[Anschlussfrage] Heidegger + Existentialismus

Guten Tag!

Da meine Rückfrage im unteren Thread wohl keine Antwort erhalten werden wird, sei der Frage ein eigener Baum gegönnt:

Was ist denn eigentlich ein „Heideggerscher Existentialismus“?

Um die oft geforderte Vorarbeit zu zeigen:
Ich bin mit dem Heidegger vor der „Kehre“, also insbesondere mit „Sein und Zeit“, schlecht vertraut, vermute aber, dass sich, wenn schon, dann einzig dort ein „Heideggerscher Existentialismus“ zeigen müsste, denn in seinen späteren Jahren, insbesondere etwa im so zentralen „Brief über den Humanismus“ zeigt sich ja dezidiert ein Heideggerscher Anti-Existentialismus.
Nicht nur weist er dort die aus Paris ankommende Botschaft, der E. wäre ein Humanismus, dezidiert zurück, vielmehr setzt er den Begriff der „existentia“ umstandslos seiner allgemeinen Metaphysik-Kritik aus. Umstandslos, weil er sich -nach Aufgabe seines fundamentalontologischen Anspruchs- nun (fast) in Gänze von diesem Begriff abwenden kann.
Vom späten Heidegger könnte man also bestenfalls, wenn schon, sagen, er würde einen „Ek-sistentialismus“ entwickelt haben.
Dieser hat mit dem gewöhnlichen Existentialismus aber recht wenig zu tun, da er weder dessen Fortsetzung noch dessen einfache Negation ist.

Kurzum:
Ist mein Sicht des späten Heideggers soweit korrekt?
Ist es korrekt, dass man, wenn dann, einen ‚Heideggerschen Existentialismus‘ einzig in „Sein und Zeit“ suchen müsste, weil er unabdingbar mit der (in S+Z noch gegebenen) Voraussetzung des Daseins als spezifischer Form des Seienden verbunden ist?
Wenn ja, wie sieht er dann dort aus?
Wenn ja, ist er aber nicht dort schon in deutlich kritischer Abgrenzung (jedenfalls in deutlicher kritischerer Abgrenzung als bei Sartre und anderen „Existentialisten“) gegenüber dem traditionellen Gebrauch des Begriffs der „existentia“ entwickelt?

E.T.

Hallo Ernst

was ich mit dem Heideggerischen Existentialismus eigentlich gemeint habe, und es ist warscheinlich eine ziemlich oberfächliche vorstellung davon, ist haupsächlich seine idee vom dem Aktiven und dem Passiven Dasein.
Das passive Dasein, verurteilt er. Damit ist beispielsweise ein Verstecken in der Masse (paradox, wo er doch später zum überzeugten Nazi wurde) und im Grossen und Ganzen das Vergessen von dem allgegenwärtigen Tod gemeint.
Ausserdem verurteilt er auch nur den Gedanken an Selbstmord

Das aktive Dasein, ist ein Dasein mit dem Bewusstsein, dass der Tod allgegenwärtig ist. Man sollte allerdings dagegen ankämfen, auch wenn man weiss, dass man schon verloren hat. diese Einstellung soll in allen anderen Bereichen des Lebens ebenfalls angewendet werden.
Ich würde es „positiven nihilismus“ nennen.

Aber wie gesagt, allzu genau kenne ich mich auch nicht mit den Details aus.

Liebe Grüsse,
Zora

Guten Tag!

Was ist denn eigentlich ein „Heideggerscher Existentialismus“?

Ein falscher Terminus, genauso gut könnte man sagen,
ein Kierkegaardscher Existentialismus. Was beide
mit dem Existantialismus, also Sartre, Camus…
verbindet ist das Philosophieren über die Existenz.
Richtig und nicht so verwirrungsstiftend, bezeichnet
man seine Philosophie als „Existenzphilosophie“.

Äpfel und Birnen sind auch Obst und trotzdem
sollte man sie, wie bereits der Volksmund sagt,
nicht vergleichen!

Oder willst du das vertiefen? Wenn ja, wozu?

Gruß
Paul

Guten Tag!

Danke für deine Rückmeldung, nachdem ich deine Frage schon zum Anlass meiner Frage genommen habe.

was ich mit dem Heideggerischen Existentialismus eigentlich
gemeint habe, und es ist warscheinlich eine ziemlich
oberfächliche vorstellung davon, ist haupsächlich seine idee
vom dem Aktiven und dem Passiven Dasein.
Das passive Dasein, verurteilt er.

