Dulder-Gen? (eher lang)

Liebe Expertinnen und Experten

wie wohl viele wundere ich mich, was die biologischen (in Abgrenzung zu den durch die Gesellschaft verursachten) Verhaltens-Unterschiede der Geschlechter ist.

Kürzlich hatte ich sehr eindrückliches Erlebnis: Ich wurde als Seelsorger zu einer Mutter gerufen, die im 6. Schwangerschaftsmonat ihren ersten Sohn geboren hatte. Das Kind starb gleich nach der Geburt. Als ich etwa anderthalb Stunden später an das Bett trat, lag da die Mutter mit dem toten Sohn auf ihrem Oberkörper. Sie weinte nicht - erschöpft, duldend, ihrem Schicksal ergeben, lag sie einfach da.

Dieses Duldende, Erduldende hat mich nicht mehr los gelassen. Ich diskutierte mit vielen, auch mit unserer Schwiegertochter, die diese Tage ihr erstes Kind zur Welt bringen soll.

Ich wundere mich nun, ob nicht der weibliche Teil unserer Gesellschaft ein „Dulder-Gen“ hat (ob es ein Gen ist oder etwas anderes interessiert mich eigentlich nicht).

Ich glaube, dass Männer nicht in der Weise dem Dulden-Müssen biologischer Umstände ausgesetzt sind wie Frauen. Dabei denke ich einerseits an die Menstruation mit allen Nebenerscheinungen, anderseits aber auch an Schwangerschaft und Geburt. Es nimmt einfach seinen Lauf und muss erduldet werden.

Sowohl aus Selbstbetrachtung wie auch aus diversen Diskussionen habe ich erhebliche Zweifel daran, dass Männer mit dieser Art des biologischen Ausgeliefert-Seins gleich gut wie Frauen umgehen könnten. Sicher, Frauen können nicht wählen - aber sie haben etwas in sich, was sie zur „Dulder-Leistung“ befähigt: Ein „Dulder-Gen“?

Ein solches „Gen“ könnte für mich auch verschiedene (aktuelle und vor allem auch historische) gesellschaftliche Situationen und Entwicklungen verstehen helfen.

Bitte macht mich nicht lächerlich! Ausgangspunkt und Thema selbst sind aus meiner Sicht zu ernst.

Besten Dank.

Urs Peter Hinnen

Hallo,

nein, ich glaube nicht ,dass es dieses Dulder-Gen gibt.
Ich glaube, das ist individuell verschieden und nicht geschlechtsspezifisch verschieden (aber eventuell geschlechtsspezifisch anerzogen).
Was die Ausgangssituation betrifft, die du beschreibst, glaube ich, dass du falsch interpretiert hast. Eine Geburt ist eine körperlich total auslaugende Sache. Die Frau war erschöpft. Außerdem wollte sie mit ihrem Kind, solange es noch ging, zusammenbleiben. Was ist daran (er)uldend? Die Frage ist, wie sie in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren mit diesem Schicksalschlag umgegangen ist.

Gruß
Elke

Hi

Erstmal gibt es nichts zu lachen. Die Frage kam glaube ich schon mal, in anderen Zusammenhängen. Das Beispiel finde ich auch leicht verkehrt. Es ist nämlich so, daß durch schreckliche Schmerzen Drogen im Körper freiwerden und eine Geburt als Glück empfunden wird, auch wenn das Kind tot ist. Der daraus entstehende Konflikt ist grauenhaft.

Das aber nur nebenbei. Ich glaube nämlich sehr wohl, daß es diesen Unterschied zwischen Männern und Frauen gibt. SChon als kleine Mädchen haben wir gelernt mit Schmerzen umzugehen. Monatliche Schmerzen sind bis zu einem bestimmten Grad normal, und man lernt sie zu akzeptieren. So ähnlich dürfte eine volle Geburt dann auch ablaufen (ich hatte noch keine). Man hat keine Wahl. Und ohnmächtig zu werden, also AUFZUGEBEN, ist nicht drin. Ich glaube, daß dieses Programm den Frauen angeboren ist. Sonst wären wir schon ausgestorben. Niemand würde ein zweites Kind haben wollen.

