Zusammenhang Kernschmelze / kritische Masse?

Hallo Wissende,

meine Versuche, etwas über die Kernschmelze in Erfahrung zu bringen, haben bislang zu folgendem Wissensstand geführt:

Wenn man so ein Atomkraftwerk nicht richtig kühlt, können die Brennstäbe so heiß werden, dass sie schmelzen, dabei auch die Bodenplatte des Reaktors durchschmelzen, so dass die ganze radioaktive Suppe nach draußen läuft, was nicht gut ist.

Allerdings frage ich mich, ob das etwas mit der „kritischen Masse“ zu tun hat. Wird so ein Reaktor dann zu einer Atombombe? Falls nein, warum nicht?

Schöne Grüße

Petra

Hallo

Soweit ich weiß, wirken 2 Ursachen bei der „Kernschmelze“.
Einmal sind die Brennstäbe so stark radioaktiv, da sie schon ohne größere Kritikalität sich selbst immer stärker erwärmen, wenn sie nicht gekühlt werden. Also ohne Kühlung schmilzt es auf jeden Fall.

Wenn dann noch hinzukommt, das sie(die Brennstäbe) ihre äußere Struktur und Befestigungen, also Ihren Ort verlieren und sich an einem Punkt das Ganze sammelt oder zusammenläuft, kann sich eventuell die Kritikalität von selbst erhöhen.

Es gibt dann ein paar Unterschiede zur Atombombe.
Die gesamte radioaktive Masse ist wesentlich größer als bei der Bombe, insbesondere hat das freiwerdende Plutonium bleibend schlechte Eigenschaften.
Die zu erwartende Reaktionsgeschwindigkeit ist wesentlich geringer als bei einer Bombe, weil die Kritikalität wahrscheinlich nur gering überschritten wird, also nicht so blitzartig.
Aber ich finde, es reicht ja schon, wenn die radioaktive Masse so heiß wird, das sie verdampft und als Staub in die Umgebung geweht wird.

MfG
Matthias

Hallo

Soweit ich weiß, wirken 2 Ursachen bei der „Kernschmelze“.
Einmal sind die Brennstäbe so stark radioaktiv, da sie schon
ohne größere Kritikalität sich selbst immer stärker erwärmen,
wenn sie nicht gekühlt werden. Also ohne Kühlung schmilzt es
auf jeden Fall.

Naja, an der Radioaktivität liegt das weniger. Es gibt durchaus Radioaktive Stoffe, die sich nicht erwärmen. Bei AKWs geht es um Kernspaltung. Ein einzelner Brennstab überschreitet nicht die kritische Masse des Spaltstoffes, das wäre fatal. Die kritische Masse wird erst durch mehrere Brennstäbe in bestimmter Anordnung und in einem Moderatormedium überschritten. Die Problematik in Japan ist derzeit die sogenannte Restzerfallswärme. Nachdem die Kernspaltung gestoppt wurde, geht die Kernspaltung nämlich noch weiter, wenn Spaltprodukte spontan zerfallen. Dabei wird ebenfalls wieder Wärme frei, wenn diese aber nicht abgeführt wird, kommt es zur Kernschmelze. Die Brennstäbe schmelzen weg und die Suppe sammelt sich im Containment des Reaktors. Hier wird es dann noch problematischer, da sich der Zerfallsprozess beschleunigen kann, d.h. die Suppe heizt sich noch weiter auf und frisst sich nach unten ins Erdreich. Das ist so ziemlich der klassische GAU.

Wenn dann noch hinzukommt, das sie(die Brennstäbe) ihre äußere
Struktur und Befestigungen, also Ihren Ort verlieren und sich
an einem Punkt das Ganze sammelt oder zusammenläuft, kann sich
eventuell die Kritikalität von selbst erhöhen.

Das kann unter ganz schlimmen Umständen zum richtig großen Problem werden, wenn das Uran, bzw. das Plutonium, der Brennstäbe sich unten sammelt und in ausreichender Masse vorhanden ist, um unter diesen für die Spaltung sehr widrigen Umständen, die kritische Masse zu überschreiten. Wenn dieser Fall eintritt, kommt genau der Spaltungsprozess wieder in Gang, der zur Energiegewinnung genutzt wird und dann wird es sehr schnell sehr heiß im Reaktor.