Ok, ich verstehe, was du meintest.
Das bezieht sich dann auf jeden Fall allein auf den frühen Heidegger.

Damit ist beispielsweise
ein Verstecken in der Masse (paradox, wo er doch später zum
überzeugten Nazi wurde)

Das Verhältnis Heidegger und die Nazis hatten wir vor kurzem hier im Forum schon mal andiskutiert. Ein „überzeugter Nazi“ war Heidegger wohl zu keiner Zeit. Aber das nur nebenbei gesagt.

E.T.

Guten Tag!

Was ist denn eigentlich ein „Heideggerscher Existentialismus“?

Ein falscher Terminus, genauso gut könnte man sagen,
ein Kierkegaardscher Existentialismus. Was beide
mit dem Existantialismus, also Sartre, Camus…
verbindet ist das Philosophieren über die Existenz.
Richtig und nicht so verwirrungsstiftend, bezeichnet
man seine Philosophie als „Existenzphilosophie“.

Stimmt.
Ich hatte den Begriff ja übernommen und dann synonym zur E. gebraucht.
Meine Frage bleibt aber wohl auch in Bezug auf den besseren Terminus der „Existenzphilosophie“ bestehen, zumal mW Heidegger selbst auch diesen Terminus als Selbstbezeichnung seiner Philosophie expressiv verbis zurückweist.

Oder willst du das vertiefen? Wenn ja, wozu?

Naja, es interessiert mich halt gerade, angeregt durch Zoras Frage gestern :wink:

E.T.

Guten Tag!

Stimmt.
Ich hatte den Begriff ja übernommen und dann synonym zur E.
gebraucht.

Schon klar!

Meine Frage bleibt aber wohl auch in Bezug auf den besseren
Terminus der „Existenzphilosophie“ bestehen, zumal mW
Heidegger selbst auch diesen Terminus als Selbstbezeichnung
seiner Philosophie expressiv verbis zurückweist.

Das stimmt, er sah sich nicht als Existenzphilosoph,
trotzdem ist gerade seine „ontologische Differenz“,
seine Frage nach dem „Sinn von Sein“ von grundlegender
Bedeutung für die Existenzphilosophie,
du hast das schon treffend formuliert, auch wenn er
sich eine allein existentialistische Lesart
seiner P. verboten hat. Da hängt der Haken!

Naja, es interessiert mich halt gerade, angeregt durch Zoras
Frage gestern :wink:

Na dann! :smile:

Gruß
Paul

Heideggers Existenzbegriff
Hi ET.

Ich bin nicht sonderlich auf der Höhe, was Heidegger betrifft, denke aber, dass deine Fragen ein paar andeutende Antworten verdient haben.

Nicht nur weist er dort die aus Paris ankommende Botschaft, der E. wäre ein Humanismus, dezidiert zurück, vielmehr setzt er den Begriff der „existentia“ umstandslos seiner allgemeinen Metaphysik-Kritik aus.

An diesem Punkt standen Heidegger und Sartre auf diametral entgegengesetzten Positionen, was das Subjekt angeht. Für Sartre ist das Subjekt die unhintergehbare Basis allen Denkens über die Welt, für Heidegger ist es ein unsinniger Begriff, den er in S&Z durch Dasein ersetzt und nach der Kehre nur noch vom (unbeschreibbaren) Sein her versteht. Das „Dasein“ war im Unterschied zum traditionellen Subjektbegriff nicht als separat von der Welt zu verstehen (also nicht Subjekt vs. Objekt), sondern als etwas, das von Beginn seiner Existenz an in einem Verhältnis zur Welt und zur Überlieferung steht und ohne diese gar nicht verstanden werden kann (Eingewobenheit in den Überlieferungszusammenhang). Nach der Kehre hat der Mensch dann endgültig kein Eigensein mehr, er ist nur noch eine Lichtung, in der sich das Sein offenbart.

Das (nach-Kehrige) Sein ist nicht beschreibbar. Es bildet den Horizont unseres Verständnisses der Welt. Es definieren zu wollen, setzte einen infiniten Regress voraus, der an ein Ziel kommt, und das ist unmöglich.

