Coronavirus: Sind die Maßnahmen verfassungswidrig?

Verletzung? Es sind Eingriffe in die Grundrechte des Artikel 2 GG. Diese sind, wenn entsprechende Gesetze vorliegen, zulässig.

Wie viele schwer Erkrankte und wie viele Tote bedeuten den „faktisch“ eine „schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit“? Ab wann, Frau Bahner, ist für sie die Grenze zur „schwerwiegende Gefahr“ überschritten?

Die Zahl „0,37% der Infizierten sterben“ steht wohl im Raum. Infizierte, nicht „positiv Getestete“.
300.000 Tote bei 83.000.000 Einwohnern. Bei „60% Durchseuchung“ dann 180.000 Tote. Wie hoch wäre denn wohl die Sterberate, wenn auf ein Beatmungsbett 100 Schwerkranke kommen, Frau Bahner?

Wenn die Dame davon ausgeht, es gäbe eine scharfe abgrenzbare Gruppe, die zu schützen sei und eine andere Gruppe, bei der ein harmloser Verlauf garantiert sei, dann begibt sie sich auf dünnes Eis. Insbesondere macht sie den schweren Fehler, dass sie sich auf Zahlen stützt, die bei einem vollständig intakten, nicht überlasteten Gesundheitssystem gelten.

Dabei wäre es doch so einfach:
Es gibt ja Länder, in denen die Maßnahmen verzögert angeordnet wurden.
Schaut euch Norditalien, Spanien und die besonders betroffenen Gebiete der USA an: Dort ist die Katastrophe akut.
Deutschland hat die Maßnahmen vor dem Übergang zur Katastrophenmedizin angeordnet, nun argumentiert diese Person (beliebiges Schimpfwort einsetzen), es wäre ja gar nicht so schlimm, eine Katastrophe sei nicht erkennbar, also wären die Maßnahmen überzogen.

Deutschland hat bislang Schwein gehabt. Andere Länder hat es früher erwischt, wir konnten lernen.
Eventuell haben wir die Bremse etwas zu früh angezogen, etwas höhere Fallzahlen wären wohl noch zu verkraften.

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25.000-35.000 ist nicht korrekt. Richtiger wäre 50.000-100.000. Ich hatte den Satz mehrfach umgestellt, was zu dem Fehler geführt hat. Bei ungebremster Entwicklung und unter Berücksichtigung der Dunkelziffer, die man aus der Zahl der Todesfälle zurückrechnen kann, entspricht das in etwa der Zahl der Erkrankungen an zwei Tagen.

Mir fiel es bisher vor allem von Medizinern auf, dass sie kritisch ihre Stimme erhoben.
Ich denke, die Juristen und die Mediziner sind hier halt auch die vorrangigsten Experten, und fühlen sich deshalb besonders berufen.
Vielleicht nehmen wir das aber auch nur allzu selektiv wahr.

So verschieden sind unserer Ansprüche …

Ich vermisse eine ehrliche öffentliche Debatte zwischen verschiedenen Experten, nicht so eine verkrampfte, in der abweichende Meinungen dann nur Gehör finden, wenn sie sehr schrill daherkommen, wie z.B. von Wodarg oder von Bhakdi (vielleicht ja auch Beate Bahner), und dann auch medial oder auch hier im Forum genauso schrill abgetan werden als ob man sich oder den anderen Menschen die Ohren zuhalten müsste.

Auch die politische Opposition ist doch weitgehend verstummt.
Dabei hätten die Grünen und die FDP in puncto Bürgerrechte eigentlich so viel zu sagen und auch zu protestieren.

Mir persönlich macht dagegen Kritik-ohne-Alternativvorschlag nichts aus.
Das bildet m.E. einfach die extrem Ambivalenz bei diesem Thema ab.
So halte ich es auch selbst: Ich finde die Beschränkungsmaßnahmen bisher gut und scheiße zu gleich.

Das ist nicht meine Sichtweise.

Mein politisches Problem ist nicht der Corona-Ausnahmesituation-Staat, sondern mein Problem ist der permanente-Ausnahmesituation-Staat.
Das muss ich hier aber nicht off topic breit treten.

Hier in der Forenblase zählt reales Expertentum leider sowieso nichts.

Ja, ich glaube auch, dass ihr Aufruf zu Karsamstagsdemonstrationen als sehr bewusste Provokation diesen sollte, um so die Staatsanwaltschaft und die Aufmerksamkeit auf den Plan zu rufen. Das meine ich mit dem „Schrillen“ in der missglückenden öffentlichen Debatte.

