ACHTUNG erst Teil 1 lesen, steht unter diesem Artikel!!!
Mein Körper ist auch meine gesamte Umwelt, und die muß in Billionen Lichtjahren gemessen werden.
Bisher haben Dichter und Philosophen oft die riesige Ausdehnung und das unermeßliche Alter des Universums als Vorwand für Gedanken über die Nichtigkeit des Menschen genommen, wobei sie vergaßen, daß der Mensch mit seinem „wunderbaren Webstuhl, dem Gehirn“ genau dasjenige Wesen ist, das dieses immense elektrische Pulsieren in Licht und Farbe, Form und Klang, groß und klein, hart und schwer, kurz und lang umwandelt. Die Welt erkennen heißt die Welt vermenschlichen, und wenn wir im Laufe ihrer Entdeckung über ihre Dimensionen und ihre Komplexität in Staunen geraten, dann Sollten wir ebenso über die Tatsache staunen, daß wir ein Gehirn haben, um sie wahrzunehmen.
Bisher wurde uns aber beigebracht, daß wir für unser Gehirn nicht wirklich verantwortlich sind. Wir wissen nicht (d.h. können nicht mit Worten oder Zahlen ausdrücken), wie es konstruiert werden kann, und es hat deshalb den Anschein, daß das Gehirn und der Organismus als Ganzes ein geniales Vehikel ist, das uns „gegeben“ wurde, oder ein unheimlicher Irrgarten, in dem wir vorübergehend gefangen sind. Mit anderen Worten: wir akzeptierten eine Definition unseres Selbst, in der das Selbst auf den Ursprung und die Grenzen unserer bewußten Aufmerksamkeit beschränkt wurde. Diese Definition ist in beklagenswerter Weise nicht ausreichend, denn wir wissen sehr wohl, wie wir neue Gehirne und Augen, Ohren und Finger, Herzen und Knochen machen können, genau wie wir wissen, wie wir gehen und atmen, denken und sprechen können - wir können es nur nicht in Worte fassen. Worte sind für die Beschreibung solcher Dinge zu langsam und zu schwerfällig, und die bewußte Aufmerksamkeit ist viel zu eng, um allen Einzelheiten dieser Dinge folgen zu können.
Wenn man einem Mädchen sagt, wie gut sie aussieht, dann wird man häufig folgendes zu hören bekommen: „Das ist ja wieder typisch Mann! Sie sehen immer nur den Körper. Gut, ich sehe nun einmal gut aus, aber das ist nur ein glücklicher Zufall, weil ich ja meinen Körper meinen Eltern verdanke. Ich möchte um meiner Selbst willen bewundert werden, nicht wegen meines Äußeren“. Armes kleines Ding! Sie sagt lediglich, daß sie mit ihrer eigenen erstaunlichen Weisheit und Unbefangenheit den Kontakt verloren hat und wegen einiger trivialer Tricks, die sie mit ihrer bewußten Aufmerksamkeit machen kann, bewundert werden möchte. In dieser Situation sind wir alle, wir haben uns von unseren Körpern und aus dem ganzen Zusammenhang von Kräften gelöst, durch die die Körper geboren und damit zu Leben werden.
Doch wir können immer noch die Empfindung in uns wecken, daß dies alles auch das Selbst ist - freilich ein Selbst, das weit über die Vorstellung des Ich oder über den durch die Haut begrenzten menschlichen Körper hinausgeht. Dann erblicken wir das Selbst, wohin wir auch sehen, und die Vorstellung von diesem Selbst entspricht dem Universum mit seinem Licht und seinem Dunkel, seinen Körpern und seinen leeren Zwischenräumen. Das ist das neue Menschenbild, aber es bleibt ein Bild. Denn - um es mit dualistischen Worten auszudrücken - „dahinter“, „darunter“, „darum herum“ und „in seinem Innersten“ bleibt das ganze undenkbare ES, das sich in den sichtbaren Gegensätzen von Wellenkamm und Wellental, Körper und Raum polarisiert. Doch das Seltsame an der Sache ist, daß dieses ES - so wenig es sich auch begreifen läßt - keine schale Abstraktion ist: es ist ganz einfach und in Wirklichkeit der einzelne selbst.