Heideggers später Existenzbegriff ist paradoxerweise die Negation des traditionellen Existenzbegriffs. Er unterscheidet die ekstatische Ek-sistenz von der simplen Aktualität, der Existenz. Man hat versucht, das mystisch zu deuten, auch im Sinne der Zen-Mystik, wobei die Zen-Experten ziemlich einig darin sind, dass Heidegger vom Zen ein beträchtliches Stück entfernt ist. Dass er teilweise von Meister Eckhart inspiriert war, ist aber Fakt.

O-Ton Heidegger aus „Über den Humanismus“:

„Ek-sistenz, ekstatisch gedacht, deckt sich weder inhaltlich noch der Form nach mit der existentia. Ek-sistenz bedeutet inhaltlich Hinaus-stehen in die Wahrheit des Seins. Existentia (existence) meint dagegen actualitas, Wirklichkeit im Unterschied zur bloßen Möglichkeit als Idee. Ek-sistenz nennt die Bestimmung dessen, was der Mensch im Geschick der Wahrheit ist. Existentia bleibt der Name für die Verwirklichung dessen, was etwas, in seiner Idee erscheinend, ist.“

Chan

Guten Tag!

Heideggers später Existenzbegriff ist paradoxerweise die
Negation des traditionellen Existenzbegriffs.

Das sehe ich ebenfalls so, darum habe ich auch Probleme damit, Heidegger als „Existenzphilosophen“ zu verstehen, wie das so oft geschieht, weil er damit an einem (frühen) Teilbereich seines Denkens festgezurrt wird.
Ob es sich bei Existenz/Ek-sistenz tatsächlich um ein Negationsverhältnis handelt oder um ein komplexeres Verhältnis, ist eine andere Frage.

E.T.

Heidegger. Magritte, Zen
Hi ET.

Heideggers später Existenzbegriff ist paradoxerweise die
Negation des traditionellen Existenzbegriffs.

Ob es sich bei Existenz/Ek-sistenz tatsächlich um ein
Negationsverhältnis handelt oder um ein komplexeres
Verhältnis, ist eine andere Frage.

Natürlich ist das Verhältnis komplexer, aber mir scheint das Negationsverhältnis doch sehr grundlegend zu sein.

Der Surrealist Rene Magritte war bekanntlich ein eifriger Leser der Schriften Heideggers. Sein bekanntestes Bild heißt „La trahison des images“. Das Bild zeigt eine Pfeife (pipe) und den Text „Ceci n´est pas une pipe“.

http://monacoverein.files.wordpress.com/2010/04/ceci…

Es wurde zunächst vordergründig so gedeutet, dass ein Bild nicht identisch mit dem abgebildeten Gegenstand sei. Foucault hat dann auf eine viel tiefergehende Interpretation hingewiesen: Magritte wolle zeigen, dass ein Gegenstand nicht so real ist, wie wir glauben, dass er es ist. Diese Interpretation wird, denke ich, dem philosophischen Anspruch Magrittes sehr viel mehr gerecht.

Das entspricht dem Unterschied zwischen Existenz (das Ding X existiert, ist aktualisiert usw.) und Ek-sistenz (ein Sein jenseits des bloß dinghaften Existierens).

Im Zenbuddhismus (wie gesagt oft mit Heidegger assoziiert) gibt es ebenfalls die Negation der Existenz von scheinbar existierenden Dingen.

Zitat:

„Alle Dinge kommen ins Sein und vergehen ins Nichts, nichts bleibt ewig. Wie Trugbilder, Wolken und aufblitzendes Licht sind sie. Keines der Dinge fährt fort zu bestehen. Keines von ihnen verweilt auch nur einen Augenblick. Alles, was existiert, ist in Wirklichkeit nicht existent. Es ist nur ein Traum, ein Flimmern der Hitze in der Luft.“(Vimalakirti nirdesa)

http://www.quantumunlimited.org/vem/deutsche-artikel…

Ähnliches kennen wir aus der Negativen Theologie, aus Hegels Denken usw.

