Hallo!
Ergänzend zum Beitrag von Crannmer, der den hohen Aufwand mit Kraftwerken unterschiedlicher Bauart erahnen läßt, der für konstante Netzfrequenz und -Spannung getrieben wird, geschieht auch auf Verbraucherseite viel, um zu heftige Lastschwankungen abzufangen. Die einfachste Methode besteht darin, ganze Netzabschnitte mit überwiegend privaten Verbrauchern abzuschalten. Dort gibt es dann eben nur Strom, wenn er an wichtiger erscheinenden Stellen nicht gebraucht wird. Solche Verfahrensweise kennen wir in Mitteleuropa nicht, ist aber in vielen Teilen der Erde üblich.
Du bekommst eine Vorstellung von der Problematik, wenn Du Deine Stube mit einem gewöhnlichen Kohle- oder Holzofen beheizt. Das Ding heizt entweder mit voller Nennleistung oder gar nicht. In engen Grenzen läßt sich die Leistung durch Luft- und Brennstoffzufuhr variieren, aber das ist ein sehr träges Verfahren und geht massiv zu Lasten des Wirkungsgrads. Deshalb feuert z. B. ein Öl- oder Pelletsbrenner entweder ganz oder gar nicht. Wird der Brenner ausgeschaltet, sorgt ein Wärmespeicher in Form des Gemäuers und des in der Heizung vorhandenen Wassers für die Überbrückung der Ausschaltzeit. Ähnliches wird auch im Stromnetz gemacht. Während lastschwacher Zeiten wird Wasser einen Berg hochgepumpt. Die Pumpen sorgen für die nötige Last und während späterer Lastspitzen läßt man das Wasser über Turbinen wieder den Berg herunter laufen. Der Vermeidung von Lasteinbrüchen dienen Nachtspeicherheizungen. Während lastschwacher Zeiten wird Strom verheizt und die Wärme in Steinen gespeichert. Es gab auch schon Anlagen, die in lastschwacher Zeit Bleiakkus luden, um deren Ladung zur Deckung von Lastspitzen über Wechselrichter wieder ins Netz zu speisen. Größere gewerbliche Verbraucher haben i. d. R. Schleppzeigerzähler, um Verbrauchsspitzen zu erfassen (und mit technischen Einrichtungen zu vermeiden). Die Verbrauchsspitzen werden richtig teuer, weil der Aufwand zur Deckung dieser Spitzen beträchtlich ist. Zu bestimmten Zeiten gehen in Millionen Haushalten die Kaffeemaschinen und Durchlauferhitzer in Betrieb. Das gibt eine deutliche Lastspitze im Netz (die Wasserwerke kennen solche Spitzen in gleicher Weise und müssen die Pumpen danach fahren). Deshalb treiben größere Stromkunden einigen Aufwand, um in solchen Spitzenzeiten ihren eigenen Verbrauch zu drosseln. Das macht man natürlich nicht bei einer Werkzeugmaschine (da gäbe es teuren Bruch), aber z. B. bei der größeren Herdanlage einer Hotelküche oder beim Backofen einer Großbäckerei fällt es nicht weiter auf, wenn die abgenommene Leistung kurzzeitig heruntergedimmt wird, um zu einem möglichst gleichmäßigen Verbrauch zu kommen und Verbrauchsspitzen zu vermeiden. Größere Verbraucher betreiben zudem Phasenschiebereinrichtungen, um Netz und Generatoren nach Möglichkeit nur mit Wirkleistung und nicht mit zusätzlicher Blindleistung zu belasten.
Insgesamt ist der für ein stabiles Netz getriebene Aufwand gigantisch. Der Normalverbraucher bemerkt davon nichts, Strom aus der Steckdose wird zu jeder Tages- und Nachtzeit als selbstverständlich angesehen. Natürlich kann man ein Kern- oder Kohlekraftwerk hinstellen und damit ein Netz aufbauen, das nur von diesem einen einzigen Kraftwerk oder Kraftwerkstyp gespeist wird. Das passiert auch tatsächlich. Dann aber hat man Verhältnisse wie zur Anfangszeit der Elektrifizierung oder wie heute in Teilen z. B. Chinas. Dabei darf man Aspekte wie Wirkungsgrad, Kosten, konstante Netzfrequenz, konstante Netzspannung, Abwesenheit von Überspannungen und Einbrüchen sowie kontinuierliche Verfügbarkeit und womöglich Umweltschutz gar nicht erwähnen. Es muß einfach Versorgung für ein paar Betriebe her und ansonsten werden entbehrlich erscheinende Verbraucher (z. B. private Haushalte) nach Belieben zu- und abgeschaltet und/oder Energie sinnlos verbraten. Die Verhältnisse lassen sich leicht im kleinen Maßstab nachbilden. Betreibe einen Dieselmotor mit Generator und messe Treibstoffverbrauch, Spannung und Frequenz bei schwankender Last und errechne den jeweiligen Wirkungsgrad. Du kommst zu akzeptablem Wirkungsgrad bei Nennlast. Bei Überschreiten der Nennlast brechen Spannung und Frequenz ein. Unterschreitet man die Nennlast, wird Brennstoff nur für Abwärme verheizt und die Kosten explodieren. Zur Lösung des Problems braucht man Kraftwerke unterschiedlichen Typs. Einige Kraftwerkstypen lassen sich nur sinnvoll kontinuierlich mit konstanter Leistung betreiben, während andere Kraftwerkstypen für unterschiedliche Dauer von Lastspitzen geeignet sind. Solche Kraftwerkstypen müssen sich kurzfristig entweder ein- und ausschalten oder sich sinnvoll in einem großen Dynamikbereich betreiben lassen. Bei Windkraft ist mit ausreichendem zeitlichen Vorlauf bekannt, welche eingespeiste Leistung zur Verfügung stehen wird. Das sind kWh, die nicht mehr aus fossilen Brennstoffen kommen müssen.
