Erstmal vielen Dank für deine ausführliche Antwort.
Wenn man also davon ausgeht, dass die Geschichte der Arche Noah kein historischer Tatsachenbericht sein kann, muss man diese irgendwie Interpretieren.
diese Bemerkung hat angesichts ausgerechnet des Zitates, das
du per googeln gefunden hast, etwas Urkomisches. Denn was
heißt „muss man“? Wer „man“ und wieso „muss“?
Nagut, man muss nichts. Aber abgesehen von den Kreationisten gibt es auch andere Christen die die gesamte Bibel sehr ernst nehmen als durch Gott inspiriertes Wort und diese werden zu dieser Bibelstelle meinen, dass man sie ruhigen Gewissens ignorieren kann, da sie nur ein Mythos sei.
Und wie man auch aus den Antworten zum Thema obendran entnehmen kann, beziehen sich die beiden großen Kirchen in Deutschland auf viele Verse des AT. Da könnte man den Vorwurf machen, dass nur die „schönen“ Stellen hervorgehoben und die „unschönen“ einfach verdrängt werden.
Wenn du ausgerechnet auf ein Sätzchen des Johannes
Chrysostomus kommst (einer der einflussreichsten Autoren unter
den sog. Kirchenvätern des 4. Jhdts) und das aber für
unbefriedigend hältst: Was verstehst du denn dann unter
„Interpretation“ insbesondere eines Mythos? Seit wann sind
Mythen „interpretierbar“? Oder genauer gefragt: Wie anders
sollen Mythen ausgelegt werden (wenn überhaupt) als →
allegorisch?
Ich kritisiere an dieser als Beispiel erwähnten Auslegung nicht, dass sie allegorisch ist. Einige Allegorien ergeben durchaus einen Sinn (Arche = Jesus). Was ich kritisiere ist die Unvollständigkeit der Auslegung. So werden keine Allegorien für, wie ich meine, wichtige Figuren angeboten. Was ist mit Noahs Frau und seiner Familie? Wenn die reinen und unreinen Tiere für die Heiligen und die Sünder stehen, für was stehen dann die Menschen die bei der Sintflut umkamen?
Wie gesagt soll das nicht heißen, dass ich von Irgendwem verlange diese Fragen zu beantworten. Ich frage eigentlich nur nach stimmigeren Interpretationen oder Auslegungen.
Eine Allegorese aber hat immer ein ganz bestimmtes Interesse,
das nicht danach fragt, was die mutmaßlichen ursprünglichen -
ebenso wie der Mythos selbst in mythische Vergangenheit
gedachten - Autoren damit „sagen“ wollten! Eine Allegorese
fragt danach, was ein Mythos für die jeweilige zeitgenössische
Gegenwart aussagt.
Müsste es dann nicht auch aktuelle, an unsere heutige Zeit angepasste Allegoresen geben?
Eine andere als allegorische Auslegung war auch kaum möglich,
denn eine präzise Unterscheidung mythischer Inhalte von
historischen Gegebenheiten war damals gar nicht von Interesse
und man hätte auch noch gar nicht die Möglichkeit gehabt
mangels Kenntnis über die „historische“ Zeit, die der Mythos
nahelegt. Mythen (wie dieser hier) waren Gründungsmythen.
Nagut, aber ich stelle mir z.B. vor wie ein Grundschüler seinen Religionslehrer fragt, ob Gott wirklich alle Menschen ausser Noahs Familie und alle Tiere ausser denen an Bord der Arche, die vielen kleinen Goldhamster, Kätzchen und Kannienchen so grausam umgebracht hat. Wie sollte der Lehrer darauf antworten? „Ja, das ist wirklich so passiert und Gott wird auch die bestrafen wenn du sündigst!“ oder „Nein, das ist nur so eine uralte Geschichte die sich die Leute damals ausgedacht hatten.“
Meist ging es um Stammesgründungen, archetypische
Präzedenzfälle für Riten und Gebräuche, oder für fundamentale
religiöse Grundbestimmungen (wie z.B. Gottesbegriffe).
Manchmal haben sie ethnische, ethische und religiöse Relevanz
zugleich - so wie die gesamte Torah für die Geschichte des
Judentums. Und diese Relevanz haben auch die christlichen
Autoren in Anspruch genommen, nur daß sie ein zusätzliches
Motiv hatten, die Texte auf ihre eigene Gegenwart zu beziehen.
Mytheninterpretation deutet also die Mythen nicht auf die
Vergangenheit gerichtet, sondern auf die Gegenwart gerichtet.
So war halt die Entwicklungsstufe der Geistesgeschichte: Eine
Legitimation (alias Wahrheitskriterium) für
(heilsgeschichtliches) Geschehen in der Gegenwart war allein
aus Andeutungen archaisch überlieferter Inhalte zu finden.
Also versuchte man die Texte so zu lesen, als hätten sie eine
Art Voraussage-Valenz für Gegenwart und Zukunft. Das aber war
nicht anders möglich, als durch das Mittel der metaphorischen
und symbolischen Transposition der Inhalte. Das sind ja die
elementaren Strukturen der allegorischen Methode.
Wenn du also antiken Interpretationen ausgerechnet dieses
Mythos nachspüren willst, hast du ein riesiges Volumen an
Textmaterial durchzuackern. Gottseidank haben viele
Religionshistoriker und Theologiehistoriker diese Arbeit schon
gemacht. Daher hier nur einige von den heute vorliegenden
umfangreichen Studien über die Geschichte der antiken
Genesisinterpretationen. Vom ca. 17. Jhdt an, insbesondere
seit den Anfängen religionswissenschaftlicher Methoden des 19.
Jhdts, beginnt dann eine ganz andere Perspektive auf diese
Texte - denn dann hatte man historische Kenntnisse und vor
allem Sprachkenntnisse, um das archaisch-historische Umfeld
der Enstehungszeit dieser Texte in ganz anderem Licht zu
betrachten.
Wer also heute noch allegorisch interpretiert, muß sich
gefallen lassen, als hinter den Errungenschaften der
Geistesgeschichte zurückbleibend angesehen zu werden, denn
heute haben wir die Wahl , die die antiken Autoren nicht
hatten: Religionsgeschichte zu betreiben oder zu predigen.
Naja, im Hinblick auf die Religionswissenschaften, müsste man sowieso daran zweifeln, dass überhaupt irgendeine biblische Erzählung auf historischen Fakten beruht. Dann müsste man auch in Erwägung ziehen, dass es diesen Jesus, wie er von Autoren, die keine Zeitgenossen waren, beschrieben wird, möglicherweise garnicht gegeben hat.
Hier also ein paar Literaturen, die dich in deiner Frage
weiterbringen würden, wenn es dir die Mühe wert ist - sine
labore nihil
Ich guck mir das mal an.
Aber mich wundert, dass Keiner dazu in der Lage zu sein scheint, einfach nur eine einzige Auslegung hier anzubieten.
Was könnte der Religionslehrer auf die obige Frage des Grundschülers deiner Meinung nach antworten?