Es gibt dann ein paar Unterschiede zur Atombombe.
Die gesamte radioaktive Masse ist wesentlich größer als bei
der Bombe, insbesondere hat das freiwerdende Plutonium
bleibend schlechte Eigenschaften.
Die zu erwartende Reaktionsgeschwindigkeit ist wesentlich
geringer als bei einer Bombe, weil die Kritikalität
wahrscheinlich nur gering überschritten wird, also nicht so
blitzartig.
Aber ich finde, es reicht ja schon, wenn die radioaktive Masse
so heiß wird, das sie verdampft und als Staub in die Umgebung
geweht wird.

MfG
Matthias

Hallo,

Wenn man so ein Atomkraftwerk nicht richtig kühlt, können die
Brennstäbe so heiß werden, dass sie schmelzen, dabei auch die
Bodenplatte des Reaktors durchschmelzen, so dass die ganze
radioaktive Suppe nach draußen läuft, was nicht gut ist.

Das kann man grob so sagen.

Allerdings frage ich mich, ob das etwas mit der „kritischen
Masse“ zu tun hat.

Nein, radioaktive Stoffe produzieren immer Wärme, weil diese ganz natürlich auch ohne Kettenreaktion beim Zerfall von solchen Elementen entsteht. Die Wärme im Inneren unserer Erde stammt z.B. zu einem großen Teil aus der Zerfallswärme radioaktiver Stoffe im Erdinneren.

Die „kritische Masse“ ist dagegen die Masse, bei der ein Stoff selbstständig zu einer Kettenreaktion neigt. Die meisten radioaktiven Stoffe sind aber überhaupt nicht zu einer selbstständigen Kettenreaktion fähig. Aufgrund ihres trotzdem ganz natürlich ablaufenden Zerfalls entwickeln sie aber dennoch eine gewisse Wärme.

Wie viel, das hängt davon ab, wie schnell das Material zerfällt. Das ist von Stoff zu Stoff unterschiedlich. Die relevanten Spaltprodukte in einem Kernreaktor bilden hierbei eine Reihe, die über einen Zeitraum von einigen Tagen und Wochen in Blei zerfällt. Und etwa über diesen Zeitraum muss man den Reaktor deshalb auch nach dem Abschalten noch kühlen.

Das hat aber nichts mit einer Kettenreaktion zu tun, denn dabei stößt ja ein Zerfall mehrere nächste Zerfälle an und so zerfällt alles in sehr kurzer Zeit, bei einer Atombombe in Bruchteilen einer Sekunde.

Wird so ein Reaktor dann zu einer
Atombombe? Falls nein, warum nicht?

Weil dazu eine extrem schnell ablaufende Kettenreaktion nötig ist. Das in Atomkraftwerken verwendete Uran-235 wäre dazu zwar prinzipiell in der Lage, aber im Prinzip nur, wenn es reines U-235 wäre. Das Material in Kernreaktoren besteht aber nur zu etwa 4% aus Uran-235 und die anderen 96% verdünnen das Material so stark, dass die kritische Masse nicht erreicht werden kann. Im Kernreaktor will man die Wärme ja auch nur langsam freisetzen, eine höhere Konzentration würde gar keinen Sinn machen.

Für eine Atombombe bräuchtest du eine U-235 Konzentration von eher um die 90%. Nur dann entstehen so viele Neutronen, dass sich eine solche schnell ablaufende Kettenreaktion bildet, die wie eine Bombe die Wärme mehr oder weniger in einem Augenblick frei setzt.

vg,
d.

Die Brennstäbe schmelzen weg und die
Suppe sammelt sich im Containment des Reaktors. Hier wird es
dann noch problematischer, da sich der Zerfallsprozess
beschleunigen kann, d.h. die Suppe heizt sich noch weiter auf
und frisst sich nach unten ins Erdreich. Das ist so ziemlich
der klassische GAU.

Bei dem Gedanken wird mir ganz schlecht, da wird vermutlich das ganze Erdreich und insbesondere das Grundwasser verseucht. Bin kein Geologe, aber das könnte sich ja dutzende Kilometer durch das umgebene Erdreich ziehen und die Radioaktivität würde da so gut wie ewig existieren (bis die verschwindet hat sich die Menschheit wohl selbst ausgerottet oder die Sonne brennt uns den Arsch weg).