Chan

Heidegger. Magritte, Zen und Rothändle
Hi

Alles, was
existiert, ist in Wirklichkeit nicht existent. Es ist nur ein
Traum, ein Flimmern der Hitze in der Luft."(Vimalakirti
nirdesa)

Und da war dann noch der Zen-Mönch, der eines schönen Tages beim Zazen dem Meister eine Pistole in den Mund schob und abdrückte. Als sich das Gehirn des Meisters im Raum verteilte, schrie ein anderer Schüler: „Warum hast du das getan?“ Der Mörder legte die Pistole zu Seite und sagte: "Reg dich nicht auf - das alles, was du eben gesehen hast, ist nicht existent. Eine Illusion, ein Traum, ein Flimmern… " Da war der andere Schüler beruhigt und meditierte weiter. Manche munkeln sogar, er habe in diesm Moment satori, die Erleuchtung, erlangt.
Ist doch manchmal schön, wie sich die Dinge so von allin regeln.

Ähnliches kennen wir aus der Negativen Theologie

Ja, das mag schon sein. Muss aber ne ziemlich negative Theologie sein.
Gruß,
B.

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Radl-Rambos, Zensplitter und der Eine Geist
Hi VB.

Zitat: „Alles, was existiert, ist in Wirklichkeit nicht existent. Es ist nur ein Traum, ein Flimmern der Hitze in der Luft.“(Vimalakirti nirdesa)

"Eine Illusion, ein Traum, ein Flimmern… " Da war der andere Schüler beruhigt und meditierte weiter. Manche munkeln sogar, er habe in diesm Moment satori, die Erleuchtung, erlangt. Ist doch manchmal schön, wie sich die Dinge so von allin regeln.

Lieber VB, die Debatte über die These von der Nichtrealität der Dinge hatten wir schon mal, ich glaube, das war im Kontext des Radikalen Konstruktivismus. Wir können sie gerne fortführen, da wir bisher keinen Konsens erzielen konnten. Ich würde mich dabei über einen sachlichen Tonfall freuen.

Also, im Zen wird nicht gesagt, dass die Dinge absolut null existieren. Es ist nicht so, dass einer sagt: „Hey, da steht ja ein Fahrrad“, und der Zenmeister dann denkt: ´So ein Quatsch, ich sehe überhaupt kein Fahrrad´. Natürlich sieht auch der Zenmeister das Fahrrad. Vielleicht gehört es ihm sogar. Und trotzdem könnte er laut antworten: „Unsinn, da steht kein Fahrrad.“ Damit will er nicht sagen, dass der andere halluziniert, sondern dass dieser die eigenen Wahrnehmungen falsch interpretiert.

Es geht also um die Interpretation der Wahrnehmung ´Fahrrad´. Die konventionelle, alltägliche Interpretation ist eine verdinglichende. Sie nimmt das Fahrrad als substantielles Ding, das ein Eigensein hat.

Besonders fatal ist die substantialisierende Interpretation, wenn es um den Glauben an die Realität des Ich geht. Genau daraus erwachsen die meisten Übel in der Welt.

Ich zitiere zum Thema aus Ralfs Website:

http://zensplitter.blogspot.com/2009_12_01_archive.html

„Das ‚Ungeborene‘ ist leer von jeder Form, es ist leer von jeder Eigennatur oder Eigensein (svabhava) – also ohne Charakteristika, Qualitäten, Eigenschaften.“ (Zitat Ende)

Eben. Das ´Ungeborene´ - das ist, aus zenbuddhistischer Sicht, die wahre Natur der Dinge. Der, welcher das Fahrrad als Ding mit Eigensein sieht, weiß nichts davon. Das heißt nicht, dass da nichts ist, auf welches das Wort ´Fahrrad´ beziehbar wäre. Es geht nicht um Halluzination, es geht um falsche und richtige Interpretation.

Im Zen haben die Dinge also kein separates Ding-Sein, sondern sie sind ´Erscheinungen´ des Einen Geistes.

Ein gängiges skeptisches Argument (das dir vielleicht auf der Zunge liegt) geht dahin, dass das vielleicht ein schöne Theorie ist, in der Praxis aber nicht funktioniert, da der Zenmeister schnell von der Realität bzw. Dinglichkeit des Fahrrads überzeugt wäre, wenn ihn ein Radl-Rambo über den Haufen fährt.

Allein, mit diesem Argument ist nichts gewonnen, denn es beweist nicht die Dinghaftigkeit bzw. das Eigensein des Fahrrads. Nicht anders als der Drahtesel nämlich sind auch Schmerzen und Platzwunden nur ´Erscheinungen´ des Einen Geistes. Das heißt nicht, dass die Schmerzen halluziniert sind. Es geht auch hier nur um ihre Interpretation.

http://www.zensite.de/zd/obaku

Zitat: „Es existiert nur der eine Geist und kein Teilchen von irgend etwas anderem, an das man sich anklammern könnte.“

Vielleicht kann dir Ralf das besser erläutern, er ist auf diesem Gebiet schließlich der Experte.

