Hi.
Ich gehe auf einige Fragen und Bemerkungen von verschiedenen Teilnehmern (auch UP) ein.
Zunächst zu Elimelechs Behauptung:
Ich fürchte hier nämlich, dass dieses - so wie die Ausgangsfrage auch nahelegt - Furcht hier mit Angst gleichgesetzt wird. Von anderen Religionen weiss ich aber, dass diese Gleichsetzung falsch ist, da mit Furcht hier etwas ganz anderes gemeint ist und diese Furcht dort eine positive Kraft ist und von den Betreffenden eben gerade nicht als Angst erfahren wird.
Der Unterschied von Angst und Furcht kann so definiert werden: Furcht = Angst vor einem bestimmten Objekt. Angst ist also eine objektloses Gefühl bzw. eines, dem kein ädaquates Objekt zugeordnet werden kann. Umgangssprachlich spricht man aber auch von Angst, wenn es Furcht heißen sollte: z.B. wenn einer vor einem angreifenden Tier „Angst“ hat. Korrekt wäre hier, dass er vor dem Tier „Furcht“ empfindet.
Elis Versuchung einer Differenzierung (Furcht als angeblich positive Kraft in einigen Religionen) berücksichtigt also nicht, dass Furcht unvermeidlich eine Angstkomponente hat. Furcht ist Angst vor etwas Bestimmten. Ob man das unter bestimmten Umständen als „positiv“ bewertet, hängt von den eigenen philosophischen oder religiösen Prämissen ab, ändert aber nichts am Angstgehalt der Furcht.
Dass die
Betreffenden (diese Furcht) nicht als Angst erfahren,
ist kein Argument dafür, dass diese Angst nicht da ist. Woher wollen Eli und Fliegerbaer (der in diesem Punkt ähnlich argumentiert) wissen, wie es in einem Gläubigen faktisch aussieht?
So schreibt Fliegerbaer:
In dieser Gruppe habe ich noch keinen Moslem gesehen der vor Angst zitternd durch die Wiener Straßen lief (…) Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich macht keinen verschüchterten, transzendent-weggetretenen Eindruck, ganz im Gegenteil. In ihren Anliegen geht es um viele Aspekte des täglichen Lebens.
Furcht vor Allah zu haben bedeutet gewiss nicht, „zitternd“ durch Wien zu laufen oder wo auch immer. Da müssten wir schon ein bisschen tiefer in die Gehirne jener Leute gucken, um mit Sicherheit entscheiden zu können, ob es gerechtfertigt ist, wie Fliegerbaer zu sagen:
Also meine empirische Studie beantwortet deine Frage mit einem eindeutigen NEIN,
oder ob diese „empirische Studie“ und ihr Fazit ein wenig zu sehr an der Oberfläche verharren.
Nun zum UP:
Ist die Angst die alles entscheidende Motivation für jeden Moslem, mehr noch als die Hoffnung auf „paradiesische Freuden“ (sei es nun in Form von „72 schwarzäugigen Jungfrauen“ oder „72 weißen Weintrauben“?) (…) Ist der gläubige Muslim vor allem ein von Angst erfüllter Mensch?
Die zweite Frage kann ihrem Wortlaut nach, d.h. in dieser Verallgemeinerung, nicht mit Sicherheit bejaht werden, da hier korrekterweise jeder Einzelfall überprüft werden müssten, was natürlich unmöglich ist. Außerdem ist Angst ein psychologischer Faktor, der nicht zwingend bewusst sein muss. Seit Freud wissen wir, dass Ängste verdrängt werden können und sich in Symptomen und Verhaltensweisen manifestieren, die auf den ersten Blick nichts mit Angst (bzw. Furcht) zu tun haben. Verräterische Symptome sind z.B. das, was Freud als Zwangshandlungen bezeichnete, die auf religiöser Ebene (Freud hatte hier das Juden- und Christentum im Blick) in Form von „Ritualen“ erscheinen. Das Befolgen solcher Rituale kann sehr wohl positive Gefühle auslösen, worauf sicher auch Elimelech abhebt (wenn auch nicht nur darauf), wenn er schreibt:
diese Furcht (…) eine positive Kraft ist und von den Betreffenden eben gerade nicht als Angst erfahren wird.
Wie gesagt, das Nichterfahren als Angst bedeutet noch lange nicht, dass diese nicht vorhanden ist. Zumindest der Großteil der Angst bzw. Furcht (vor „Gott“) ist immer unbewusst und ein Produkt religiöser Erziehung.
Die Kernfrage des UP lautet:
Ist die Angst die alles entscheidende Motivation für jeden Moslem (…)?
Darauf mit „Ja“ zu antworten, wäre sachlich vermutlich korrekt, denn „Angst“ als treibendes religiöses Motiv im Islam lässt sich anhand vieler Quellentextstellen nachweisen. Dieses Faktum lässt sich auch nicht dadurch entkräften, dass man wie Pendragon schreibt:
auf jede anhand irgendwelcher „Textstellen“ hingerotzte eigenwillige Interpretation, die letztendlich doch nur darauf abziehlt, die entsprechende Religion zu verunglimpfen, zu reagieren. Entsprechende Textstellen lassen sich übrigens in jeder beliebigen Religion finden.
Aha… Textstellen als Belege zu zitieren und diese zu interpretieren, heißt also im www-Moderatoren-Deutsch „hinrotzen“. Natürlich aber nur dann, wenn die damit verbundene Interpretation nicht mit der Meinung von www-MODs übereinstimmt. Dann nämlich dient sie nur dazu, eine „entsprechende Religion zu verunglimpfen“.
