Hallo!
Allen Sezessionen ist gemein, daß sie nicht unmittelbar (wenn
überhaupt) zu einer wirtschaftlichen Erfolgsstory wurden. Das
ist auch ganz logisch: eine abgespaltene Insel oder eine
„ausgegründete“ Region verfügen gar nicht über die Grundlagen
in den Bereich der Gesetzgebung, der Politik, der Wirtschaft,
der Infrastruktur usw. Es gehen Jahre und Jahrzehnte der
Selbstfindung ins Land, während man in dieser Phase von außen
mißtrauisch beäugt wird, was sich nachteilig auf die
Investitionen auswirkt.
Das ist doch so abstrakt gar nicht zu sagen.
Ein Bayern beispielsweise, das als nach und nach ‚autonomisierte‘ Region Teil der EU ist und bleibt, wird all diese Problem gewiss nicht haben.
Auch der Zusammenschluss Bayerns mit Österreich („Österbayern“ gibts immerhin begrifflich schon mal; historische Modelle, wie der Plan einer „Donaurepublik“ zur Neugestaltung nach 1945 auch) würde die obigen Probleme nicht mit sich bringen, wenn ein übergeordneter Rahmen gegeben ist.
Der Trugschluß liegt also darin, zu glauben, man könnte ein
Gebilde abtrennen und alles würde weiterlaufen wie bisher.
Der Denkfehler vieler „Skeptiker“ und auch vieler „Träumer“ gleichermaßen ist in erster Linie der, dass man sich das Ganze als Allgeingang Bayerns vorstellt.
Es gilt, die Eigenständigkeit Bayerns auf der Ebene der EU zu gewinnen - zusammen mit Tirol, Vorarlberg, Flandern, Katalonien, dem Baskenland, Schottland und vielen weiteren Regionen - welche übrigens allesamt weit begieriger auf Eigenständigkeit sind als die Bayern.
Gemeinsame Befreiung der Regionen aus Nationalstaaten, die durch die EU in dieser Form überholt sind.
Auch historisch gibt es keinen zwingenden Grund, um Bayern mit
Österreich und Südtirol zu einem Staat zusammenzuschrauben. Um
bayerische und österreichische Regionen in einem Herrscher zu
finden, muß man schon an die tausend Jahre zurückreisen.
Erstens muss man nicht 1000, sondern „nur“ um die 200 Jahre zurückgehen, um zu sehen, wann Teile des heutigen Österreichs bayrisch waren bzw. auch Teile Bayerns ‚österreischisch‘.
Zweitens gibt es, der Staatengrenze zum Trotz, auch heute noch absolut fließende Übergänge:
München - Rosenheim - Salzburg - Wien
Regensburg - Passau - Linz - Wien
München - Murnau/Garmisch - Innsbruck - Bozen
Das beginnt das Salzurgerische schon bei Rosenheim, oder das Tirolerische schon weit vor Garmisch (Werdenfelser Land).
Ich sehe letzteres doch in der eigenen Verwandtschaft anschaulich. Vater und Mutter nicht einmal 30 km voneinander nördlich und südlich von Murnau aufgewachsen. Der mütterliche Teil orientierte sich (sprachlich, in der Tracht, im Volksmusikgeschack usw.) immer schon ganz selbstverständlich nach München, der väterliche immer schon ganz selbstverständlich nach Innsbruck.
Drittens gibts auch für das heutige Österreich absolut keinen „zwingenden Grund“. Es ist nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns halt einfach zusammengeschmissen wurden ohne Sinn und Logik dahinter.
Wenn Jörg Haider jemals irgendwas Sinnvolles gesagt hat, dann das, dass Österreich so betrachtet eine „ideologische Missgeburt“ war. Bis in die 70er Jahre hinein, hätte das auch noch die Mehrheit der Österreicher unterschrieben. Erst danach enstand so etwas wie eine ‚österreichische‘ Identität.
Ich
kann mir kaum vorstellen, daß Bayern, Österreicher und
Südtiroler aus der Zeit noch ein Zusammengehörigkeitsgefühl
mit sich herumtragen.
Siehe oben!
Es besteht in puncto Zusammengehörigkeitsgefühl eine Pluralität von Kontinuen.
Und zwar überall, innerhalb Bayerns, innerhalb Österreichs, sogar innerhalb Tirols (z.B. das Tiroler Oberland kann mit der Idee „EIN Tirol“ viel mehr anfangen als das Tiroler Unterland) sogar innerhalb des Tiroler Oberlands (nörlich von Innsbruck schwindet das Südtirol-Interesse merklich; wobei „Ein Tirol“-Plakate aber wiederum schon ab Mittenwald zu sehen sind, also in Bayern), und auch zwischen den beiden Ländern.
Tatsächlich scheint mir gerade zwischen
Bayern und Österreichern doch gewisse Ressentiments bestehen.
Wenn du in Tirol was von München erzählst, dann wirst du weit weniger Ressentiment spüren wie wenn du was von Wien erzählst oder wenn du gar positiv das Burgenland erwähnst … Auch die österreichischen Ressentiments verlaufen also nicht entlang der Staatsgrenzen. Da ist Österreich in sich schon viel zu heterogen, um ein gemeinsames, einheitliches Ressentiment gegen die Bayern zu haben.
Gruß
Tyll