Man sieht es auch im sportlichen Bereich. Im Leistungssport sind Frauen immer an zweiter Stelle, aber wenn es um Ausdauer (sprich Schmerzmanagement) über Stunden und Tage hinweg geht, haben Frauen die Nase vorn. Ein Aufgeben ist nicht drin, auch wenn sie nicht gewinnen (siehe die Ergebnistafeln bei „Iron Man“ (sic). Kaum Frauen stehen bei „did not finish“, während Männer aufgeben, wenn klar ist, daß sie nicht gewinnen.)

Deutlich ist es auch bei Wettbewerben wie „Survivor“. Kraftakte sind typische Männerbewerbe, aber Ausdauerspiele werden sehr oft von Frauen gewonnen, zb Barfuß auf einem Holzscheit stehen. Das geht oft bis zu 4 Stunden. Die Männer jammern und geben auf, sobald sie Zweifel haben, die Frauen halten ihre verbissene, fast abgehobene Mine durch bis zum Ende, als ob es darum ginge *nicht aufzugeben* und NICHT darum, eine Million zu gewinnen. Siehst du den Unterschied? Ich glaube ich sehe ihn.

Gruß
d.

Hallo Urs,

auch wenn ich das von Dir beschriebene Erlebnis berührend
finde, halte ich die Reaktion - bzw. augenscheinliche
Nicht-Reaktion der Mutter - in einer solchen Situation ebenso
normal wie einen heftigen Heulkrampf oder einen völligen
Zusammenbruch. Als Außenstehender, der die Hintergründe (hier
z. B. Risikoschwangerschaft, lebensbedrohliche Erkrankung des
Fötus, etc.) nicht kennt, erlebt man die Situation manchmal
als geradezu gespenstisch. Im sechsten Schwangerschaftsmonat
(also zwischen der 21. und 24. SSW) geborene Babies gelten als
extrem unreife Frühchen und haben entsprechend schlechtere
Startvoraussetzungen: zwar überleben ca. 70-75 % der in der
24. SSW geborenen Kinder, aber sie behalten in den meisten
Fällen erhebliche Schäden. Sogar die Gesellschaft für
Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin empfiehlt
offziell den Einsatz lebenserhaltender Maßnahmen erst ab der
vollendeten 24. SSW und auch dies nur dann, wenn keine
lebensbedrohlichen Gesundheitsstörungen vorliegen. Ich merke
gerade, ich schweife ab, sorry…

Dieses Duldende, Erduldende hat mich nicht mehr los gelassen.

Dich beschäftigt offenbar in erster Linie die Frage, warum die
Frau nicht geweint hat (so verstehe ich zumindest), sondern
einfach nur schweigend und ‚duldend‘ mit ihrem toten Baby da
lag. Nun… Ich denke, es war ihre Art, sich von ihrem Kind zu
verabschieden und das Geschehene zu realisieren. Tränen werden
mit Sicherheit noch kommen.

Ich wundere mich nun, ob nicht der weibliche Teil unserer
Gesellschaft ein „Dulder-Gen“ hat

Neee… Wenn es ein solches Gen gibt: ich habe ihn nicht. :wink:

Ich glaube, dass Männer nicht in der Weise dem Dulden-Müssen
biologischer Umstände ausgesetzt sind wie Frauen. Dabei denke
ich einerseits an die Menstruation mit allen
Nebenerscheinungen, anderseits aber auch an Schwangerschaft
und Geburt. Es nimmt einfach seinen Lauf und muss erduldet
werden.

Die Menstruation ist ein nerviges Übel, aber es ist nun einmal
so, seitdem es Menschen auf dieser Welt gibt - wir Frauen
kennen es nicht anders, insofern würde ich nicht von einer
‚(Er)Duldung‘ sprechen. Dagegen kann frau gegen
Schwangerschaft (somit auch gegen die Unnannehmlichkeiten
einer Geburt) durchaus etwas unternehmen.

Sowohl aus Selbstbetrachtung wie auch aus diversen
Diskussionen habe ich erhebliche Zweifel daran, dass Männer
mit dieser Art des biologischen Ausgeliefert-Seins gleich gut
wie Frauen umgehen könnten.

Das könnte daran liegen, daß Männer eine niedrigere
Schmerztoleranzschwelle haben. Dafür habt Ihr aber Haare auf dem Rücken -
OK, manche von Euch. *schmunzel*

Ein solches „Gen“ könnte für mich auch verschiedene (aktuelle
und vor allem auch historische) gesellschaftliche Situationen
und Entwicklungen verstehen helfen.