Also, lieber LeserInnen, in Zukunft aufpassen und keine Interpretationen „hinrotzen“, die nicht in das Interpretationsschema gewisser MODs passen, welche die Interpretationshoheit haben.
Zurück zum Thema:
Ist die Angst die alles entscheidende Motivation für jeden Moslem (…)?
Auch wenn Marvin in seinem vermutlich von den 12 Aposteln besternten Beitrag schreibt:
Könnt ihr euch nicht einfach auf die jeweilige Fragestellung begrenzen, jedenfalls so gut es geht?
so lässt sich die Frage des UP nicht einfach direkt und ohne jeden erweiterten Kontext beantworten. Den Kontext bilden hier schlicht und ergreifend die Religionen, aus denen der Islam direkt (Judentum und Christentum) und indirekt (die vorjüdischen Religionen) hervorgegangen ist. Hier kann man mit Recht auf Verallgemeinerung sagen, dass die „Angst“ bzw. Furcht vor Gott bzw. den Göttern das vermutlich ausschlaggebende Motiv für den Glauben an ein bestimmtes theologisches System ist. Das war schon in den vorjüdischen Religionen, z.B. in Mesopotamien, so, und das war mindestens in der gleichen Intensität so im Judentum und im Christentum.
Die „Liebe“ zu Gott oder den Göttern war immer nur ein sekundäres Motiv. Primäres Motiv war die Angst bzw. Furcht. Das gilt prinzipiell für alle Religionen, bedingt auch für die asiatischen (dazu später), und also auch für den Islam.
Hier sind Zitate aus monotheistischen Quellen, die jede/r, gleich ob mit oder ohne Rotz, „interpretieren“ kann, wie er/sie will.
Aus dem Judentum:
(Ex 20, 20)
Fürchtet euch nicht! Denn Gott ist gekommen, um euch auf die Probe zu stellen und die Furcht vor ihm in euch wachzurufen, damit ihr nicht sündigt…
Also, ich rotze mal ein bisschen und behaupte, dass die Furcht vor „Gott“ das primäre Motiv ist, seinen Geboten zu gehorchen. Klar, diese Interpretation ist schon verdammt rotzig, aber steht es nicht auch irgendwie so da im Quellentext?
Aus dem Christentum:
(Römer 1,18)
Denn es wird geoffenbart Gottes Zorn vom Himmel her über alle
Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit der Menschen, welche die
Wahrheit durch Ungerechtigkeit niederhalten…
Auch hier darf ich ungehemmt meine Interpretation hinrotzen: der Gott des Paulus ist ein Gott, der die Menschen durch seinen potentiellen Zorn in Schach hält bzw. halten möchte, sie also in Angst versetzt. Das klingt schon sehr nach „Basismotivation“.
Und endlich aus dem Islam:
(Koran, 4:1)
O ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn, Der euch aus einem einzigen Wesen geschaffen hat, aus ihm sein Partnerwesen geschaffen hat und aus beiden viele Männer und Frauen vermehren ließ. So fürchtet Allah, in Dessen Namen ihr einander ersucht und wahret die Verwandtschaftsbanden (fest). Wahrlich, Allah wacht stets über euch.
Der Gottesfurcht-Begriff entspricht im Islam dem „taqwa“, ein Begriff, der in etwa daraus hinausläuft, dass sich der Gläubige den Gesetzen Allahs zu unterwerfen hat und im Falle, dass er das nicht tut, sich Allahs Zorn einhandelt.
In einem Hadith von Aisha (Mohammeds junge Frau) heißt es (Islamkundige können diese Stelle gewiss genauer lokalisieren):
Früher wie auch heute gab es eine sehr große Anzahl von Gläubigen, die (nach verschiedenen Gründen) äußerst schädliche Handlungen begangen und die sich periodisch mit Sünden beschmutzten. Aber sie beruhigten und beruhigen ihre Seelen mit Worten: „Wir glauben, wir sind uns bewusst, dass wir sündigen, wir verstehen die Schädlichkeit unserer Handlungen, aber wir hoffen auf Seine Barmherzigkeit. In der Tiefe unserer Herzen gibt es Angst vor Allah, das Beben vor dem Herrn der Welten.“ ‘Ayscha, die Gattin des Propheten Muhammad, fragte beim Gesandten des Allmächtigen: „Handelt es sich in diesem Koran-Vers um jene, die stehlen, Unzucht treiben, saufen und dabei vor Gott, dem Heiligen und dem Großen, Angst haben?“ Der Prophet Muhammad (Allahs Friede und Segen sei mit ihm) antwortete: „Nein, o Tochter von Abu Bakr, o Tochter des Wahrheitsgetreuesten! Es handelt sich hier um jene, die beten, fasten, Almosen abgeben und dabei [indem sie dies sowie eine andere gerechte Tat vollziehen] Angst vor Gott haben (vor Allah beben).“
Möge jede/r der LeserInnen dazu seine eigene Interpretation „hinrotzen“.
Natürlich gibt es auch im Buddhismus das Angst-bzw. Furcht-Motiv, nur sind hier nicht die Götter oder ein Gott das Objekt, sondern das „Leiden“ im Samsara. Dieses Leiden zu erkennen in seiner Unvermeidlichkeit, gilt als wichtiger Antrieb des buddhistischen Adepten, wenn auch mehr im Sinne einer condition sine qua non als eines primären Motivs (aus dem sich alle anderen ableiten), wie es die Angst in den theistischen Religionen sehr wohl sein kann und vermutlich auch ist.
Chan