Begrüßungsrituale in der Schule

Kinder & Familie Kindererziehung
#1

Hallo zusammen!

Auf einem Familienfest ergab sich eine interessante Diskussion über die Begrüßung in der Schule in den verschiedenen Generationen. Das war sehr spannend, weil man an dieser Kleinigkeit sehr viel über das Selbstverständnis eines Staates ablesen kann. Folgende Dinge habe ich gefunden und es würde mich sehr freuen, wenn Ihr das ergänzen oder gegebenenfalls richtigstellen könntet.

  1. USA, 80er Jahre: Die Pledge of Allegiance wird heruntergebetet.
    Eigentlich interessiert mich hauptsächlich der Deutsche Sprachraum. Ich habe es nur der Vollständigkeit erwähnt, weil etwas Vergleichbares für Deutschland heute undenkbar ist.

  2. Baden-Württemberg, staatliche Schule, heute:
    Die Klasse steht auf.
    Lehrer: „Guten Morgen!“
    Klasse: „Guten Morgen, Herr/Frau …!“
    Die Klasse setzt sich, der Unterricht beginnt.
    (Ich weiß, dass viele Lehrer aus den unterschiedlichsten Gründen dieses Ritual in der einen oder anderen Weise abwandeln. Manchmal wird das „Guten Morgen“ sogar gerappt. Mir geht es aber mehr um die historischen Beispiele…)

  3. Baden-Württemberg oder Württemberg-Baden, staatliche Schule, Nachkriegszeit:
    Lehrer und Schüler sprechen gemeinsam ein kurzes Gebet.
    (Kennt jemand den Text dieses Gebets?)

  4. Württemberg, Nazi-Zeit:
    Wie bei 2), jedoch mit „Heil Hitler!“ statt „Guten Morgen!“
    (Ich nehme an, dass man dazu den rechten Arm hob, stimmt’s? Gab es noch andere Rituale? Eigentlich ließen die Nazis ja keine Chance vergehen, um ein bisschen völkisches Brimborium zu machen …)

  5. DDR:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Bildungssystem_in_der_D…
    (Zudem habe ich das Gerücht gehört, dass der Klassensprecher vor dem Klassenlehrer stramm stehen und Meldung machen musste. Stimmt das? Wenn ja: Wie lief das ab?)

  6. Kaiserzeit

  7. Weimarer Republik

  8. Österreich (verschiedene Epochen)

  9. Deutsch-Schweiz (verschiedene Epochen)

  10. Südtirol (Deutschsprachiger Unterricht)

  11. Schulen deutschsprachiger Minderheiten im Ausland

  12. Waldorfschule (verschiedene Epochen)

  13. Kirchliche Privatschulen (verschiedene Epochen)
    …

Zu den Punkten 6 bis 13 weiß ich gar nichts. Hat jemand Informationen?

Bin gespannt!
Michael

#2

Ja, das war so in der DDR. Zu Beginn der ersten Stunde stand der Gruppenratvorsitzende vorn und meldete:

„Herr/Frau XY, ich melde die Klasse XY zum Unterricht bereit“

*grübelt*

Ich glaube in den ersten paar Jahren wurde dann bei uns noch ein Lied gesungen.

#3

Hallo Zerschmetterling und Michael,

„Herr/Frau XY, ich melde die Klasse XY zum Unterricht bereit“

Ich glaube in den ersten paar Jahren wurde dann bei uns noch
ein Lied gesungen.

Auf jeden Fall folgte dann in den unteren Klassen in der ersten Stunde noch der Pioniergruß
„Seid bereit!“ „Immer bereit!“
http://de.wikipedia.org/wiki/Pionierorganisation_Ern…

Viele Grüße
Marvin

#4

Hallo,

  1. Baden-Württemberg, staatliche Schule, heute:
    Die Klasse steht auf.
    Lehrer: „Guten Morgen!“
    Klasse: „Guten Morgen, Herr/Frau …!“
    Die Klasse setzt sich, der Unterricht beginnt.