Chan

Hi

Nicht anders als der Drahtesel nämlich sind auch
Schmerzen und Platzwunden nur ´Erscheinungen´ des Einen
Geistes. Das heißt nicht, dass die Schmerzen halluziniert
sind. Es geht auch hier nur um ihre Interpretation.

Jau. Weh tuts trotzdem.
Gruß,
B.

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Das heißt nicht, dass die Schmerzen halluziniert sind.

Jau. Weh tuts trotzdem.

Klar, das nennt sich dann ´SchmerZen´.

Chan

1 Like

Guten Tag!

Heideggers später Existenzbegriff ist paradoxerweise die
Negation des traditionellen Existenzbegriffs.

Ob es sich bei Existenz/Ek-sistenz tatsächlich um ein
Negationsverhältnis handelt oder um ein komplexeres
Verhältnis, ist eine andere Frage.

Natürlich ist das Verhältnis komplexer, aber mir scheint das
Negationsverhältnis doch sehr grundlegend zu sein.

MIr scheint das metonymische Verhältnis grundlegender.

Das entspricht dem Unterschied zwischen Existenz (das Ding X
existiert, ist aktualisiert usw.) und Ek-sistenz (ein Sein
jenseits des bloß dinghaften Existierens).

Nein, nein.
Zwar ist es richtig, dass sich die Ek-sistenz auf das Sein bezieht, bzw. anders herum gesagt, dass das emphatische Sprechen von der Existenz stets ein Index der Seinsvergessenheit ist.
Es ist aber definitiv nicht so, dass bei Heidegger das Sein jenseits des Dings wäre.
Erst recht nicht wäre ein Existieren denkbar jenseits des „bloß dinghaften“ Existierens.

Im Zenbuddhismus
[1] Alles, was
existiert, ist in Wirklichkeit nicht existent. Es ist nur ein
Traum, ein Flimmern der Hitze in der Luft."(Vimalakirti
nirdesa)
Ähnliches kennen wir aus der [2] Negativen Theologie,
aus [3] Hegels
Denken usw.

Drei Formen metaphyischer Hinterweltlichkeit. Darin möchte ich Heidegger gerade nicht eingeordnet wissen. Darum auch mein Widerwille, ihn als [4] Existenzphilosophen zu verstehen.

E.T.

Klar, das nennt sich dann ´SchmerZen´.

Damit kann ich was anfangen! :wink:

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Heideggers Bezug auf die Negative Theologie
Hi ET.

Hier nochmal die von mir zitierte Passage von Heidegger:

„Ek-sistenz, ekstatisch gedacht, deckt sich weder inhaltlich noch der Form nach mit der existentia. Ek-sistenz bedeutet inhaltlich Hinaus-stehen in die Wahrheit des Seins. Existentia (existence) meint dagegen actualitas, Wirklichkeit im Unterschied zur bloßen Möglichkeit als Idee.“

Also, wenn H. sagt, dass sich Ek-sistenz weder inhaltlich noch formal mit Existenz deckt, dann liegt hier ein Verhältnis vor, dass man als Negation bezeichnen kann. Ich sehe hier nichts Metonymisches, dafür müsste irgendeine Überschneidung der Gegenstandsbereiche der Begriffe vorliegen, was laut H. eben nicht der Fall ist.

Beispiel für Metonymie: „Ich parke dort an der Ecke“ = mein Auto parkt dort an der Ecke (Überschneidung: das Auto gehört mir).

Zwar ist es richtig, dass sich die Ek-sistenz auf das Sein
bezieht, … Es ist aber definitiv nicht so, dass bei Heidegger das Sein jenseits des Dings wäre.
Erst recht nicht wäre ein Existieren denkbar jenseits des
„bloß dinghaften“ Existierens.

Du meinst vielleicht den Heideggerschen Ding-Begriff, auf den ich mich aber nicht bezog. Ich meinte einfach das (alltagssprachliche) Ding, auf das sich H.´s Existenzbegriff bezieht. Er nennt es „Zeug“.

