Hallo,
zunächst zur Frage nach einer vemuteten Linearität zwischen γ und β’ die hier im Thread aufkam: Das Bild zeigt den Graphen der Funktion γ(β’) als schwarze Punkte. Er ist überall gekrümmt, für kleine β’ aber nur sehr schwach. Die rote Gerade markiert γ = β’. Die Winkel sind in keinem Bereich proportional zueinander.
Ich bin an die Sache etwas anders herangegangen, und zwar indem ich die Punkte A, B und C in einem Koordinatensystem festgepinnt habe auf (–1, 0) und (+1, 0) und (0, h) mit dem frei wählbaren Parameter h = die „Höhe“ des gleichschenkligen Dreiecks ΔABC über seiner AB-Grundlinie. Diese Höhe ist der einzige Parameter, den es bei meiner Betrachtung gibt. Das ist in Ordnung, weil man jeden gewünschten Winkel γ im Punkt C durch passende Wahl von h „einstellen“ kann. (Änderung des Abstands C-E bei festem γ ist sowieso witzlos, denn dadurch ändert man lediglich die Gesamtgröße des Gebildes).
Wenn man nun in GeoGebra den Punkt C auf der y-Achse hoch- und runterschiebt und dabei die Dreiecke ΔADC und ΔADE beobachtet, sieht man, dass sie bei h ≈ 5.67 ähnlich (genauer: spiegelbildlich-ähnlich) zueinander sind.
Wie groß ist nun der exakte Wert von h in diesem Fall? Also: Welche Gleichung in h wird für diesen Wert gelöst? Darüber kann man hier schon eine Voraussage wagen: Er ist eine Nullstelle eines bestimmten Polynoms in h. Bei der Ähnlichkeitsbedingung werden ja zwei Streckenverhältnisse gleichgesetzt und darin treten nur Quotienten von Längen von Vektoren auf. Um die auszurechnen, muss man Summen, Differenzen, Produkten, Quotienten und Quadratwurzeln von Zahlen bilden, aber nicht mehr! Es können also niemals Funktionen wie z. B. „e hoch“ oder Logarithmus oder Arcussinus ins Spiel kommen.
Im Folgenden bezeichnen die Kleinbuchstaben a, b, c, d, e die Ortsvektoren der entsprechenden Punkte. Der Punkt D ist schnell klargemacht (liegt auf B-C-Verbindungslinie und ist 2 weit von C entfernt):
d = c – 2 (c – b)/|c – b| = (2/sqrt(h² + 1), h – 2h/sqrt(h² +1))
Mit dem Punkt E verhält es sich anders. E ist der Schnittpunkt der Geraden durch A und B sowie der Gerade durch (B + C)/2, welche senkrecht zur Geraden durch B und C ist. E erfüllt also für genau ein spezielles Paar (λ, σ) diese beiden Gleichungen:
e = a + λ(c – a)
e = 1/2 (b + c) + σ s
mit dem Vektor s = (h, 1), der senkrecht auf c – b = (–1, h) steht.
Das ist ein lineares 2×2-Gleichungssystem für die Unbekannten λ und σ. Die beiden Gleichungen werden von der x- und y-Komponente gebildet. Die Lösung ist
e = (1/2 – h²/(h² – 1), h/2 – h/(h² – 1))
Jetzt die Ähnlichkeitsbedingung: Die Dreicke ΔADC und ΔADE sind genau dann ähnlich zueinander, wenn
|e – a| / |d – a| = |d – a| / |c – a|
erfüllt ist oder dazu äquivalent
|e – a| |c – a| = |d – a|² [•]
Das Ausrechnen der drei Punkteabstände |e – a| und |c – a| und |d – a| ist langweilig; deshalb hier gleich das Ergebnis:
|e – a|² = 1/4 (q – 3)² (q + 1) / (q –1)²
|c – a|² = q + 1
|d – a|² = 4 (1 – q)/sqrt(q + 1) + q + 5
wobei q definiert ist als q = h² (wie sich herausstellt, treten seltsamerweise in allen Ausdrücken nur gerade h-Potenzen auf). Noch ein Hinweis, falls das jemand nachvollziehen will: Man muss unterwegs zwei Polynome faktorisieren; es gilt q³ – 5 q² + 3q + 9 = (q – 3)² (q + 1) und q² + 6q + 5 = (q + 5) (q + 1).