Ich weiß aber auch, dass z.B. der bayerische Liedermacher Hans Söllner mit Anzeigen und Repressivmaßnahmen überschüttet wurde, weil der öffentlich die Meinung vertrat, die Eltern trotz Corona nicht der Einsamkeit zu überlassen.
Das hat der nicht zum Zweck der Aufmerksamkeitaheischung gemacht, sondern weil er davon überzeugt ist.

Gruß
F.

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Hallo,
kann sein - ich persönlich habe eine nahe Verwandte (dement) im Pflegeheim - ich finde es aber trotzdem in Ordnung, dass weder Tochter, Schwiegersohn, Enkel noch der 91jährige Ehemann (über 65 Jahre verheiratet) sie nicht besuchen dürfen um ihren und auch ggf. den Tod anderer Mitbewohner oder auch die Infizierung des Pflegepersonals zu vermeiden.
Die Tatsache, dass das für alle Beteiligten sehr schlimm ist, mit dem Besuchsverbot ändert aber nichts daran, dass es derzeit ein zu hohes Risiko wäre, es anders zu händeln.
Für diese Entscheidung stelle ich zumindest meine persönliche Freiheit hintenan.
An Einsamkeit kann man auch sterben aber Ersticken am Coronavirus ist schlimmer.
Gruss
Czauderna

Eine Größenordnung von 100% ist einfach nicht belanglos, zumal dann nicht, wenn es ingesamt nur einen sehr geringen Bruchteil der 80 Mio. Menschen ausmacht, deren Grundrechte beschnitten werden.

Auf die (wenn man schon mit statistisch-aggregierten Größen argumentiert, wichtige) Differenzierung von Mortalität und Exzessmortalität bist du gar nicht erst eingegangen.

Über Grundrechte kann es kein „schwafeln“ geben.
Das ist die Rhetorik von Antidemokraten, zu denen du eigentlich sicher nicht zählst.

Gruß
F.

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Das ist afair die Zahl aus Heinsberg.

Diese jetzt als zu erwartenden Durchschnitt für komplett DE anzusetzen finde ich, gelinde gesagt, mutig. Die Dame darf gerne mal hier in die Pampa des HSK kommen, wo ich zwar auf ein Krankenhaus schauen kann, aber dieses keine Corona-Patienten aufnehmen kann. Zack bleiben da noch das KH in Brilon, Arnsberg (ist ja nur ne Stunde Fahrt), Grafschaft und Paderborn. Letzteres gehört zu einem anderen Kreis, wie lange die im worst case ‚fremde‘ Patienten aufnehmen, weiß ich nicht.

„Gar keine Maßnahme“ ist aber einfach nicht der Punkt.
Wir sollten hier unterscheiden zwischen verfassungskonformen und potentiell verfassungswidrigen Maßnahmen.
Die Schulen beispielsweise zu schließen und die Großveranstaltungen zu verbieten (Virologen wie Streeck vertreten die Position, dass das weitgehend ausreichend wäre), und noch viele andere „gelindere“ Maßnahmen, würden in keine Grundrechte eingreifen, hätten aber sicherlich ebenfalls Effekte auf das Infektionsgeschehen gehabt.

Wie gesagt, um „gar nichts tun“ geht es schlichtweg nicht.

Gruß
F.

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Nur um es klarzustellen: Söllner hat nicht Pflegeheim-Besuche gemeint, sondern Besuche bei den (soweit gesunden) Eltern daheim.

Gruß
F.

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Das wird sich zeigen.
Formen gerichtlicher Aufarbeitung gibt es ja jetzt schon, und wird es noch in größerem Stil geben.
Wer da mit welchen Argumenten mehr Recht hat, kann ich gar nicht einschätzen.
An deren Wikipedia-Einträgen möchte ich es jedenfalls nicht festmachen :wink:

Das ist eben einer der springenden Punkte.

Nein, es ist nicht so einfach, und Gott sei Dank werden die Juristen es sich auch nicht so einfach machen.

Für mich ist es schwer erträglich, wie hoch emotionalisiert eine Debatte über krasse Grundrechtsbeschränkungen abgeschnitten wird.
Das ist ein Juristin, die in ihrem Fachgebiet eine Diskussion anstößt, keine „Person (beliebiges Schimpfwort einsetzen)“.

Gruß
F.