Im Zenbuddhismus
[1] Alles, was
existiert, ist in Wirklichkeit nicht existent. Es ist nur ein
Traum, ein Flimmern der Hitze in der Luft."(Vimalakirti
nirdesa)
Ähnliches kennen wir aus der [2] Negativen Theologie, aus [3] Hegels Denken usw.

Darin möchte ich
Heidegger gerade nicht eingeordnet wissen.

Ich habe auf Ähnlichkeiten hingewiesen, die unleugbar vorhanden sind. Heideggers „Sein“ ist ebenso wenig positiv beschreibbar wie der Eine Geist des Zen oder der Gottbegriff der Negativen Theologie (beide kennzeichnen die jeweiligen Kategorien nur negativ als das, was sie nicht sind).

Heidegger wird von Fachleuten übrigens eng mit der Negativen Theologie in Verbindung gebracht. Vermutlich ist dir das (bisher) nicht bekannt. Siehe z.B.:

http://www.springerlink.com/content/p57038x453508857/

Drei Formen metaphyischer Hinterweltlichkeit.

Diesen Ausrutscher lass ich mal durchgehen, weil heute so schönes Wetter ist :smile:

Chan

Guten Tag!

Ich sehe hier nichts
Metonymisches, dafür müsste irgendeine Überschneidung der
Gegenstandsbereiche der Begriffe vorliegen, was laut H. eben
nicht der Fall ist.

Exakt anders herum passts: für eine Negation muss der Begriff auf denselben Gegenstandsbereich bezogen sein, während die Metonymie eine Verschiebung des Gegenstandsbereichs bedingt.
In deinem Beispiel: Verschiebung Auto -> Ich

Zwar ist es richtig, dass sich die Ek-sistenz auf das Sein
bezieht, … Es ist aber definitiv nicht so, dass bei Heidegger das Sein jenseits des Dings wäre.
Erst recht nicht wäre ein Existieren denkbar jenseits des
„bloß dinghaften“ Existierens.

Du meinst vielleicht den Heideggerschen Ding-Begriff, auf den
ich mich aber nicht bezog. Ich meinte einfach das
(alltagssprachliche) Ding, auf das sich H.´s Existenzbegriff
bezieht. Er nennt es „Zeug“.

Das Sein ist auch nicht JENSEITS des Zeugs. Auch wenn es deshalb noch lange nicht das Zeug IST, ist es DIESSEITS des Zeugs.

Ich habe auf Ähnlichkeiten hingewiesen, die unleugbar
vorhanden sind. Heideggers „Sein“ ist ebenso wenig positiv
beschreibbar wie der Eine Geist des Zen oder der Gottbegriff
der Negativen Theologie

ok

Heidegger wird von Fachleuten übrigens eng mit der Negativen
Theologie in Verbindung gebracht. Vermutlich ist dir das
(bisher) nicht bekannt.

Doch, das ist mir allerdings bekannt (mir ist auch bekannt, dass manche Autoren Heidegger und den Zen-Buddhismus zusammenbringen).
Mir ist aber auch bekannt, dass Heidegger von Fachleuten gern als Existenzphilosoph bezeichnet wird, obwohl er sich selbst genauso wenig darin wiederfindet wie ich ihn :wink:
Just in der Passage, die du zitierst, verwehrt er sich gegen die existenzphilosophische Lesart von SuZ, indem er darauf hinweist, dass er die Anführungszeichen beim „Wesen“ doch ganz ganz ehrlich, Ehrenwort, nicht versehentlich gesetzt hätte …

Drei Formen metaphyischer Hinterweltlichkeit.

Diesen Ausrutscher lass ich mal durchgehen, weil heute so
schönes Wetter ist :smile:

Na dann, raus ins Freie!

E.T.

Negation vs. Metonymie
Hi ET.

Ich sehe hier nichts Metonymisches, dafür müsste irgendeine Überschneidung der Gegenstandsbereiche der Begriffe vorliegen…

Exakt anders herum passts: für eine Negation muss der Begriff
auf denselben Gegenstandsbereich bezogen sein, während die
Metonymie eine Verschiebung des Gegenstandsbereichs bedingt.
In deinem Beispiel: Verschiebung Auto -> Ich

Sorry, ich zitiere:

„Die Metonymie … ist eine rhetorische Stilfigur, bei der ein sprachlicher Ausdruck … in einem nicht-wörtlichen, übertragenen Sinn gebraucht wird, und zwar in der Weise, dass zwischen der wörtlich bezeichneten und der im übertragenen Sinn gemeinten Sache eine Beziehung der Kontiguität, das heißt der Nachbarschaft oder realen sachlichen Zusammengehörigkeit … besteht.“ (Wiki)

_Reale sachliche Zusammengehörigkei_t - wo liegt die zwischen Ek-sistenz und Existenz vor? Wie du das metonymische Verhältnis überhaupt begründest, hast du noch nicht ausgeführt. Was die von mir behauptete Negation angeht, kann man das Verhältnis Existenz-Ek-sistenz durchaus als solche bezeichnen. Das Kriterium ist „Wahrheit“.

