Deutsch ist nicht Latein!
Hallo Moona,
„Er war zu weit gegangen und brach ein.“ ist perfekt!
Nein, der zweite Satzteil („brach ein“) steht im Präteritum , manche nennen es auch Imperfekt.
Weil das
Zuweitgehen dem Einbrechen vorausgeht, also zeitlich weiter
zurückliegt = plus quam perfekt. Was Du, lieber Alex sagst,
läßt sich in einem Aufsatz nicht anwenden! Stelle Dir dochmal
vor: „Er wollte die Enten füttern und ging auf’s Eis. Nachdem
er zu weit gegangen war, ist er eingebrochen.“ Außerdem ist es
grammatisch falsch, weil auf den plus quam perfekt zeitlich
die Vergangenheit folgt, „ist zu weit gegangen“ ist die
vollendete Gegenwart; eine Zeitform, die richtig nur für
gerade eben Vergangenes angewendet wird.
Über welche Sprache redest du? Über Deutsch? Es gibt im Deutschen keine „vollendete Gegenwart“. Das ist schon rein sprachlich ein Widerspruch in sich, denn die Gegenwart läuft immer weiter und ist bis zum Big Crunch des Universums wohl nie vollendet.
Ich bezweifle bei diesem Oxymoron „vollendete Gegenwart“ auch, ob es überhaupt in irgendeiner anderen Sprache einen entsprechenden Begriff gibt. Dieser Begriff ein missglückter Versuch, die für das Deutsche ohnehin unpassende lateinische Grammatikterminologie mit aller Gewalt auf das Deutsche zu adaptieren und stammt wahrscheinlich aus der Zeit, als man auch „Gesichtserker“ für „Nase“ einführen wollte.
Dein Einwand, dass sich das Perfekt in einem Aufsatz nicht (so gut) anwenden lässt, ist aber richtig, denn der Unterschied zwischen Präteritum/Imperfekt auf der einen und Perfekt auf der anderen Seite existiert heute fast nur noch auf stilistischer Ebene:
Wenn man über die Vergangenheit schreibt (etwa in einem Aufsatz), bevorzugt man Präteritum/Imperfekt, wenn man darüber redet , bevorzugt man Perfekt.
Ausnahme: in Verbindung mit Modalverben bevorzugt man mündlich zur Vermeidung des umständlichen doppelten Infinitivs auch wieder Präteritum/Imperfekt.
Relikte einer Unterscheidung der Zeitspanne, ob also etwas kurz oder lange zurückliegt findet man im heutigen Deutschen bei Präteritum/Imperfekt vs. Perfekt aber etwa noch in Zeitungsschlagzeilen.
Aber auch da hat manche BLÖD-Zeitung inzwischen nichts mehr damit am Hut, einen entsprechenden Artikel mit der Schlagzeile „Junge brach im Eis ein“ statt richtigerweise mit „Junge im Eis eingebrochen“ zu versehen, wenn sie über einen unlängst geschehenen Vorfall (z.B. vom Vortag) berichtet.
Vielleicht hat sich das eingeschlichen, weil dann mehr Platz für die Werbung oder das Tittenbild daneben bleibt.
Von der lateinischen Terminologie solltest du dich nicht verwirren lassen. Das ist eine Altlast aus dem Mittelalter, die wir Klöstern und Ordensschulen zu verdanken haben. In Wahrheit passt die lateinische Grammatik überhaupt nicht auf die deutsche Gegenwartssprache.
Dem tragen die neueren Lehrwerke (zumindest die für Deutsch als Fremdsprache) auch Rechnung, indem sie auf besser passende Gramatikmodelle wie etwa die Valenzgrammatik zurückgreifen. Für die Zeitformen wird allerdings auch da weiterhin die traditionelle lateinische Terminologei bemüht. Man vermeidet in neueren Grammatiken aber tunlichst, diese Begriffe ins Deutsch zu übersetzen, denn das würde nur Verwirrung stiften.
Deutsch ist eben nicht Latein.
Gruß Gernot