Doch, ist es, weil daß die Spanne ist, die solche Prognosen zwangsläufig haben. Es geht um die Größenordnung und einfach mal eine Großstadt oder auch zwei aussterben zu lassen, weil ein paar Leute ein Problem damit haben, ein paar Wochen nicht ihr normales Leben führen zu können, zeugt vor allem von einem : einem sehr egozentrischen Weltbild.

Und dieses wodarg’sche Rumgereite auf einer angeblich kaum erkennbaren Exzeßmortalität läßt mich schon fast kotzen. Ein Blick nach NYC oder Bergamo reicht vollkommen aus, um festzustellen, daß die zusätzliche Sterblichkeit regional beachtlich ist. Und ja: natürlich sterben pro Jahr in Deutschland rd. 1 Mio. Menschen. Das heißt doch aber nicht, daß man 250.000 oder 500.000 zusätzlich als Rauschen abtun kann. Oder wie Lesch das sinngemäß so schön sagte: wenn ein Amokläufer zig Leute umbringt, sagt doch auch keiner „ach komm’, laß’, das fällt doch gar nicht auf. Kein Grund, darüber einer Wort zu verlieren“.

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Ich würde dir empfehlen, wieder mehr aufs Denken zu setzen statt aufs Kotzen und aufs scheuklappenhafte Sichverlieren in Zahlenrechnereien.

Wenn dir jetzt jedes Differenzieren wurscht ist, dann Gute Nacht.

Gruß
F.

Hallo,
egal, in wie viel Worte wir es auch niederschreiben . die Grundfrage dieser Diskussion lautet nach meiner Auffassung
Was hat Vorrang , Kampf gegen das Virus und Kampf gegen den Tod oder Kampf gegen die Einschränkung der persönlichen Freiheit?

Gruss
Czauderna

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Du bist derjenige, der den Unterschied zwischen 250.000 und 500.000 für relevant hält, nicht ich. So viel zum Thema Zahlenrechnereien.

Och, das kann ich sehr gut. Ich sehe, was die Operation für die Wirtschaft bedeutet, ich sehe, welches Leid sie bewahrt, ich sehe die Unannehmlichkeiten für die Privatpersonen und ich bin im rechtlichen Bereich auch leidlich firm. Und auch wenn ich nicht jeden Gedanken mit Dir teile und teilen möchte: unter Abwägung all dieser Bereiche halte ich die Maßnahmen für richtig und notwendig.

Das einzige, wo ich anderer Meinung bin als die Politik, ist die Frage, ob es sinnvoll ist, die Maßnahmen flächendeckend bzw. bundesweit einzuführen und beizubehalten. Eine schrittweise Aufhebung wird nämlich dazu führen, daß die Seuche in den Gegenden, die noch nicht so betroffen sind, schnell wieder eine exponentielle Verbreitung erfährt, weil die Immunität dort viel geringer ist als bspw. im Kreis Heinsberg, Tirschenreuth oder Sigmaringen. Das kann u.U. dazu führen, daß wir bundesweit in eine Spirale von Stillstand und normalem Leben geraten, was ich für nicht zielführend halte.

Aber insgesamt und so ganz unemotional bin ich mit den Maßnahmen an sich vollkommen einverstanden - unter Berücksichtigung aller Bereiche und Argumente. Die Sache ist eigentlich recht trivial: es gibt Musikrichtungen, die ich total ätzend finde, bei denen ich aber akzeptieren kann, daß sie manche Leute gut finden. Ich kann auch nachvollziehen, daß es Leute gibt, die die AfD oder die Grünen wählen und ich kann auch akzeptieren, daß es Menschen gibt, die Urlaub in Darmstadt machen.

Was ich aber nicht begreifen kann, ist, wie ein auch nur halbwegs intelligenter Mensch dem schwachsinnigen Gerede von Wodarg, daß so ganz offensichtlich falsch ist, auch nur ansatzweise folgen kann.

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Genau das ist das Problem.
Es sind zu wenig Daten bekannt. Diese müssten stets aktuell vorliegen, dazu repräsentativ für die entsprechende Gemeinde.
So viel wird man nicht testen können.

Man will versuchen, die Stellgrößen so zu verändern, dass sich eine konstante Menge aktiv Erkrankter ergibt, denke ich. Aber das ist kaum möglich. Ändere die Stellgröße, lockere Verbote. Damit änderst du Variablen einer Exponentilafunktion, ohne vorhersagen zu können, wie sich das genau auswirkt.
Würde man ganz aktuell, am besten täglich, eine Rückmeldung bekommen, dann könnte man auch schnell genug gegen einen zu schnellen Anstieg gegenregeln.
Du bekommst diese Rückmeldung aber erst etliche Tage nach deiner Änderung.
So ein Regelkreis kann schwingen, also extreme Ausschläge nach oben und unten haben, er kann auch durchgehen, also nicht mehr kontrollierbar ins Extrem führen.

