christliche Traditionen von Totenreich und ‚Hölle‘
da ich nicht sehe, wo ich mich in die Diskussion weiter unten einmischen könnte, hier nochmal ein kleiner Überblick.
Wie im FAQ:1527 („Kurze Geschichte der Hölle“) bereits erwähnt, ist bezüglich christlicher Traditionen zum Begriff „Hölle“ zu unterscheiden, ob von einem Totenreich die Rede ist, oder von einem Ort „ewiger“ Qualen als Bestrafung von Sündern. Die Vorstellungen, die sich - leider lediglich in jeweiligen Andeutungen - im Kanon des NT finden, sind keineswegs einheitlich. Das kommt daher, daß diesbezügliche Vorstellungen im zeitgenössischen Judentum keineswegs einheitlich waren, und im mediterranen Raum sowieso nicht. Und somit daher, daß die Autoren offenbar unterschiedlichen Traditionen angehörten bzw aus unterschiedlichen Quellen schöpften.
Die älteste Ausmalung in der jüdischen Tradition ist das „Buch Henoch“ aus dem 3. Jhdt. v. u. Z, das in einer äthiopischen Version erhalten ist (Signatur: „äth. Hen.“). Dort wird (Kap. 10. und 21-24 und ff) die Landschaft beschrieben, in der sich die Toten aufhalten, die auf das Endgericht warten. Die Struktur dieser Landschaft ist nicht präzise nachzuvollziehen, aber jedenfalls sind dort mehrere Teile abgetrennt, Durch Mauern oder tiefe Täler. Es ist (um es hier nur anzudeuten), ein Teilbereich als „Eden“ bezeichnet, ein Ort der Glückseligkeit, der charakterisiert ist durch Wohlgerüche „wie es sie auf der Erde nicht gibt“, die von Früchten bestimmter Bäume ausgehen. In einem anderen Bereich befinden sich Gefesselte, „bis die unendliche Anzahl von Tagen ihrer Strafe vollendet ist“.
Ein anderer „furchtbarer Ort“ wiederum besteht aus Feuer, in dem die Bestraften „gehalten werden für immer“.
Die, die sich dort aufhalten, sind jedoch keine Menschen, sondern „Sterne“, bzw „Engel“. Warum das so ist, tut hier erstmal nichts zur Sache, es geht ja um die Struktur dieser Landschaft, deren genauer Ort übrigens aus dem Text nicht zu erschließen ist. Deutlich ist nur, daß es eine genauere Ausmalung dessen ist, was die jüdische Tradition dieser Epoche als „scheol“ bezeichnet, bzw. als "ge hinnom"oder „ge bene hinnom“ („Tal des Hinnom“ bzw. „Tal der Kinder des Hinnom“).
Weitere Hinweise auf zeitgenössische Unterweltsvorstellungen finden sich z.B. im sog. „4. Buch Esra“ vom Ende des 1. Jhdt, ferner in der griechischen Petrus-Apokalypse und der äthiopischen Petrus-Apokalypse, beide aus dem 2. Jhdt.
Diese Bücher beschreiben jedoch Orte, in denen sich die Toten befinden, und zwar nach dem Endzeitgericht. Und während äth. Hen. und 4. Esra die Grundstruktur von Dantes „Divina Comedia“ vorzeichnen (Besichtigung der diversen Nachtod-Räume unter Begleitung eines kundigen Reiseführers), malt Dante sein „Inferno“, den Ort der „endgültig“ Verfluchten, mit den Bildern aus den letztgenannten Literaturen aus.
Die zeitgenössischen griechischen Literaturen verwenden für die jeweiligen Totenreiche (also die vor dem Endgericht!) die Bezeichnung „hades“, aber ebenso auch die Andeutungen über den „endgültigen“ Ort der Qualen. Deshalb wird das in späteren Interpretationen oft vermischt.
In den germanischen Sprachen wird „hades“ dann weiterhin mit Namen aus ihren eigenen Mythologien übersetzt. So schreibt Wulfila (der erste aus diesem Sprachraum) in für 1. Kor. 16.55, wo es eindeutig nur um das Totenreich geht, und nicht um den Ort ewiger Qualen:
„pou sou, hade , to nikos?“ („wo, Hades, ist dein Sieg?“)
in seiner gotischen Übersetzung:
„_ƕar ist sigis þein, halja _?“
Im althochdeutschen Heliand wird „hades“ wiedergegeben mit „_ hella ".Altnordisch heißt es " hel _“…Alle diese Ausdrücke bezeichnen den Aufenthaltsort der Toten. Eine ewige Qälerei von Sündern gibt es in der germanischen Mythologie auch gar nicht!
So kommt es, daß mit dem deutschen Ausdruck „Hölle“ (ebenso wie mi der engl. „hell“) nicht unterschieden wird, ob der (in der christlichen Eschatologie gemeinte) vorläufige Aufenthaltsort der Toten gemeint ist, die auf das Endgericht warten, oder der Ort der Qualen, der erst nach dem Endgericht relevant wird. Erst nach Dante, der mit dem italienischen „inferno“ (im Unterschid zu dem lateinsichen „infernus“) eben den Ort der Qualen meinte, unterstützt durch das Gemälde von Hieronymus Bosch, wurde „Hölle“ und „hell“ dann im Sprachgebrauch endgültig zur Bezeichnung des Ortes der Qualen.
Daß es in der christlichen Eschatologie ein Ort vor dem Endgericht gibt, wissen ja die meisten Christen eh nicht. (Die zusätzliche Zwischenstation „Fegefeuer“ macht das Ganze nochmal zusätzlich kompliziert.)
So ist z.B. auch der Bericht „descensus ad inferos“, der an das sog. „Nikodemus-Evangelium“ angehängt wurde, als „Höllenfahrt Jesu“ in den Sprachgebrauch übergegangen, obgleich auch dort nur vom Totenreich die Rede ist.
Und um diese ewigen Mißverständnisse auszuräumen, wurde die entsprechende Passage aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis, ebenso wie aus dem athanasischen, die frühere deutsche Version „abgestiegen in die Hölle“ umformuliert in „abgestiegen in das Reich der Toten“.
Gruß
Metapher