Zwischentestamentliche Schriften

Hallo,

das wird wohl wieder eine komplexere Frage, die nicht vollständig hier zu beantworten sein wird.

Bei der Lektüre (z. B. Berger, Theologie des Urchristentums), stoße ich auf die Bezeichnung „zwischentestamentliche Schriften“ bzw. „zwischentestamentliche Zeit“, anderswo auch Frühjudentum benannt.

(Viele?) Schriften aus dieser Zeit sollen - wenn ich Berger richtig verstanden habe - vor Abschluss des Kanons des AT entstanden sein, und zitierten diesen daher nicht, und sie wurden später nicht in den Kanon des NT aufgenommen und gerieten so in Vergessenheit. Dennoch haben sie unzweifelhaft das frühe Christentum beeinflusst (soweit so nachvollziehbar).

Dass das AT „Die Schrift“ für die ersten Christen war ist mir auch bekannt und ich habe mich mit der Kanonbildung des AT sowie die Unterschiede zwischen dem jüdischen und christlichen Kanon über Jörg Siegers Seite informiert.

Von nun an komme ich nicht weiter.

Nag-Hammadi, Qumran, Apokryphen (im schlimmsten Fall sogar pauschal gleichgesetzt mit „verbotene Schriften“), und ähnliche Schlagwörter geistern teilweise im Zusammenhang mit meinem Thema, aber doch widersprüchlich im Web und in den Büchern von Amazon herum.

Ich würde mich mit dem Thema gerne näher befassen. Nur fehlt mir der Plan, ein paar Anhaltspunkte oder Stichworte wie und wo ich anfangen könnte, evtl. auch nur ein guter Buchtipp.

Danke vorab
fliegerbaer

Hallo fliegerbaer,

ich würde zunächst ergänzen: christlicher Kanon: das ist evangelischer, katholischer etc. pp.

Es könnten Schriften, die die Evangelisten noch kannten, verschollen sein, da vereinzelte von ihnen als „Schriftworte“ zitierte Stellen im AT plötzlich zu fehlen scheinen, während die meisten klar zugeordnet werden können. Vom Inhalt solcher Schriften ist aber nichts bekannt.Buchtipp
pro multis

zum Matthäusevangelium bzw. den Synoptikern

http://www.lza.de/downloads/material/index.php?title…
(Davon Kap. 5.2. „Verwendung von Schriftzitaten“)

zum Johannesevangelium

Obermann, A., Die christologische Erfüllung der Schrift im Johannesevangelium. Eine
Untersuchung zur johanneischen Hermeneutik anhand der Schriftzitate (WUNT II
83), Tübingen 1996

So Michael Theobald, Schriftzitate im „Lebensbrot“-Dialog Jesu (Joh 6). Ein Paradigma für
den Schriftgebrauch des vierten Evangelisten, in: Ch.M. Tuckett (Hg.), The Scriptures in the
Gospels (EThL 131), Leuven 1997, 327-366.; Jürgen Roloff, Kirche im Neuen Testament
(NTD.E 10), Göttingen 1995, 305f.

Gruss,
Mike

Hallo Mike,

danke für die Buchtipps und den Link. Und ja, natürlich gibt es keinen einheitlichen christlichen Kanon, hat es nie gegeben (oder ein einheitliches Christentum). Leider scheint nicht klar rausgekommen zu sein, dass ich an den so genannten zwischentestamentlichen Schriften interessiert bin und über empfehlenswerte Literatur darüber suche.

Gruß
fliegerbaer

War ja nur ein erster Hinweis
Hallo fliegerbaer,

ist schon rausgekommen, ich habe lediglich nichts Näheres zur Hand. Für genauere Auskunft suche bei Exegeten zu bestimmten Bibelstellen, welche in ebender von mir angegebenen Literatur genannt werden.

Gruss,
Mike

1 Like

Hallo Mike,

danke für diese sehr hilfreiche Ergänzung. Ich wollte mir eigentlich diese Art Detektivarbeit aus Zeitgründen ersparen, aber wenn es nicht anders geht. Ich habe mir die genannte Literatur jedenfalls notiert und werde darauf zurückgreifen, sobald ich ausreichend Zeit finde. Den Link werde ich jetzt nochmal genauer durchlesen.

Grüße
fliegerbaer

Apokryph
Hi.

das wird wohl wieder eine komplexere Frage, die nicht
vollständig hier zu beantworten sein wird.

Ich sehe da kein Problem. „Zwischentestamentlich“ ist ein Synonym für „apokryph“. Über diese Texte gibt es genug Sekundärliteratur.

