Der Buddhismus wird sich in naher Zukunft tendezenziell eher nicht durchsetzen, denn der diskreditiert sich gerade in Myanmar (und das lautstarke Schweigen der Buddhisten in anderen Ländern) selbst.
Veranlasst durch diese Bemerkung im letzten Thread möchte ich hier dieses angebliche „lautstarke Schweigen“ brechen. Vorwarnung: ein mea culpa wird das nicht …
Ohne Zweifel gibt es in Myanmar (und in anderen asiatischen Ländern wie z.B. Sri Lanka) auf buddhistischer Seite seit einigen Jahren einige inzwischen sehr einflussreich gewordene Mönche, die eine unakzeptable, hasserfüllte rassistische Hetze und pauschale Demagogie gegen Moslems betreiben. Dass die Mehrheit der burmesischen Bevölkerung und die Mehrheit des burmesischen Mönch- und Nonnen-Sangha dem nicht folgen, dass sich die nationale Sangha-Leitung und eine Vielzahl von prominenten Mönchen, Dhamma- und Vipassana-Lehrern davon ausdrücklich distanziert haben, wird in der weltweiten Berichterstattung und insbesondere im Westen mit keinem Wort erwähnt. Auch in unseren Medien herrscht eine pauschale einseitige Verurteilung, wobei nicht zuletzt Religionswissenschafter wie Professor Hartmut Zinser oder der evangelische Theologie-Professor Friedrich Wilhelm Graf bereitwillig Schützenhilfe leisten.
Die Hintergründe und Ursachen für die derzeitige, zweifelslos furchtbare und für Praktizierende der Lehre des Buddha nicht zu rechtfertigende, antimuslimische Propaganda und Hetze mit zahlreichen schlimmen Gewaltereignissen von buddhistischer Seite gegenüber Menschen anderer Ethnie und Religion wird seit Jahren in buddhistischen Kreisen intensiv diskutiert - das „lautstarke Schweigen“ ist schlicht herbeifantasiert. Das Problem liegt da eher beim Hören als beim Sprechen. Als nur ein Beispiel sei hier ein im September 2013 in der Zeitschrift „Ursache und Wirkung“ (Organ des österreichischen buddhistischen Dachverbandes) abgedruckter Artikel verlinkt: http://www.buddhanetz.org/aktuell/zwiespalt.pdf. Veröffentlicht und unter westlichen Buddhisten breit diskutiert, lange bevor der ethnische Konflikt in Myanmar zu einem Thema westlicher und vor allem nahöstlicher Medien wurde.
Während es in der westlichen Welt seit 20 Jahren zu schlimmsten mörderischen Terrorangriffen gegen unschuldige Menschen durch islamistische Fundamentalisten kommt und hier seither pausenlos über die Integrierbarkeit des Islam in die aufgeklärte westliche Kultur und Gesellschaft gestritten wird, wird eine Auseinandersetzung über genau dieselbe Problematik den buddhistischen Ländern und Menschen Asiens nicht zugestanden und in unseren Mainstrea-Medien ein ausgesprochen scheinheiliger Betroffenheits- und Solidaritäts-Medienhype gegenüber den sehr, sehr weit entfernten Flüchtlingen zelebriert.
Was ist konkret im Sommer diesen Jahres in Myanmar passiert? Islamistische Terroristen führen einen Guerillakrieg unter der Deckung der muslimischen Bevölkerung, kulminierend in einer terroristischen Großoffensive am 25. August. Die Deckung funktioniert, also vertreiben die Militärs ihrerseits mit Terrorakten die gesamte muslimische Bevölkerung, um den islamistischen Terroristen ihre Deckung zu nehmen. Das ist die unerbittliche, gnadenlose Logik des Kriegs. Ein großer Teil der buddhistischen Bevölkerung hat - aus gutem Grund - Angst vor den islamistischen Terroristen und überträgt diese Angst generell auf alle Muslime. Aufgehetzt u.a. auch von einer im buddhistischen Gewand auftretenden Organisation namens 969. Ähnliches kann man durchaus auch hierzulande beobachten, auch wenn die Organisation natürlich anders heisst. Da ist es vielleicht ist sinnvoller, vorrangig seinen Blick darauf zu richten, statt auf das ferne Myanmar. Und auf die Flüchtlinge hier und an ‚unseren‘ Grenzen. Im Mittelmeer ersaufen auch Flüchtlige - und zwar deutlich mehr als in den Gewässern zwischen Myanmar und Bangladesch. Zugleich vegetieren Millionen Flüchtlinge, vor allem Syrer und Iraker, in türkischen, arabischen und afrikanischen Flüchtlingslagern vor sich hin. Mehr Flüchtlinge als in den Lagern Bangladeschs. Nicht zuletzt aufgrund westlicher Interventionen in diesen Ländern. Zumeist Muslime, nebenbei bemerkt. Und „Abschiebung“ ist längst zum liebsten Wort vieler Deutscher geworden. Das ist schlicht schamlose Doppelmoral.
