Zwei hypothetische Fragen zur Wahl zwischen Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie

Hallo zusammen,
 

  1. Angenommen ein Patient denkt von sich aus sehr selten und wenig an vergangenes, hat kaum Kindheitserinnerungen, und ist sich auch keiner traumatischen Begebenheiten bewusst. Ist diesem Patienten somit eher eine ‚Hier & Jetzt‘-orientierte Verhaltenstherapie anzuraten statt einer vergangenheitsorientierten Psychoanalyse/Tiefenpsychologisch-fundierten Therapie? Oder ist es genau andersherum, eben weil der Patient sich seiner Vergangenheit so unbewusst ist?
     2. Welche Therapieform erachtet ihr allgemein bei einem eher introvertierten ‚Kopfmenschen‘/‚Denker-Typus‘ für sinnvoller? Verhaltenstherapie, weil sie den Patienten heraus aus dem Kopf und hinein in die Erfahrung zwingt? Oder doch die Tiefenpsychologie, weil sie der Persönlichkeit und den Fähigkeiten des „Grüblers“ mehr entspricht? 
    Viele Grüße

Hi

Ist
diesem Patienten somit eher eine ‚Hier &
Jetzt‘-orientierte Verhaltenstherapie anzuraten statt einer
vergangenheitsorientierten
Psychoanalyse/Tiefenpsychologisch-fundierten Therapie?

Die analytischen und tiefenpsych. Verfahren arbeiten auch im Hier und Jetzt. Der Patient soll sagen, was ihm gerade durch den Kopf/durchs Gemüt geht und er soll frische, zeitnahe Träume mit in die Sitzung bringen.

 2. Welche Therapieform erachtet ihr allgemein bei einem eher
introvertierten ‚Kopfmenschen‘/‚Denker-Typus‘ für sinnvoller?
Verhaltenstherapie, weil sie den Patienten heraus aus dem Kopf
und hinein in die Erfahrung zwingt? Oder doch die
Tiefenpsychologie, weil sie der Persönlichkeit und den
Fähigkeiten des „Grüblers“ mehr entspricht?

Deine Einteilung ist durchaus nachvollziehbar, aber eben doch zu schematisch.
Ich mache immer Probesitzungen mit dem Patienten, bevor ich -mit ihm zusammen!- einschätze, ob meine (die analytische) Behandlungsform die für ihn passende ist.
Gruß,
B.

Sehe ich ebenso wie B, denn die Verhaltenstherapieform benötigt auch eine Patientenanamnese und stellt Familienkonstellationen auf, so dass spätestens bei der wiederholten Bemerkung: Ich kann mich nicht erinnern, die Alarmglocken läuten werden. Eine tiefenpsychologische Therapieform greift nicht die Fähigkeiten eines Grüblers auf bzw. wird durch diese Neigung bedingt. 
Andersherum erfolgt ein antrainiertes Verhalten einem Erlebten aus der Vergangenheit oder Kindheit, so dass hierbei gar nicht so differenziert betrachtet werden sollte. Ich wähle den Unterschied in der Herangehensweise bzw. dem Schwerpunkt, denn eine ständige „Du bist so, WEIL das und das war…“- Sichtweise führt weniger aktiv zu einer Veränderung als das Denken der finalen Therapieform "ich mache das jetzt so und so, DAMIT sich das und das ändert. 
Ich nenne es die kausale Therapie bzw. finale Therapieform. 
MfG
M:stuck_out_tongue::R

Hallo!

Ob jemand eher eine Analyse oder TP machen sollte, hängt vor allem davon ab, ob er bereit und interessiert genug ist, sich mit dem Unbewussten und seiner Lebensgeschichte auseinanderzusetzen, also ans „Eingemachte“ zu gehen. Alles andere ist weniger wichtig, wobei natürllich Persönlichkeitsmerkmale schon eine Bedeutung haben hinsichtlich der jeweiligen Indikation und Therapieeignung und -prognose. Dies müsste man unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte im Einzelfall mit dem Patienten entscheiden. Pauschale Regeln sind nicht angemessen.

Ihr Walter Pollak

Hallo,

Ob jemand eher eine Analyse oder TP machen sollte, hängt vor
allem davon ab, ob er bereit und interessiert genug ist, sich
mit dem Unbewussten und seiner Lebensgeschichte
auseinanderzusetzen, also ans „Eingemachte“ zu gehen. Alles
andere ist weniger wichtig,

Das heißt also, die Indikation und die Ziele spielen keine Rolle? Und die, die für die Lösung Ihres Problems nicht zielführend erachten, sich mit dem Unbewussten und der Lebensgeschichte auseinanderzusetzen, sind die Loser, weil sie nicht bereit dazu sind?

Man braucht nicht ins Profil zu gucken, um zu wissen, dass eine solche Antwort nur von einem Tiefenpsychologen bzw. Analytiker stimmen kann.