Warum willst Du uns unbedingt ‚einreden‘, wir seien von Mutter
Natur per se zu (Er)Dulderinnen gemacht worden? Das ist nicht
der Fall. Natürlich können wir biologische Gegebenheiten wie
die Menstruation nicht ändern. Aber: in patriarchischen
Gesellschaften wurden Frauen im Laufe der Geschichte -
Vorreiter war auch hier die katholische Kirche (siehe
http://www.ibka.org/artikel/ag98/frauen.html) - konsequent in
die Rolle der personifizierten Bösartigkeit, die gefälligst
den Mund zu halten und um ihres Seelenheils Willen alle
‚Prüfungen‘, die das Schicksal ihr bringt duldsam zu ertragen
hat, gedrängt. Diese antiquierte Vorstellung schleppen viele
Frauen heute noch mit sich herum. Selbstverständlich gab es
auch schon immer Frauen, die der ihnen von den Männern
zugedachten Rolle nur wenig abgewinnen konnten - viele
landeten auf dem Scheiterhaufen, einige haben ein Leben in
Verkleidung (die frühen Drag-Kings sozusagen) gewählt.

Zum Schluss noch eine Frage, die mich brennend interessiert:
wie bist Du als Unternehmensberater zur Seelsorge gekommen?

Grüße
Renee

Antworten
Hallo Renee

ich fühle mich etwas zu stark auf das geschilderte Erlebnis festgenagelt, welches der Auslöser weiterer meiner Ueberlegungen und Diskussionen war.

Die Risiko-Schwangerschaft war mir schon längere Zeit bekannt, ich begleitete die Eltern vor der Geburt, nach der Geburt, hielt die Trauerfeier am Grab des Knaben, habe seither mehrere Gespräche geführt. Auch im Zusammenhang mit der von mir aufgeworfenen Frage.

Selbstverständlich habe ich Haare auf dem Rücken - der Anteil weisser Exemplare nimmt ständig zu.

Die Schmerztoleranz der Geschlechter kann ich nicht beurteilen. Als ich vorletztes Jahr nach Koliken meine Gallenblase samt Steinen entfernen lassen musste, erklärte mir eine Frau mit einschlägiger Erfahrung, dass sie bezüglich Schmerz das Gebären von zwei Kindern einer Gallenkolik vorziehen würde.

Deine angeführte Unterdrückung der Frauen in der Gesellschaft, die nur durch das Zusammenspiel von Unterdrückern und Unterdrückten (die Unterdrückung duldenden/ erduldenden) funktionieren konnte, könnte ich mit einem „Dulder-Gen“ besser verstehen. Schon in früheren Zeiten wurden wohl die meisten Knaben in den prägenden Lebensjahren durch ihre Mütter erzogen - ich denke dass die Spielregeln dieser Systeme nicht nur von den Unterdrückern, sondern auch von den Unterdrückten weitergegeben wurden, von Generation zu Generation.

Ich habe die Emanzipationsbewegung nicht studiert. Doch habe ich den Eindruck, dass sie und ihre Erfolge parallel zur Geschichte der Empfängisverhütung (und damit dem Abbau des Dulden-Müssens) verläuft.

Zum Schluss noch eine Frage, die mich brennend interessiert:
wie bist Du als Unternehmensberater zur Seelsorge gekommen?

Ich bin seit 25 Jahren in der Neuapostolischen Kirche als Seelsorger tätig - ehrenamtlich/unentgeltlich in meiner Freizeit.

Beste Grüsse aus der Schweiz

Urs Peter

Dieses Duldende, Erduldende hat mich nicht mehr los gelassen.

Ich möchte anstatt „Duldung“ eher den Begriff „Verdrängung“ vorschlagen. Diese emotionale „Strategie“ ist zwar begrifflich eher negativ besetzt,sie hilft uns aber beim Überleben, auch bei schweren Schicksalsschlägen.

Geschlechtsspezifisch ist diese Verhaltensweise insbesondere deshalb, weil die Extremssituation von Niederkunft und Verlust des Kindes in dieser Weise nur Frauen betrifft.

Ob unter den möglichen Verhaltensweisen die Wahl des Duldens spezifisch weiblich ist und ob dies eher genetisch programmiert oder gesellschaftlich erworben ist, ist eine interessante Frage, die sicher eine weiterführende Diskussion wert wäre.

mfg
Klaus

Hi,

Ich möchte anstatt „Duldung“ eher den Begriff „Verdrängung“
vorschlagen. Diese emotionale „Strategie“ ist zwar begrifflich
eher negativ besetzt,sie hilft uns aber beim Überleben, auch
bei schweren Schicksalsschlägen.