Nochmal das Zitat:

Ek-sistenz, ekstatisch gedacht, deckt sich weder inhaltlich noch der Form nach mit der existentia. Ek-sistenz bedeutet inhaltlich Hinaus-stehen in die Wahrheit des Seins. Existentia (existence) meint dagegen actualitas, Wirklichkeit im Unterschied zur bloßen Möglichkeit als Idee. Ek-sistenz nennt die Bestimmung dessen, was der Mensch im Geschick der Wahrheit ist. Existentia bleibt der Name für die Verwirklichung dessen, was etwas, in seiner Idee erscheinend, ist.

H. spricht der Ek-sistenz also „Wahrheit“ (Hinausstehen in die Wahrheit des Seins) zu, der Existenz aber nicht. Ek-sistenz und Existenz stehen also in einem kontradiktorischen Widerspruch, nur eines kann wahr sein, das andere nicht. Das Wahre negiert das Unwahre.

Ich meinte einfach das (alltagssprachliche) Ding, auf das sich H.´s Existenzbegriff bezieht. Er nennt es „Zeug“.

Das Sein ist auch nicht JENSEITS des Zeugs. Auch wenn es
deshalb noch lange nicht das Zeug IST, ist es DIESSEITS des
Zeugs.

Nun, ob diesseits oder jenseits oder was auch immer, ist eine Frage der Sprachregelung. Wenn dir die Formulierung „hinausgehen über“ besser gefällt, können wir uns darauf einigen. Und dass das heideggersche Sein über das Zeug „hinausgeht“, ist sicher unzweifelhaft. Denn die „Seinsart“ des Zeugs, die nennt H. „Zuhandenheit“. Das Sein bzw. die Ek-sistenz geht denn doch ein bisschen darüber hinaus.

Dazu ein Büchertipp:

http://www.amazon.de/Heidegger-Jenseits-Dinge-Au-del…

Chan

Guten Tag!

„Die Metonymie … ist eine rhetorische Stilfigur, bei der ein
sprachlicher Ausdruck … in einem nicht-wörtlichen,
übertragenen Sinn gebraucht wird, und zwar in der Weise, dass
zwischen der wörtlich bezeichneten und der im übertragenen
Sinn gemeinten Sache eine Beziehung der Kontiguität, das heißt
der Nachbarschaft oder realen sachlichen Zusammengehörigkeit
… besteht.“ (Wiki)

_Reale sachliche Zusammengehörigkei_t - wo liegt die zwischen
Ek-sistenz und Existenz vor?

Reale Zusammengehörigkeit: Bezug auf den Komplex Sein/Seiendes.
Die Begriffliche Zusammengehörigkeit liegt auf der Hand.

H. spricht der Ek-sistenz also „Wahrheit“ (Hinausstehen in die
Wahrheit des Seins) zu, der Existenz aber nicht. Ek-sistenz
und Existenz stehen also in einem kontradiktorischen
Widerspruch, nur eines kann wahr sein, das andere nicht. Das
Wahre negiert das Unwahre.

Nein, weil sie nicht auf den gleichen Sachverhalt angewendet werden. Wenn Heidegger in SuZ den Begriff der „Existenz“ verwendet, dann gehts ihm erkennbar um was anderes, aber nicht völlig anderes, als bei der Verwendung des Begriffs der „Ek-sistenz“ in den Spätschriften.

Ich meinte einfach das (alltagssprachliche) Ding, auf das sich H.´s Existenzbegriff bezieht. Er nennt es „Zeug“.

Das Sein ist auch nicht JENSEITS des Zeugs. Auch wenn es
deshalb noch lange nicht das Zeug IST, ist es DIESSEITS des
Zeugs.

Nun, ob diesseits oder jenseits oder was auch immer, ist eine
Frage der Sprachregelung.

