Die Wahrheit liegt in der Mitte

Hallo,

ich bin auf der Suche nach Beispielen, die diesen so häufig verwendeten Satz bestätigen bzw. für die dieser Satz zutrifft. Nach meiner Ansicht ist der Satz niemals zutreffend. Weder hinsichtlich Wahrheit noch Mitte.

Es soll kein philosophischer Disput über Begriff und Inhalt von „Wahrheit“ werden. Als „Wahrheiten“ kann man hilfsweise die (gegensätzlichen) Standpunkte A und B (sie sind wahr für die jeweiligen Personen), die Zustände „I – 0 oder on – off“ oder ein zukünftiges mögliches zufälliges Ereignis „am 12.05.2025 wird es regnen / wird es nicht regnen“ heranziehen.

Der Satz setzt voraus, dass mindestens zwei „Wahrheiten“ vorhanden sind, um von einer möglichen „Mitte“ zusprechen. Sofern denn eine Mitte überhaupt existiert (ich zweifle grundsätzlich an deren Existenz), folgt daraus dann auch zwangsläufig eine neue „Wahrheit“ … dieser Mitte?

Die wichtigere Frage für mich jedoch: Könnt ihr mir zutreffende Beispiele für den Ausgangssatz im Titel nennen?

pasquino

Servus,

Der Satz setzt voraus, dass mindestens zwei „Wahrheiten“ vorhanden sind, um von einer möglichen „Mitte“ zu sprechen.

Nicht Wahrheiten, sondern Hypothesen. Obwohl auch in anderem Zusammenhang gebraucht, kann dieser Satz nur einen Sinn haben, wenn es um Quantitäten geht - wie sollte anders eine „Mitte“ zwischen zwei unterschiedlichen Hypothesen konstruierbar sein.

Beispiel (passt nicht genau, weil die „Mitte“ knapp verfehlt wurde; es geht eher um die grundsätzliche Möglichkeit einer „Mitte“):

„Der Januar 2013 war viel wärmer als sonst“ (wenn selektiv die Wärmeperiode in diesem Monat wahrgenommen wurde)

„Der Januar 2013 war viel kälter als sonst“ (wenn selektiv die Frostperiode in diesem Monat wahrgenommen wurde)

„Die Durchschnittstemperatur im Januar 2013 entsprach ziemlich genau dem langjährigen Mittel“ (wenn gemessen und gerechnet wurde)

Schöne Grüße

MM

Servus pasquino
Ich hab mir auch schon vor vielen Jahrzehnten Gedanken darüber gemacht, was der Wahrheit wohl eher nahekommt: Buddhas Weg der Mitte oder der 68er Spruch „In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod.“
Ich habe bis heute keine grundsätzliche Antwort darauf gefunden und möchte es daher (ähnlich wie Aprilfisch) ganz von der jeweiligen Situation abhängig machen.
Gruß,
Branden

Hallo,

2 + 2 = 5
2 + 2 = 3

aber Spaß beiseite, der Satz ist Volksmund und heisst
eigentlich richtig, „liegt irgendwo in der Mitte“.

So perfekt funktioniert nur die Logik oder die Mathematik.

Gruß
Junktor

Es soll kein philosophischer Disput über Begriff und Inhalt
von „Wahrheit“ werden. Als „Wahrheiten“ kann man hilfsweise
die (gegensätzlichen) Standpunkte A und B (sie sind wahr für
die jeweiligen Personen), die Zustände „I – 0 oder on – off“

Wenn man die Mitte als eine qualitative Mitte versteht, dann wäre in diesem Beispiel das Gerät weder on noch off, sondern im Standby-Modus.
Da der Standby-Modus seinen ganzen Sinn daraus bezieht, dass er a) etwas anderes ist als on und etwas anderes als off und b) innerhalb dieses Kontinuums liegen muss zwischen on und off (da der Standby-Modus nicht „mehr on“ als on ist und nicht „mehr off“ als off; er muss also auf beide Zustände gleich bezogen sein), ist er als die qualitative Mitte dieser Zustände zu sehen.

Ich betrachte die Aristotelische Dialektik ohnehin, aber auch die Hegelsche Dialektik als philosophische Formen dieses Satzes „die Wahrheit liegt in der Mitte“:

Es ist A
Es ist non-A
Es ist und es ist „A und non-A“>, es ist also ein Drittes, das auf A und non-A bezogen ist und dabei aber weder A-artiger noch non-A-artiger ist, sondern ein echtes Drittes, aber ein (von A und non-A) „bestimmtes Drittes“ C.

