Die Alternativen der Angela M

Die Kanzlerin wird ja von allen Seiten dafür kritisiert, wie die Causa Böhmermann ablief. Mit kommt bei der Diskussion aber vor, dass sich niemand wirklich Gedanken über die Alternativen gemacht hat. Denn eigentlich gab es für Merkel einen ganz einfachen Ausweg: Sie beugt sich der Mehrheit der (SPD) Minister und lehnt den Antrag der türkischen Regierung ab. Aber wieso tat sie das nicht?

Sehen wir uns doch die möglichen Alternativen an:

A) Dem Antrag der türkischen Regierung wird statt gegeben

  1. Böhmermann wird frei gesprochen: Die Justiz hat gesprochen und Böhmermanns Unschuld ist festgestellt worden.

  2. Böhmermann wird schuldig gesprochen: In diesem Fall könnte man Merkel wohl kaum etwas vorwerfen, da im Umkehrschluss eine Verweigerung der Regierung massiv in die Rechtsprechung eingegriffen hätte.

B) Dem Antrag der türkischen Regierung wird nicht statt gegeben

Keine Zustimmung = Keine Probleme? Falsch, da es noch immer das Zivilverfahren gibt.

  1. Böhmermann wird frei gesprochen: Siehe oben

  2. Böhmermann wird schuldig gesprochen: In diesem Fall müsste sich die Regierung den Vorwurf gefallen lassen, die Justiz behindert zu haben.

Die Entscheidung der Regierung hat für Böhmermann keinerlei Auswirkungen. Der einzige Unterschied zwischen §103 und § 185 ist die Höchststrafe, die bei Böhmermann sicher nicht verhängt wird.

Warum tut sich Merkel dann das Theater um §103 an? Die Antwort findet sich in ihrer Erklärung:

Die Bundesregierung wird auch in Zukunft auf allen Ebenen die Postulate von Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Pluralismus gegenüber der Türkei anmahnen. Wir treten dafür ein, dass bei unseren Partnern und Verbündeten die Freiheit der Meinung und die Unabhängigkeit der Justiz in gleichem Umfang wie in Europa und anderen Ländern der demokratischen Welt gewährleistet sein müssen. Wir setzen uns gegenüber anderen Staaten dafür ein, Grundrechte wie die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit und die Pressefreiheit zu achten. Wir fordern ihre Achtung und ihren Schutz auch von der Türkei ein.

Hätte die Regierung dem Ansuchen der Türkei nicht stattgegeben, dann hätte sie in Zukunft (auch wenn dies nach §103 eindeutig möglich wäre) jede Glaubwürdigkeit verloren, wenn sie andere Länder (nicht nur die Türkei) bezüglich der Rechtsstaatlichkeit kritisiert. Im Gegenteil wäre der Fall Böhmermann bei jeder Gelegenheit als Paradebeispiel westlicher Scheinheiligkeit herangezogen worden.

Wir fordern das, weil wir von der Stärke des Rechtsstaats überzeugt sind.

Das war eine deutliche politische Note Richtung Ankara und wurde dort auch so verstanden.

Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen. In ihm bedeutet die Erteilung einer Ermächtigung zur Strafverfolgung des speziellen Delikts der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten weder eine Vorverurteilung des Betroffenen noch eine vorgreifende Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und Meinungsfreiheit, sondern lediglich, dass die rechtliche Prüfung der unabhängigen Justiz überantwortet wird und nicht die Regierung, sondern Staatsanwaltschaften und Gerichte das letzte Wort haben werden.

Auch dieser Absatz war eine deutliche Kritik an die türkische Regierung. Der Fall Böhmermann wird zu einer hoffentlich lehrreichen Lektion für die türkische Regierung. Nämlich das die Rechtsstaatlichkeit auch bzw. besonders dann gewahrt werden muss, wenn es schmerzt.

Abschließend noch eine persönliche Meinung: Erdoğan erwartete und wollte auch keine Zustimmung der Regierung und zwar aus den oben genannten Gründen. Das hat er schon vor ein paar Tagen gezeigt, als er bei der Staatsanwaltschaft Mainz die Zivilklage einreichte. Vielmehr hätte er eine Ablehnung zum Vorwand genommen, um sein eigenes Wüten gegen die Presse zu rechtfertigen und gegen Deutschland (und in weiterer Folge die EU) politisches Kapital zu schlagen.

Der Fall liegt jetzt in der Zuständigkeit einer freien und unabhängigen Justiz und das ist etwas, was Erdoğan nicht gewohnt ist. Wenn das (öffentliche) Verfahren dann erst mal los geht und von der ganzen Welt mitverfolgt wird, wird Erdoğan sich wünschen dieses lächerliche Verfahren jemals angestrengt zu haben.

Ich persönlich sehe keinen triftigen Grund, wieso die Regierung sich anders hätte entscheiden sollen, aber ich bin offen für Vorschläge.

Lg,
Penegrin

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Hallo,

EINGRIFF oder BEHINDERUNG? Da sollte man sich sicher sicher sein.