Es geht doch nicht um Wodarg, sondern um bestimmte Aussagen, die er öffentlichkeitswirksam so ziemlich als erster getätigt hat, die jetzt aber auch von anderen Experten ähnlich getätigt werden. Siehe z.B. den Link auf Klaus Püschel oben, der als einer, der empirisch mit Corona-Toten arbeitet, sagt, er sei „überzeugt, dass sich die Corona-Sterblichkeit nicht mal als Peak in der Jahressterblichkeit bemerkbar machen wird.“

Ich glaube das persönlich gar nicht und finde es gefühlsmäßig arg optimistisch, aber auch solche Experten-Aussagen müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, und dann in einer Diskussionen wie dieser halt tatsächlich nicht nur Zahlenhochrechnungen jonglieren, sondern z.B. zwischen Mortalität und Exzessmortalität differenzieren, denn Aufgabe des Staates ist es mit Sicherheit nicht, die Menschen vor Sterblichkeit an sich zu schützen. Das wäre absurd.

Und die „Exzessmortalität“ ist übrigens ein epidemiologischer Basisbegriff, der an sich nichts mit Wodarg zu tun hat.

In vielen Punkten sind wir uns eh einig, das können wir vielleicht am Ende nochmal festhalten. Diese Punkte kommen halt natürlich seltener zur Sprache als die strittigen.

Gruß
F.

Ich würde es ganz arg begrüßen, wenn es in dieser wichtigen Diskussion nicht zu einer starken Polarisation kommen müsste, weil es nämlich so ist, dass Ihr ein Dilemma abbildet und beide Recht haben und ganz wesentliche Punkte nennen.
Der eine, Deiner, wirkt dramatisch wichtiger, weil existentiell, aber FBH nennt auch einen Punkt, der mit Menschenleben nicht aufzuwiegen ist, aber nicht so akut und umgehend drängend, langfristig aber ebenso existentiell.
Sowas gibt es.
Das nennt sich Dilemma.
Unlösbar, das ist die Eigenart von Dilemma.

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Das Schlimmste aber ist, einsam am Coronavirus zu ersticken.
Und überhaupt einsam zu sterben.
Ich persönlich plädiere für lieber kürzer leben, aber dafür nicht einsam sterben.
Ganz stark plädiere ich dafür.

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Die Aussage ist ähnlich schwachsinnig wie die Aussage „es sterben eh nur 3000 Leute im Jahr bei Autounfällen; wir können also volltrunken und ohne Gurt fahren.“

Ja, wahrscheinlich werden wir in Deutschland die Todesfälle wegen Covid-19 nicht statistisch wahrnehmen, aber das liegt nicht daran, daß die Krankheit so harmlos ist, sondern daran, daß die Maßnahmen greifen. Aber das war abzusehen, daß derartige Genies mit klugen Sprüchen kommen. Wie sagte schon Drosten letzte Woche „there is no glory in prevention“. Wie es läuft, wenn man zu wenig und zu spät macht, kann man in Spanien, Italien und in den USA sehen. Die haben kein anderes Virus als wir; daran kann es also nicht liegen, daß wir besser abschneiden - Stand heute.

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Und Du darfst davon ausgehen, dass das, worum es Dir geht, hier nicht wirklich erfasst wird.
Ich habe auch eine Weile dafür gebraucht, und diese Diskussion kann man nur konstruktiv führen, wenn Ambivalenzen intern (und extern damit ebenfalls) ausgehalten werden und auf dieser Basis kommuniziert werden kann.
Eigentlich ganz einfach.
Aber Polarisieren ist noch einfacher.

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Hallo,
einsam sterben immer die Menschen, die niemanden mehr haben, der um sie trauert.
Diese Einsamkeit kann daran liegen, dass Angehörige und oder Freunde keinen Kontakt mehr pflegen oder man auch selbst keinen Kontakt mehr gepflegt hat, wobei meist Streitigkeiten der Grund dafür sind oder eben wirklich niemand mehr da ist, weil man einfach der oder die Letzte ist, also alle überlebt hat. So gesehen hast du recht, wer will schon vereinsamen, nachdem er alle begraben hat oder auf dem Friedhof Abschied genommen hat, wer will das schon.
Gruss
Czauderna