Du hast bei einem sehr alten Streit abgeschrieben
Hallo Adam
Historisch hat es überhaupt keinen Jesus gegeben; er ist nur
aus zweiter Hand bezeugt.
Was aus zweiter Hand bezeugt ist, ist nicht einfach historisch Null, sondern historisch wenig gesichert, je nach Deutung auch nur historisch mehr oder weniger wahrscheinlich.
Solche Quellen
müssten zum Beispiel durch Ausgrabungen bestätigt werden
um die Fakten als historisch noch besser gesichert erscheinen zu lassen.
Menschen, welche die Geschichtswissenschaft nicht durch
entsprechende Quellen belegen kann, haben
NICHT existiert.
haben aus rein wissenschaftlicher Sicht nicht mit zwingender historischer Sicherheit existiert, wobei diese wissenschaftliche Sicht nur vollständig wird, wenn sie auch ein Fundament hat, welches letzten Endes in Deutungen besteht.
(So ist auch Wilhelm Tell keine
GESCHICHTLICHE Figur.)
Dieses Beispiel geistert schon etwas lange herum, seine Quelle:
Um 1925 tobte der Modernisten-Antimodernistenstreit in der römisch-katholischen Kirche. Berühmter Antimodernist war unter anderem der Churer Weihbischof Gisler, der sich gegen viele mit dem Verdacht des Modernismus äusserte und insbesondere Joseph Wittig (1879-1949) dermassen ins Visier nahm, dass dieser seinen Hut nehmen musste, ob zu Recht oder zu Unrecht, lasse ich hier offen. Von jenem Streit berichte ich nämlich aus einem anderen Grund. Der antimodernistische Weihbischof Gisler, der sich vehement gegen die historisch unvoreingenommene (nach seiner Lesart ungenügend reflektierte) Jesusforschung wandte, war derselbe, welcher mit einigem Nachhall wissenschaftlich die Existenz Wilhelm Tells zu belegen versucht hatte, und seither wird die Geschichtswissenschaft um Jesus regelmässig mit dem „Tell-Argument“ in Verbindung gebracht; wie es Gisler nicht erschöpfend gelungen sei, die Existenz eines schillerschen Tells zu belegen, meinen die Gegner der Historizität einer Jesus-Figur regelmässig, so sei auch die Existenz eines historischen Jesus nicht im strengen Sinn nachzuweisen.
Ob Tell wirklich so unhistorisch ist, kann nur zu Vergleichszwecken ganz kurz angegeben werden. Zunächst können wir bezüglich Tell festhalten: Es gibt etwa 100 Jahre nach Tell („Weisses Buch von Sarnen“) einen schriftlichen Beleg, der die Erzählung in ihren Grundzügen so darstellt, wie sie Schiller schliesslich übernahm. Die Gegnerinnen und Gegner bemängeln, dass sie möglicherweise Geschehnisse umschreibe, die in Skandinavien stattgefunden hätten oder wenigstens dort schon vor der Zeit Tells als Sage erzählt worden seien, und jene skandinavische Tradition ist gut belegt. Ob die Geschehnisse um Tell dennoch stattgefunden haben oder ob es einen solchen Tell überhaupt gegeben habe, bleibt der Deutung überlassen und ist nicht im strengen Sinn historisch festgestellt.
Jene, die nach dem Gelesenen nun meinen „es hat sicher keinen echten Tell gegeben“, argumentieren ebenso unhistorisch wie jene, die sagen „es hat ihn sicher gegeben“. Beides sind Deutungen, zwar im weiteren Sinn historische, aber nicht zwingende Deutungen. Dass sich die Waagschale in den letzten Jahren eher zuungunsten des echten Tells geneigt hat, mag hier nur am Rande interessieren und ist auch nicht eindeutig.
Der Wissenschafter hat nicht die Aufgabe, permanent
unwissenschaftliche Behauptungen zu widerlegen.
Wenn nun ein wissenschaftlicher Diskurs stattfindet, sei es zwischen Wissenschaftlern unter sich oder zwischen Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit, so ist in der Tat keine Stellungnahme vorrangig, aber doch ist im Verlaufe der Auseinandersetzung irgendwann zu erwarten, dass der Wissenschaftler in groben Zügen verständlich macht, in welchem Rahmen er sich bewegt. Insbesondere sollten beim wissenschaftlichen Diskurs aber die Verhältnismässigkeit und die Ehrlichkeit gewahrt bleiben. So reicht etwa, um zur Sache zu kommen, die Behauptung, dass das Geburtsjahr des Matthäischen Jesus nicht genau berechnet sei, weil Herodes der Grosse höchstwahrscheinlich schon vor jenem Jahr verstorben sei, nicht aus, um schon zu behaupten, Jesus sei nicht geboren.
Die Aufforderung „Widerlege, was ich sage, sonst habe ICH
Recht!“ geht ihn nichts an.
Forschung und Lehre bzw. Auseinandersetzung sind nicht dasselbe, gehören aber zusammen.
Dies zu wissen, muss jedoch an deinem christlichen Glauben,
der nichts mit Geschichtswissenschaft zu
tun hat, nichts ändern.
Manchmal können sie schon etwas miteinander zu tun haben, nämlich etwa dann, wenn ein Gesamtrahmen gesetzt wird. Wissenschaft kann ja nicht absolut sein, sonst wäre sie Autismus, und folglich braucht auch ein Wissenschaftler einen wie auch immer gearteten Glauben.
Auch ich habe einen grossen Respekt
vor diesen 1900-jährigen Überlieferungen
und vor allem vor den Worten, die man Jesus zuschreibt
Wenn das der Fall ist, gehst Du letztlich ein klein wenig anders damit um als mit Wilhelm Tell, selbst wenn Dein Forschen, Deine Neugier und Deine Ehrlichkeit völlig grenzenlos bleiben dürfen.
Gruss
Adam
Gruss
Mike
P. S. Nach diesem interdisziplinären Diskurs hier auch noch etwas zur geographischen Bildung.
Schule in der CH. Lehrer fragt, wer der wichtigste Mensch war. Gaudenzli meint „Wilhelm Tell“. Der Lehrer verneint und meint „Jesus Christus“. Darauf Gaudenzli „ja, wenn man die Ausländer auch rechnet“.