Es ist C
Es ist non-C

Am Ende der dialektischen Stufenformen gelangt der Dialektiker zum Allermittigsten aller vorherigen dialektischen Gegensatzpaare. Die endgültige Wahrheit liegt in der endgültigen Mitte.
Anders gesagt: Die jeweiligen Wahrheiten C lagen jeweils mehr in der Mitte als die von ihnen aufgehobenen Wahrheiten A und non-A.
Das heißt: Wenn die Wahrheit in der Mitte liegt, liegt sie noch längst nicht in der Mitte, aber sie liegt mittiger als die Wahrheiten, in deren Mitte sie liegt :wink:

Gruß
F.

Ich hatte den Satz nie so wirklich philosophisch sondern eher pragmatisch verstanden.
Kein Mensch kann eine Sache wirklich hundertprozentig objektiv betrachten. Folglich kann er sie auch nicht rein objektiv nacherzählen.
Auch wenn mehrere Leute das selbe erleben, werden sich ihre Nacherzählungen unterscheiden. Aber zumindest ein paar Dinge in den verschiedenen Geschichten sind dann trotzdem dieselben. Das ist also folglich die Mitte; in diesen Übereinstimmungen findet man am ehesten (hoffentlich) den wahren Hergang.

Hallo,

Die wichtigere Frage für mich jedoch: Könnt ihr mir
zutreffende Beispiele für den Ausgangssatz im Titel nennen?

Es geht bei dieser Floskel nicht um eine philosophische Wahrheit und nicht um eine echte Mitte.
Einsatzgebiet :o) dieser Floskel ist ein Terrain mit 2 widerstreitenden Positionen in denen jede Position sich selbst jeweils im besten Licht darstellt und die gegnerische Position übermässig stark abwertet und diskreditiert.
Ein Beobachter von aussen hat es also mit 2 sehr unterschiedlichen Darstellungen einer Sachlage zu tun. Wenn er sich nun ein halbwegs neutrales Bild zu machen sucht, berücksichtigt er beide Darstellungen.
Da die sich nun aber widersprechen wird er den jeweiligen Darstellungen ihre extremen Spitzen nehmen und sich aus den Überschneidungen der als gleich erkennbaren Sachverhalte einen neutralen Sachverhalt konstruieren.
Diese neu entstandene Sachlage und die neu entstandene Bewertung wird als Mitte bezeichnet - wobei die beiden ursprünglichen Darstellungen als gegensätzliche Pole angesehen werden.
Es ist weder eine tatsächliche Mitte. Noch eine echte Wahrheit, sondern der Versuch einer neutraleren Sicht auf die ausgeführten Dinge …

Grüße
K.

Hi!

Du und andere Postingschreiber gehen von Fragen aus, die nur mit ja oder nein beantwortet werden können („Ist heute Sonntag oder nicht?“).

Dein Satz bezieht sich aber auf die in der Realität viel häufigeren Fragen, auf die ein Kontinuum an Antworten möglich ist, das sich oft zwischen zwei Polen bewegt.

Z.B.:
Wie viel Reinlichkeit ist bei Babys richtig?

Mögliche Antworten:

  • Zweimal am Tag baden, Hände nach jedem Kontakt mit Gegenständen desinfizieren.
  • Jeden Tag baden, Gesicht und Po dreimal waschen.
  • Alle 3 Tage baden, Gesicht jeden Tag waschen.
  • Einmal in der Woche baden.
  • Alle zwei Monate mit einem trocknen Tuch übers Gesicht wischen.
  • Nie baden.

Wie unschwer zu erkennen ist: Die Wahrheit wird ungefähr in der Mitte liegen. Und das ist meistens so. Allerdings bleibt immer die Frage: Wo genau!

Gruß!
Karl

Hallo FBH,

Am Ende der dialektischen Stufenformen gelangt der Dialektiker
zum Allermittigsten aller vorherigen dialektischen
Gegensatzpaare. Die endgültige Wahrheit liegt in der
endgültigen Mitte.
Anders gesagt: Die jeweiligen Wahrheiten C lagen jeweils mehr
in der Mitte als die von ihnen aufgehobenen Wahrheiten A und
non-A.
Das heißt: Wenn die Wahrheit in der Mitte liegt, liegt sie
noch längst nicht in der Mitte, aber sie liegt mittiger als
die Wahrheiten, in deren Mitte sie liegt :wink:

mit Genuß habe ich mir deine Ausführung einverleibt. :smile:
Da das Wesen des Widersspruchs ein integraler
Bestandteil der Dialektik darstellt, möchte ich an die
herrlichen Dispute zwischen Logikern und Dialektikern
hinweisen und nein ich komme jetzt nicht mit der
stochastischen Keule. (A priori Erwartungswerte…)
Die Cruz an der Sache ist die, dass die Dialektiker
selbst ihr eigenes Tun nicht richtig interpretieren
können oder besser gesagt konnten, weil sie
zwischen dialektischen und logischen Widersprüchen
nicht unterscheiden können. Diese Homonymie
trägt in der Praxis oft haarsträubende Blüten, wie
du dir denken wirst.

Allerdings liegen die Dialektiker mit ihrer Auffassung,
dass die Wirklichkeit kein statisches System darstellt
imho völlig richtig: Eine dynamisch sich entwickelnde
dialektische Totalität.
Um deine Ausführung aufzunehmen, selbst links des
linken Randes kann es mittiger sein als unser Status
Quo dies vermuten lässt. :wink:

Der Begriff Widerspruch wird von den Dialektikern
rein deskriptiv, (Wechselwirkung oder Rückkopplung)
verwendet. Also betrachte meine Anregungen als
bestätigenden Widerspruch.

Gruß
Junktor

weil sie
zwischen dialektischen und logischen Widersprüchen
nicht unterscheiden können.
Diese Homonymie
trägt in der Praxis oft haarsträubende Blüten, wie
du dir denken wirst.

Das kann ich mir nicht nur gut denken, sondern ich habe es mir gerade deshalb angewöhnt, in dialecticis den Begriff des Widerspruchs zu vermeiden, so gut es geht - zu Gunsten des „Antagonismus“ oder des „Widerstreits“.

Aber führ das doch bitte noch ein bißchen aus, wenn du magst.
Ich bin nicht sicher, ob ich hier deinen Punkt bereits erfassen kann.

Allerdings liegen die Dialektiker mit ihrer Auffassung,
dass die Wirklichkeit kein statisches System darstellt
imho völlig richtig:

Damit liegen sie auch für mich richtig, aber …

Eine dynamisch sich entwickelnde
dialektische Totalität.

… kann man sich denn die Wirklichkeit ungestraft als eine dialektische vorstellen, und gar noch als Totalität?
So ein Dialektiker sieht ja an seiner Dialektik nicht mehr vorbei. Da muss er zwangsläufig irgendwann gegen einen Baum laufen.

Gruß
F.

Warum sollte die Wahrheit sich in der Mitte einpendeln!
Wahrheit ist absolut und nicht abhängig von sprachlichen Festlegungen.
Der „goldene Mittelweg“ ist ebenfalls nur eine sprachliche Festlegung!
Auch bei Meinungen zu einem Thema ist das niemals so, dass wenn der eine etwas sagt und der andere das Gegenteil behauptet, die Wahrheit in der Mitte liegt, sondern dort in der Mitte liegt meist ein Misthaufen.
Der eine hat recht oder der andere oder keiner von beiden.
Dann liegt die Wahrheit nicht in der Mitte, sondern beide Aussagen sind falsch.
Das Mittendenken führt zur Mittelmässigkeit.
100 Menschen haben 100 Meinungen.
Hat einer davon die Wahrheit einer Behauptung erkannt, liegt die nicht in der Mitte, sondern bei dem einen Schlauberger!

Die Erde ist eine Scheibe. Die Erde ist eine Kugel.
Ist sie deshalb ein Football?
Die Wahrheit: Sie ist keines von den drei Dingen.
Tatsächlich ist der Äquatorradius um etwa 21 Kilometer größer als der Erdhalbmesser an den Polen…
Also keiner hat recht! Ihre Form ist von der Schwerkraft gezeichnet und einzigartig!

Aber eines ist wahr:
Wir suchen immer für alles ein geschlossenes Weltbild, an dem wir uns entlang hangel können. Das unterstützt den Hang zur Mittelmässigkeit. Wenn die meisten Menschen der Ansicht sind, dass eine Sache so oder so sei, passen wir uns dieser Meinung gerne an - selbst wenn sie falsch ist!
Mir sind offene Weltbilder lieber…

Hi Hermann,
schade, dass du meinen Beitrag nicht vor dem schreiben gelesen hast, es hätte dein Missverständnis aufklären können!
Karl

In der Mitte liegen bei Dir ungefähr diese beiden Überlegungen:

  • Alle 3 Tage baden, Gesicht jeden Tag waschen.
  • Einmal in der Woche baden.

Jede Mutter eines Babys würde Dir da widersprechen.
Aber in Deinem Beispiel geht es um Hygiene.
Nicht um Wahrheit!

Die Frage ist ja, ob bei verschiedenen Meinungen die Wahrheit in der Mitte liegt.
Ich habe es begründet, warum das nicht so ist.
Die althergebrachte Vorstellung, dass alle ein bisschen Recht haben und deshalb die „Wahrheit“ in der Mitte liegen muss, ist zwar alt, aber eben schon immer falsch!
Die Wahrheit ist absolut und benötigt keinen Platzsanweiser :smile:
Ein philosophischer Diskurs darüber erübrigt sich deshalb eigentlich.

