Dialekt im Alltag

Hallo,

gestern hat eine Bekannte meinerseits die beiden folgenden Bilder auf Facebook verlinkt:

und

Was mich (nicht-Schwäbin) total überrascht hat, war die Diskussion, die sich darunter abspielte. Hochdeutsche gegen Schwaben. Ausgelöst hauptsächlich von einem Beitrag, wo jemand, der von sich sagte, er würde in „Schwabenland“ wohnen, fand, dass Dialekt gelegentlich ganz nett sein könne, aber im „Alltag“ nichts zu suchen hätte und er es „peinlich“ finden würde, so zu sprechen. Die Antworten waren in lautmalerischem Schwäbisch gehalten und das ganze artete, wie nicht anders zu erwarten, in gegenseiten Beschimpfungen aus.

Ich hingegen hatte den Eindruck, dass in den letzten Jahren Dialekt wieder „in“ sei und der Trend zum „gepflegten Dialekt“ ging (obwohl ich durchaus feststelle, dass viel mehr Kinder zweisprachig (Hochdeutsch und Dialekt) sind und Dialekt verflacht. Oft bleibt zwar die landschaftliche Färbung erhalten, aber viele Ausdrücke gehen verloren.

Mich würde mal interessieren, ob mein Eindruck mich täuscht und ob Dialekt tatsächlich unter a) peinlich und b) total altmodisch eingeordnet wird.

Grüße
Siboniwe

Hallo Elke,

wenn jemand von „Schwabenland“ spricht, ist es ganz sicher ein Reigschmeckter.

Und die tun sich halt hie und da arg schwer, besonders wenn sie aus den Teilen des niederdeutschen Sprachraums kommen, in denen der Dialekt als minderwertige Sprache von Knechten und Mägden angesehen wird. Da kann man es schon verstehen, wenn einer sich darüber ärgert, dass alle sich verstehen, bloß er selber kriegt halt nichts mit. Ich stelle mir grade einen frischgebackenen Bätscheler in einem technischen Beruf vor, dem ein Mitarbeiter aus der Werkstatt sagt: „Wenn ich das hier so dranpunkte wie auf Uirer Zeichnong, hebt es halt nicht.“ Und wenn er dann antwortet: „Der Träger soll ja auch nichts anheben, er ist fix mit dem Rahmen verbunden“, muss sich der andere das Lachen verbeißen.

Streiten braucht man sich da it, man lässt die Simpel halt stehen.

Schöne Grüße

MM

Also ich bin ziemlich stolz auf meinen hessischen Dialekt :sunglasses: Daher ist das für mich weder altmodisch noch peinlich!

  • noch vergessen: Ein Warnsignal von höchster Brisanz ist es, wenn einer nicht bloß vom „Schwabenland“, sondern gar vom „Schwabenländlö“ spricht. Dann ist a priori Hopfen und Malz verloren, es hat keinen Sinn, da irgendwas im Guten zu probieren.

MM

2 Like

Flächendeckendes Hochdeutsch ist ein relativ junges Phänomen, erst durch Fernsehen, Radio und Wochenschauen. Die älteste Generation ist noch ohne aufgewachsen. Dialekte verwässern allerorten. Je näher man am Hochdeutsch ist (also im Süden) um so länger ist es nur eine Mundart, im Norden ist es regelrecht „zweisprachig“. Dann kommt noch eine Retrowellen-Generation und dann war es das.

Das Sprachkontinuum, das durch die begrenzte Mobilität der Leute sehr ausgeprägt war, bleibt zwar bestehen, aber halt immer näher ans hochdeutsche (incl. der verbindlichen Kunstsprachen für Theater, Fim und Fernsehen). Sprachen werden umso lebendiger, je kleiner und abgeschlossener eine Population ist.

Ich sprech ja im Alltag ein gepfelgtes Niederbairisch. Das bekommt darurch, dass ich aber mit einer Österreicherin, noch dazu aus dem Sauwald liiert bin, manchmal einen etwas anderen Einschlag und manche Bezeichungen kommen mal so und mal so vor.
Das Niederbairische sollte man aber bitte nicht mit dem Waidlerischen oder gar dem Oberbairischen verwechseln. Genau genommen kann man sogar sagen, dass sich schon alleine entlang des Rottals, von Passau ausgehend, bis nach Oberbayern hin die Färbung schon leicht verändert und wenn man genau hinhört, sogar noch unterscheiden kann, aus welcher Gegend derjenige kommt.
Wenn jetzt aber einer aus dem Norden kommt und glaubt, er könne ja Platt sprechen, wenn ich schon Bairisch mit ihm rede, dann funktioniert das nur, wenn er auch Bairisch versteht. Dat leycht denn an ming Chroussvodda.

Servus,

wenn man grad beim Schwäbischen ist - dort ist es im Teil nördlich der Donau (Altwürttemberg) umgekehrt: Noch vor ungefähr zwei Generationen kannte im gut evangelischen Württemberg jeder die Sprache der Schrift und Paul Gerhardts parallel zur Muttersprache von Kindesbeinen an.

