Hi Stefan,
- Wie hast du das damals erlebt, welche Erinnerungen hast du
an früher?
Zuviele. Definitiv zu viele. Ich wurde über den gesamten Zeitraum des Kindergartens, der Grundschule und bis zur 7. Klasse gemobbt, dann wieder ab der 11. Klasse auf einer neuen Schule in verminderter Form.
Ich weiß nicht mehr was es war, aber irgendetwas hatte mich an meinem ersten Kindergartentag sehr erschreckt, ich habe geweint und mich unter einer Bank versteckt. Damit fing alles an, ich war die Heulsuse, und die anderen Kinder zeigten mit dem Finger auf mich.
Ich hatte einen besten Freund, aber die Leute die mich nicht mochten, machten auch ihn fertig oder hetzten ihn auf, ich weiß es nicht. Irgendwann ist er mit einem abgebrochenen Spielzeugbesenstil auf mich los und hat ihn mir in den Rücken gerammt, was genäht werden musste. Ich habe ihm verziehen, aber ich durfte nie mit zu ihm nach Hause zum spielen, weil die anderen Kinder seiner Mutter sonst Streiche spielten.
Gleichzeitig war ich „Integrationsstation“ für andere Kinder, die Betreuerinnen setzten mich mit geistig zurückgebliebenen, sozial seltsamen Kindern zusammen und später mit den syrischen Auswanderern (Flüchtlingen?) die so gut wie kein Deutsch sprachen.
Während sie irgendwann den Absprung schafften und sich mit den anderen integrierten - unter der Voraussetzung nicht mehr mit mir zu reden - blieb ich zurück.
Auf der Grundschule wurde es dann langsam extremer. Ich war halt das einzige dicke Mädchen dort, und Dicksein war ansteckend, ähnlich wie die Pest oder Krätze, die ich angeblich hatte.
Damals war das Anti-Mobbing Verhalten das einem jeder sagte „Ignorier sie doch einfach!“
Das habe ich getan. Sie kamen mit Stöcken wieder. Ich ignorierte sie weiter, und sie kamen mit noch größeren Stöcken und Ästen zurück und droschen auf mich ein bis ich doch schrie.
Erst am Ende der 4. Klasse, auf der Abschlussfahrt, änderte sich das etwas. Die anderen stellten fest, dass ich ihnen Pflanzen und ähnliches auf dem Bauernhof/Land wo wir waren erklären konnte und irgendwie fanden sie das gut, so dass einige begannen mich vor den aggressiveren Deppen zu schützen.
Der Horror war dann die Realschule. Ich weiß nicht genau warum, aber die Klasse hat mich GEHASST. Die Klasse war generell schlimm und hat später drei Lehrer _verbraucht_.
Bei der Einschulung wurde ich gefragt ob ich in eine völlig neue Klasse möchte oder ob ich in die Klasse wolle, wo viele aus meiner Grundschule drin waren, ob ich ihnen „noch eine Chance geben“ wollte. Nach dem Satz hatte ich das Gefühl als gutes Kind natürlich noch eine Chance geben zu müssen, also kam ich dort hin.
Ich wurde in jeder Pause - auch fünf Minutenpausen - fertig gemacht und geschlagen, auf dem Heimweg verfolgt und verprügelt. Jeder Moment ohne Lehreraufsicht war gefüllt von Angst, ich wollte immer nur so schnell wie möglich nach Hause kommen und aufpassen, dass mich keiner sieht.
Die Leute ekelten sich vor mir, weil sie es zu tun hatten, sie sagten mir dass mein Anblick sie zum kotzen brächte, dass mein Atmen widerwärtig sei.
In der 7. Klasse hatte ich dann chronischen Husten, übergab mich wenn ich umkreist wurde von den gehässigen Mitschülern und wenn ich konnte dann rannte ich bevor der Kreis sich schloss.
Die Strafe für das Rennen aus der Schule (noch nicht einmal vom Gelände) bekam ich.
Was passierte da so? Neben unschönen Worten und Schlägen? Nun, es flog nicht nur der Tafellappen, auch Regalwinkel, Stühle und Tische wurden geworfen. Ich wurde auch auf Ausflügen oft zurückgelassen und einmal versuchte jemand mich vor eine U-Bahn zu schubsen.
Unser Klassenraum war im Keller, weit weg von den Lehrern und da es keine Aufsicht gab, waren die fünf Minutenpausen die schlimmsten. Ich weiß dass es ein Mädchen gab die mich nicht schlimm fand, doch sie erklärte mir, dass sie nichts machen könne, sonst würde die Klasse auf sie los gehen.
30 von 32 Leuten also übrig. Und diese Rotte begann aus der Jagd auf mich immer mehr einen Sport zu machen.