Wahrheit und Wahrhaftigkeit sind Geschwister.
Und immer ist der aus der Wahrheit kommende Geist stärker als die Macht der Verhältnisse.
Wahrheit muss als geistige Kraft in uns wirken.

Ein schönes Beispiel ist die Wahrheit einer Weltanschauung:
Die hat sich nämlich darin zu erweisen, dass das geistige Verhältnis zum Sein und zur Welt innerliche Menschen mit tätiger Ethik aus uns macht!

Wahrhaftigkeit ist also das Fundament des geistigen Lebens.
So, wie der Humanismus das Fundament des Rechts ist!
Sie sind zusammen der Weg - nicht der Platz!

Schönen Abend noch :smile:

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Hallo,

habe kürzlich eine Quarks-Sendung mir Rangar Jogeshwar gesehen, in der er dem Fernsehpublikum eine Schätzaufgabe stellte (ein großes Glas voller kleiner Perlen, die Anzahl sollte geschätzt werden).

Erstaunlicherweise lag das Mittel aller Schätzungen sehr nahe an der Wahrheit, also der tatsächlichen Anzahl.
Ich weiß leider den Titel der Sendung nicht mehr (könnte das Thema Teamwork haben), sollte aber auf Youtube zu finden sein.

Passt jedenfalls zu dem Spruch.

Gruß, Paran

Hallo,

Auch bei Meinungen zu einem Thema ist das niemals so, dass
wenn der eine etwas sagt und der andere das Gegenteil
behauptet, die Wahrheit in der Mitte liegt, sondern dort in
der Mitte liegt meist ein Misthaufen.
Der eine hat recht oder der andere oder keiner von beiden.

Hm? Wenn jetzt einer behauptet „Schokoladenpudding schmeckt gut“ und der andere sagt „Schokoladenpudding ist scheußlich“

Wer hat dann Recht? Der Eine - der Andere … - oder Der, der da behauptet „Keiner hat Recht von Beiden, weil …(warum auch immer)“?

Grüße
K.

"Paran"
Was willst Du uns denn sagen?
Tatsächlich haben Menschen ein Gehirn, das solche Dinge relativ gut einschätzen kann.
Glasperlen im Glas…kleine Kügelchen passen mehr rein als große.
Unser Gehirn kann das aus Erfahrung abschätzen.
Natürlich nur per Zufall die genaue Stückzahl - klar.
Aber relativ gut einschätzen können das viele Menschen (nicht wirklich alle).
Also handelt es sich nicht um ein „Naturgesetz“ des Mittelwertes und hat mit diesem Thema gar nichts zu tun!
Wenn also ein größerer Teil der Befragten gute Schätzer sind, ist das nicht verblüffend, sondern erfreulich :smile:

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Pudding ist Geschmacksache. Er hat nichts mit Wahrheit zu tun. Auch klar - oder?

Hallo,

Pudding ist Geschmacksache. Er hat nichts mit Wahrheit zu tun.
Auch klar - oder?

Wie? Es ist nicht wahr, das Schokoladenpudding gut schmeckt???
Da widerspreche ich!
Es ist eine Wahrheit: Schokoladenpudding schmeckt gut!

Grüße
K.

Hallo F.,

… kann man sich denn die Wirklichkeit ungestraft als eine
dialektische vorstellen, und gar noch als Totalität?

Totalität = eine dynamisch sich entwickelnde Ganzheit

Das Thema ist natürlich sehr komplex, ich weiß
grad gar nicht wie es anstellen sollte dies in so
einen thread halbwegs annähernd zu komprimieren.

Es geht dir wohl um die Rückkopplungsprozesse?

Diese lassen sich in allen Bereichen der Wirklichkeit finden,
in biologischen oder technischen Systemen genau
wie in gesellschaftlichen Interaktionsprozessen.

Aber ich fürchte das führt jetzt zu weit.

Vielleicht finde einige passende Links.

Gruß
Junktor

Hi Hermann!

Aber in Deinem Beispiel geht es um Hygiene.
Nicht um Wahrheit!

Es fehlt dir - ich kanns nicht anders ausdrücken - die Fähigkeit, zu abstrahieren. Wahrheit ist ein Begriff, der sich auf alle Bereiche des Lebens erstrecken kann, natürlich auch auf den Umgang mit Kindern.
Vielleicht solltest du aus deinem Elfenbeinturm herauskommen und mein Posting wirklich richtig lesen!

Gruß!
Karl