Setzt man nun alles in [•] ein, erhält man diese Gleichung:
sqrt(1/4 (q – 3)² (q + 1)/(q –1)²) sqrt(q + 1) = 4 (1 – q)/sqrt(q + 1) + q + 5
Erstmal vereinfacht sich die linke Seite wegen sqrt(q + 1) sqrt(q + 1) = q + 1 kräftig:
1/2 (q – 3) (q + 1) / (q –1) = 4 (1 – q)/sqrt(q + 1) + q + 5
Die nächsten Umformungsschritte sind klar: Subtraktion von q + 5 auf beiden Seiten, danach mit 2 (q – 1) multiplizieren und dann quadrieren, um die Wurzel sqrt(q + 1) loszuwerden; das liefert:
((q – 3)(q + 1) – 2 (q – 1)(q + 5))2 = 64 (q – 1)4/(q + 1)
Nach Multiplikation mit q + 1 und anschließender Subtraktion der rechten Seite hat es schon die Form „… = 0“:
((q – 3)(q + 1) – 2 (q – 1)(q + 5))2 (q + 1) – 64 (q – 1)4 = 0
Und wenn man nun die linke Seite (mit einem CAS) ausmultipliziert, bis nichts mehr zum Ausmultiplizieren da ist, steht da:
q5 – 43 q4 + 362 q3 – 438 q2 + 165 q – 15 = 0
Cool! Die linke Seite ist ein Polynom in q vom Grad 5. Wie das Pendant dazu in h aussieht, ist wegen q = h² klar:
h10 – 43 h8 + 362 h6 – 438 h4 + 165 h2 – 15 [••]
Das h-Polynom ist also vom Grad 10 und damit sind seine Nullstellen nicht algebraisch berechenbar, denn das geht ja nach dem Satz von Abel nur bis zum Grad 4. Auch auf das q-Polynom mit seinem Grad 5 trifft das zu.
Jetzt kommt aber das Verrückte: Wenn die Winkelangaben 20° und 60° in der Skizze exakt stimmen, dann ist trivialerweise h = tan(80°) und das würde bedeuten, dass tan(80°) eine Nullstelle des Polynoms [••] ist! Das lässt sich leicht mit einem CAS überprüfen (Skript für Maxima; 50 Dezimalstellen Genauigkeit):
fpprec: 50$
f(x) := x^5 - 43*x^4 + 362*x^3 - 438*x^2 + 165*x - 15$
h: bfloat(tan(80*%pi/180));
q: bfloat(h^2);
f(q);
Die Ausgabe ist:
h = 5.6712818196177095309944184398639644216253782606898b0
q = 3.2163437477526358426484889641639036910465989804875b1
f(q) = 6.0669654918713056590977535974031697002569965855401b-43
Also ist tan(80°) tatsächlich eine Nullstelle des Polynoms [••]. Aber kann man das auch algebraisch verifizieren? Wie sollte das gehen? Es gibt ja keine „Wurzel-Darstellung“ von tan(80°) wie etwa tan(60°) = sqrt(3) oder tan(75°) = 2 + sqrt(3) oder tan(54°) = 1/5 sqrt(25 + 10 sqrt(5)). Es gibt keine, weil tan(80°) nicht konstruierbar ist, denn der Winkel 80° ist es auch nicht (sonst ließe sich daraus durch dreimalige Halbierung 10° konstruieren, aber 10° ist nicht konstruierbar). „Konstruierbar“ bedeutet, dass eine Länge oder ein Winkel exakt mit Zirkel und unmarkiertem Lineal in endlich vielen Schritten konstruiert werden kann. Konstruierbare Winkel sind z. B. 60° und 90° sowie alle 2k-fachen davon mit beliebigem ganzzahligem k, denn Winkel halbieren kann man uneingeschränkt, aber dreiteilen geht im allgemeinen nicht.
Damit ist auch klar: Das ganze Gebilde ist schon wegen des Winkels γ = 20° nicht konstruierbar. Dass es trotzdem zu der Erkenntnis führt, dass tan(80°) eine Nullstelle des Polynoms [••] ist, finde ich bemerkenswert. Eventuell könnte ein Experte auf dem Gebiet der Galoistheorie darauf eine Antwort geben.
Es scheint auch keine Möglichkeit zu geben, zu zeigen, dass im Ähnlichkeitsfall der Teilwinkel 10° im Punkt A tatsächlich genau halb so groß ist wie γ = 20°.
Um es mit dem Jugendwort des Jahres 2020 zu sagen: „lost“.
Gruß
Martin