Man mag das Relativierung nennen - aber es ist für das Verständnis hilfreich, Dinge in Relation zu setzen. Und selbstverständlich steht z.B. die Miltäraktion seit der ersten Septemberhälfte in einer direkten Relation zu dem Angriff der ‚Arakan Rohingya Salvation Army‘ auf 30 Polizeiposten und Militäreinrichtungen am 25. August. Wobei das nur der Höhepunkt (bislang) der Terrorangriffe war, seit die ARSA (anfänglich noch unter dem Namen Harakah al-Yaqin, ‚Arakan Glaubensbewegung‘) vor knapp einem Jahr ihren bewaffneten Kampf begonnen hat. Nicht nur mit Angiffen auf Polizeidienststellen, sondern auch auf von Buddhisten bewohnte Dörfer, die niedergebrannt wurden und deren Einwohner man massakriert hat, um anschließend in islamischen Dorfgemeinschaften unterzutauchen. Klassische Guerillataktik. Auch das hat zu einer Flüchtlingswelle (wenn auch einer deutlich kleineren) geführt - nur von Buddhisten und innerhalb Myanmars. Über die berichten westliche Medien auffällig wenig.
Mal so nebenbei - man stelle sich vor, was hierzulande los ware, wenn an einem Tag 30 Polizeidienststellen von bewaffneten IS-Terroristen angegriffen würden. Wenn es dann - aufgehetzt durch Populisten, die hier schon reichlich in Bereitschaft stehen - zu Pogromen z.B. an türkischstämmigen Mitbürgern islamischen Glaubens käme, wäre das dann mit „Verfolgung von Muslimen durch Christen“ zutreffend und hinreichend charakterisiert?
Bei mir erzeugt das den Eindruck, dass in unseren Medien genau dasselbe Geschäft betrieben wird wie z.B. bei der nationalistischen, sich als ‚buddhistisch‘ ausgebenden 969-Bewegung in Myanmar, nämlich Aufhetzung. Durch verzerrte und isolierte Darstellung von Sachverhalten (eben ohne ‚Relativierung‘) sollen Menschen manipuliert werden. Bei uns im Westen wahrscheinlich zu einer breiten Unterstützung bewaffneter ‚Freiheitskämpfer‘. Offen wird dafür natürlich ohnehin von Al Qaeda geworben, aber auch von Staaten - allen voran unserem NATO-Verbündeten Türkei:
Ich bin gespannt, wie lange es noch dauert, bis man auch hier versucht, die Früchte dieser Medienarbeit zu ernten und Politiker eine „humanitäre Aktion“ (aka ‚Auslandseinsatz‘ von Militär) fordern, wie z.B. seinerzeit im Kosovo. Wo dann ja auch die Luftwaffe der Bundeswehr ihrer alten Wehrmachtstradition folgend wieder einmal einen Bombenkrieg gegen Serbien führte. Hierzulande war der 6. April 1941 ja leider schon fast vergessen …
Hinsichtlich des historischen Hintergrunds weist der Konflikt große Ähnlichkeit mit dem in Sri Lanka auf: ganz wesentlich verantwortlich für deren Entstehung ist die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien. Ich will dies hier nicht eingehend behandeln - nur auf den offenbar weitgehend unbekannten Fakt verweisen, dass die blutigen ethnischen Auseinandersetzungen in der Arakan-Provinz bereits 1942 begannen. Die Japaner hatten die britischen Kolonialherren aus Burma vertrieben und wurden von vielen burmesischen Nationalisten als Befreier begrüßt - zumindest fanden sie willige Kollaborateure. Einige Rohingya, deren ‚Einwanderung‘ als billige Arbeitskräfte von den Briten betrieben worden war (ähnlich wie bei den Tamilen in Sri Lanka), boten sich als Loyalisten an und wurden von den Briten bewaffnet (die berüchtigte ‚V-Force‘). Diese Rohingya ‚bekämpften‘ anstatt der