Die Entstehung religiöser Systeme
Hi.
Religion und Spiritualität haben dasjenige zum Thema das sich
dieses Werkzeuges bedient: den Menschen als Subjekt.
In der theistischen Religion (diese Differenzierung wird wieder, wie üblich, unterlassen) ist der Mensch thematisch nicht Subjekt, sondern Objekt - und zwar Objekt des göttlichen Willens und Plans. Alles wird aus der imaginären Perspektive des Göttlichen dargestellt. Als eigenwertiges Subjekt erscheint der Mensch erst in der aufklärerischen Philosophie des 18. Jahrhunderts.
Manche versuchen, dieses Subjekt über die Wissenschaft zu adressieren. In diesen Versuchen verschwindet der Mensch automatisch als Subjekt und wird zum Objekt.
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Wer ist ´manche´?
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Bitte die gemeinten Wissenschaftszweige genau angeben. Meinst du Biologie, Soziologie und Psychologie? Einfach nur ´die Wissenschaft´ zu schreiben, ist nebulös.
Spiritualität ist nun das eigene bewusste Erleben des subjektiven Charakters des Menschseins.
Vielleicht drückst du dich nur ungeschickt aus, aber so wie das dasteht, ist´s daneben.
Es kann mit Sprache nie erschöpfend genug ausgedrückt werden.
Nichts kann mit Sprache „erschöpfend“ ausgedrückt werden. Oder kannst du das Erlebnis des Geschmacks einer Aprikose sprachlich „erschöpfend ausdrücken“?
Auch deine weiteren Argumente, die ich unten nur zum Teil zitiere, kommen unwissenschaftlich rüber. Sie hängen in der Luft, weil sie ohne Bezug zu historischen Fakten vorgebracht werden. Es handelt sich nur um Behauptungen ohne Begründung. Das ist für ein Wissensforum zu wenig.
In der Religion wird ursprüngliche Akzeptanz von erlebter Spiritualität als übergeordnete Wahrheit zu überliefern versucht.
Zum Minimalanspruch an wissenschaftliche Argumentation gehört in diesem Fall, dass du a) die gemeinten Religionen genau benennst und b) Beispiele anführst. Die alten Religionen sind voll von Mythologien, die „spirituell erlebt“ zu haben damals keiner behauptet hat, und trotzdem wurden sie „als Wahrheit überliefert“. Das gilt nicht nur für die mesopotamische und ägyptische Religion, sondern auch die jüdische - oder liegen von ´Adam und Eva´ persönliche Berichte über ihre Erlebnisse im ´Paradies´ vor, um ein Beispiel zu nennen?
Diese übergeordnete Wahrheit ist die Quelle großer Autorität.
Nein, die „Quelle der Autorität“ war in den patriarchalischen Religionen (also seit dem 4. Jahrtausend vuZ) immer die militärische Macht der Könige, deren Priester die religiösen Systeme kreierten. Judentum (ab Exil) und Christentum (bis Konstantin) bilden hier eine Ausnahme von der Regel, freilich auf imaginäre ´Könige´ Bezug nehmend (David, Christus).
Der ursprünglichen Spirituelle Kern wird zunehmend entstellt und verfremdet.
Du beziehst dich hier zwar, deutlich erkennbar, auf Darstellungen von mir, verzerrst diese aber. Die Priesterkaste „hütete“ keine spirituellen Wahrheiten, die dann irgendwie „verfremdet“ wurden, sondern arbeitete von vornherein mit anthropomorphen Mythologien, die in einer relativen Verbindung zu spirituellen Erfahrungen standen, wie sie durch schamanistische Techniken hervorgerufen werden können, die auch den frühen Königen und Priestern in Sumer zur Verfügung standen. ´Relativ´ heißt, dass die übernatürlichen Erfahrungen bei der Interpretation durch einen ideologischen Filter gingen, der sie an die Anforderungen eines politischen Machtsystems assimilierte, etwa so, wie bei einem Rorschach-Test die Figuren nach subjektiven Schemata interpretiert werden.
In der Zeit tritt dann ein „Stiller-Post-Effekt“ zusammen mit Machtwünschen und gezielten Korruptionen auf.
Religiöse Systeme waren priesterliche Produkte und wurden dem Volk aufoktroyiert mit dem Zweck, es wirtschaftlich auszubeuten (Abgaben an Tempel) und politisch zu kontrollieren (Verehrung eines den Göttern nahestehenden oder selbst göttlichen Königs). Diese Systeme wurden von Priestergeneration zu Priestergeneration präzise weitervermittelt und immer an aktuelle politische Situationen angepasst. Der Ausdruck „Stille Post“ ist hier also ganz irreführend.
Im innersten Zirkel der Elite war Schamanismus, also direkter Zugang zum Übernatürlichen, eine gängige Praxis, sowohl für Priester wie für Könige. Hier fand ´esoterische´ Religion statt im Unterschied zur ´exoterischen´ für das Volk.
Es gibt eine religionshistorische zeitliche Grauzone zwischen dem 8. Jt. und dem 4. Jt. vuZ., für die nicht erkennbar ist, wie sich lokale Stammesgottheiten zu den regionalen Stadt- und Staatsgottheiten der historischen (= schriftlichen) Zeit entwickelt haben. Die frühesten bedeutenden Götter im alten Sumer waren die Göttin Inanna und der Gott Enki, für welche Belege aus dem 4. Jt. vorliegen. Nur ist unklar, wie sie auf vor-sumerische Gottheiten zurückgeführt werden können, da textliche Zeugnisse erst ab 3.200 vuZ vorliegen, als die Sumer die Kultur von Ubaid schon seit einigen Jahrhunderten unterworfen hatten. Die Ubaid-Kultur geht wiederum auf ältere neolithische matrifokale Kulturen wie z.B. jene von Catal Hüyük (8. Jt. vuZ), wo - und dafür sprechen die archäologischen Befunde - eine Große Göttin und ihr Sohngeliebter, der Stiergott, verehrt wurden. Diese Religion geht wiederum auf die viel ältere Religion der paläolithischen matrifokalen Gemeinschaften (40.000 - 9.000 vuZ) zurück, die noch keinen Stiergott kannten, sondern sich im wesentlichen um die Große Göttin drehten.
Daneben verliefen bis ins Neolithikum auch schamanistische Strömungen, die eigentliche Quelle des Spirituellen. Schamanen waren die Techniker des Übernatürlichen und nutzten ihre Kraft, die sie der Großen Göttin ´verdankten´, für soziale Zwecke, vor allem das Heilen von Kranken. Vermutlich waren sie für lange Zeit mehrheitlich Frauen (auch wenn Eliade, als strammer Anhänger des Patriarchats, das verneinte). Mit dem Aufkommen patriarchalischer Herrschaft (Sumerer und Indoeuropäer im 4. Jt. vuZ) wurde Schamanismus von der Herrschaftskaste monopolisiert. Könige wie Eannatum und Gudea hatten in schamanistischen Zuständen Visionen von Göttern, die sie im Kontext politischer Herausforderungen interpretierten (= ideologische Filter, siehe oben).
Dieser kleine Überblick soll dir nur Anregungen für eigene Recherchen geben soll. Sinnvoll wäre es, wenn du deine Argumentation mit wissenschaftlich erforschten historischen Abläufen in Übereinstimmung bringst.
Chan