Hätte ein EINGRIFF stattgefunden? Wie groß wäre der Eingriff in die DEU Rechtsprechung gewesen?

Wie sollte die BEHINDERUNG der DEU Gerichtsbarkeit stattgefunden haben?

Gruß *mki

Guckstu §104a StGB:
§ 104a
Voraussetzungen der Strafverfolgung
Straftaten nach diesem Abschnitt) werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.
) 3. Abschnitt - Straftaten gegen ausländische Staaten (§§ 102 - 104a)

Es ist laut Gesetz also ausschließlich Sache der Regierung, zu entscheiden, ob ermittelt werden soll. Demzufolge kann es keine Behinderung der Justiz sein, wenn die Regierung entscheidet, die Ermächtigung nicht zu erteilen.

Wenn Frau Merkel verkündet, §103 sei nicht mehr zeitgemäß, und man werde die Abschaffung noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen - warum wählt sie dann gerade die Alternative, die sie ohne diesen Paragrafen gar nicht hätte?

:wave:
KHK

Nicht im juristischen Sinne, aber der Vorwurf wäre sicher gekommen.

warum wählt sie dann gerade die Alternative, die sie ohne diesen Paragrafen gar nicht hätte?

Welchen Unterschied hätte es denn gemacht, wenn sie die Ermächtigung nicht erteilt hätte?

Penegrin

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Kleine Ergänzung: Natürlich regelt §104a und nicht §103 die Möglichkeit, eine Zustimmung zu verweigern.

Der Vorwurf wäre aber absurd. Er sollte das Handeln nicht beeinflussen.

Sie hätte konsistent und glaubwürdig gehandelt. Ermittelt wird ja trotzdem, auf Grund der Anzeige nach §185.

Die Aussage wäre sinngemäß gewesen: „Wir halten §103 für nicht mehr zeitgemäß und planen, ihn abzuschaffen. Deshalb haben wir entschieden, die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht zu erteilen. Es steht Herrn Erdogan wie jedem anderen auch frei, Anzeige wegen Beleidigung zu stellen - was er ja auch bereits getan hat.“

Stattdessen höre ich aber: „Wir befürchten, dass Herr Erdogan zu irrationalen Retourkutschen neigt, wenn wir 'Nein sagen. Also sagen wir ‚Ja‘, auch wenn wir eigentlich nicht wollen. Damit das wenigstens in Zukunft nicht mehr passiert, bringen wir die Abschaffung des Paragrafen auf den Weg.“
Damit hat sich die Kanzlerin in meinen Augen von Erdogan vorführen lassen.

KHK

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Worin siehst Du da den Unterschied zur Immunität von Abgeordneten. Hätte ein Parlamentarier in Böhmermans Sendung so über Gauck gesprochen (und Gauck eine Zivilklage angestrebt), wäre die doch (m.E.) auch aufgehoben worden. M.E. ist die „Ermächtigung“ durch die Regierung nur ein Riegel gegen Missbrauch. Wo aber, wenn nicht in diesem Fall wäre denn eine gerichtliche Klärung sonst sinnvoll.

Ich finde die Entscheidung und die Argumentation der Bundesregierung prinzipiell richtig und sinnvoll aus den von dir genannten Gründen.

Eine Alternative wäre aber durchaus da gewesen, denn man hätte ja wohl leicht argumentieren können, dass man keine doppelte Strafverfolgung wünsche. Da der 185 im vorliegenden Fall greife, sei der 103 entbehrlich, da der Fall nun eben bereits bei der Justiz läge, wo er gut aufgehoben wäre.
Man wolle durch eine politische Ermächtigung nach 103 nun nicht die Justiz beeinflussen. So mache man das eben in Demokratien … blablabla.

Durch die Ankündigung der baldigen Abschaffung des „entbehrlichen“ (und Politik und Justiz vermischenden, daher antiquierten) 103 wäre es auch der Türkei gegenüber vertretbar gewesen, dass diese Entscheidung weniger gegen Erdogan als gegen die Anwendung des 103 gerichtet sei.

Da hätte die Regierung der BRD sicher nicht gleich „jede Glaubwürdigkeit“ verloren.
Innenpolitisch wäre es für Merkel vielleicht auch günstiger gewesen, denn diese Entscheidung wird ihr noch öfter vorgehalten werden und zwar von allen Lagern.

Gruß
F.

merkels rede ist eine schallende ohrfeige für den erdoarsch.

sie sagt (in der form diplomatisch verpackt, aber inhaltlich eindeutig): wir finden dein (erdoKHans) verhalten lächerlich (deswegen schaffen wir den 103 auch ab), aber wir zeigen dir vorher noch, wie ein demokratischer rechtsstaat funktioniert.

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eben nicht, dazu hätte man den 103 früher abschaffen müssen.

wenn man das jetzt, unter dem eindruck der böhmermanngeschichte täte, entstünde gerade der eindruck, dass die politik das recht beugt.

merkels stellungnahme verheißt für erdoschah schach und matt in wenigen zügen…

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Solche unerwünschten Interpretationen wirst du immer haben.
Tatsächlich hätte eine Nicht-Ermächtigung aber nullkommanull mit Rechtsbeugung zu tun gehabt.
So entstand halt umgekehrt der Eindruck (auch eine arg einseitige Interpretation!), dass Merkel sich nun quasi zu Erdogans koitusbereiter Ziege gemacht habe.