japanischen Truppen allerdings vorwiegend die buddhistische (gegenüber den britischen Kolonialherren ‚illoyale‘) Bevölkerung der Provinz Arakan. Eine Terrortruppe, vom britischen Hauptquartier in Delhi bewaffnet und bezahlt. Geschätzte 50.000 Zivilisten sollen den durch Rohingya verübten Massakern an buddhistischen Arakanesen zum Opfer gefallen sein. Nach dem Krieg, als sich der dauerhafte Rückzug der Briten abzeichnete (Burma wurde 1948 souverän) gab es unter den Rohingya eine separatistische Bewegung, die das nördliche Arakan abspalten und an Pakistan (dessen östlicher Landesteil damals Bangladesch war) anschließen wollte - Pakistan zeigte allerdings kein Interesse. Darauf wurde 1947(!) die Mujahid Party gegründet - eine Jihad-Organisation mit dem Ziel eines autonomen muslimischen Staates im nördlichen Arakan und Vorläufer der heute aktiven Terrororganisation ‚Arakan Rohingya Salvation Army‘. Das soll selbstverständlich nichts entschuldigen - aber es macht vielleicht verständlich, warum Rohingya bei buddhistischen Burmesen weniger beliebt sind als derzeit in den westlichen Medien.
Was mir persönlich seit einigen Jahren deutlich auffällt, ist das Interesse westlicher (und natürlich auch nahöstlicher) Medien an diesem speziellen Konflikt, während hingegen die Verfolgung und Unterdrückung der buddhistischen Minorität (insbesondere die Massaker zwischen 1980 und 1993) auf der anderen Seite der Grenze, in den Chittagong Hill Tracts von Bangladesch, der öffentlichen Aufmerksamkeit weitestgehend entging. Wer weiss hier schon, dass die Minderheit der ca. 1 Million Buddhisten schon seit der Unabhängigkeit des Landes aufs schwerste unter der Diskriminierung, Verfolgung und Vertreibung durch die moslemische Mehrheit und Regierung zu leiden hat und vor ihrer Auslöschung steht? Da fehlt wohl die Lobby … Das soll selbstredend kein Aufrechnen sein, nur ein Verweis auf selektive Wahrnehmung.
Generell sind, was diesen Konflikt angeht, differenzierte Darstellungen in den Medien seltene Ausnahmen. Bezeichnend ist da z.B. die Rede Aung San Suu Kys vom 18.09. - ich verlinke hier keine Medienberichte darüber, sie lassen sich problemlos finden. Problematisch ist, dass dort immer nur einzelne Satzfetzen zitiert werden - in der Regel auch gleich mit Kommentaren zur „Verständnishilfe“ versehen. Entscheidende Stellen werden nicht direkt, sondern nur indirekt zitiert. Bei der Auswahl der Zitate in den verschiedenen Berichten fällt vor allem auf, dass nur einige wenige Medien das Angebot erwähnen, ausländische Beobachter sollten sich vor Ort selbst ein Bild von der Lage in Rakhine machen - in der Mehrzahl der von mir geprüften Berichte wird dieses Angebot, Transparenz herzustellen, nicht erwähnt. Eine Verlinkung auf die komplette Rede habe ich bislang nicht gefunden. Daher auch weiter keine Wertung von mir. Gleichzeitig wird Aung San Suu Kyi wegen ihres (angeblichen) Schweigens zu den Vorgängen in den Medien angeprangert und die Aberkennung ihres Nobelpreises gefordert. Beim Friedensnobelpreisträger und US-Präsidenten Barack Obama, der während seiner 8-jährigen Amtszeit ständig mehrere Kriege führte, eine Vielzahl von Menschen durch ferngelenkte Drohnen töten und das Folterlager Guantanamo entgegen seinem Wahlversprechen weiter bestehen ließ, war man da nicht so penibel.