Bin kein Geologe, aber das könnte sich ja dutzende Kilometer
durch das umgebene Erdreich ziehen

Glücklicherweise steht das Kraftwerk auf blankem Fels. Wenn die Kerne senkrecht nach unten wandern, könnte der Schaden doch noch begrenzt bleiben. Viel mehr Sorgen machen mir die Abklingbecken. Da ist nicht nur viel mehr Atommüll drin, sondern es könnte sogar zur Kettenreaktion kommen. Das wäre dann ein Super-Gau wie in Tschernobyl - nur schlimmer. Aber auch hier gibt es Grund zur Hoffnung, weil diese Becken leichter zugänglich sind als die Reaktordruckbehälter.

Zusammenfassung und Folgefragen
Moin,

ich danke dir und Petra, diese Frage geistert mir nämlich auch schon seit Tagen durch den Kopf.

Wenn man so ein Atomkraftwerk nicht richtig kühlt, können die
Brennstäbe so heiß werden, dass sie schmelzen, dabei auch die
Bodenplatte des Reaktors durchschmelzen, so dass die ganze
radioaktive Suppe nach draußen läuft, was nicht gut ist.

Das kann man grob so sagen.

Nur: was ist denn „draußen“? Und was ist „heiß“?
So weit ich weiß sind die japanischen KKWs auf felsigem Untergrund gebaut (Erdbebenschutz). Frisst sich dann so ein flüssiger Brennstab durch den Granit? Oder die ganze Suppe fließt ins unmittelbar angrenzende Meer? Das ist zwar nicht schön weil dann viel Radioaktivität dorthin gelangt, aber das Zeug würde erstens gekühlt und sich zweitens nicht um den ganzen Globus verteilen können.

Die „kritische Masse“ ist dagegen die Masse, bei der ein Stoff
selbstständig zu einer Kettenreaktion neigt. Die meisten
radioaktiven Stoffe sind aber überhaupt nicht zu einer
selbstständigen Kettenreaktion fähig.

Mit anderen Worten, wenn ich wie in Fukushima keinen Moderator anwesend habe der die aus dem Uran stammenden Neutronen verlangsamt, kommt die schlimmstenfalls geschmolzene Brennstabmasse mehr oder weniger selbst zur Ruhe? Also etwas Zerfallswärme entsteht, aber es gibt (fast) keine Kernreaktionen und gar KEINE Kettenreaktion? Ist das so richtig?

Darf man deswegen kein Wasser IN den Raktorbehälter einleiten, weil das eine Kettenreaktion hervorrufen könnte?

Das Material in Kernreaktoren besteht aber nur zu
etwa 4% aus Uran-235 und die anderen 96% verdünnen das
Material so stark, dass die kritische Masse nicht erreicht
werden kann.

Spielt es dabei keine Rolle, ob die ganzen Brennstäbe nicht flüssig zusammengelaufen sind? Würden sich die Stoffe ihrer Dichte entsprechend nicht separieren und so „reiner“ und gefährlicher werden?

Vielen Dank und Grüße,
J~

Glücklicherweise steht das Kraftwerk auf blankem Fels.

Woher weisst du das, kann man das auf den Fotos erkennen ?

die Kerne senkrecht nach unten wandern, könnte der Schaden
doch noch begrenzt bleiben.

Ich bin nicht sicher, ob Stein / Fels so robust ist…
Lava ist 800 - 1200 Grad Celsius heiß bei Austritt, so Wikipedia.

Außerdem stelle ich mir eine Kühlung dann noch schwieriger vor, wenn die Kernmasse nach unten wandern.

Viel mehr Sorgen machen mir die
Abklingbecken. Da ist nicht nur viel mehr Atommüll drin,
sondern es könnte sogar zur Kettenreaktion kommen. Das wäre
dann ein Super-Gau wie in Tschernobyl - nur schlimmer. Aber
auch hier gibt es Grund zur Hoffnung, weil diese Becken
leichter zugänglich sind als die Reaktordruckbehälter.

Naja, bei der wirren Informationslage kann man nur spekulieren wie es ganau im und rund um das Abklingbecken aussieht.

Hallo,

Nur: was ist denn „draußen“? Und was ist „heiß“?

Draußen wäre für mich Kontakt mit der Außenluft. Heiß sind 2000°C.

So weit ich weiß sind die japanischen KKWs auf felsigem
Untergrund gebaut (Erdbebenschutz). Frisst sich dann so ein
flüssiger Brennstab durch den Granit?