Hier noch ein Kostenaspekt: Mit Vorliebe werden die 8,7 ct Einspeisevergütung für Windkraft mit dem niedrigeren Erzeugerpreis aus z. B. Kernkraft verglichen. Dabei werden Äpfel mit Birnen verglichen. Das KKW ist wie ein Braunkohlekraftwerk für kontinuierlichen Betrieb mit Nennleistung geeignet. Alle anderen nicht für Grundlast eingesetzten Kraftwerke arbeiten erheblich teurer und Windräder sind keine Grundlastkraftwerke. Wir würden unseren Strom kaum bezahlen können/wollen, würde er z. B. aus Gasturbinen erzeugt. Damit getriebene Generatoren laufen nur kurzzeitig zur Deckung des Spitzenbedarfs an, Kosten spielen kaum eine Rolle, solange nur das Netz stabil bleibt.
Bisher haben wir keine Alternative zu Braunkohle und Kernkraft für die Grundlastdeckung. Trotz der buchstäblich katastrophalen Folgen für Flora, Fauna, Wasserhaushalt und Klima ganzer Regionen mit totaler Entvölkerung (komplette Ortschaften und Infrastrukturen verschwinden von der Landkarte) werden neue Braunkohletagebauten und Braunkohle-Kraftwerke geplant. Aktuell wird im Landkreis Ludwigslust (Mecklenburg-Vorpommern) in der Gegend um Lübtheen ein neuer Braunkohletagebau geplant. Nach Abschluß der Planung verschwinden sämtliche Ortschaften der Region. Im Klartext heißt das: Entvölkerung, Abriß und Planierung der gesamten in Jahrhunderten entstandenen Infrastruktur. Kein Baum, kein Strauch, kein Halm, kein Gewässer, kein Haus, keine Straße, kein Wurm, ja nicht einmal das Grundwasser bleibt übrig. Beginn des Braunkohleabbaus etwa 2035. Ende etwa 2080. Danach Abriß des Kraftwerks und Renaturierung der entvölkerten Mondlandschaft etwa 2100. Ich lebe im Landkreis Ludwigslust und bekomme deshalb mit, wie sich der Protest formiert. Obwohl die Folgen für die Menschen und insbesondere die Umweltfolgen des Tagebaus mit dem Wort Katastrophe geradezu verharmlosend beschrieben sind, habe ich bisher keine der vielen Protestnoten unterschrieben. 20 km Luftlinie weiter, in Boizenburg, soll demnächst ein Altholzkraftwerk gebaut werden. Auch dagegen gibt es massive Proteste und auch daran beteilige ich mich nicht. Direkt gegenüber auf der anderen Seite der Elbe, liegt Gorleben. Die Proteste sind seit vielen Jahren bekannt. Unser Verhalten ist vorne und hinten nicht stimmig. Wir wollen alle Wohlstand und Komfort, wir beklagen steigende Energiepreise, Kernenergie wollen wir nicht, Bergschäden wollen wir nicht, Braunkohletagebau wollen wir auch nicht und bei Windrädern stört uns der Schattenwurf - aber der Strom soll aus der Steckdose kommen. So kann das Spiel nicht funktionieren! Entweder wir akzeptieren den Einsatz regenerativer Energie und akzeptieren, daß die Aktivität sehr viel Geld kostet, gewaltiger F&E-Anstrengungen bedarf und nicht ausschließlich unterirdisch und unsichtbar stattfinden kann oder wir finden uns mit Kohleförderung, Braunkohletagebau und den Folgen ab oder wir verzichten irgendwann auf eine gesicherte Energieversorgung. Wir sind gegen alles, aber bequem, billig und unsichtbar soll es sein, ist technisch nicht zu machen.
Gruß
Wolfgang