Um an dieser Stelle einen chinesischen Zen-Meister zu zitieren: „In diesem Augenblick bleibt einem nichts anderes übrig, als von Herzen zu lachen!“ James Broughton formulierte es so:
Das ist Es
und Ich bin Es
und Du bist Es
und so ist Das
und Er ist Es
und Sie ist Es
und Es ist Es
und Das ist Das.*
* Aus: The Bard and the Harper, aufgenommen von James Broughton und Joel Andrews, LP-1013, produziert von Musical Engineering Associates, Sausalito, Kalifornien, 1965.
Wahrer Humor ist in der Tat Lachen über sich selbst - über die Göttliche Komödie, jene großartige Täuschung, durch die man zu der Vorstellung gelangt, daß das, was der Mensch oder irgendein anderes Lebewesen ist, nicht auch zugleich alles ist. Diese Erkenntnis steckt uns die ganze Zeit „in den Knochen“, aber die bewußte Aufmerksamkeit, abgelenkt von Einzelheiten und Unterschieden, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Der Haupttrick im Rahmen dieser Täuschung ist natürlich der Tod. Man betrachte den Tod als das ständige Ende des Bewußtseins, als den Punkt, an dem die eigene Person und das eigene Bewußtseins des Universums einfach aufhören, und wo man so wird, als hätte man nie zuvor existiert. Man denke über den Tod auch einmal in viel größeren Dimensionen nach, über den Tod des Universums zu dem Zeitpunkt, an dem alle Energie erschöpft ist, wenn - wie einige Kosmologen sagen - die Explosion, die die Galaxien in das All geschleudert hat, ihre Kraft verliert. Es wird so sein, als wenn es niemals geschehen wäre; so war es natürlich, bevor es tatsächlich geschah. Wenn man gestorben ist, wird es entsprechend so sein wie zu der Zeit, bevor man empfangen wurde. Mit anderen Worten: es war ein kurzes Aufleuchten, ein kurzes Aufleuchten des Bewußtseins oder ein kurzes Aufleuchten von Galaxien. Es geschah, auch wenn es nachher niemanden gibt, der sich daran erinnern wird.
Aber wenn, nachdem es geschehen und alles verschwunden ist, es genau so ist wie bevor es anfing (einschließlich der Möglichkeit, daß vorher nichts war), dann kann es wieder geschehen. Warum nicht? Andererseits könnte ich annehmen, daß es, nachdem es geschehen ist, nicht mehr so ist wie vorher. Vor der Explosion gab es die Energie, aber nachdem sich die Explosion erschöpft hat, blieb keine Energie mehr übrig. Die Energie war immer schon latent vorhanden. Dann erschöpfte sie sich in einer großen Explosion und alles war vorbei. Man könnte eventuell die Vorstellung haben, daß das, was schon immer existiert hat, seiner selbst müde wurde, sich in einer Explosion auflöste und aufhörte zu existieren. Doch diese Vorstellung erscheint mir ausgefallener als der Gedanke, daß dieses Aufleuchten periodisch und rhythmisch ist. Es mag in immer neuer Form aufleuchten oder sich ständig wiederholen - das ist ziemlich egal. Wenn außerdem die Energie vor der Explosion schon immer latent vorhanden gewesen sein soll, dann kann ich mir schwerlich vorstellen, daß ein ganz bestimmter Zeitpunkt kommt, an dem sie sich erschöpft. Kann etwas halb ewig sein? Anders ausgedrückt: kann ein Prozeß, der keinen Anfang hatte, zu einem Ende kommen?