Erfreulicherweise gibt es auch differenziertere Quellen, wenn auch dünn gesät. Beispielsweise hier ein Radiointerview des Deutschlandfunks mit dem Asienexperten und evangelischen Theologen Hans Bernd Zöllner aus Hamburg (er lebt seit vielen Jahren in Burma): http://www.deutschlandfunk.de/myanmar-buddhisten-haben-angst-von-muslimen-verdraengt-zu.886.de.html?dram:article_id=395675
Lesenswert auch dieser Artikel des Völkerkundlers und Journalisten Peter Mühlbauer auf Telepolis: https://www.heise.de/tp/features/Aung-San-Suu-Kyi-kritisiert-Fake-News-ueber-Konflikt-in-Rakhine-3825685.html
Der Beitrag zeigt auf, dass hinter diesen Unruhen - wie in so vielen anderen Fällen, die mit dem Islam zu tun haben - die weltweiten Machenschaften des radikalfundamentalistischen (wahhabitischen) Islamismus Saudi-Arabiens zu finden sind und wie hierbei mit erfundenen und gefälschten Bildern und Nachrichten (fake news) weltweit Hass und Hetze gegen Buddhisten und Burmesen geschürt wird. Des weiteren dieser Beitrag desselben Autors, der aufzeigt, wie in den Vorgängen in Myanmar eine Strategie wiederzuerkennen ist, die bereits in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das einstige Jugoslawien in seiner staatlichen Einheit zerstörte und viele Tausende Tote kostete: https://www.heise.de/tp/features/Wird-Rakhine-der-neue-Kosovo-3827286.html
Cui bono? Oder auf Neusprech: follow the money. Der letzgenannte Beitrag nennt den weltweit reichsten und gewissenlosesten US-Börsen-Spekulanten George Soros. Er ist aber nur eine Seite davon. Tatsächlich geht es bei dem Geschehen um den großen Konkurrenzkampf oder ökonomischen Krieg, der schon lange das globale Weltgeschehen am stärksten prägt, nämlich den Kampf zwischen den USA und China um den Zugriff auf die derzeit wichtigsten Rohstoffe und Energieträger: Erdöl und Erdgas. Eben diese beiden Bodenschätze sind seit über 100 Jahren die wichtigsten und fatalsten Ursachen fast aller Kriege. Und von Erdöl und Erdgas hat Burma vor seinen Küsten sehr viel, bisher kaum ausgebeutet (und das in Zeiten, wo beides zu Ende geht). Und so hat China (seit langem ‚Schutzmacht‘ der burmesischen Militärclique, die für es die Drecksarbeit in dieser Region erledigt) in genau jener Region, um die es derzeit geht, bereits mächtig investiert und Pipelines nach China verlegen lassen, um diese Schätze auszubeuten. Mit diesen kann China die Transportwege seiner Ölversorgung um ein Vielfaches verkürzen. Und schließlich soll bei der Stadt Kyaukphyu – exakt der Hauptstadt des Rakhine-Gebietes – die mächtigste industrielle Sonderzone Myanmars, eine der bedeutendsten ganz Südostasiens entstehen. Dasselbe Zugriffs-Interesse auf diese Reichtümer haben aber auch mächtige US-amerikanische Energie-Konzerne und Investoren wie z.B. George Soros und möglicherweise auch Saudi-Arabien, dessen Ölreichtum zu Ende geht. Soros ist die Person, die schon seit vielen Jahren von der Verfolgung der Rohingya in Burma spricht und seit langer Zeit großes Interesse an „Veränderungen in Burma“ bekundet. Von ihm stammt auch der in diesem Zusammenhang inzwischen stereotyp wiederholte Satz, dass es sich bei den Rohingya um „die am meisten verfolgte Minderheit der Welt“ handele (was eine krasse Blindheit darstellt), Vor kurzem sprach er sogar vom „Holocaust“ an den Rohingya. Und Soros ist einer der mächtigsten Medienmogule und Meinungsmacher der westlichen Welt.
Mit Buddhismus und Islam hat das alles herzlich wenig zu tun. Hingegen viel mit der Instrumentalisierung von Religionen - weswegen dieses Statement hier mE auch nicht offtopic ist. Dass auch der Buddhismus - wie jede Religion - zu ethisch inakzeptablen Zwecken instrumentalisiert werden kann, ist eine Binsenweisheit. Ob das diese Religion - wie jede Religion - „diskreditiert“, muss jeder für sich entscheiden. Wobei man gut beraten ist, sich diese Antwort nicht von Massenmedien vorgeben zu lassen.
Freundliche Grüße,
Tychiades