Known Space
Moin,
Niven hat einige faszinierende Einfälle (zB. die Ringwelt
selbst, das Tasp, das Teela-Brown-Gen), aber er unterlässt es
völlig, diese Einfälle auszunutzen, die werden wie Perlen
aufeinandergereiht.
Tja, ich würde sagen: Endlich mal ein Autor, der es nicht
nötig hat, alle seine faszinierenden Einfälle so breit zu
treten, daß es dem Leser zum Hals raushängt, sondern einem
schön ständig neue in Form einer wunderschönen Perlenkette
präsentiert.
So einfach ist das nicht: Die Implikationen zB. des
Teela-Brown-Gens gehen weit über das hinaus, was in Ringworld
zur Sprache kommt. Die gesamte menschliche Zivilisation, dann
auch der gesamte Bekannte Weltraum wäre davon betroffen, nicht
nur ein paar verlorene Raumfahrer. Mich stört also nicht, daß
Niven es vermeidet, jede Idee zu melken, sondern daß er
revolutionäre Ideen präsentiert, die aber keine Revolution nach
sich ziehen.
Der Tasp ist ein eigenes Buch wert, in Ringworld kommt er
einfach zu kurz. Das ist wie Alien vs. Predator.
Wie man solche Ideen viel wirksamer nutzen kann, beschreibt er
in Neutron Star (IIRC). Wie man eine Idee bis zum letzten
Blutstropfen aussaugen kann, und das auf kleinstem Raum hat
Heinlein in ‚All you Zombies‘ gezeigt.
die Puppetiers werden ebenfalls
schwach dargestellt (Nessus und der Hinterste sind praktisch
identisch).
Was heißt hier schwach dargestellt?
Nessus und der Hinterste sind praktisch identisch.
Bei dir klingt es so, als würde es dich stören, daß er die
Charaktere nicht so ausführlich beschreibt oder Unterschiede
herstellt.
Allerdings. Was nützt ein neue Rasse, wenn alle Mitglieder
dieser Rasse identisch sind? Das bringt nicht mehr als ein
beliebiger anderer, menschlicher Charakter.
In ‚Startide Rising‘ hat das wichtigste Raumschiff eine
Besatzung, die aus drei Menschen, einem Schimpansen und (IIRC)
~300 Delphinen besteht. Wie interessant wäre es wohl, wenn das
alles nur Fische wären?
Besser noch sind Vinges Tines, die auf
einer für Niven typischen Idee beruhen, aber in all ihrer
mentalen Einzigartigkeit plausibel beschrieben werden, ohne die
Erzählung durch pseudowissenschaftliche Abhandlungen zu
unterbrechen. Ich kann mich nicht an einen Charakter erinnern,
der mich so fasziniert wie Steel. (Das kann aber auch an meinem
schlechten Gedächtnis oder der leeren Weinflasche liegen.)
Dazu kann:ich nur sagen: Ich habe es soooooooooooooooooo satt,
SF zu „genießen“, in denen die Autoren nach diesem ewig
währenden literarischen Strickmuster die Charaktere bis zum
Erbrechen beschreiben und dabei ganz vergessen, daß sie SF
machen - das führt dann oft dazu, daß die SF nur eine ganz
normale Geschichte vor buntem Hintergrund ist.
OK, Du sprichst hier mehrere Dinge an:
- Ich mag tendenziell eher Bücher (und Filme), in denen es
kracht und blitzt, will also auf keinen Fall eine überzogene
Charakterisierung. Trotzdem kann eine solche an sich niemals
falsch sein, nur zu ausführlich.
- Nur weil etwas ein bewährtes literarisches Muster ist, muß
es nicht schlecht sein.
- Du behauptest, daß SF auf Charakterisierung verzichten kann.
Da kann ich nur vehement widersprechen. Ich will keine Bücher
von Raumschiffen, sondern von Menschen in Raumschiffen. Nur
weil Menschen in ungewöhnliche Situationen gebracht werden, hat
SF eine Existenzberechtigung. Wie spannend wäre 2001 wohl, wenn
HAL auf den Quader gestoßen wäre?