Drei Jungs ärgerten mich, ich rannte… ich war gerade auf dem Flur da sprang mir einer der Jungs in die Beine.
Ich fiel und der Großteil der Klasse sammelte sich um mich, trat mir immer wieder in den Rücken, in den Bauch, gegen den Kopf, bespuckte mich mit Essensresten.
Ich habe geschrien wie am Spieß aber erst nach einer gefühlten Ewigkeit kamen drei Lehrer und machten dem ein Ende.
Ich habe heute noch Alpträume von jenem Tag, nicht mehr so oft, aber ab und an.
Die Schuld wurde zunächst bei mir gesucht.
Dann ging ich 6 Wochen auf Ernährungskur, wo mir eine der Betreuerinnen erzählte ich hätte halt so eine „Schlag-mich Aura“, das waren ihre Worte und sie haben mich viel zu lange beeinflusst.
Endlich durfte ich die Klasse wechseln. Das erste Jahr war hart, aber insgesamt so viel besser. Ich war quasi verlost worden und diese Klasse hatte sich gemeldet, um mich aufzunehmen. Natürlich verstand man sich nicht mit jedem, aber es gab nette Menschen und es entwickelten sich Schulfreundschaften.
Die Leute aus der alten Klasse waren trotzdem gefährlich, einige wollten mich am liebsten tot sehen, sogar Leute aus anderen Klassen die ich gar nicht kannte bespuckten mich mit zerkauten Leberwurstbroten und riefen mir zu was ich für eine Schande für die Welt sei und dass ich gar nicht existieren sollte.
Bis zur 10. Klasse war ich dann Mitglied einer Clique, das war zwar die Außenseiter-Clique, aber das war was, die Zeit war gut.
Auf dem Gymnasium waren die Leute ziviliserter, aber auch alberner. Zu der Zeit war ich schon in der Phase Ihr-könnt-mich-alle-mal.
Wenn ich also zu Treffpunkten kam und noch mitbekam wie die anderen kichernd abhauten tat das nur einen Moment weh, aber ich hatte auch nichts anderes erwartet.
Einige Jungs versuchten mich zu dissen und fertig zu machen, das ging vom „Realschulabschaum“ (von einem total frommen Katholiken gesprochen) bis zur üblichen Aberkennung des Existenzrechts, weil ich dick war.
_Hier_ schritten die Lehrer aber ein und ich hatte später sogar mit diesen Jungs (abgesehen vom Katholiken) ein neutrales Verhältnis.
Ich verspüre, wie die meisten des Jahrgangs, kein großes Bedürfnis die andern je wieder zu sehen, mit wenigen Ausnahmen, aber es war eindeutig besser als auf den vorigen Schulen.
- Wie ist das heute? Wie denkst du heute über Schule? Hättest
du gerne jemanden gehabt, der dir damals geholfen hat? Mit
welchen Gefühlen denkst du heute an die damalige Zeit?
Ich leide bis heute unter jener Zeit und es macht mich sehr wütend zu wissen, dass die damaligen Mobber heute ein normales Leben führen und nicht viel dran denken, ignorant über den Schmerz den sie mir zufügten.
Ein Wirbel wurde bei einer Prügellei verletzt, der bis heute schmerzt, ich neige zu Angst- und Panikattacken, besonders wenn Menschen einen Kreis um mich bilden.
Aber das schlimmste ist: Ich kann nicht vertrauen. Eigentlich niemanden. Einfach in die Stadt zu gehen ist schlimm für mich, wenn jemand in meiner Nähe lacht, denke ich zuerst: Die lachen über mich! Bevor ich daran denke, dass es auch was anderes sein kann. Und dann fühle ich mich nicht gekränkt, wenn sie über mich lachen, ich habe Angst. Ich habe Angst, weil ich weiß, dass dieses Lachen schnell mit Gewalt gegen mich einhergeht.
Es fällt mir schwer Freundschaften aufzubauen und mich auf andere zu verlassen und ich würde es _so_ gerne tun.
Ich wünschte mir ich wäre nicht ständig zu gejagt, so ängstlich im Umgang mit anderen, ich wünschte mir ich könnte offener auf die Menschen zugehen, ich wünschte mir dass sich nicht immer Katastrophenszenarien in meinem Kopf abspielten sobald ich jemanden vertrauen muss.
Aber das ist nicht so, dass ist etwas was meine Mobber mir angetan habe, und das, das werde ich ihnen nie verzeihen können.
Ich denke rückblickend habe ich eine ganz gute Idee von Führern und Mitläufern und auch wenn ich die Mitläufer nicht toll finde, verachte ich die Führer wesentlich mehr.
Ich fühle Trauer, Angst und Wut wenn ich an die damalige Zeit denke.
Seit der Uni bin ich frei, habe ein Sozialleben, ich bin ein stärkerer, selbstbewussterer Mensch geworden.
