… falls man nicht dem ‚Anti-Kafka‘ Albert Ehrenstein den Vortritt lasen möchte. Hier, nimm dies:
Wenn man mich fragte, was ich gestern erlebt habe, meine Antwort wäre: »Gestern? Gestern ist mir ein Schuhschnürl gerissen.« Vor Jahren, riß mir ein Schuhschnürl, fiel ein Knopf ab, war ich wütend, erfand einen eigenen Teufel, der diesem Ressort vorstand und gab ihm sogar einen Namen. Gorymaaz, wenn ich mich recht erinnere. Reißt mir heute unterwegs ein Schuhschnürl, danke ich Gott. Denn nun darf ich mit einiger Berechtigung in ein Geschäft treten, Schuhschnürln verlangen, die Frage, was ich noch wolle, mit: »Nichts!« beantworten, an der Kassa zahlen und mich entfernen. Oder aber: ich kaufe einem der unerbittlich: »Vier Stück fünf Kreuzer!« schreienden Knaben seine Ware ab und werde von mehreren Leuten als Wohltäter angestaunt. Auf jeden Fall vergehen dadurch etliche Minuten, und das ist auch etwas …
Man sage nicht, ich sei wohl besonders geschickt darin, Langeweile zu empfinden. Das ist nicht richtig. Ich habe von jeher die außerordentliche Fähigkeit besessen, ich war von jeher mit demTalent dotiert, mir die Zeit zu vertreiben, unter allen denkbaren Beschäftigungen die exotischeste ausfindig zu machen.
Beweis dessen: als ich unlängst in die Gansterergasse gehen sollte, trat ich auskunftheischend an einen Wachmann heran, obwohl mir die Lage des genannten Straßenzuges unbekannt war. Da nun machte ich eine wichtige Entdeckung, die mir geeignet erscheint, mehrere Weltgesetze zu erschüttern. Der Wachmann roch nach Rosenparfum. Man bedenke: ein parfümierter Wachmann. Welch eine contradictio in adjecto -
Im ersten Augenblicke traute ich meiner Nase nicht. Zweifel an der Echtheit des Sicherheitsmannes stiegen in mir empor. Vielleicht hatte ein geriebener Verbrecher, um den Nachforschungen zu entrinnen, ein Usurpator sich in die Uniform eines Polizisten gehüllt. Erst die Auskunft überzeugte mich, von seiner Echtheit. So delphisch war sie. Jetzt galt es herauszubekommen, ob vielleicht alle Sicherheitsleute -etwa infolge einer neuen Verordnung - Wohlgerüche zu verbreiten hatten oder ob der Eine mit dieser Eigenschaft allein stand und damit sozusagen auf eigene Verantwortung handelte. Ohne Murren unterzog ich mich der weitläufigen Aufgabe. Eine Dissertation, oder noch besser, ein Essay: »Von den Wachleuten und ihren Gerüchen« schwebte mir vor,’, Polizist um Polizist ward beschnuppert, zwar kein zweiter Schandfleck seines Standes gefunden, immerhin aber festgestellt, daß kein einziger einen englisch gestutzten Schnurrbart besaß. Eine Beobachtung, die sich an ähnlicher Bedeutung für die Wissenschaft nur mit einer andern messen kann, die zu machen mir vor kurzem nach unsäglicher Mühe gelang. Nämlich daß kein einziges Säugetier grün gefärbt ist. Ob jener Polizist durch ein Dienstmädchen oder anderweitig - eigenes Verschulden zu seinem Gerüche kam, dies festzustellen mangelte mir der Mut. Und aus der Abhandlun »De odoribus polyporum« wurde nichts. Ich traute mid nicht, ihn zu fragen. Weil ein Sicherheitsmann, der nach Rosen roch, ein so außerordentlicher Sicherheitsmann, wenn nicht den »Raskolnikow«, so doch ganz gut »Schuld und Sühne« gelesen haben konnte. Und wissend, welch spannenden Kitzel es manchem Verbrecher bereite, sich zu martern und die Behörden zu eludieren, mich dann einfach als einen den Schauplatz seines Frevels frivol umkreisenden Missetäter verhaftete.
In diesem Sinne!
MM