nach, führe ein Gespräch mit ihm. Vielleicht war er ja im literarischen Bereich nicht sonderlich gut und musste sich deshalb „beim Erfassen von Texten große Mühe“ geben. Die Fähigkeit braucht er in einem Maschinenbaubetrieb nicht.

Grüße
Pit

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Hallo Hardey,

Nun lese ich hier in einem Fall:
„XXX kann Fragen gut aufnehmen, durchdringen und
sprachlich ausgewogene Antworten geben. Beim Erfassen von
Texten gibt er sich große Mühe, wesentliche Inhalte
wiederzugeben.“

ich hab erst Erfahrungen mit Formulierungen in Grundschulen.
Dort liegt eine solche Formulierung im Bereich 2 - 3, was ja grob der gegebenen Duchschnittnote entspricht.
Man kann solche Formulierungen nicht mit dem üblichen Zeugnissdeutsch vergleichen, kein Schüler hat ‚stets zur vollsten Zufriedenheit‘ gearbeitet, da scheinen sich die Haare der deutschkundigen Herrschaften gesträubt zu haben.
Entsprechend müssen diese Formulierungen gelesen werden.
Schlechte Bewertungen werden nämlich auch als schlechte ausformuliert.
‚Hatte große Mühe, den Inhalt zu erfassen und schaffte es selten, …‘

Denn in solche Zeugnisse dürfen durchaus negative Formulierungen ein, was in Arbeitszeugnissen eben nicht geht (Wohlwollenspflicht).

Gandalf

Arbeitszeugnis ungleich Schulzeugnis?
Hallo Hardey,

wenn ich mich nicht irre, ist ein wesentlicher Unterschied zwischen Arbeits- und Hochschulzeugnis, dass Schulleistung benotet werden darf, Arbeitsleistung aber nicht?

Wen interessiert denn noch der Text, wenn die entsprechenden Noten vergeben worden sind?

Ein Lehrer muss doch nicht in diesen lächerlichen Codes schreiben, da er doch bewerten kann und soll. Ein Arbeitgeber soll (und kann) dies nicht, widersetzt sich dem aber durch diesen furchtbaren Code im Zeugnis.

Lieben Gruß
Patrick

Lieber Hardey,

als LehrerIn von Abschlussklassen ist man eigentlich schon angehalten, nichts Negatives ins Zeugnis zu schreiben. Vielleicht war es aber trotzdem doch nur eine unglückliche Formulierung der Lehrkraft. Wie sieht denn die Deutschnote aus?

Ich habe inzwischen schon öfter die Erfahrung gemacht, dass es das beste ist, sich ein eigenes Bild zu verschaffen.

Darum: Gib dem Kandidaten doch die Chance, sich bei dir vorzustellen!

meint Claudia

Danke für Eure Antworten. Ich muss aber gestehen, dass ich auch durch diese einen endgültigen und befriedigenden Grad der Weisheit noch nicht erreicht habe. :smile:

Euren Antworten entnehme ich, dass in Schulzeugnissen die Bemerkung großen Interpretationsspielraum frei lässt. Noten wären das objetivere Kriterium. Auf der anderen Seite habe ich auch schon kennengelernt, dass Schulnoten mit den Anforderungen an das Berufsleben nur bedingt etwas zu tun haben, d.h. eine Mathematiknote wenig Aussagekraft über die spätere Leistung um Fachrechnen aussagt.

Ich werde mich wohl weiter auf Gefühl und Intuition verlassen müssen.

Gruß
Hardey

PS. XXX habe ich auf Platz 1 der Warteliste gesetzt, bei einer Absage wird er eingeladen.

PS2. Eines würde mich vielleich noch interessieren: Wenn Lehrer Zeugnisse schreiben, wen will er mit seiner Bewertung erreichen? Wer ist sein gedankliches Gegenüber?

  • der Schüler?
  • seine Eltern?
  • ein möglicher Arbeitgeber oder Stipendiumsvergeber?
  • oder noch jemand anderes?
  • oder alle zusammen?

Moin,

PS2. Eines würde mich vielleich noch interessieren: Wenn
Lehrer Zeugnisse schreiben, wen will er mit seiner Bewertung
erreichen? Wer ist sein gedankliches Gegenüber?

Das kommt auf die Jahrgangsstufe an; ein Abschlusszeugnis richtet sich gewiss auch an zukünftige Arbeitgeber oder Stipendiumsvergeber. Ansonsten sind wohl eher Schüler und Eltern das gedankliche Gegenüber.
An meiner Ex-Schule gab es auf Abschlusszeugnissen keine Bemerkungen; in den Jahrgängen 5 - 8 wurden die Schüler in den Bemerkungen direkt angesprochen, z.B.: „Du hast dich intensiver am Unterricht beteiligt und so deine Leistungen sehr verbessert“. Das lesen natürlich auch die Eltern, und freuen sich.

Grüße
Pit

Jede Note (Bewertung) sagt auch immer etwas über denjenigen aus, der sie vergibt!