Ich nehme also an, daß ich mit meinem eigenen Tod vergessen werde, wer ich war, genauso wie meine bewußte Aufmerksamkeit nicht in der Lage ist, sich in Erinnerung zu rufen - wenn sie es jemals gewußt haben sollte -, wie meine Gehirnzellen und mein Adernsystem gebildet werden. Das bewußte Gedächtnis spielt in unserer biologischen Existenz nur eine geringe Rolle. Wie also meine Empfindung meines „Ich-Seins“, meines Am-Leben-Seins, einst ohne bewußte Erinnerung oder Absicht ins Leben gerufen wurde, so wird diese Empfindung immer aufs Neue erstehen, so wie das „innerste“ Selbst - ES - in seinen Myriaden pulsierender Formen der Selbst/Anderes-Situationen erscheint, immer gleich und doch immer neu, ein Hier inmitten von Dort, ein Jetzt inmitten von Dann, als Eines inmitten von Vielem. Wenn ich vergesse, wie oft ich schon hier war und in wie vielen Formen, dann entspricht dieses Vergessen dem notwendigen Dunkel-Intervall zwischen jedem Pulsieren von Licht. Ich kehre in jedem Baby, das geboren wird, wieder.
Eigentlich wissen wir das alles schon. Die Leute sterben, und Babies werden geboren. Mit jedem dieser Babies wird wieder - wie es auch bei uns der Fall war - die Empfindung des „Ich“ ins Leben gerufen. Die Erbmasse und die Umwelt ist jedes Mal eine andere, doch in jedem dieser Babies inkarniert sich dieselbe Erfahrung, im Mittelpunkt einer Welt zu stehen, die „anders“ ist. Jedes Kleinkind kommt auf die Welt wie ich - ohne jegliche Erinnerung an eine Vergangenheit. Wenn ich also gestorben bin, kann es keine Empfindung, kein Durchleben eines Zustands des ständigen „Ich bin gewesen“ geben. Die Natur „scheut das Vakuum“, und das Ich-Empfinden stellt sich wieder ein wie zuvor, egal, ob das Intervall nur zehn Sekunden oder Billionen von Jahren beträgt. Im Unbewußten währen alle Zeiträume nur den gleichen kurzen Augenblick. Das ist eigentlich so einleuchtend, doch wir sperren uns dagegen, weil wir von dem Mythos beherrscht werden, daß das „Ich“ auf diese Welt in einer Weise kommt bzw. aus dieser Welt in einer Weise herausgeworfen wird, als ob es überhaupt keine entscheidende Verbindung mit ihr hätte. Wir trauen deshalb dem Universum nicht, daß es wiederholt, was es bereits getan hat - dem „Ich“ selber immer wieder angetan hat. Wir sehen das Universum als eine ewige Arena, in der der einzelne nur ein Fremder ist, der vorübergehend auf Besuch ist, ein Besucher, der kaum hingehört, denn der dünne Strahl unseres Bewußtseins trifft nicht auf seinen eigenen Ursprung. Wir schauen auf die Welt hinaus und vergessen dabei, daß die Welt sich selbst anschaut - mit unseren Augen und ihren Augen, denen des ES.
Ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Vielleicht werden Sie - der Leser - einige Zeit brauchen und erst durch eine „Spätzündung“ die volle Wirkung des Gelesenen zu spüren bekommen. Es dürfte nicht so leicht fallen, sich von den vielen Generationen zu erholen, in denen die Väter ihre Kinder mit den Worten kleingemacht haben: „Wage ja nicht, so zu denken! Du bist nur ein kleiner Emporkömmling, nur eine unbedeutende Kreatur, und du sollst lernen, auf dem Platz zu bleiben, wo du hingehörst!“ Im Gegenteil, jeder einzelne ist ES. Doch vielleicht versuchten die Väter ihren Kindern, ohne es zu wissen, zu erklären, daß ES sein Spiel mit sich selbst gelassen betreibt. Man betritt nicht die Weltenbühne wie ES, weil man in Wirklichkeit ES ist. Wie ES zu sein, also Gott zu spielen, heißt das Selbst als eine Rolle spielen, die genau dem entspricht, was sie nicht ist. Wenn ES spielt, dann stellt es alles andere als sich selbst dar.
( Alan Watts 1966 )
dieser Text könnte falls richtig verstanden viele Fragen in diesem Forum klären.
Achtung aber zuerst ERST TEIL 1 LESEN!(steht UNTER diesem Artikel) Diskusion erwünscht )
Gruß
heraklin