Gruß
F.

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dafür ein sternchen :smile:
natürlich wäre eine nichtgenehmigung des verfahrens nach 103 juristisch und rechtsstaatlich einwandfrei gewesen. aber ich bleibe dabei, diese entscheidung im kontext dieser stellungnahme war der beste schachzug in dieser situation.

schönen gruß
arcanvm

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Du scheinst zu glauben, in dem Fall die Deutungshoheit zu haben. Ich kann dir aber versichern, dass dem nicht so ist :smile:

Sie hätte konsistent und glaubwürdig gehandelt. Ermittelt wird ja trotzdem, auf Grund der Anzeige nach §185.

Damit scheinst du andeuten zu wollen, sie hätte jetzt inkonsistent und unglaubwürdig gehandelt. Kannst du das erläutern?

Siehste, diese Interpretation finde ich wiederum absurd :wink:

Lg,
Penegrin

  • Die politische Immunität schützt Abgeordnete vor Strafverfolgung, d.h. es schützt die Legislative vor der Exekutive. Jan Böhmermann ist kein Mitglied der Legislative.
  • Die Immunität wird vom Parlament aufgehoben, nicht von der Regierung

Der Strafantrag von Erdogan nach §185 liegt ja auch vor. Da ist keine Zustimmung der Regierung erforderlich.
Eine gerichtliche Klärung findet also auf jeden Fall statt.

Da „absurd“ eine subjektive Wertung ist, habe ich die tatsächlich, nämlich für meine SIchtweise :wink:
Wenn Du sagst, dass man das auch anders sehen kann, magst Du Recht haben.
Wenn die eine oder andere Entscheidung, die zu treffen die Regierung das Recht laut Gesetz hat, als Behinderung der Justiz zu werten wäre, wäre es ja eine gesetzlich erlaubte Behinderung der Justiz.

Das steht in dem darauf folgenden Absatz

Selbstverständlich zwingt Dich nichts, meine Meinung zu teilen. Wäre schlimm, wenn es so wäre.

:wave:
KHK

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Angela Merkel hat unwahrscheinlich viel zu buckeln. Es hat der Trend zugenommen, auf sie einzudreschen.

Sie hat so ziemlich alles gut gemacht. Fehler macht jeder. Aber die Dresche, die in letzter Zeit immer stärker wird, hat, glaube ich, nichts mit den Fehlern zutun. Die Widersprüche und Konflikte, die durch die derzeitige, ja die kapitalistische imperialistische Weltordnung hervorgerufen werden, sind so immens geworden, und Ursachen werden größtenteils bei Kritiken nicht berücksichtigt und erkannt.
Sie kriegt Haue von allen, völlig unberechtigt.
Man soll zwar den Fisch am Kopf packen, am Schwanz kriegt man ihn nicht zu packen. Aber Frau Merkel ist nicht der Kopf dieser Weltordnung.

Wie sie das trägt und erträgt, ringt mir Hochachtung ab.

Alles ander wäre auch fatal :stuck_out_tongue_closed_eyes:

Wenn Du sagst, dass man das auch anders sehen kann, magst Du Recht haben.
Wenn die eine oder andere Entscheidung, die zu treffen die Regierung das Recht laut Gesetz hat, als Behinderung der Justiz zu werten wäre, wäre es ja eine gesetzlich erlaubte Behinderung der Justiz.

Aber wie du selber schreibst wäre es noch immer eine Behinderung der Justiz und das kann doch nicht erstrebenswert sein, oder? Juristisch wäre vielleicht nichts vorzuwerfen, aber es gibt ja noch andere Ebenen.

Das steht in dem darauf folgenden Absatz

Hmm, ich sehe das wiederum ganz anders. Klar will Merkel nicht ‚ja‘ sagen, aber sie tut es nicht aus Angst vor dem Pascha, sondern weil es das Richtige ist. Im Übrigen hat Merkel von Anfang an klar gemacht, was sie von Böhmermanns Gedicht hält, von daher finde ich ihr Verhalten durchaus konsequent.

Lg,
Penegrin

Warum gehst Du nicht auf die Frage ein? Siehst Du Missbrauch (der Hauptgrund für Immunität)? Wäre es anders, wenn das Parlament zu 103 ermächtigen müsste?

Im Fall Böhmermann ist die Ermächtigung m.E. genauso Formsache wir bei Meth. Ob da noch jemand privat klagt, ist für Merkel irrelevant bzw. ausschließlich durch die Justiz zu deuten.

Das hätte Angela Merkel besser unterlassen. Sie hätte deutlicher differnzieren müssen, zwischen ihrer persönlichen Meinung und ihrer Position als Bundeskanzlerin. Als amtierende Bundeskanzlerin hätte sie besser geschwiegen. Es bestand nämlich weder ein Erfordernis noch eine Notlage.

:pushpin: Fürs nächste mal!