In diesem Sinne

MM

Hallo JBlack,

das ist das, wovon @qwe spricht: Heute lässt sich nur noch in dem Rahmen unterscheiden, den Du beschreibst. Bis etwa 1970 konnte man anhand der Ausprägung des Dialektes (einzelne Wörter, Wendungen, Laute) auf gut fünf Kilometer genau sagen, wo jemand herstammte. Heute klänge die Aufforderung, anhand der Sprache zu bestimmen, ob jemand aus Ingoldingen oder Maselheim kommt, ziemlich vermessen.

Schöne Grüße

MM

1 Like

Das liegt aber auch daran, dass damals die Leute meist noch dort weitergelebt haben, wo sie geboren wurden. Heute ziehen die Leute ja meist nach der Ausbildung irgendwo hin.

Ja, natürlich. Es liegt schon daran, dass die Kinder heute in die nächstgelegene Stadt zur Schule fahren und nicht mehr 9 Jahre Volksschule am Ort absolvieren. Und es liegt am Fernsehen, wo sie schon im Vorschulalter mit glattgebügeltem Hochdeutsch konfrontiert werden.

Aber mir ging es hauptsächlich darum, ob Dialekt nicht so etwas wie eine Renaissance erlebt (bzw. erlebt hat, ich habe nämlich das Gefühl, dass das schon wieder am Abflauen ist).

Lächerlich fand ich eben die Aussage in der erwähnten Diskussion, dass Dialekt „im Alltag“ nichhts verloren hätte. Wo dann, wenn nicht gerade im Alltag?

Grüße
Siboniwe

2 Like

… und auch noch versucht, die mundartliche Lautung zu imitieren: „Wasch scholl denn dasch heischen?“

K

4 Like

ich wär dafür, dass wir jetzt alle nur noch im Dialekt schreiben und die, die in und um Hannover leben, die haben gefälligst in Säschsisch zu schreiben.

Oiverschtanne.

Servus,

ja - etwa 1985 - 1995 war wohl etwa der Höhepunkt der Mode: Als z.B. in der Heide und im Nordwesten an Orten, wo das Platt besonders stiefmütterlich behandelt worden war, Volkshochschulen Kurse anboten, wo man den eigenen Dialekt lernen konnte…

Schöne Grüße

MM

  • weils so schön ist, als PW noch eine von den ‚Blitzanekdoten‘ von Willy Reichert, mit denen er sich im tausendjährigen Reich immer wieder einige Wochen Auftrittsverbot eingehandelt hat, ohne dass ihm allerdings mehr passiert wäre:

Gauleiter Wilhelm Murr hat hohen Besuch: Der Reichspropagandaminister ist da. Man tafelt, der Remstäler Riesling übertrifft die Erwartungen des Ministers, und leutselig ordert er am Ende des Essens: „Ach, bringen Sie uns doch noch ein Käseplättlö!“ - Der Ober erscheint alsbald wieder und präsentiert auf einem Silbertablett den ‚Völkischen Beobachter‘.

In diesem Sinne

MM

4 Like

Servus,

schon mal gehört, wie man in und um Hannover spricht? Komm’Se ma nach Hannover inne Alts-tadt, könn’Se die raainste dooitsche S-prache höan.

Oder geh mal ins Swarte Fuhrberch ins „Deutsche Haus“, da kannst Du schönste Kostproben des eigentlichen Hannöverschen Platt hören, wie man es sprach, bevor die Hohenzollern den Hannoveranern mit Gewalt jede Erinnerung daran austreiben wollten, dass es mal ein Königreich Hannover gegeben hatte - einschließlich der Sprache, nach französischem Vorbild. Fuhrberg ist da, wo der ‚Speckgürtel‘ Langenhagens und heitjer Buren in einer Jagdgenossenschaft zusammentreffen: „Schön’ Guten Tach, ich bin der Schlachter Dirks - sind Sie der Bäcker Bahlsen?“

Schöne Grüße

MM

1 Like

Dialekt hat auch immer was mit Kultur zu tun. Deshalb bin ich absolut dafür, daß man die verschiedenen Dialekte bewahren sollte. Als Schwäbin bestehe ich darauf im Alltag in Oberschwaben schwäbisch zu sprechen, fertig. Aber auch schwäbisch hat mehrere verschiedene ‚Dialekte‘. So sprechen wir im oberschwäbischen Allgäu etwas anders als Menschen von z.B. Stuttgart. Auch ist die Grammatik im Schwäbischen oft ganz anders als im Hochdeutschen, weshalb manche Sprachforscher so weit gehen, das Schwäbische als eine eigene Sprache zu definieren. So gibt es z.B keinen Genitiv im Schwäbischen. Faszinierend finde ich noch etwas anderes: Ich wohne seit einigen Jahren in Norwegen und finde hier immer wieder Worte in der Sprache, die man zwar zumindest lokal im Schwäbischen kennt, jedoch nicht in der deutschen Sprache. z.B. schofel (unfair, gemein), Sutrer (jemand der immer jammert, sich beschwert), eine Tür ‚losa‘ (abschließen) usw. Ich muß jedesmal lachen, wenn ich so ein ‚urschwäbisches‘ Wort hier auf norwegisch lese :slight_smile: Unser Dialekt und unsere Kultur sind unser Erbe finde ich. Warum wollen manche immer diese Gleichmacherei? Die Welt ist bunt und soll es auch bleiben :smile:

Servus,

grad im (vorderen) Allgäu solltest Du eigentlich recht deutlich hören, was es mit den Dialekten in Oberschwaben auf sich hat: Ungefähr entlang des 48. Breitengrades (nicht als strikte Abgrenzung, sondern eher als Übergang zwischen ungefähr Biberach und ungefähr Ravensburg) verläuft die Grenze zwischen Schwäbisch und Alemannisch. Interessant übrigens, wie diese Grenze relativ zügig Richtung See wandert und die Sprache der Vasallen von König Chlodwig vordringt - würde es heute in Kisslegg noch verstanden, wenn jemand sagt ‚Numma gôbat allat‘?

Angesichts der leicht wahrnehmbaren Kontinuen zum Ostfränkischen und zum Rheinfränkischen hin (denk an Heilbronn und auch den völlig abgefahrenen Mischdialekt im Enztal bis Pforzheim) wäre es wohl nicht zu rechtfertigen, wenn man das Schwäbische als eigene Sprache betrachtete. Mir kommt - obwohl es natürlich systematische Anlässe dafür gibt - seine Zuordnung zu den Alemannischen Dialekten eher fragwürdig vor, ist es doch in vieler Hinsicht ‚bloß‘ eine Fortsetzung der fränkischen Dialekte, während zwischen Schwäbisch und Alemannisch eine ganze Lautverschiebung und die Sprachgeschichte zwischen Mittel- und Neuhochdeutsch liegt.

Genitiv im Schwäbischen? Doch doch, den gibt es schon, wenn auch stark eingeschränkt. Denk an die Geschichte, wie der Pfarrer den Josef Lipp aufgesucht hat und ihn gefragt hat, warum er denn gar nicht mehr zur Messe käme? - ‚Hochwirda, Ihr hont sell gsait, s‘ Lippa Gebät häb et vill Weart!’

Die Worte, die Dir im Norwegischen begegnen, dürften solche sein, die im Zentrum der Neuhochdeutschen Sprachen verschwunden sind und am Rand ringsherum erhalten blieben. Dieses Phänomen „Abgrenzung gegenüber den Nachbarn“ findet man in allen Ebenen von Dialekten und Sprachen. Kürzlich habe ich mich mit ‚der Baum‘ = ‚die Bääm‘ (Singular!) im Pfälzischen beschäftigt und dazu eine Karte aufgetrieben, auf der zu meiner dann doch nicht so großen Überraschung zu sehen war, dass dieser Genuswechsel nicht bloß im Süden der Pfalz ab Speyer … Landau ungefähr auftritt, sondern auch im Norden Richtung Rockenhausen und im äußersten Westen Richtung MUV-Land auch.

Neugierhalber: Wo genau sagt man

?
Ich habe es nirgends zwischen Laupheim und Kressbronn mit Verstand gehört. Ist das auf einen ziemlich kleinen Bereich beschränkt, sowas wie die sprachlichen Eigenheiten des Weihung-Tales?

‚Luaga ond losa‘ für ‚Gugga ond horcha‘ sind ja sonst eines der Leitfossilien zur Grenze Schwäbisch/Alemannisch, aber dieses ‚losa‘ ist ein ganz anderes.

Schöne Grüße

MM

2 Like

Hallo!
Ich lebe in der Eifel, nahe der luxemburgischen Grenze und wundere mich seit langem, dass unser Dialekt, der moselfränkische, anscheinend gar nichts gilt. Die Krimiserie „Mord mit Aussicht“ sollte angeblich in der Eifel spielen (Drehorte natürlich überall, nur nicht in der Eifel, dabei haben wir’s hier sehr schön), aber nicht einmal eine Nebenrolle sprach den Dialekt der Gegend. Die meisten anderen Dialekte Deutschlands scheinen als salonfähig zu gelten, unseren hält man vielleicht für primitiv (eine liebe Bekannte hat mir mal gesagt "‚n Schmier‘ für ‚Stulle‘ wäre ja nun wirklich unmöglich :slight_smile: )

Auch hier war Dialekt vor Jahren sehr verpönt, jetzt wird er geschätzt und gefördert, aber natürlich sind die Alten, die ihn noch unverfälscht sprachen, fast alle gestorben und was bleibt, ist eine verwässerte Version. Schade. Meine Eltern kamen aus Ostpreußen, bzw. Westfalen und sprachen ungelogen ein ganz reines Hochdeutsch, aber mich hat der Eifeler Dialekt immer fasziniert. Bis ich als Kind begriffen hatte, dass, wenn die Leute hier in die Kirsche gehen, es nichts mit den Kirschen in Nachbars Garten zu tun hat …

Gruß,
Eva

Wer mal reinschauen möchte: