Zitat Heine

Hallo Experten,

Habe gestern auf dem Kirchentag ein wunderbares Zitat von Heine gelesen (und vergessen, wo!), das sinngemäß lautet:

Europa verdankt den Juden sehr viel, unter anderem das Christentum, das ich aber nicht weiter erwähnen will, weil es heutzutage kaum noch eine Rolle spielt.

Weiß jemand, wie es richtig lautet?
Gruß!
Karl

Hallo Karl,

Europa verdankt den Juden sehr viel, unter anderem das
Christentum, das ich aber nicht weiter erwähnen will, weil es
heutzutage kaum noch eine Rolle spielt.

ich wüsste nicht so recht, wo ich dieses Zitat finden sollte - ich vermute, dass es eines der gar nicht so unüblichen ‚Zitate‘ ist, die zwar der, dem sie zugeschrieben werden, nie gesagt hat aber von denen manche Leute nicht nur meinen, er könnte sie so gesagt haben, sondern sogar, er müsste

Schaun mer mal, was Heine tatsächlich zu dem Thema mal gesagt (bzw. nachweislich geschrieben) hat:

„Ja, den Juden, denen die Welt ihren Gott verdankt, verdankt sie auch dessen Wort, die Bibel; sie haben sie gerettet aus dem Bankerott des römischen Reichs, und in der tollen Raufzeit der Völkerwanderung bewahrten sie das teure Buch, bis es der Protestantismus bei ihnen aufsuchte und das gefundene Buch in die Landessprachen übersetzte und in alle Welt verbreitete. Diese Verbreitung hat die segensreichsten Früchte hervorgebracht, und dauert noch bis auf heutigen Tag, wo die Propaganda der Bibelgesellschaft eine providentielle Sendung erfüllt, die bedeutsamer ist und jedenfalls ganz andere Folgen haben wird, als die frommen Gentlemen dieser britischen Christentums-Speditions-Sozietät selber ahnen. Sie glauben eine kleine enge Dogmatik zur Herrschaft zu bringen und wie das Meer, auch den Himmel zu monopolisieren, denselben zur britischen Kirchendomäne zu machen: und siehe! sie fördern, ohne es zu wissen, den Untergang aller protestantischen Sekten, die alle in der Bibel ihr Leben haben und in einem allgemeinen Bibeltume aufgehen. Sie fördern die große Demokratie, wo jeder Mensch nicht bloß König, sondern auch Bischof in seiner Hausburg sein soll; indem sie die Bibel über die ganze Erde verbreiten, sie sozusagen der ganzen Menschheit durch merkantilische Kniffe, Schmuggel und Tausch, in die Hände spielen und der Exegese, der individuellen Vernunft überliefern, stiften sie das große Reich des Geistes, das Reich des religiösen Gefühls, der Nächstenliebe, der Reinheit und der wahren Sittlichkeit, die nicht durch dogmatische Begriffsformeln gelehrt werden kann, sondern durch Bild und Beispiel, wie dergleichen enthalten ist in dem schönen heiligen Erziehungsbuche für kleine und große Kinder, in der Bibel.“

Heinrich Heine, Geständnisse in: Vermischte Schriften, Band 3

Das war freilich 1854, als der arme Heine in seiner Pariser Matratzengruft ein „Wiedererwachen des religiösen Gefühls“ erfahren hatte und die lange abgelegte „lutherische Glaubensuniform“ zwar nicht gerade wie maßgeschneidert, aber doch hinreichend wieder passte …

Freundliche Grüße,
Ralf

Keine Spurt von Heine gefunden
Hallo,

Dass Heine zu seiner Zeit (1797 - 1856) gesagt haben sollte, das Christentum würde keine Rolle mehr spielen, kann ich mir nicht vorstellen. Es scheint eher ein sehr verzerrtes Konglomerat aus unterschiedlichen Zitaten zu sein, der Beginn würde zu Engels passen. Der Mittelteil zu Lessing, und die Urheberschaft des Endes des Zitates bleibt mir verborgen.

Engels (1820-1895): Außerdem verdanken wir den Juden viel zuviel. Von Heine und Börne zu schweigen, war Marx von stockjüdischem Blut; Lassalle war Jude. Viele unserer besten Leute sind Juden. Mein Freund Victor Adler, der jetzt seine Hingebung für die Sache des Proletariats im Gefängnis in Wien abbüßt, Eduard Bernstein, der Redakteur des Londoner „Sozialdemokrat“, Paul Singer, einer unserer besten Reichstagsmänner - Leute, auf deren Freundschaft ich stolz bin, und alles Juden! Bin ich doch selbst von der „Gartenlaube“ zum Juden gemacht worden, und allerdings, wenn ich wählen müßte, dann lieber Jude als „Herr von“!

Lessing (1729-1781): Und ist denn nicht das ganze Christentum aufs Judentum gebaut? Es hat mich oft geärgert, hat mich Tränen genug gekostet, wenn Christen gar so sehr vergessen konnten, dass unser Herr ja selbst ein Jude war.

Gruß
Maria

Heines Verachtung des Christentums
Hi.

Europa verdankt den Juden sehr viel, unter anderem das
Christentum, das ich aber nicht weiter erwähnen will, weil es
heutzutage kaum noch eine Rolle spielt.

In der Tat war das Christentum für Heine eine unbedeutende Religion, wie diverse Äußerungen zeigen, z.B. in „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, wo er es eine überspannte Studentenidee nennt und über seine Lazarettluft lästert, oder in den „Prosanotizen bis 1831“, wo er den Taufzettel ein Entre Billet zur europäischen Kultur nennt.

Chan

Nur so ungefähr
Moin Karl,

einen Aphorismus habe ich gefunden, aus dem man gedankliche Querverbindungen herauslesen kann, wenn man will:

Die Germanen ergriffen das Christentum aus Wahlverwandtschaft mit dem jüdischen Moralprinzip, überhaupt dem Judaismus – Juden waren die Deutschen des Orients – und jetzt sind die Protestanten in den germanischen Ländern (Schottland, Amerika, Deutschland, Holland) nichts anders als altorientalische Juden.
http://www.zeno.org/Literatur/M/Heine,+Heinrich/Apho…

Tschüss!
Pit

je l´ai trouvé
Vielen Dank, Ralf, Maria und Chan,

für eure Mühe, das von mir entstellte Zitat zu finden, und eure interessanten Anmerkungen (zu Heines Haltung zum Christentum, Haltungen anderer Größen, etc.)!

Das von mir gesuchte Zitat habe ich, nachdem ich schon glaubte, mich komplett geirrt zu haben, in „Ideen. Das Buch Le Grand“, 13. Kapitel, gefunden. Aufgrund meiner sprachlichen Entstellung natürlich kaum zu finden (Verzeihung!), außerdem ist der Schlussgedanke etwas anders: nicht „spielt heutzutage keine Rolle mehr“ sondern „wir haben noch wenig Gebrauch davon gemacht“.

Noch origineller ist übrigens das 12. Kapitel dieses Textes…
Gruß!
Karl

Zitat
Das Zitat geht so:

„…ich käme dann auf die anderen Vorzüglichkeiten und Vortrefflichkeiten der Juden, auf die Erfindungen, die man ihnen verdankt, z. B. die Wechsel, das Christentum - aber halt! Letzteres wollen wir ihnen nicht allzu hoch anrechnen, da wir eigentlich noch wenig Gebrauch davon gemacht haben…“

Karl

1 Like

Noch origineller ist übrigens das 12. Kapitel dieses
Textes…

Nur leider so kurz …

2 Like

Christentum als Studentenidee
Ich füge noch die volle Fassung des einen von mir angeführten Zitats an:

(Zur Geschichte der Religion usw., 8)

Wenn wir noch, wie viele glauben, im Jugendalter der Menschheit leben, so gehörte das Christentum gleichsam zu ihren überspanntesten Studentenideen, die weit mehr ihren Herzen als ihrem Verstand Ehre machen.