Ich weiß nicht, wie das heute in BA-Wü ist, aber in den 70er Jahren auf dem Gymnasium in Ba-Wü wurde nicht mehr aufgestanden (Sexta-Oberprima).

xxx
Tantamount

#5

Hi,

es gab einen so genannten Meldedienst. Der steht bei Stundenbeginn vorn, strenggenommen steht er vorher auf, geht nach vorne und die Klasse steht auf, so dass der Lehrer beim Gong in ein Klassenzimmer mit stehenden Schülern kommt.
Der Meldedienst wendet sich dem Lehrer zu (man wendet fast militärisch…), hebt die rechte Hand zum kopf (rechter Daumen vorn am Haaransatz, Mitte, Handkante nach oben, Hand gestreckt) und meldet: „Frau / Herr XY, ich melde, die Klasse 8b ist vollständig zum Unterricht erschienen.“
Der Lehrer antwortet an den Meldedienst gewendet: „Danke.“ Der Meldedients darf sich wieder zur Klasse wenden.
Zur Klasse gewendet grüßt der Lehrer (bei Pionieren, also 1. bis 7. Klasse) „(Für Frieden und Freundschaft: Seid bereit!“, oder (bei FDJlern, also 8. bis 12. Klasse:„Feundschaft!“ und die Klasse antwortet:„Freundschaft!“. Der Lehrer fordert die Klasse auf:„Setzt Euch!“. Dann darf sich auch der Meldedienst setzen.
Fehlt in der Klasse jemand, meldet der Meldedienst nicht wie oben, sondern so:„Frau / Herr XY, die Klasse 8b ist zum Unterricht angetreten. Es fehlen Marina Mustermann und Max Vorbild.“
Im Sportunterricht heißt es nicht „erschienen“ sondern „angetreten“, weil man da auch in einer Reihe, nach Größe geordnet, steht. Im Sportunterricht wurde auch grundsätzlich so gegrüßt:
Lehrer:„Sport…?“ Schüler:"…frei!"

Gesungen wurde bei uns auch… da weiß ich aber nicht mehr so genau bescheid… nicht in allen Schuljahren, und auch nicht jeden Tag. Aber vieleicht ergänzt das noch jemand.

die Franzi

3 Like
#6

Hallo,

Ich weiß nicht, wie das heute in BA-Wü ist, aber in den 70er
Jahren auf dem Gymnasium in Ba-Wü wurde nicht mehr
aufgestanden (Sexta-Oberprima).

das galt sicher nicht für alle Gymnasien in BA.-Wü., genauso wie es heute jeder Lehrer in Ba-Wü hält, wie er will. Bei uns an der Schule ist das auch bunt gemischt. Da gab’s und gibt es keine Vorschrift.

Grüße
mitzisch

#7

Wenn in der Stunde grade Russisch dran war, mußte man in dieser Sprache melden.

#8

Hallo,

  1. USA, 80er Jahre: Die Pledge of Allegiance wird heruntergebetet.

Gibt es heute immer noch. Inklusive Fahne im Klassenzimmer und aufstehen und Hand-aufs-Herz.

(Ich war das letzte Mal 2009 an einer amerikanischen Schule (im Nord-Osten). Ich wüsste nicht, warum sich das in den letzten zwei Jahren geändert haben sollte.)

#9

Hallo Franzi,

hebt die rechte Hand zum kopf (rechter Daumen
vorn am Haaransatz, Mitte, Handkante nach oben, Hand
gestreckt)

Wow, ich bin tief beeindruckt, wie lange warst Du Pionierleiterin? :wink: So exakt beschreibt es ja nicht mal das "„Handbuch des Pionierleiters“.
http://www.honecker.de/ausgabe-09/a09_s01-gruss.html
Aber da das der Pioniergruß war, wurde das wohl spätestens in der 8. Klasse nicht mehr so gemacht.
Übrigens lese ich dort, daß in den frühen 50-er Jahren der Gruß „Zum Kampf für die Sache Lenins und Stalins seid bereit!“ lautete.
http://www.honecker.de/ausgabe-09/a09_s05-pionierhin…
(dort ganz unten)
Warum in diesem Handbuch aber noch die russischen Illustrationen drin waren, weiss ich auch nicht.

Viele Grüße
Marvin

#10

Hi,

ich war nie Pionierleiterin, immer nur Streber :smile: Ich dachte mir halt, wie beschreib ich das gleich richtig, bevor dann jemand fragt…
Aber den richtigen FEhler haste nicht entdeckt: Die FDJler melden schon noch, aber ohne Gruß mit der Hand.

die Franzi

#11

Meines Erachtens hiess es aber:

„Für Frieden und Sozialismus, seid bereit!“

D

#12

Hi,

oh mist, ich glaube du hast recht. Ich trage mir eine 5 in Staatsbürgerkunde, eine 5 in Betragen und einen Tadel ins Hausaufgabenheft ein. Wer kontrolliert, ob sie unterschrieben haben?

die Franzi

#13

Hallo!

