Hallo Allerseits,
Hallo, Heribert.
Wohl kaum etwas auf der Welt ist so oft verändert worden wie der Bildungskanon und das Schulsystem in Deutschland. Das fängt schon damit an, dass es das System in Deutschland gar nicht gibt, sondern inzwischen 16 Bundesländer mehr oder weniger ihr eigenes Süppchen kochen. Die Zutaten für Letzteres holt man sich dann auch noch aus der jeweiligen parteipolitischen Küche und würzt mit ein wenig Zeitgeist. Siehe die Debatten der 70er (Mengenlehre, Ganzwortmethode …), der 80er (Montessori, Waldorf …), der 90er (Integration der Ex-DDR, Abkehr von der Gesamtschule …), der 00er (PISA, Turboabi, Elitenförderung …) - you name it.
Geschimpft wird abwechselnd auf Multikulti, unfähige Eltern, mangelnde Kindergartenbetreuung, Unterrichtsausfall und unmotivierte Schüler - letzteres, wie bekannt sein dürfte, schon seit dem Altertum.
Wenn ich meine eigene (pflicht-) schulische Laufbahn betrachte, kann ich so allerlei nachvollziehen : 1968 eingeschult, hatten meine Grundschullehrer ihre Prägung in den Adenauerzeit bekommen, Klasse 1 bis 4. Danach kam die „Förderstufe“ : 2 Jahre Unterricht im Kurssystem und meine ersten Erfahrungen sowohl mit Vorkriegs- und kriegsgeprägten als auch mit den ersten aus der 68er Bewegung stammenden Lehrern. Klasse 7 bis 10 am G-Zweig einer additiven Gesamtschule - die alten Lehrer verschwanden nach und nach, es rückten psychologisch gebildete, ambitionierte Pädagogen nach, die so allerlei Experimente auf der Pfanne hatten, wie Soziogramme, Gruppendynamik etcetera päpää.
1968 gehörte ich zu den ersten, die nicht mehr in die zweiklassige Dorfschule kamen, sondern per Bus in die Grundschule gekarrt wurden. 1972 war der erste Jahrgang, der nicht mehr direkt in Hauptschule, Realschule, Gymnasium gebeamt wurde, sondern die Förderstufe genoss. 1974 waren wir die Ersten, die auf getrennten Schulzweigen in der Form der additiven Gesamtschule landeten. Wir waren der jeweils erste Jahrgang für: zweite Fremdsprache ab Klasse 6, Mengenlehre ab Klasse 5, gemischten Sportunterricht, Taschenrechnererlaubnis und bestimmt noch eine Menge anderer Dinge. Zum Thema „Schule als Versuchslabor“ kann ich also eine Menge erzählen.
Die Berufsaussichten für diejenigen, die Ambitionen auf eine Lehrerlaufbahn hatten, wurden zyklisch als hervorragend / beschissen / mittelmäßig bezeichnet, mit der Auswirkung, dass zwar 20 von 25 Absolventen des obigen Jahrgangs heute im ÖD sind, aber nur einer Lehrer wurde. Und erst mit Anfang 30 eine (halbe) Stelle bekam, soit dit en passant.
Was soll nun dieser ganze, lange Sums? Schlicht und ergreifend ist es so, dass man, je mehr man experimentiert und abwechselnd das Fass oder den Reifen schlägt, den Karren desto heftiger an die Wand fährt. Die Superbegabten kämen notfalls auch ohne staatlichen Unterricht durchs Leben; das Gros dagegen bekommt inzwischen - wie ich aus meiner Erfahrung als Ausbilder und der Teilnahme an Tests und Vorstellungsgesprächen weiß - kaum noch die Fertigkeiten mit, sich im Leben zu behaupten. Der Witz dabei: das lässt sich kaum an der besuchten Schulform festmachen - eine gut organisierte Realschule entlässt ihre Zöglinge besser vorbereitet als die meisten Gymnasien das darstellen können.
All diesen Erscheinungen wird man mit dem üblichen Herumgefummele an politischen und ideologischen Schrauben nicht begegnen können. In einem vereinten Europa, in einer globalisierten Welt noch über Unterschiede zwischen kleinen Popel-Bundesländern reden zu müssen, disqualifiziert unser gesamtes Bildungssystem in meinen Augen komplett. Wenn man von der Kirchturmpolitik nicht wegkommt, braucht man sich über Probleme mit Migrantenkindern schon gar nicht mehr zu wundern. Und hat man das Pech, über etwas längere Zeit ein Sparbrötchen als Ministerpräsident zu haben (nur in der Bildungspolitik, natürlich; für Schlösser und rauschende Ballnächte ist immer genug SchmierGeld da), erlebt man auch noch, dass diejenigen, die geeignet wären, die nächste Generation etwas besser auszubilden, davon den weitest möglichen Abstand halten.
Außerdem sind Kinderinnen und Kinder, die irgendwann gezwungen sind, das Bundesland zu wechseln, sowieso in der Eieruhr, egal, welche Schule sie bis dahin besucht haben.
Mit anderen Worten: wie viele Gleise das Schulsystem hat, und wann die entsprechenden Weichen gestellt werden, ist m.E. zweitrangig. Wichtiger und vor allem richtig wäre es, sich zumindest deutschlandweit auf eine Spurweite zu einigen. Alles Andere ist nur Herumgepfusche auf Kosten aller Beteiligten.
Gruß Eillicht zu Vensre