Das wäre wohl nicht das Problem. Das Problem ist IMO, dass bei 2000°C alle möglichen Stoffe miteinander reagieren und wenn dabei dann z.B. Wasserstoff frei wird und explodiert, verteilt es die Suppe vielleicht schön zu Pulver gemahlen in der Luft. Es lässt sich halt schlecht sagen, wie sich so eine Schmelze entwickeln wird. Aber es einfach in Ruhe nach unten schmelzen zu lassen, wäre mir zu gefährlich.

Mit anderen Worten, wenn ich wie in Fukushima keinen Moderator
anwesend habe der die aus dem Uran stammenden Neutronen
verlangsamt, kommt die schlimmstenfalls geschmolzene
Brennstabmasse mehr oder weniger selbst zur Ruhe?

Nicht unbedingt. In der geschmolzenen Masse ist das Zeug ja viel näher beisammen als in den Brennstäben. Die räumliche Trennung der Brennstäbe senkt ja im Reaktor auch die Konzentration an spaltbarem Material, und diese fehlt in der Schmelze am Boden. Außerdem werden durch die große Hitze ja auch allerlei andere Stoffe, wie Metalle, Gesteine oder sonst was damit in Berührung kommt geschmolzen und die können ja dann in der Schmelze als Moderator wirken. Wasser ist ja bei weitem nicht der einzige Moderator den es gibt.
Deshalb kann in der Schmelze schlimmstenfalls auch wieder eine Kettenreaktion einsetzen.

Darf man deswegen kein Wasser IN den Raktorbehälter einleiten,
weil das eine Kettenreaktion hervorrufen könnte?

Reines Wasser solltest du aus diesem Grund nicht einleiten, das macht man ja aber auch nicht. Man leitet mit Borsäure versetztes Wasser ein, weil Bor-10 ein sehr guter Neutronenabsorber ist und damit die Kettenreaktion unterbinden kann.

Spielt es dabei keine Rolle, ob die ganzen Brennstäbe nicht
flüssig zusammengelaufen sind? Würden sich die Stoffe ihrer
Dichte entsprechend nicht separieren und so „reiner“ und
gefährlicher werden?

Das kann eigentlich nicht passieren wird, weil Uran-235 und Uran-238 sind ja ziemlich gleich schwer. Der Unterschied reicht nicht, um sowas einfach in einer Schmelze zu trennen. Sonst wäre die Anreicherung von Uran ja ein Kinderspiel, wogegen es in Wirklichkeit extrem schwer ist die beiden Dinge zu trennen (Gott-sei-dank) und man braucht ewig viele Hochleistungs-Zentrifugen, um das hinzukriegen.

vg,
d.

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Was man auch immer beachten muss, sind die Konjunktive, die benutzt werden. Es KÖNNTE im Abklingbecken zu einer Kettenreaktion kommen. Die Umstände im Abklingbecken sind für eine Kettenreaktion aber ziemlich widrig. Es müsste sehr viel Zusammenkommen, bis sich spontan eine Kettenreaktion bildet.

  1. Die gelagerten Brennelemente müssten schmelzen und sich auf dem Boden des Beckens in möglichst konzentrierter Form sammeln, was nur schwer geht, da der boden flach ist und sich deshalb nur schwer eine geometrisch geeignete Form bildet.

  2. In den Brennelementen müsste noch ausreichend viel Spaltmaterial vorhanden sein, sei es Plutonium-239 oder Uran-235, um bei der schon sehr suboptimalen Geometrie der Brennstabpfütze am Boden des Beckens die kritische Masse zu überschreiten.

  3. Es muss ausreichend kühles Wasser im Becken sein, damit die Kettenreaktion nicht sofort abbricht wenn sich erste Dampfblasen bilden.

Ausserdem: In Tschernobyl ist es nur kurz zu einer Kettenreaktion gekommen, die relativ schnell wieder Abbrach. Das Hauptproblem war, dass der Reaktorbehälter durch Explosionen aufbrach und der Inhalt mit Luft in Kontakt kam. Dabei fingen die Graphitteile an den Brennstäben Feuer (kann man sich vorstellen, wie wenn man ein glühendes Stück Kohle plötzlich mit reinem Sauerstoff anbläst) und schleuderten über die Rauchgase das Spaltmaterial usw. in die Umwelt.

Moin,
danke für deine Erläuterung!
Damit ist die Sache wohl kritischer, als ich zunächst annahm. Hoffen wir, dass die Japaner die KKWs stabilisieren können.

VG
J~