Chan

Hallo Ch’an,

Hast du etwas Konkretes im Kopf? Denn genau das ist ja mein Problem, es gibt soviel irreführende oder unfundierte Sekundärliteratur mit sehr widersprüchlichen Inhalten, dass ich Tipps von Wissenden für gute Literatur suche, bevor ich mir ein Regal vollf(m)ülle.

Gruß
fb

Hi Fliegerbaer.

Hast du etwas Konkretes im Kopf? Denn genau das ist ja mein
Problem, es gibt soviel irreführende oder unfundierte
Sekundärliteratur mit sehr widersprüchlichen Inhalten, dass
ich Tipps von Wissenden für gute Literatur suche, bevor ich
mir ein Regal vollf(m)ülle.

Ich denke, dass es das Buch über die Apokryphen nicht gibt und nicht geben kann. Zunächst sollte man zwischen christentumnaher und christentumkritischer Literatur unterscheiden. Vielleicht gibt es auch eine neutrale Mitte. Nein, Konkretes weiß ich nicht, aber ich habe einfach mal die Literaturliste aus Wiki:Apokryphen unten gepastet, die du aber sicher schon kennst.

Ich kann also raten, was ohnehin ratsam ist: sich nicht nur auf ein Buch zu verlassen, sondern mehrere sichten und dann ein (vorläufiges) persönliches Fazit ziehen. Ich habe mir dabei angewöhnt, immer auch den Standpunkt der ´Radikalkritik´ einzubeziehen, der von Dr. Detering kenntnisreich vertreten wird.

Ich persönlich wäre auf jeden vorsichtig mit Büchern, in denen die Datierung der kanonischen Evangelien, wie es die Regel ist, auf die Jahre 70 bis ca. 110 angesetzt wird. Solche Autoren sitzen einer sachlich nicht begründbaren Konvention auf, da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass besagte Evangelien in diesen Jahrzehnten entstanden sind. Sie könnten nämlich auch gut nach 120 entstanden sein, da sie in der frühchristlichen Literatur eigentlich erst bei Irenäus erwähnt werden, also um 180. (Falls es jemand anders weiß, bitte melden)

Die Datierungsfrage ist so bedeutend, weil das Image der (relativen) Authentizität dieser Evangelien mit der Datierung steht und fällt.

Chan

Liste:

Wilibald Grimm, Otto Fridolin Fritzsche: Kurzgefaßtes exegetisches Handbuch zu den Apokryphen des Alten Testaments. Leipzig 1851–1860.
Adolf Jülicher: Apokryphen. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band I,2, Stuttgart 1894, Sp. 2838–2841.
Emil Kautzsch: Die Apokryphen und Pseudepigraphen des Alten Testaments. 2 Bände. Mohr, Tübingen, 1900. Reprint: Olms, Hildesheim 1992, ISBN 3-487-05587-2 Buch anschauen (in Verbindung mit Fachgenossen).
Paul Rießler: Altjüdisches Schrifttum außerhalb der Bibel. Kerle/Rühling, Heidelberg 1928. Nachdruck: Kerle, Freiburg i.Br. 1988, ISBN 3-600-30046-6 Buch anschauen.
Erich Weidinger: Die Apokryphen – Verborgene Bücher der Bibel. Bechtermünz, München 1999, ISBN 3-86047-474-X Buch anschauen (Apokryphen des alten und neuen Testaments).
Wilhelm Schneemelcher: Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 2 Bde. Mohr, Tübingen 1999, ISBN 3-16-147252-7 Buch anschauen (Ausführliche Beschreibungen).
Klaus Berger, Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften. Insel, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-458-16970-9 Buch anschauen (Deutsche Übersetzung der Texte).
Dieter Lührmann: Die apokryph gewordenen Evangelien. Brill, Leiden – Boston 2004, ISBN 90-04-12867-0 Buch anschauen (Studien zu neuen Fragmenten).
Katharina Ceming, Jürgen Werlitz: Die verbotenen Evangelien. Erweitere Neuausgabe. Marixverlag, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-86539-146-9 Buch anschauen (Apokryphe Schriften).
Uwe-Karsten Plisch: Was nicht in der Bibel steht. Apokryphe Schriften des frühen Christentums. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2006, ISBN 3-438-06036-1 Buch anschauen.
Alfred Pfabigan: Die andere Bibel. Gottes verbotene Worte. Eichborn, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-8218-5599-1 Buch anschauen.
Edgar Hennecke (Hg.): Die verborgenen Akten der ersten Christen. Marixverlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-86539-106-0 Buch anschauen.
Alfred Schindler (Hg.): Apokryphen zum Alten und Neuen Testament, mit 20 Handzeichnungen von Rembrandt, Manesse Bibliothek der Weltliteratur, Manesse Verlag Zürich, 2. Aufl. 1988, ISBN 3-7175-1756-2 Buch anschauen.