Und genau das ist ein gewaltiger Irrtum. Nicht das Verdrängen hilft, mit Schicksalsschlägen umgehen können, sondern die aktive Auseinandersetzung mit dem Geschehen.

Gruß,

Anja

Hallo erstmal

Ich glaube nicht das es ein solches Gen bei Frauen oder Männern gibt.

Zu deinem speziellen Fall denke ich eher das die Frau vielleicht noch unter Schock stand, wer weiß ob Sie überhaupt schon verstanden hat was geschehen ist. manchmal schalltet das gehirn auch ab wenn es einfach zu viel wird. Oft kommen dann die typischen Dinge, weinen und verzweiflung, erst viel später, manchmal sogar nie.

Was das Thema geschichtliche Duldung angeht möchte ich aber noch etwas anmerken.
Jeder Weiß das Mädchen in der vergangenheit, von frühester Kindheit an, dazu erzogen wurden brav, gehorsam und duldsam zu sein. Ein Mensch ist in der Lage vieles zu ertragen wenn er glaubt es währe richtig so und seine Pflicht.

An der hohen Scheidungsrate sieht man das es dieses Gen wohl eher nicht gibt. Denn es zeigt wohl eindeutig das Frauen heute nicht mehr berreit sind alles zu erdulden nur weil es sich so gehört.

Anders sieht es aber bei körperlichen Dingen aus. Hier bleibt dem menschen nur zwei Dinge übrig, entweder er findet sich mit denn Dingen die er nicht ändern ab, ( Menstruation, Geburt, Lähmungen u.s.w. ) oder er gibt auf.

Allerdings finden die Menschen dich auch nicht mit der Entgültigkeit dieser sachen ab. Es werden ja immer neue medikamente entwickelt und neue Metoden um b.s.w. die Geurt leichter und weniger schmerzhaft zu machen.

Urs Peter Hinnen

Schöne Grüsse Mele

Verdrängen / Dulden
Hallo Anja

Nach meiner Sicht und eigener Erfahrung hast Du recht, dass für das Bewältigen von Schicksalsschlägen Auseinandersetzung nötig ist. Dabei kann es möglicherweise sinnvoll sein, wenn etwas bis zu jenem Zeitpunkt verdrängt wird, bis die Ressourcen zum Angehen der Bewältigung vorhanden sind. Allerdings besteht dabei das Risiko, dass der spätere Zugang nur noch schwer zu finden ist.

Ich habe bei mir selbst beobachtet, dass (Lebens)Themen erst im Bewusstsein auftauchen, wenn deren Lösungsansatz in mir beginnt zu schlummern und ich die Lösung in mir selbst suchen muss. Ich bin überzeugt, dass das Verdrängen der im Augenblick nicht bewältigbaren existentiellen Fragen/Themen/Schicksalsschlägen eine kurzfristig sinnvolle Ueberlebens-Strategie sein kann.

Dulden könnte eine ähnliche Strategie sein, bei der nicht verdrängt, sondern eine andere Wertung zugeordnet wird damit nicht verdrängt werden muss. Mein Thema in diesem Artikelbaum ist aber eigentlich weniger ein einzelner Schicksalssschlag als vielmehr das „biologische geschlechtsspezifische Schicksal“ und die Strategie des entsprechenden Umgehens.

Mir ist aufgefallen, dass Frauen wenig konkretes über ihr Erleben während der letzen Zeit der Schwangerschaft und der Geburt sagen können, die Erinnerungen sind nur schwach und punktuell. Verdrängung? - Vielleicht. Möglicherweise gibt es aber auch etwas wie „Löschen“ ohne dass weiterhin etwas im Unterbewusstsein lauert.