Doch diese Stärke habe ich nicht durch das Mobbing bekommen , weil manche Leute gerne behaupten das „härtet ab“.
Das Mobbing hat mich gebrochen, es hat mich zu einem kranken, unglücklichen Menschen gemacht und erst durch die frontale Veränderung meiner Lebensumstände bin ich aus diesem Sumpf gekommen.
Ich würde keinen Amoklauf entschuldigen, v.a. wenn Unschuldige dabei ums leben kommen, aber ich kann die Leute, die mit einer Waffe in die Schule gehen um sich an ihren Peinigern zu rächen SO GUT verstehen.
Nicht Videospiele machen aggressiv, Mobbing macht aggressiv, und ich habe nicht selten Rachefantasien in meinem Kopf durchgespielt.
Es liegt an meiner Erziehung, dass ich es nicht getan habe.
Meine Eltern sind übrigens beide Schützen, so wie ich. Ich weiß wie man mit einer Waffe umgeht und ich weiß wie ich an eine dran gekommen wäre, auch wenn mein Vater sie vorschriftsmäßig wegschloss.
Das spielte aber keine Rolle, ich wollte niemanden umbringen oder mir mein Leben noch mehr versauen nur wegen diesen Flachpfeifen.
DAS ist die wichtige Erkenntnis, in die Schule gehen und um sich schießen? Das ist der Sieg der Mobber.
Mein Sieg?
Nunja, weiter oben schrieb ich von jemanden der mich mit einem Brot bespuckte und meinte ich dürfte nicht existieren.
Vor einiger Zeit traf ich sie wieder, zu der Zeit hatte ich meinen BA Abschluss mit Bestnote schon in der Tasche.
Sie? Sie putzte. Studieren? Hatte sie mal versucht, nicht geschafft, nach dem 3. Semester abgebrochen, keine Ahnung was jetzt, kein Geld von Eltern, also putzen. Und sie machte einen auf super freundlich und heititai. Ich habe leicht gelächelt, zugehört, und zum Abschied genickt.
Das war meine Genugtuung.
Zu den Lehrern:
Kindergarten - absolut nutzlos
Grundschule - noch viel nutzloser, sie taten einfach -gar nichts-
Realschule - aberwitzig, ICH, ja ICH wurde zum neuen Schulpsychologen geschickt, nicht die kranken Schweine die Leute am Boden zertreten oder vor U-Bahnen schubsen. Durch den Klassenwechsel hat sich das Problem ja zum Glück vermindert.
Generell gab es kaum Aufsichten, die Lehrer waren lieber im Lehrerzimmer, Kaffee trinken, oder wenn es kalt war drinnen - die Schüler durften ja nicht rein.
Ein junger Lehrer hat einen Typen der mich verfolgt hat mal mit ner Roten Karte nach Hause geschickt, ergebnis? Ne Viertelstunde später stand seine Mutter in der Klasse, hat den Lehrer zur Sau gemacht (richtig laut geschrien) und dann durfte der Knabe wieder in die Klasse als sei nichts gewesen.
Auf dem Gymnasium waren die Lehrer viel, viel engagierter, gerade die jüngeren. Sie gaben sich wirklich Mühe zu mediieren. Jeder konnte seine Argumente vorbringen, das wichtigste war dabei, dass die Lehrer mich als menschliches Wesen an die Mobber präsentierten, nicht wie ein Haustier auf das man Acht geben müsse, wie es vorher manchmal war.
SO müsste das laufen.
Ich denke die Lehrer sind heute etwas besser geschult was Mobbing angeht.
Ich glaube nicht, dass Mobbing heute häufiger ist als früher, aber es ist mit sicherheit aggressiver geworden.
Ich hatte ja schon mit Horror-Tyrannen zu tun, aber andere werden nackt an Zäune gefesselt oder mit Benzin übergossen und angezündet (letztes Jahr an einer Schule hier passiert). Das ist doch nur noch abartig, wie kann sowas sein? Ich versteh es nicht.
Ich verurteile, dass Lehrer abschalten und einfach nur noch weggucken. Ich kann aber auch die Angst im Umgang mit solch aggressiven Schülern verstehen.
Neue Systeme müssen geschaffen werden um damit umzugehen, die Ideallösung habe ich dafür nicht. Zu zweit vorgehen würde schonmal helfen, oft habe ich erlebt, dass nur ein Lehrer aktiv gegen einen Mobbingfall vorging.
- Wie ist deine Meinung zu der obigen Aussage des
Schulleiters?
Den Juden hat damals auch keiner geholfen!
Was sagt uns dass? Arschlöcher gabs auch damals schon und der Mensch redet sich sooooo gerne aus seiner sozialen Verantwortung raus, siehe das besagt „Das macht die härter!“ Argument.
lg
Kate