Hallo Hardey,

vielleicht sollte man generell mit diesen „geschönten“ verschlüsselten Zeugnissen aufhören, denn selbst die Personaler oder Abteilungsleiter der Firmen sind nicht alle gleich firn in der „Kunst“ des richtigen und gerechten Verfassens bzw. Interpretierens verschlüsselter Zeugnisse.

Aufgrund zahlreicher für jedermann erhältlicher diverser Entschlüsselungsratgeber wird es vermutlich noch nicht einmal etwa eine allgemeingültige Verschlüsselungsnorm geben, es scheinen sogar verschiedene miteinander zu konkurrieren. Jedenfalls fehlt unter Arbeitszeugnissen der Hinweis, nach welcher „Schule“ dieses Zeugnis verschlüsselt wurde.
Das ist so als ob zwei Parteien verschlüsselt kommunizieren, aber unterschiedliche Codes verwenden.

Nutznießer des ganzen mag vielleicht neben den Buchverlagen auch die Branche der „Unternehmens-„ und „Personalberater“ und deren „Bildungsträger“ sein, wenn sie einträgliche Bedarfe nach Literatur oder Schulungsseminaren schaffen und bedienen.

Somit kann der benotete und bewertete u.U. Opfer schicksalhafter Fehlinterpretationen dritter werden.

Es ist aber auch nicht nur in Deinem konkreten Falle nicht auszuschließen, daß der oder die Lehrer solche Verschlüsselung überhaupt nicht anwenden, gar nicht kennen oder es so schreiben wie sie es ehrlich meinen und dabei vielleicht ungewollt Formulierungen wählen, die rein zufällig in etwa mit den üblichen verschlüsselten Standartfloskeln übereinstimmen, jedoch negativ besetzt sind.
Zudem neigen leider all zu oft bestimmte Lehrer dazu, z.B. Schüler vor versammelter Klasse bloßzustellen und vorzuführen, warum sollten solche Lehrer plötzlich bei den Zeugnis-Zusatzbemerkungen darauf Rücksicht nehmen wollen, „wohlwollend“ zu formulieren.

Die einzig einigermaßen objektive Bewertung in Schulzeugnissen sind Benotungen.
Jegliche zusätzlichen Bewertungen oder Kommentare sind an sich überflüssig und sogar schädlich, weil u.U. zu sehr subjektive Anschauungen aber auch Charakterzüge der Lehrer wie auch deren Vorbehalte oder gar Antipathien gegenüber bestimmten Schülern mit einfließen können.
Aber was will man von einem mittlerweile kaputt reformierten Schulsystem noch erwarten. Die Abschaffung der „Kopfnoten“ vor was weiß ich 30 Jahren zeigt, wie seltsam doch Kultusverantwortliche ticken.
Da Kopfnoten wie etwa Ordnung oder Fleiß fehlen, bekommt u.U. das größte Mathegenie eine schlechte Mathenote, weil es meinetwegen öfter das Schulheft vergessen hat. Da die Möglichkeit fehlt, solches Schludern in einer übergreifenden nicht fachbezogenen Kopfnote zu benoten, bleibt dem Lehrer nichts anderes übrig, als die Bewertung der Ordnung in die Mathebenotung bzw. deren endlicher zeugnisrelevanten Durschnittsberechnung mit einzubeziehen.
Somit wird ein Genie in seinem Fach um seine Zukunftschancen gebracht und der Gesellschaft und Volkswirtschaft kluge Köpfe vorenthalten.

Vielleicht solltest Du die Lehrerkommentare einfach generell ignorieren dafür mehr Augenmerk auf die Formulierung des Bewebungsschreibens legen. Für mich wäre z.B. ein Bewerber mit vorgekautem 08/15 Standartbewerbungs-Schmu nicht gerade prickelnd, denn ich müßte doch vermuten, wenn der noch nicht einmal einen eigenen Bewerbungstext zustande bringt, wie soll er dann in seinem Fach selbstständig und kreativ etwas auf die Beine bringen. Und ein etwas schlampiger dafür aber fachlich talentierter Bewerber wäre mir auch lieber als ein ordentlicher sich jedoch als fachliche Niete erweisender.
Vielleicht sollte man sich auch wieder mehr auf das Bauchgefühl verlassen und nicht alles so „verkopfen“. Am besten macht man sich ein persönliches Bild (wohl nicht einfach bei der vermutlich hohen Zahl an Bewerbungen). Das bedingt natürlich einen gewissen Zeit- und Kostenaufwand, aber jeder Kleingärtner weiß doch, das nichts umsonst ist, daß man erst Zeit und Mühe investieren muß um später um so reicher zu ernten.

Wir sollten grundsätzlich wieder ehrlicher miteinander umgehen. Schlechte Leistungen in Schule oder Beruf hat sich jeder selbst zuzuschreiben und muß mit entsprechenden Bewertungen rechnen. So ehrlich und real die schlechte Leistung war, so ehrlich, real und eindeutig und allgemeinverständlich sollten auch Bewertungen und Arbeitszeugnisse sein.

Gruß, querulant49