Nein, das ist es nicht, weil „jenseits“ in der Philosophie ein einigermaßen feststehender Begriff ist, zumindest in der Engführung auf die nach-Nietzscheanische Philosophie, in der wir uns hier aufhalten. „Jenseits“ verweist definitiv auf Transzendenz, „diesseits“ auf einen Immanenzzusammenhang.

Wenn dir die Formulierung
„hinausgehen über“ besser gefällt, können wir uns darauf
einigen.

Es geht mir, wie gesagt, um Transzendenz/Immanenz, nicht um die bloße Formulierung eines Gedankens.

E.T.

Unpräziser Argumentationsstil
Hi ET.

_Reale sachliche Zusammengehörigkei_t - wo liegt die zwischen
Ek-sistenz und Existenz vor?

Reale Zusammengehörigkeit: Bezug auf den Komplex
Sein/Seiendes.
Die Begriffliche Zusammengehörigkeit liegt auf der Hand.

Danke, dass du dich selbst widerlegst, denn ein „Komplex“ (extrem vager Begriff) ist keine „Sache“, hier schon gar nicht, da Sein und Seiendes nichts Gemeinsames haben. Ein metonymischer Begriff steht für einen anderen (Ich parke - mein Auto parkt). Ek-sistenz als Begriff kann aber nicht für Existenz stehen, auch nicht umgekehrt, denn es gibt keine Verbindung, die es ermöglicht, Ek-sistenz an die Stelle von Existenz zu setzen (wenn man Heidegger beim Wort nimmt, und um den geht es doch). Das gleiche gilt für Sein vs. Seiendes.

Metonymie ist hier also überhaupt kein Thema. Mir scheint, du verstehst diesen Begriff sehr eigenwillig bzw. ganz falsch. Du siehst das zu sehr von der sprachlichen Seite her (Sein/Seiendes = letzteres ist von ersterem abgeleitet).

Ek-sistenz und Existenz stehen also in einem kontradiktorischen
Widerspruch, nur eines kann wahr sein, das andere nicht. Das
Wahre negiert das Unwahre.

Nein, weil sie nicht auf den gleichen Sachverhalt angewendet
werden.

Es gibt aber das Wahrheitskriterium, wie ich schon schrieb. Diese Kriterium kann auf beide „Sachverhalte“ (ein seltsames Wort in diesem Zusammenhang) angewendet werden, so dass sie vergleichbar sind. Und „wahr“ sein kann das Sein nur im Widerspruch zum „Unwahrsein“ des Seienden. Also liegt eine Negation vor, das sieht doch sogar ein Blinder: „Das Seiende ist unwahr (= Negation), nur das Sein ist wahr“. Also negiert das Sein (als Wahres) das Seiende im Hinblick auf dessen, sagen wir mal, „Wahrheitsfähigkeit“ (meine Schöpfung).

Laut dem Heidegger nach der Kehre ereignet sich Wahrheit als aletheia übrigens nur vom Sein her und nicht innerhalb des Seienden.

Wenn Heidegger in SuZ den Begriff der „Existenz“
verwendet, dann gehts ihm erkennbar um was anderes, aber nicht
völlig anderes, als bei der Verwendung des Begriffs der
„Ek-sistenz“ in den Spätschriften.

Seit wann rede ich von SuZ? Ich beziehe mich ausschließlich auf die zitierte Stelle aus dem „Brief über den Humanismus“. Dort unterscheidet H. Ek-sistenz und Existenz ganz eindeutig, was ich seit drei Beiträgen klarzumachen versuche, scheinbar ohne Erfolg.

Das Sein ist auch nicht JENSEITS des Zeugs. Auch wenn es
deshalb noch lange nicht das Zeug IST, ist es DIESSEITS des
Zeugs.

Nun, ob diesseits oder jenseits oder was auch immer, ist eine
Frage der Sprachregelung.

Nein, das ist es nicht, weil „jenseits“ in der Philosophie ein
einigermaßen feststehender Begriff ist, zumindest in der
Engführung auf die nach-Nietzscheanische Philosophie,

Also doch eine Sprachregelung, auf der du hier bestehst, im Sinne von: „jenseits“ darf nur so und so verstanden werden. Im gleichen Satz lehnst du eine Sprachregelung ab. Lieber ET, du solltest deine Argumente wirklich gründlicher überdenken.

Chan