Hallo Victor,
>Meine Fragen dazu:
>Versteht auch der „einfache“ Gläubige Buddhist dies
>so
Gegenfrage: versteht auch der „einfache“ gläubige Christ z.B. die Trinitätslehre, wenn - wie dem vorangehenden Thread zu entnehmen - selbst ein theologisches Studium keine Klarheit schafft, was es mit dem ‚heiligen Geist‘ auf sich hat? Wie auch immer - ich halte mich selbst durchaus auch für einen „einfachen“ Buddhisten - wenn auch nicht notwendig für einen „Gläubigen“.
>und kann dies nachvollziehen
Nachvollziehen kann dies allerdings jeder - intellektuell durch Studium der kanonischen Texte und praktisch durch Ausüben des sog. achtfachen Pfades. Wobei für Letzteres bei vorhandenem Vertrauen ein intellektuelles Verständnis nicht einmal notwendig ist, dieses dient nur der Vetrauenserweckung. Zum Unterschied Vertrauen (shradda) und Glaube: Vertrauen ist ein Glaube auf Kredit, es bedarf (anders als der unbedingte Glaube, den das Christentum fordert) der Bestätigung und Rechtfertigung durch die persönliche Erfahrung.
>oder muß er doch
>sein Denken der praktischen Lebenserfahrung angleichen
>welche eben immer zu einer Ursache einen Verursacher
>feststellt ?
Das „Feststellen“ (tatsächlich ist es kein Feststellen, sondern ein Postulieren) eines Verursachers zu einer Ursache ist eben keine Sache praktischer Lebenserfahrung sondern eine des Denkens und es geschieht auch keineswegs „immer“ und schon gar nicht notwendig. Dass alles Sein verursacht und bedingt ist, lehrt auch der Buddhismus - aber eben keinen Verursacher. Die Kette der Kausalität wird auch nicht als eine lineare Abfolge mit einem ersten Verursacher (primum movens) und einer eschatologischen letzten Wirkung verstanden, sondern zyklisch , in sich kreisend. Im Buddhismus spricht man von pratityasamutpada, ‚wechselseitig bedingtem Entstehen‘ oder Konditionalnexus. Das Modell pratityasamutpada beschreibt einen sich permanent wandelnden Zustand, wobei der ‚Motor‘ dieses Wandels karma ist bzw. der dahinter stehende Wille cetana. Zwischen den einzelnen Kategorien (nidana, ‚Gliedern‘) des Konditionalnexus besteht Interdependenz. Dies sorgt unter Anderem auch dafür, dass ‚Denken‘ und ‚praktische Lebenserfahrung‘ von selbst in Einklang kommen, weil sie einander bedingen - da muss man nichts „angleichen“.
>Ist er nicht überfordert wenn er ständig die erfahrbare
>Wirklichkeit praktisch leugnen müßte,
Eben deswegen ist dies auch Unsinn. Wirklichkeit zu leugnen, ist pathologisch. Aber Wirklichkeit kann man auf sehr unterschiedliche Art und Weise erfahren. Du begehst den Fehler, dass Du Deine Erfahrung von Wirklichkeit für etwas Feststehendes, Objektives hältst. Dabei ist diese, Deine Erfahrung von Wirklichkeit schon eine andere, wenn du nur ein Glas Bier trinkst. Was meinst Du, wie sich da erst Deine Erfahrung von Wirklichkeit von der eines Menschen, der ein jahrelanges Training in meditativer Versenkung, Schulung des Intellekts und ethischem Verhalten hinter sich hat, unterscheidet. Erfahrung von Wirklichkeit ist nicht die Wirklichkeit selbst - und die Bedingungen dieser Erfahrung sind durchaus nicht starr und unveränderlich. Somit ist es auch nicht die Erfahrung selbst.
>Verantwortlichkeit
>verwirft als „eingefahrenes Denkmuster“ um leidhafte
>„Wirklichkeit“ zu überwinden ?