Mit besten Grüssen

Urs Peter

hi urs,

koennte es auch sein, dass du deine beobachtungen v.a. innerhalb deiner gemeinde gemacht hast? ich hatte auch mal die gelegenheit, ein paar frauen der naks kennenzulernen und stellte tatsaechlich eine gewisse „duldende tendenz“ fest. gekoppelt mit generell etwas konservativen verhaltensweisen. ich habe das damals der nak zugeschrieben. gut moeglich natuerlich, dass das einzelfaelle waren!

generell denke ich nicht, dass es ein dulder-gen gibt. die frauenbewegung des letzten jahrhunderts spricht ja genuegend klare worte. und die unterdrueckung der frau hat ja ihren ursprung nicht bei den urmenschen, sondern war eine kulturelle (neu)entwicklung. daher sind wohl duldende verhaltensweisen auch eher angelernt.

liebe gruesse,
coco

Hallo Urs,

ich würde nicht von einem Gen sprechen, sondern von den unterschiedlichen evolutionären Aufgaben der Geschlechter, welche sich auch im heutigem Verhalten wiederfinden. Gerade bei der Trauerbewältigung ist mir dies bei mir, Familienmitgliedern und Bekannten aufgefallen. Dabei sind es die Männer, welche verdrängen und die Frauen Trauer ausleben (gilt natürlich nicht immer so, sondern sind halt nur meine Beobachtungen).
Frauen und Männer sind verschieden. Bei unseren Vorfahren war es sehr wichtig, dass der jagende oder kämpfende Mann sich voll auf die anstehende Aufgabe konzentrierte und nicht Gedanken nachhing an einen eben verstorbenen Sippenkamerad. Die Muße zur Trauer hatte der Mann nicht, wenn er jagte. Die Männer, die während des Kampfes ihre Energie auf Trauer verschwendeten, haben den Kampf nicht überlebt und sich entsprechend nicht fortgepflanzt.
Die Frauen hatten die Möglichkeit der Trauer, da sie in der Regel an einem Ort blieben und nicht so sehr Gefahren ausgesetzt waren wie die Männer. Und sie erlernten das Erdulden von Schicksalsschlägen, denen sie ohnmächtig gegenüberstanden… wie z. B. den Verlust eines Kindes oder des Mannes. Auch hier haben sich nicht die Frauen weiter vermehrt, die voller Trauer den Kopf verloren, durch die Wildnis irrten oder wer weiß was machten, sondern die starken Frauen, die trotz des großen emotionalen Schmerzes die Situation still erduldeten.
In dem Zusammenhang denke ich auch an die vielen Frauen, die ihren Mann im Krieg verloren haben und trotz des emotionalen Schmerzes in widrigsten Situationen ihre Frau gestanden und ihre Kinder durchgebracht haben. Meine Großmutter hat mir viel aus der Zeit erzählt und man muss einfach sagen: Frauen sind schon klasse. Glück für den wer eine hat.

Viele Grüße sendet

Stefan

Hi,

Ich möchte anstatt „Duldung“ eher den Begriff „Verdrängung“
vorschlagen. Diese emotionale „Strategie“ ist zwar begrifflich
eher negativ besetzt,sie hilft uns aber beim Überleben, auch
bei schweren Schicksalsschlägen.

Und genau das ist ein gewaltiger Irrtum. Nicht das
Verdrängen hilft, mit Schicksalsschlägen umgehen können,
sondern die aktive Auseinandersetzung mit dem Geschehen.

Hallo Anja,

nach meinem Verständnis ist es Klaus um den Begriff gegangen, nicht um das was besser hilft.
Nur so als Bemerkung
Ich neige auch dazu, es eher als eine Verdrängung zu bezeichnen.
Mit Grüßen
Reni

Evlution > Gen?
Hallo Stefan

zwar schreibst Du von „evolutionären Aufgaben“, beschreibst dann aber den Vorgang der Evolution.

Ich bin nicht Naturwissenschafter, aber nach meinem Verständnis basiert Evolution auf dem Ueberleben der am besten angepassten und dem Vererben dieser angepassten Eigenschaft an ihre Nachkommen - und Vererben geschieht nach meinem Verständnis über die Gene. Ich lasse mich aber gerne belehren. Wenn meine Ansicht richtig ist, so stützest Du meine Gen-Hypothese (ob das Gen „Dulden“ heisst, oder ob es auch noch anderes Verhalten auslöst, ist mir nicht so wichtig).

Mit besten Grüssen

Urs Peter

Hi Coco

Ich habe meine Beobachtungen nicht ausschliesslich innerhalb meiner Gemeinde gemacht, weder die beschriebene Mutter noch meine eigene Frau oder meine Schwiegertochter sind in der NAK aufgewachsen.

Auf das Risiko hin, für die nachfolgende Aussage in der Luft zerrissen zu werden, möchte ich noch eine andere Beobachtung anführen: Bei Tiermüttern (z.B. Katzen) habe ich schon gestaunt, wie „duldsam“ sie ihrem Nachwuchs gegenüber sind, während andere Katzen diese Jungen höchstens dulden. Sicherlich, dies ist noch einmal ein bisschen eine andere Situation, hat aber wohl auch mit ur-weiblichem Verhalten zu tun.

