Disziplinierung des Erkenntnisvorgangs (lang)
Hallo
Und ist es möglich, dass teils auch ein Tabu besteht, nach dem
Warum zu fragen? Man darf zwar „wissen“, wie, aber nicht
weiter forschen, warum?
Ich glaube, es gibt - und da möchte ich keine Wertung vornehmen - eine kindliche Form der Neugier, eine kindliche Art des Fragens, und für die ist „Warum“ typisch: Warum ist der Himmel blau, warum fällt ein Apfel vom Baum herunter, der Mond aber nicht vom Himmel, was auch immer Gegenstand des Interesses eines wachen Kindes sein mag.
Man hat nun herausgefunden, daß man besonders effektiv zu Erkenntnissen kommt, wenn man sich gewisse Regeln auferlegt, und bestimmten Methoden folgt. Etwa die, das „Warum“ ein wenig zurückzustellen, und statt dessen einfach zu beobachten, zu experimentieren, Fakten zu sammeln, das Gefundene zu beschreiben. Dies ist die Verlagerung zum „Wie“. Dabei wird nicht stehengeblieben. Man versucht, Gemeinsamkeiten unter den Fakten aufzufinden und diese danach zu ordnen. Das geschieht zum Beispiel auf dem Wege des induktiven Schließens, von einer Anzahl bekannter besonderer Fälle auf das Allgemeine. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, daß solche Schlüsse mitunter revidiert werden müssen, man hat keine Garantie, daß nicht ein Fall gefunden wird, der im Widerspruch zu den bisherigen Schlüssen steht. In der Physik, aber auch in anderen Naturwissenschaften werden schließlich die Fakten in Theorien geordnet, wo sie möglichst auf einige wenige Grundtatsachen zurückgeführt werden, die ihrerseits nicht weiter reduzierbar sind, wie die Newton´schen Axiome der Mechanik, oder das Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, unabhängig vom gewählten Bezugsystem. Dort führt die Frage, „warum ist das so?“ zu keiner Antwort, und um der Effektivität des Erkenntnisgewinns willen läßt man sie daher.
Dieser Exkurs soll zeigen, welche gewaltige Disziplinierung jemand auf dem Weg der Ausbildung vom neugierigen Kind zum Ende der Schule, bis zum Abschluß eines naturwissenschaftlichen oder technischen Studiums durchläuft.
Was ist nun „Verstehen“? Es gibt neben den Naturwissenschaften noch eine ganze andere Welt, die Geisteswissenschaften, wo andere Erkenntnisverfahren herausgebildet worden sind, die hermeneutischen. Die Hermeuneutik ist die Lehre vom Verstehen. Das Verstehen wurde mir einmal so erklärt, wie: einen Text in dem ihn umgebenden Kontext zu erfassen. Etwas Neues wird in den Kontext des bereits Bekanntem eingeordnet, es wird assoziiert, diesen Assoziationen nachgespürt, sie werden auch wieder verworfen, bis ein tragfähiges Spinnennetz an Bezügen zum Kontext gebildet worden ist. Obwohl es eigentlich eine sehr natürliche Art des Vorgehens ist, wurden auch hier spezielle Methodiken herausgebildet, findet auch hier Disziplinierung des Erkenntnisvorgangs statt. So vermute ich jedenfalls, als Naturwissenschaftler weiß ich nicht allzu viel dazu. Allerdings kommen auch Naturwissenschaftler nicht an der Hermeneutik vorbei, auch sie müssen neuen Lernstoff, nach der ganzen oben beschriebenen Vorverarbeitung schließlich in ihren Kontext, in ihr Vorwissen einordnen, und ihr Assoziationsnetz bilden. Ein schöpferischer Vorgang.
Verstehen ist darum etwas Subjektives. Wenn jemand mit z. B. astrologischem Hintergrund psychologische Erkenntnisse in diese astrologischen Bezüge einordnet und daraus eine Art Psycho-Astrologie „schafft“, dann er es in dem ihm zur Verfügung stehenden Kontext „verstanden“, also eingeordnet. Ein anderer, der mit Astrologie nichts am Hut hat, würde dessen Erkenntnisse vermutlich für hanebüchenen Unsinn halten, und fruchtbare Kommunikation ist zwischen den beiden nicht möglich.
Grüße,
I.