Grüße

Uli

P.S.: Es ist ein Fehler, mit einem Patienten unnötig Zeit in einer Tiefenpsychologischen Therapie oder eine Analyse zu verbaseln, wenn das Problem in wesentlich kürzer Zeit verhaltenstherapeutisch gelöst werden könnte. Genauso wie es umgekehrt ein Fehler wäre, einen Patienten, der wegen seines Problems besser bei einem Tiefenpsycholgisch arbeitenden Therapeuten aufgehoben wäre, bei einem Verhaltenstherapeuten zu halten.

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Hallo,
jetzt gibt es schon so viele Antworten, dass ich mich frage, ob eine zusätzliche nicht noch mehr Verwirrung stiftet statt Klärung zu bringen. Ich finde die Überlegung, ob VT oder Psychoanalyse ganz zweitrangig. Letztendlich ist das Entscheidende doch, ob man zu dem Therapeuten Vertrauen hat und bereit ist, sich ihm zu öffnen. Das kann man in den von der Kasse  bezahlten probatorischen Sitzungen am besten prüfen. Im Gespräch mit dem Therapeuten kann man dann auch klären, ob die Behandlungsart die Richtige ist. Ein seriöser Therapeut wird dieses Anliegen ernst nehmen und zusammen mit dem Klienten herausfinden, was ihm am besten helfen kann. Also mein Rat wäre, es einfach mal irgendwo zu probieren. Aber das braucht schon ein wenig Mut!
Den wünsche ich dem angenommenen Patienten!

Mit freundlichen Grüßen,
Sahara

Hallo,
die erste Frage ist mit der vorliegenden Info schwer zu beantworten, weil sie nichts darüber aussagt, weshalb der Patient eigentlich kommt. Deine Schilderung legt aber nahe, dass du von einem Verdrängungsmechanismus ausgehst und glaubst, dass belastende Kindheitserinnerungen da sind, die nicht erinnert oder nicht eingestanden werden, oder? Man kann natürlich mit den dann vorliegenden Symptomen verhaltenstherapeutisch arbeiten. Am Besten wäre vielleicht, einen Therapeuten zu suchen, der auch eine Ausbildung in Hypnotherapie hat, weil man damit hervorragend vergangene Belastungssituationen aufspüren und bearbeiten kann (wenn der Patient dem zustimmt). Dabei kann das Vorgehen dosiert und möglichst angstfrei gestaltet werden.
Zweite Fragen: Bei jemandem, der ohnehin stark im kognitiven Modus lebt, würde ich eher eine Therapieart wählen, die das Erleben stärkt. Verhaltenstherapie ist eine Möglichkeit; gut wären aber meiner Ansicht nach gestalttherapeutische Elemente oder Bausteine der Körpertherapie, mit denen Sinneswahrnehmungen und nicht-kognitive Anteile zu stärken. Ein analytisches Vorgehen führt dagegen m.E. dazu, dass der Grübler noch mehr grübelt. Aber auch hier hängt das Vorgehen von der Symptomatik ab, über die mir nichts bekannt ist. 
Ich hoffe, die Antwort hilft dir weiter.

Grüsse
Walter

Verhaltenstherapie mutet einem doch schon ziemlich Unerhörtes zu, nämlich sich quasi als Automat auffassen zu sollen, den man mal eben kurz umprogrammieren kann. Dazu noch ohne genaue Klärung der Ursachen einer mehr oder weniger willkürlich angenommenen ‚Störung‘.

Dsa ist eine stark vereinfachende Sicht. Anderseits stellt ein fehlender, oder kaum bewusst vorhandener Zugang zu den Kindheitserinnerungen keine Kontraindikation für die tiefenpsychologische Ursachenforschung auf dem Wege der Traumanalyse dar, im Gegenteil. Nur stündest Du dann erneut vor der Wahl zweier verschiedener nicht sein könnender Methoden: C.G.Jungs Richtung und die von Freud:

  • Erstere arbeitet mit dem Anspruch, die Bedeutung aller Traumsymbole bereits zu kennen (Lexikon der sog. Archetypen) und ist desinteressiert an der Natur (Evolutionsgeschichte der Menschheit)
  • Freuds Methode erfragt die Bedeutung jedes Symbols vom Klienten selbst (Freies Assoziieren) und beitet ein Model der psychischen Gesundheit, das sich neben der allgemeinen Biologie (Darwin; Neurologie) auch auf die Befunde der modernen Verhaltensforschung bzgl. unserer nächsten Verwandten im Riech der Tiere stützt - also die Voraussetzung, Abweichungen (Psychische Erkrankungen) überhaupt als solche erkennen und eine fundierte Therapie empfehlen zu können.

Hallo,

ich würde sagen am entscheidensten ist die Sympathie zwischen Patient und Therapeuten/in.
Da sollte die Chemie stimmen.

Grüße

Jochen