Klaus Berger: 1. und 2. Jahrhundert
Hallo,

Berger faßt (nicht nur in Theologie des Urchristentums) unter „zwischentestamentlich“ Textfunde zusammen, die innerhalb der ersten 2 Jahrhunderte entstanden sind und in irgendeiner Weise Bezug auf die frühchristliche Entwicklungsgeschichte haben.

Von

Frühjudentum

ist das einige Jahrhunderte entfernt. Du meinst sicher Früh_christentum_.

Frühchristliche Schriften im engeren Sinne, auch aus den Anfängen der zahlreichen gnostischen Bewegungen, sind zusammengefaßt in
Klaus Berger, Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften"
ISBN 3458172491 Buch anschauen
wobei mit den Übersetzung en detail Vorsicht geboten ist: Aber um einen Überblick zu gewinnen über alles das, was aus unterschiedlichen Gründen nicht in den Kanon eingegangen ist, ist das ein erster handlicher Zugang.
Die Einleitungen insgesamt und zu den jeweiligen Texten im Einzelnen geben einen Einblick in den aktuellen Forschungsstand. Und natürlich über Bergers Beitrag dazu. Denn er gehört ja mit zu den weltweit anerkanntesten Spezialisten für diese texthistorische Zeitspanne.

Zu der Literatur unter diesem Obergegriff gehören einige der Texte aus den Qumran-Funden, einige aus den Nag Hammadi Funden, sowie aus P. Oxyrhinchus, P. Berolinensis und vielen anderen.

Nag-Hammadi, Qumran, Apokryphen (im schlimmsten Fall sogar pauschal gleichgesetzt mit „verbotene Schriften“), und ähnliche Schlagwörter geistern teilweise im Zusammenhang mit meinem Thema, aber doch widersprüchlich im Web und in den Büchern von Amazon herum.

Was meinst du mit „Schlagwörtern“? Nag Hammadi und Qumran sind recht unmißverständliche Bezeichnungen für Textsammlungen bzw. Textfunde. Beide umfassen halt im Einzelnen eine enorme Zeitspanne. Da könnten einige Verwirrungen herrühren, wenn das (vielleicht von dir selbst beim Lesen oder auch von Autoren der Bücher, die du sichtest) nicht präzise differenziert wird.

Einen guten Überblick über deren Inhalte geben durchaus diese Artikel:
Über Nag Hammadi
Über Qumran

Die Nag Hammadi Texte sind inzwischen alle in mehreren Übersetzungen erreichbar. Z.B.
Schenke et al. ISBN 3110228033 Buch anschauen
oder das ältere
Lüdemann et al. ISBN 3871731285 Buch anschauen

Die Qumran-Texte, hebräische, aramäische, griechische, liegen zwar alle inzwischen als kritsche Editionen vor, sind aber noch nicht alle übersetzt.

Dazu Klaus Berger: ISBN 3791819291 Buch anschauen wo er mit einigen beliebten Verschwörungstheorien aufräumt, sowie und vor allem: ISBN 3150188202 Buch anschauen

Daß der Terminus „Apokryphen“ manchmal verwirrend ist, ist auch nicht verwunderlich. Denn er hat ein lange Begriffs_geschichte_. Angefangen im 5. Jhdt., wo er bereits vielfach polemisch verstanden wurde. Aber auch nicht allenthalben eindeutig, denn der Ausdruck „Häretiker“ hat ebenfalls einen Bedeutungwandel erfahren: „Häretiker“ sind, wörtlich, lediglich Anhänger irgendeiner „hairesis“ („Schule“, „Lehre“, „Weltanschauung“). Im Laufe der Zeit erst wurde es zu einem Gegenbegriff gegen „orthodoxia“.

Und „apokryphos“ heißt schlicht „verborgen“, und es bezog sich ursprünglich auf Texte, die nicht „öffentlich“ - d.h. in den christlichen Wortgottesdiensten - vorgelesen wurden. Im Laufe der Kanonisierung und besonders der späteren Editionsgeschichte (Luther!) bekam der Ausdruck dann die Bedeutung von Texten, die in Editionen entweder verborgen=weggelassen wurden, oder in separaten Rubriken der Ausgaben gedruckt wurden.

Heute wird der Ausdruck vor allem in populärer Literatur, manchmal tatsächlich verwirrend, auf auf alles bezogen, was nicht in den Kanion aufgenommen wurden.