Gerade dadurch, daß Niven die Schwerpunkte nicht
ausschließlich bei den Charakteren sucht, macht es doch erst
zu richtiger SF.
SF = Raumschiffe + Aliens + Laserstrahlen? Wohl kaum. Beides,
nämlich typische SF-Elemente und eine überzeugende Darstellung
der Charaktere, ist möglich, darum sollte man sich nicht ohne
Not mit weniger zufriedengeben.
Wenn Dir Ringwelt gefällt, solltest Du David Brin und Vernor
Vinge lesen; beide ähneln Niven, haben ihm aber einiges
voraus, und das auch ohne Ringwelten. Besonders die
Darstellung von nichtmenschlichen Rassen ist bei beiden
hervorragend.
Werde ich vielleicht mal versuchen.
Das solltest Du Dir ganz fest vornehmen. Für mich war Niven
auch mal der Autor traditioneller SF, von Brin und Vinge
wird er aber klar deklassiert. Der Thron wirkte, als ob er Geld
brauchte.
Absolut faszinierend - dazu kommt der meiner Meinung nach
beste Charakter, der jemals in einem Buch oder Film
dargestellt wurde und beim Leser unglaubliche Sympathien
weckt.
Ich hoffe, Du meinst Teela Brown. Es ist immer leichter,
Freaks zu beschreiben.
Eigentlich meinte ich Louis Wu.
Schade. Teela ist wirklich interessant, sowohl vorher wie
nachher.
Eben mal kein Draufgängerheld sondern jemand, der nachdenkt -
eine faszinierende Kombination: Ein 200 Jahre alter, weiser
Mann, der dynamisch und jung ist wie ein 20 jähriger.
Diese Weisheit ist halt nicht einfach zu übermitteln. Was mich
betrifft, hat es Niven nicht geschafft. Das hohe Alter ist
somit auch nur ein Gimmick.
Außerdem schafft es Niven, das der Leser ihn einfach mag,
obwohl er eigentlich gar kein Held ist - ohne seine gesamte
Biographie herunterzurasseln, wie du es ja warscheinlich gerne
hättest.
Vorsicht mit diesen Spekulationen.
Ich kriege von meinen Deutsch - Lehrern oft diese sogenannte
Weltliteratur vorgesetzt. Dabei stelle ich nur immer wieder
fest, daß kein Autor in diesen ach so genialen Büchern es
jemals fertig gebracht hat, einen Charakter so lebendig
erscheinen zu lassen, wie es Niven hier geschafft hat, obwohl
diese Autoren zig Seiten veranschlagen, nur um sich mit den
Hauptpersonen der Bücher auseinanderzusetzen.
Vielleicht liegt das an Deinem Lehrer? Ich bin zwar in der
großen Weltliteratur auch nicht so zu Hause, die beiden Bücher,
die ich mir gekauft habe, weil die Autoren den Nobelpreis
bekommen haben, sind aber ganz ausgezeichnet. Beides sind
ereignisreiche Geschichten, in denen nicht viel Zeit bleibt, um
ausführliche Charakterisierungen vorzunehmen, trotzdem gelingt
es beiden Autoren, die handelnden äh… ‚Personen‘ unglaublich
lebendig werden zu lassen.
Ein anderer ständiger Favorit von mir ist Shakespeare. Mit
dessen Sprache kann leider weder Niven noch Vinge im
Entferntesten mithalten.
Louis Gedankengänge erscheinen wie eigene - man kann sich
richtig in ihn hineinversetzen.
Der Mensch denkt?
Zur Erklärung: Ich mag Nivens Bücher, auch die, die er mit
diesem Redneck geschrieben hat, aber mehr als gute
Abenteuergeschichten sind es nicht. Wirklich gut sind einige
seiner Kurzgeschichten.
Thorsten