Vielleicht irgendwann doch, da manche der zum Teil als Hurensöhne bezeichneten Anwohner nun beabsichtigten, aus ihrem Bezirk wegzuziehen:
Michèl will weg. Weg aus seiner Wohnung in Neukölln, obwohl er die eigentlich liebe, wie er sagt. Denn er fühle sich dort nicht mehr wohl – und nicht mehr sicher. Die Silvesternacht habe für ihn etwas verändert.
Silvester habe er nicht in Neukölln gefeiert, erzählt er. „Man weiß ja, wie es hier abgeht.“ Aber dass es so schlimm werden würde, hätte er nicht gedacht. Schon bevor er nach Hause geht, bekommt er in der Nacht Videos von Bekannten zugeschickt. Darin ist zu sehen, wie eine Gruppe Jugendlicher immer wieder Raketen auf das Haus schießt, in dem Michèl wohnt. „Unser Haus wurde den ganzen Abend gezielt attackiert“, sagt Michèl. Auf Aufnahmen aus der Nacht, die t-online vorliegen, ist zu sehen, wie ein junger Mann Feuerwerkskörper aus einer Schreckschusswaffe auf das Haus feuert.
Als er dann gegen halb fünf Uhr morgens nach Hause gekommen und das Ausmaß der Zerstörung gesehen habe, sei er wütend geworden, sagt Michèl. Eine Gruppe Jugendlicher habe er noch im Hinterhof erwischt, immer noch am Böllern. Er habe sie angesprochen und darum gebeten, jetzt bitte einfach aufzuhören. Nach einiger Zeit hätten sie sich dann wirklich verzogen.
Seine Wohnung habe noch relativ wenig abbekommen, sagt Michèl. Die äußere Scheibe seines doppelt verglasten Badezimmerfensters sei zerstört worden. „Aber mehrere andere Fenster müssen auch ausgetauscht werden, weil sie von der Hitze der Feuerwerkskörper angeschmolzen sind“, sagt er.
Größer ist der Schaden an der Wohnung seines Nachbarn Stefan. Ein Geschoss hat ein Fenster durchschlagen, danach sind offenbar mehrere Raketen in die Wohnung geflogen und dort explodiert. Als Stefan von einer Silvesterparty aus einem anderen Bezirk zurückkam, fand er seine halb zerstörte Küche vor, erzählt er t-online. „Überall lagen angesengte Bilder und Zeitungen. Einiges hat offenbar kurz Feuer gefangen, ist dann aber zum Glück wieder ausgegangen“, sagt Stefan. Ein Geschoss explodierte offenbar auf dem Ceranfeld, das völlig zerstört wurde.
„Ein bisschen anderer Winkel, und die Bude wäre in Flammen aufgegangen“, sagt Michèl. „Das war ganz knapp daran vorbei, dass Menschen ernsthaft verletzt oder sogar getötet hätten werden können“, sagt Stefan.
Aber mit der Silvesternacht war es noch nicht vorbei. An Neujahr habe wieder eine Gruppe Jugendlicher auf der Straße gestanden und Raketen aufs Haus gefeuert, sagt Michèl. Er sei runtergegangen und habe die Jungs ansprechen wollen. Da die zehn bis 15 Jungs aber einschüchternd und aggressiv gewirkt hätten, sei er im Hausgang stehengeblieben und habe gefilmt. „Ey, der Hurensohn filmt uns“, habe einer der Jungs gerufen.
„Die Jungsgruppen terrorisieren die Nachbarschaft, das ganze Jahr über“
Michèl habe bemerkt, wie drei sich unauffällig seitlich aus der Gruppe entfernt hätten. Einer von diesen Jugendlichen habe dann plötzlich eine Schreckschusswaffe gezückt und einen Feuerwerkskörper abgefeuert. Michèl habe gerade noch rechtzeitig die Haustüre schießen können. „Der hat ganz skrupellos auf mich geschossen“, sagt er. Er habe die Polizei gerufen, die den Schützen tatsächlich im Laufe des Abends gefunden habe. „Jetzt hat er zumindest eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung am Hals.“ Er glaube aber nicht, dass juristisch wirklich etwas passieren werde. Der Angreifer sei vermutlich minderjährig und es passiere ja ständig so etwas.
Michèl sagt, dass er viele der Jungs kenne, die an Silvester hier über die Stränge geschlagen haben. „Die meisten von ihnen wohnen im Nachbarhaus.“ Und die Silvester-Eskalation sei kein Einzelfall. „Die Jungsgruppen terrorisieren die Nachbarschaft, das ganze Jahr über“, sagt er. Die Bushaltestelle vor Ort werde regelmäßig entglast, Steine würden auf vorbeifahrende Busse geschmissen. „Oder sie gehen in irgendwelche Häuser, holen Mülltonnen raus und stellen sie auf die viel befahrene Straße.“ Vor ein paar Monaten hätten sie auch eine angezündet. „Alle hier leiden darunter und fühlen sich eingeschüchtert“.