Auch erinnere ich mich an Berichte über in Rudeln lebende Raubtiere: Wenn ein neues Männchen das Rudel übernimmt, tötet er die nicht von ihm stammenden Tier-Babies. Die Tiermütter wehren sich nicht, scheinen es aber (so wird es beschrieben) traurig zu erdulden.

Würdest Du die Frauenbewegung des letzten (und vorletzen) Jahrhunderts als mächtige Grundwelle beschreiben? Ich habe mich nicht so intensiv damit befasst, habe aber auch in meinem eigenen Leben nicht diesen Eindruck erhalten (etwa ein halbes Jahrhundert kann ich überblicken).

Mit besten Grüssen

Urs Peter

Ich glaube, dass Männer nicht in der Weise dem Dulden-Müssen
biologischer Umstände ausgesetzt sind wie Frauen.

Leider unterschlägst du die Begründung für diese These, die man daher wohl wirklich besser nur „Glauben“ nennt. Es spricht nichts für deine These, zumindest trägst du nichts vor.

Was die Geburt angeht, so höre ich oft Frauen sagen: Männer konnen das gar nicht ertragen. Auf die Frage, woraus das zu schließen sei, habe ich noch nie (!) eine Antwort bekommen. Das ist dann so eine Art Axiom.

Levay

Hallo Urs Peter,

Ich bin nicht Naturwissenschafter, aber nach meinem
Verständnis basiert Evolution auf dem Ueberleben der am besten
angepassten und dem Vererben dieser angepassten Eigenschaft an
ihre Nachkommen - und Vererben geschieht nach meinem
Verständnis über die Gene.

korrekt.

Wenn meine Ansicht richtig ist, so stützest Du meine
Gen-Hypothese (ob das Gen „Dulden“ heisst, oder ob es auch
noch anderes Verhalten auslöst, ist mir nicht so wichtig).

Charaktereigenschaften werden nicht als einzelne Gene vererbt, sonst würde die Anzahl der Gene ins Unendliche schießen und es gäbe keine fließenden Abstufungen. Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Gene. Alle Genvarianten eines Menschen zusammen mit der Erziehung und den Erfahrungen bestimmen den Charakter des Menschen. Deshalb kann es nicht das „Duldsamkeits-Gen“ geben, es kann aber - hypothetisch gesehen - sehr wohl sein, dass bei Frauen eine bestimmte Kombination von Genvarianten öfter vorkommt und sie deshalb tendentiell duldsamer sind.

Meiner persönlichen Meinung nach resultieren deine Beobachtungen aus Erfahrung und Erziehung. Erfahrung: Frau weiß, dass sie keine andere Wahl hat, außerdem durchlebt sie z.B. die Menstruation immer wieder aufs Neue und gewöhnt sich daran. Zur traditionellen Erziehung der Mädchen zu Dulderinnen wurde in diesem Thread schon etwas geschrieben. Dass es da Unterschiede auf genetischer Ebene gibt, kann ich mir kaum vorstellen.

Grüße,
Anja

Schmerztoleranzschwelle

Das könnte daran liegen, daß Männer eine niedrigere
Schmerztoleranzschwelle haben.

Hallo Renee,
kannst du das bitte mal untersetzen? Der erste Link bei Google zeigt etwas völlig anderes. http://www.uni.lu/content/download/8777/139664/file/…
Schau bitte auf Abb. 2.
Ich muss übrigens eine hohe Schmerztoleranzschwelle haben. Sonst hätte ich mir die Farbe und die Schriftgröße im Dokument nicht angetan.
Grüße
Ulf

Hi Urs Peter,

Ich bin überzeugt, dass das Verdrängen der im Augenblick
nicht bewältigbaren existentiellen
Fragen/Themen/Schicksalsschlägen eine kurzfristig sinnvolle
Ueberlebens-Strategie sein kann.

Da müsste man diskutieren, ob das Verdrängen eine bewusste oder unbewusste Verhaltensweise ist… Ich bin kein Psychologe und kann es deshalb nicht „wissenschaftlich“ begründen. Wohl weiß ich aber, dass der Schock (medizinisch gemeint) eine für den Körper lebenswichtige Funktion ist, um das System nicht zusammenbrechen zu lassen. Recht gebe ich Dir natürlich, dass jede Strategie - ob bewusst, unbewusst oder als Reaktion des Körpers geeignet sein kann, einen unerträglichen Schmerz (körperlich als auch seelisch) im akuten Zustand erträglich zu machen.

Dulden könnte eine ähnliche Strategie sein, bei der nicht
verdrängt, sondern eine andere Wertung zugeordnet wird damit
nicht verdrängt werden muss.

Ich komme mit dem Begriff „Duldung“ nicht klar. Ich würde an seine Stelle die Demut setzen.

Mein Thema in diesem Artikelbaum
ist aber eigentlich weniger ein einzelner Schicksalssschlag
als vielmehr das „biologische geschlechtsspezifische
Schicksal“ und die Strategie des entsprechenden Umgehens.

Daran glaube ich nicht. Oder meinst Du, Männer würden im Krieg nur deshalb traumatisiert, weil sie Männer sind?

Es ist - wie andere hier auch schon sagten - eine gesellschaftliche Norm, ein den Geschlechtern zugeordnetes Verhalten, das von einer Frau verlangt, Traumata in Zusammenhang mit Geburt (demütig) und von Männern im Krieg (heroisch) zu bewältigen.

Mir ist aufgefallen, dass Frauen wenig konkretes über ihr
Erleben während der letzen Zeit der Schwangerschaft und der
Geburt sagen können, die Erinnerungen sind nur schwach und
punktuell.

Das kann ich, Mutter von zwei erwachsenen Kindern, nicht bestätigen. Mir sind die Zeit der Schwangerschaften und Geburten noch sehr präsent (wenn ich sie hervorhole - gewöhnlich beschäftige ich mich aber seit Beginn der Menopause nicht mehr so häuftig mit dem Thema Schwangerschaft und Geburt :wink: )

Verdrängung? - Vielleicht. Möglicherweise gibt es
aber auch etwas wie „Löschen“ ohne dass weiterhin etwas im
Unterbewusstsein lauert.

„Löschen“ gibt es m.E. nach nicht. Sicher bin allerdings, dass wir riesige Aktenschränke voller abgelegter und abgearbeiteter Altakten in uns tragen.

Schönen Gruß

Anja

Hi Levay,

Was die Geburt angeht, so höre ich oft Frauen sagen: Männer
konnen das gar nicht ertragen. Auf die Frage, woraus das zu
schließen sei, habe ich noch nie (!) eine Antwort bekommen.

Das habe ich in meinen 52 Jahren noch nie von einer Frau gehört…

Gruß,

Anja

Da müsste man diskutieren, ob das Verdrängen eine bewusste
oder unbewusste Verhaltensweise ist…

Hallo!

Soweit ich weiß, meint das Verdrängen in psychologischer Sicht einen sehr unbewussten Abwehrmechanismus. Eine Situation, ein Erlebnis, das Wissen um etwas Schlimmes usw. wird in eine Kiste getan und ganz ganz weit unten versteckt. Dann kann man sich nicht mehr erinnern, was in der Kiste ist. Zusätzlich kommt aber auch noch hinzu, dass man auch nicht mehr weiß, dass man jemals eine Kiste versteckt hat.
Eine für mich sehr einleuchtend klingende Beschreibung war: „vergessen, dass man vergessen hat“.

Somit kann man etwas, was zuviel für einen ist, erstmal gaaaanz weit weg schieben, eben, um

einen unerträglichen Schmerz
(körperlich als auch seelisch) im akuten Zustand erträglich zu
machen.

In einigen/vielen/den meisten/… (keine Ahnung, kann man sicher auch kaum erfassen) Fällen wird die Kiste nach einiger Zeit jedoch wieder langsam ausgegraben (einfach weil es auch anstrengend ist, die da unten zu behalten), inwieweit das psychologisch funktioniert, weiß ich auch nicht richtig. Jedenfalls kommen wohl häufig Flashbacks vor, also dass man ganz kurz Bilder/Geräusche/Gefühle etc. aus dem Versteckten in der Kiste wieder bewusst wahrnimmt. Vielleicht wird das durch eine ähnliche Situation, einen bestimmten Geruch, eine Farbe etc. ausgelöst …
Bis dahin wusste man ja gar nicht, dass man überhaupt verdrängt hat. Eben „vergessen, dass man vergessen hat“.

Thorid