Hi Mike,
Selbst wenn sie (die Religion) anerkannt wird, ist sie
nicht Zweck, sondern Mittel. Und nun also Mittel wozu?
Diese Frage kann ich nicht beantworten, weil ich aus meiner streng christlichen Heim-Erziehung mir diese Frage mit 13 Jahren stellte und keine Antwort darauf bis heute fand. Ich meine, dass du das besser beantworten kannst, deswegen geht diese Frage mit Interesse an dich zurück.
Der klassische Staat gibt relative Normen
vor, die zum Teil ethischen Ursprungs sind oder allenfalls
einer gewissen Ethik Vorschub leisten. Das ist alles.
Wenn man mal den christlichen Parteien unterstellt, dass ihre Politiker auch wirklich im Sinne der christlichen Ethik überzeugt sind, ist es doch nicht ganz so klar, dass der Staat nur relative Normen vorgibt. Jedenfalls in Deutschland „müssen“ Schulkinder in den Religions- oder Ethikunterricht. Und Berufstätige „müssen“ Steuer für ihre Religion bezahlen. Das wäre in einer „wirklichen“ Demokratie mit „wirklicher“ Religionsfreiheit nicht denkbar, zum Beispiel in den USA. In Europa ist die Religion aber doch immer noch mit dem Staat eng verbunden, obwohl laut Politiker Staat und Religion getrennt sind. Das gilt aber nicht in Deutschland, vor allem nicht in Bayern, wo Edmund Steuber mit 30 000 Demonstranten gegen das vom Bundesverfassungsgericht erlassene Urteil ankämpfte, die christlichen Kreuze dürften nicht in Schulen aufgehängt werden. Zumindest in Bayern gilt das nicht!
Wenn ein Staat Ethikkommissionen generiert und meint, Gehirne waschen
zu müssen, ist das ganz einfach nicht der klassische Staat,
höchstens der totalitäre.
Natürlich.
Die funktionierende Demokratie zeichnet
sich nicht dadurch aus, dass sie die Opponenten einbindet und
mit ihnen so lange streitet, bis ein allgemeiner Wert da ist.
Vielmehr zeichnet sie sich dadurch aus, dass sie die
Opponenten einbindet und mit ihnen so lange streitet, bis ein
Kompromiss (von kompromittieren, also „jeder wird begrenzt“)
gefunden ist.
Die jeweilige Regierungspartei bestimmt auch die „Ethik“ (Schulen) und bindet doch gerade nicht die Opponenten ein, um sie zu „begrenzen“, sondern zu bekämpfen. Der politische Diskurs geschieht schon im Vorfeld.
Die Entscheidung etwa,
dass alle vor dem Gesetze gleich sind, ist kaum demokratisch
Gesetze werden zumindest in Deutschland von demokratisch gewählten Abgeordneten (Vertreter des Volkes) durch Mehrheitsbeschlüsse gemacht und das ist eben nur eine repräsentative Demokratie, im Gegensatz zur Schweiz.
„alle Menschen sind gleich vor Gott“
ist natürlich ungenau.
Aber ein berechtigtes psychologisches Bedürfnis nach dem Sinn des Lebens ist dieser Wunsch, darin widerspreche ich Sigmund Freud, der das Entstehen der Religion in der Ur-Gruppe von einem Autoritsverlangen ableitet und nicht von einem echt fühlbaren Existenz-, Sinn- und Identitätsbedürfnis.
„jeder Mensch hat einen unschätzbaren, unaufwägbaren,
unendlichen Wert“, weil jeder von Gott geliebt sei.
Das Axiom „von Gott geliebt“ ist natürlich nach der philosophischen Selbstreflexion relativ, weil diese Liebe ja auch Selbstliebe sein könnte, rein biologisch gesehen. Aber die meisten Biologen neigen mehr zur Chemie, anstatt zur Psychologie, oder zumindest war das in der Vergangenheit so, seit einiger Zeit hat sich dies möglicherweise geändert.
Eine Gleichheit im Sinne des staatlichen Gesetzes ist das
mitnichten.
Wenn man Religion als „Rückbindung zu Gott“ versteht, gebe ich dir natürlich Recht. Ist die Religion aber vorrangig eine politische Institution, wie zum Beispiel bei vor-demokratischen Gesellschaften, erfüllt sie mit ihren Gesetzen (Judentum, Islam) eine ähnliche Funktion wie der Staat.
weil ja die heutzutage nicht mehr zu übersehenden Unterschiede aller
Menschen offensichtlich sind
Dem pflichte ich bei und meine: nicht erst heutzutage!
Natürlich! Aber der Unterschied liegt darin, dass dies den Menschen früher nicht so bewusst war wie heute, weil die Medien diesen Unterschied mehr und mehr für jedermann sichtbar immer wieder neu „spiegeln“.
Trotzdem bleibt jedem selbst überlassen, sich eine eigene Ethik
Dagegen habe ich zwar nichts, frage mich aber, ob eine Ethik
dann philosophisch begründbar ist
Die Ethik durch sich selbst hat spätestens seit Sokrates philosophische Tradition. Logisch begründbar ist letztlich alles, was man begründen „will“, wie jeder einigermaßen gescheite Philosoph aus seiner Erfahrung weiß.
dann nicht gerade ein Zeichen dafür ist, dass eine Ethik per
Vernunft (Logik) nicht zu finden sei, und zwar selbst dann
nicht, wenn man sich auf die Grundaxiome von Sprachen inkl.
Mathematik und einigen weiteren Wissenschaften geeinigt haben
sollte…
Mathematik ist bekanntlich selbst eine philosophische Tradition seit Pythagoras, und bei dem war die Mathematik damals noch mystisch, heute mitnichten. Aber natürlich lässt sich die Ethik nicht allein durch die Sprache und Mathematik begründen, sondern durch ein Gefühl. Ich verweise auf einen Philosophen, der sowohl in seiner Moralphilosophie als auch in seiner Volkswirtschaftslehre vom „Reichtum der Nationen“ weltberühmt wurde und Professor war an der Universität Glasgow: Adam Smith.
Demokratie
Du meinst wohl einen ethischen Grund-Diskurs. Der kann mit
Gesetzgebungsprozessen allein wohl kaum geführt werden, weil
die Adressaten nämlich nicht mitreden.
Nun ja, die Medien sind ja die eigentliche Dynamik der Demokratie, gerade was wir jetzt hier tun, ist ja schon ein demokratischer Prozess von „mündigen“ Bürgern, die dann ja auch aufgrund ihres BEWUSSTSEINS die politischen Wahlen mitbestimmen…
Protagoras
ist Dir als philosophische Autorität unbenommen, allerdings
kann ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass er explicite
keine religiöse Autorität sein wollte.
Genau, das war auch der Grund dafür, weshalb Sokrates das Gegenteil wollte, wobei es immer auch eine philosophische Interpretation ist, was ich in mir selbst finde. Denn das Empfinden der Ethik kann Gott oder Mensch sein, das ist immer in seiner absolut höchsten Vernunft trotzdem das, was Protagoras lehrte:
Der Mensch ist das Maß aller Dinge! Und ob es Gott wirklich gibt, kann ich nicht sagen, genauso wenig, dass es Gott nicht gibt. Dass Idealisten diese Relativität bekämpfen in ihrem naiven Glauben an eine gewünschte Dogmatik, ist rein psychologisch zwar verständlich, in dem Selbstwertbedürfnis dieser naiv denkenden Philosophen. Aber streng philosophisch betrachtet alles andere als wirklich die höchste Vernunft.
Gruß
C.