Aber den richtigen FEhler haste nicht entdeckt

Aber ich!

Zur Klasse gewendet grüßt der Lehrer (bei Pionieren, also 1.
bis 7. Klasse) „(Für Frieden und Freundschaft: Seid bereit!“,
oder (bei FDJlern, also 8. bis 12. Klasse:" Feundschaft!"

Is ja infam:smile:
H.

#14

Hola,

wo sich mir als externen Betrachter wieder die Frage stellt, was diese Begrüßungsrituale überhaupt sollen…

Kann mir das zufällig jemand beantworten?

(Prinzipiell ganz ohne Wertung - aber ich bin halt mit meiner anarchischen Art wohl einfach zu weit entfernt von solchen „Reichswehr“-Standards :wink: )

Gruß, Leebo

#15

wo sich mir als externen Betrachter wieder die Frage stellt,
was diese Begrüßungsrituale überhaupt sollen…

Kann mir das zufällig jemand beantworten?

Hallo Leebo,

dieses (für Frieden und Sozialismus, seit bereit:smile: „Immer bereit“ habe ich damals bedenkenlos mitgemacht. Auch Religionen und die Nazis nutz(t)en eine Liturgie, um vom Denken abzulenken. Ganz links wird auch gesungen, um die Einheit zu beschwören.

Falls ich mal Diktator werden möchte, nutze ich die Erkenntnisse, wie ein wesentlicher Anteil der Bevölkerung zu lenken ist.
Aber auch wenn ich nur meine guten Ansichten in einer Demokratie durchsetzen möchte, scheinen nichts sagende Wahlplakate zu helfen. Ich trage dann ein Sakko über die Schulter geworfen.

Grüße

Ulf

#16

Sehr interessant und toll beschrieben, danke!(OWT)
OWT!

#17

(Prinzipiell ganz ohne Wertung - aber ich bin halt mit meiner
anarchischen Art wohl einfach zu weit entfernt von solchen
„Reichswehr“-Standards :wink: )

Das hat bei mir und meinen Klassen eher damit zu tun, dass die Begrüßung der offizielle Übergang von der Pause in den Unterricht ist. Meiner Erfahrung nach werden die Klassen deutlich ruhiger, wenn man Frei- und Lernzeit durch ein Ritual voneinander trennt. Das muss keine starre Begrüßungsformel sein - aber es hilft sowohl dem Lehrer als auch den Schülern, erst einmal runterzukommen und zu erkennen: jetzt geht’s los.

Viele ältere Lehrer reden in diesem Zusammenhang auch von Respekt (Schüler stehen auf, grüßen höflich etc.), aber den verdiene ich mir lieber im täglichen Umgang als durch eingeübte Sprechchöre.

Ganz grundsätzlich macht ein kurzes, deutlich abgegrenztes Ritual aber durchaus Sinn - GERADE auch für die Schüler.

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#18

das galt sicher nicht für alle Gymnasien in BA.-Wü., genauso
wie es heute jeder Lehrer in Ba-Wü hält, wie er will. Bei uns
an der Schule ist das auch bunt gemischt. Da gab’s und gibt es
keine Vorschrift.

Genau darauf wollte ich hinweisen.

xxx
Tantamount

#19

Hallo Leebo,

wenn du einen Freund, Kollegen oder den Nachabarn triffst, grüßt ihr euch doch auch, oder? Das ist dann ja schon ein kleines (und wie ich finde sinnvolles) Ritual.

Dass in einer ganzen Klasse nicht jeder einzeln grüßen kann, ist auch wiederum klar - dann grüßen halt alle „im Chor“. Daran finde ich nichts Schlimmes. Und wozu Rituale in der Klassen dienen können, ist ja schon gesagt worden.

Dass Staaten gern ihre Ideologie einbringen und einen „Fahneneid“ leisten lassen, ist eine andere Geschichte. Für den Staat aber durchaus sinnvoll.

Gruß Bixie

#20

Hallo,

Das hat bei mir und meinen Klassen eher damit zu tun, dass die
Begrüßung der offizielle Übergang von der Pause in den
Unterricht ist. Meiner Erfahrung nach werden die Klassen
deutlich ruhiger, wenn man Frei- und Lernzeit durch ein Ritual
voneinander trennt.

das ist in der Tat mal eine einleuchtende Erklärung. :smile:

Gruß, Leebo