Legendenbildung
K.F. Die Vehemenz, mit der Politiker der PDS und der Grünen, voran der darin besonders geübte Bundestagsabgeordnete Ströbele, sowie andere Interessierte das Vorgehen der italienischen Polizei während des Weltwirtschaftstreffens anprangern, kommt nicht von ungefähr. Sie gehört zu den Reparaturarbeiten, mit denen der Unfehlbarkeitsanspruch der Globalisierungsgegner und ihre Glaubwürdigkeit, die während der Genueser Krawalltage doch gelitten haben, wiederhergestellt werden sollen. In diesem Kampf ist jeder Vergleich recht, je abstruser, desto besser. Da wird Italien flugs zum finsteren Polizeistaat erklärt, in dem Methoden zur Anwendung kämen, wie sie aus dem Chile der Folterer bekannt seien. Was soviel heißen soll wie: Wo derlei angewendet wird, war und ist Widerstand selbstverständlich legitim einschließlich seiner Primitivform, des Polithooliganismus. Opferlegenden werden gestrickt.
Offensichtlich hat diese Art der Legendenbildung auch eine inneritalienische Dimension. Jene politischen Kräfte, die nicht mehr im Zentrum der Macht in Rom stehen, nutzen die Gelegenheit, die Regierung Berlusconi als Patron exzessiver Polizeigewalt darzustellen, auf daß auch die Kumpanei ihrer Gegner mit den Randalierern in einem gnädigen Licht erscheine. Doch auch hier geht einiges durcheinander im Lärm des Nahkampfes. Die neue Regierung, kaum sechs Wochen im Amt, hatte die Einsatzpläne und das führende Polizeipersonal von der Vorgängerin übernommen. Sie hat keineswegs nach besonders knüppelfreudigen Polizeiführern Ausschau gehalten und sie nach Genua entsandt. Die Unterstellung, die Gewalt sei regelrecht herbeigesehnt, wenn nicht bewußt entfacht worden, um den friedlichen Protest in Verruf zu bringen, ist bizarr.
Das gilt auch dann noch, wenn es stimmen sollte, wie behauptet wird, daß die Polizei bei einer nächtlichen Razzia in einer Schule unnötig hart vorgegangen sei und ausschließlich „friedliche“ Demonstranten diese Härte zu spüren bekommen hätten. Brutalität, vor allem wenn sie unprovoziert war, braucht man nicht zu bemänteln, sie wäre auch das Gegenteil von Professionalität. Aber in Genua sah sich die Polizei dauernden Angriffen ausgesetzt. Der Abgeordnete Ströbele mag das anders sehen, aber sie war es nicht, die ein Protestwochenende im Zeichen brennender Autos, von Brandbomben und Plünderungen veranstaltet hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.07.2001, Nr. 172 / Seite 1