„Verantwortlichkeit“ wird gerne bemüht, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist - damit kriegt man es allerdings nicht wieder heraus. Da ist es schon vorteilhafter, sich um die Erkenntnis zu bemühen, dass jedes Handeln Folgen hat und welche Folgen dies jeweils sind. Dies verändert das Handeln - und das halte ich für sinnvoller, als die Suche nach einem Verantwortlichen.
Dies ist übrigens - ganz nebenbei - auch ein Grund für den Erfolg japanischer Wirtschaftsunternehmen. Bei einer Entscheidung, die sich als falsch erweist, sucht man nach den Gründen für diese Entscheidung und danach, wo der Fehler lag und wie man ihn zukünftig vermeidet. Hierzulande sucht man stattdessen nach einem Schuldigen - wenn nicht nach einem Sündenbock.
>Oder - welche gedanklichen Verrenkungen muß man da
>noch machen um den Widerspruch in sich auflösen bzw.
>verstehen zu können ?
Wie schon geschrieben - der Widerspruch existiert in Deinem Denken und in der Art, wie Du Wirklichkeit erfährst. Übe Dich in buddhistischer Praxis und sowohl Dein Denken als auch Deine ‚Wirklichkeitserfahrung‘ wird sich ändern. Ganz ohne gedankliche Verrungen zu bemühen - im Gegenteil, du wirst sie dabei verlieren.
>Muß er sich vielleicht ständig „neben sich stellen“
>und alles was er bewirkt von außen betrachten und
>sagen :"das bin ich nicht,das hat mit mit nichts zu tun,
>das geht mich nichts an " ??
Für eine meditative Selbstanalyse sollte man sich gerade nicht irgendwelche Dinge einbilden (wie z.B. „neben sich zu stehen“) sondern sich darum bemühen, die Dinge so wahrzunehmen, wie sie sind:
„Form, Empfindung, Wahrnehmung, Bewußtsein und die Gestaltungen des Willens,
Das bin nicht ich, noch gehört das mir. Auf diese Weise wird man frei davon.
Einen, der auf diese Weise frei geworden, ruhig im Gemüt, aller Fesseln ledig,
Hat, obwohl sie ihn allerorts suchte, des Māra Heerschar nicht gefunden.“
(S.4.16.)
Das ist allerdings etwas schwieriger, als es klingt bzw. erfordert einiges an Übung - z.B. darin, einen Geisteszustand hervorzurufen (besser: zuzulassen), in dem keine Trennung von Subjekt und Objekt mehr existiert (ekagrata, ‚Einspitzigkeit‘).
>Ich kann mir nicht vorstellen, daß der „gläubige“
>Buddhist dies hinkriegt - vielleicht als Mönch, abseits
>des realen Geschehens.
Zum einen gibt es im Buddhismus nicht die strikte Trennung zwischen laizistischer und monastischer Lebensweise. Vor allem in Südostasien ist das ‚Mönchtum auf Zeit‘ für junge Männer durchaus normal. Zum anderen ziehen sich viele buddhistische Laien mehr oder weniger regelmäßig zu Übungsperioden (zwischen ein paar Tagen und mehreren Wochen) zurück, in denen sie eine monastische Lebensweise praktizieren. Und trotz dieses ‚Zurückziehens‘ heisst das alles Andere als „abseits des realen Geschehens“ zu sein. Du bist nirgendwo so sehr mitten im „realen Geschehen“ drin als in solchen Zeiten intensiver buddhistischer Praxis.
Zur Veranschaulichung dieser Aussage eine kleine, eigentlich recht bekannte Geschichte:
Es kamen einmal ein paar Suchende zu einem alten Zen-Meister. „Herr“, fragten sie „was tust du, um immer so glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du.“ Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.“ Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: "Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis? "Es kam die gleiche Antwort: „Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich.“ Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend fügte der Meister nach einer Weile hinzu: „Sicher liegt auch Ihr und Ihr geht auch und Ihr esst. Aber während Ihr liegt, denkt Ihr schon ans Aufstehen. Während Ihr aufsteht, überlegt Ihr wohin Ihr geht und während Ihr geht, fragt Ihr Euch, was Ihr essen werdet. So sind Eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo Ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt.Lasst Euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und Ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein.“
Freundliche Grüße,
Ralf