Gruß
Metapher

Hallo Metapher,

Vielen Dank für die aufschlussreichen Erklärungen sowie die wertvollen Literatur-Tipps.

ad Frühjudentum: Danke für die Richtigstellung, da hatte ich tatsächlich etwas falsch verstanden.

„Schlagwörter“ habe ich zu salopp verwendet, das kann sich natürlich nicht auf Nag Hammadi und Qumran beziehen, sondern auf diverse Buchtitel zu diesen Texten.

Genau bei Bergers/Nords Buch habe ich gezögert, wegen der schwankenden Amazon Bewertungen.

Dieses Buch und das von Schenke sehen für mich momentan sehr interessant aus, und das Reclam Sachbuch von Berger habe ich sogar schon :smile:.

Bei Berger ist es seltsam, mit dem Reclam Buch kam ich sehr gut zurecht, das war in einem Tag verschlungen, die Theologiegeschichte des Urchristentums finde ich teilweise verwirrend aufgebaut und geschrieben, da habe ich einige Mühe mich durchzuarbeiten. Aber keine Frage, die Anschaffung bereue ich auch da nicht. Also wieder mal Berger.


Alles in allem: Ein echter Metapher :smile: Vielen Dank nochmal!

fliegerbaer

Detering über Berger
Hi Fliegerbaer.

Also wieder mal Berger.

Ohne Berger pauschal dissen zu wollen, möchte ich auf ein Problem hinweisen, das ich in einer anderen Antwort an dich schon angedeutet habe: die Frage der wissenschaftlichen Objektivität. Wie objektiv also ist Berger?

Dazu zitiere ich 2 Passagen aus einer Stellungnahme von Dr. Detering zu Bergers Jesus-Buch.

(Quelle unten)

Quod licet Iovi, non licet bovi. Der ökumenische Theologe Klaus Berger hat ebenfalls ein Jesus-Buch geschrieben. Das unterscheidet sich von dem des Papstes vor allem durch zweierlei: durch einen Mangel an theologischem Geschmack und durch die besagte penetrante historische Vielwisserei. Als historisch-kritisch kann dieses Buch selbst im Sinne des Verfassers schon deswegen nicht bezeichnet werden, weil Berger, sich ausdrücklich von der historisch-kritischen Methode abgrenzt und einen Wirklichkeitsbegriff voraussetzt, der (natur-)wissenschaftlich feststellbare Fakten nicht bloß transzendiert, sondern diese schlichtweg ignoriert. Für seine Verabschiedung des historischen Analogiekriteriums bemüht Berger vage postmodernistische und konstruktivistische Kategorien; er nennt das Ganze „Mystik“: „Mystik ist die Definition der Welt unter Einschluss der Existenz Gottes und der Annahme der Möglichkeit von Interaktion mit allen ,Personen‘ und Mächten der unsichtbaren Welt“[5]. Darum kann sich in Bergers „mystischem“ Weltbild alles genauso verhalten, wie es uns die Evangelisten berichten: Die Welt ist bevölkert von Engeln und Dämonen, Jesus trägt „die Spuren der Entstehung durch den Heiligen Geist noch an sich“[6], sein Leib wurde auf dem Berge verklärt[7], wandelte tatsächlich auf den Wellen[8] und erstand körperlich auf[9]. Blinde sehen, Lahme gehen und Tote stehen auf – und wehe jenen kleingläubigen Exegeten, die solche Wunder nur symbolhaft auflösen und damit die Substanz des christlichen Glaubens gefährden! Am Ende wird selbst die Höllenfahrt für Berger zur historischen Begebenheit[10].

Und weiter:

Ärgerlich ist besonders der dilettantische Gebrauch des Begriffes Mystik. Berger bezeichnet alles als „mystisch“, was nicht mit rechten Dingen zugeht, also naturwissenschaftlich nicht erklärt werden kann. Mit echter Mystik (der eines Areopagiten oder Eckehart) hat das alles nichts zu tun. Berger scheint mystisches und mythisches Weltbild miteinander zu verwechseln.

Aus:

http://www.radikalkritik.de/Hist_n_J_fragen.htm

Ich denke, das solle man alles im Hinterkopf haben, wenn man Bergers Texte über apokryphische Literatur studiert.

Chan

Hallo Ch’an,

Obwohl ich deine Bemühungen zu schätzen weiß, ich halte nichts von Detering. Demnach werden wir wohl nicht auf einen grünen Zweig kommen. Nichts für ungut.

Gruß
fliegerbaer