Die Karmalehre - ein urbuddhistisches Problem
Hi Marion.
vor allem ist es wohl äußerst schwierig, dies nach unsern westlichen Maßstäben überhaupt zu verstehen.
Nach den menschenrechtlichen Maßstäben, wohlgemerkt. Nach traditionellen christlichen Maßstäben ist das nicht so schwer, da hier ein ähnliches Denken vorherrscht in dem Sinne, dass Gutes mit Gutem und Böses mit Bösem vergolten wird, und zwar seitens von Faktoren, über die der Mensch keine unmittelbare Kontrolle hat (Gott, Karma).
und die Zufriedenheit des Einzelnen aus. So hat man
festgestellt, das Glück und Zufriedenheit in Ländern wie
Bangladesh größer ist, als in westlichen Industrienationen.
Aus Sicht der Bangladeshis sind wir also die armen Schweine.
Hmm, leider sieht die soziale Realität dort aber sehr trübe aus. Ich zitiere (Quelle ganz unten):
„Steine schleppen, Bleche biegen, T-Shirts bleichen: Für Millionen Kinder in Bangladesh ist das der Alltag… „Aber das Projekt läuft weiter“, sagt er - das Thema ist von wachsender Aktualität, trotz vieler politischer Versprechen, etwas zu ändern für die etwa sieben bis neun Millionen betroffenen Kinder in Bangladesh… „Irgendeine Besserung habe ich in den vier Jahren nicht gesehen“, sagt Akash. Im Gegenteil: Für Reis und Gemüse zahlen die Menschen doppelt so viel wie 2006. Die Familien, die ihre Kinder in die Ziegel- und Textilfabriken schicken, seien mehr denn je auf das Geld ihrer Jüngsten angewiesen.“
Zitat Ende. Darüber haben die Macher der von dir angedeuteten Untersuchung aber großzügig hinweggesehen. Ich erinnere auch an Ausbeutung von Frauen z.B. in Betrieben des H&M-Kleiderunternehmens, wo Frauen nicht nur einen Hungerlohn kassieren, sondern von Vorarbeitern sexuell missbraucht werden.
mit dieser Lebensmaxime die Welt ausplündern…
Z.B. Bangladesh. Aber das ist ja nicht so schlimm, die Einheimischen sind nämlich (wie du behauptest) sehr glücklich damit.
Im Grund kommen dafür nur 3 Erklärungsmöglichkeiten in
Betracht: Zufall, Wille einer „höheren Macht“ oder Ursachen
und Wirkungen, die wir nicht erkennen können.
Der Buddhismus hat sich nun der dritten (einzig logischen)
Erklärungsmöglichkeit angeschlossen: Ursachen und Wirkungen,
die wir nicht erkennen können.
Und genau das ist, wie ich schon Ralf schrieb, nicht von einer höheren Macht (z.B. Gottes Ratschluss) zu unterscheiden. Beides (die Karmalehre und die Gotteslehre) ist empirisch unüberprüfbar und wunderbar geeignet, den Menschen das Leid als „verursacht“ zu begründen und damit zu legitimieren.
Worin liegt die eigentliche Parallele? Darin, dass die Frucht des Karma (zumindest sofern die Ursachen in Vorleben zu suchen sind) ja nicht auf ein kontinuierliches Selbst zurückzuführen sind (wie Ralf betont), sondern auf die verursachenden Taten eines vom frucht-erntenden Bewusstseins verschiedenen Bewusstseins. Der erleidende Mensch hat also als Person ein Karma abzutragen, dass er nicht selbst verursacht hat.
Ich nenne das den Zwillingsbruder vom „unerforschlichen Ratschluss“. Beides ist für das Opfer unerklärlich und kommt über es wie aus dem Nichts.
Das gleiche gilt für das „gute Karma“.
Ein so verstandener Karmabegriff ist nichts anderes als ein apersonalisierter und in pseudo-wissenschaftliche Begriffe von Ursache und Wirkung übersetzter Christengott.
Ich halte viel von indischen Lehren, mache aber bei der starken Variante des Karmabegriffs (wie sie beim Dalai Lama und auch in deinem Buddha-Link erscheint) eine Ausnahme. Ich halte diesen Karmabegriff für puren Aberglauben mit bedenklichem amoralischem Potential.
Es gibt eine schöne Geschichte eines hohen geistlichen
tibetischen Lama, der Jahrzehnte in einem chinesischen
Arbeitslager verbrachte, dort gefolter wurde und unter
unmenschlichen Bedingungen Schwerstarbeit verrichten musste,
schließlich entlassen wurde und dem die Flucht nach Indien
gelang. Auf die Frage, was die bedrohlichste Situation für ihn
gewesen wäre, antwortete er: „Ein Moment, in dem ich fast das
Mitgefühl für alle Lebenwesen verloren hätte.“
Sag das mal der tibetischen Nonne, die in den 90ern von Chinesen mit einem Elektroschocker in der Vagina gefoltert wurde, oder dem alten Mönch, dem ein solcher Schocker in den Mund gesteckt wurde, worauf er durch den Raum flog und 20 Zähne ausspuckte.
Aber klar: diese Leiden waren ja die Frucht schlechten Karmas. Nichts anderes bedeuten die Aussagen vom Dalai Lama und, leider, wohl auch von Buddha. Ich zitiere aus deinem Link:
„Da behandelt, Brahmane, irgendein Weib oder ein Mann die Wesen heftig und qualvoll, geht mit Fäusten, mit Steinen, mit Stöcken, mit Waffen gegen sie vor. Da läßt ihn solches Wirken, also vollzogen, also vollbracht, bei der Auflösung des Körpers, nach dem Tode, abwärts geraten, … Das ist der Übergang, Brahmane, der zu Gebresten führt, daß man da die Wesen heftig und qualvoll behandelt, mit Fäusten, mit Steinen, mit Stökken, mit Waffen gegen sie vorgeht.“
Das ist nicht akzeptabel. Man kann solche unbeweisbaren Konstruktionen nicht zu einer der Grundlagen einer ethisch anspruchsvollen Philosophie machen.
Chan
http://www.fr-online.de/panorama/das-drama-der-kinde…